
5 minute read
Die schönste Hölle auf Erden
36 |
Die Feldkircherin Johanna Walk (26) absolvierte ihr Studium der Politikwissenschaft und Publizistik im Mai 2020, und reiste Ende Oktober nach Lesbos, um sich ehrenamtlich bei der Organisation Attika Human Support zu engagieren – einen Monat nach dem Brand im Lager Moria und eine Woche vor dem Lockdown in Griechenland. Sie berichtet, wie sie die Zustände auf Lesbos und im neuen Lager Kara Tepe erlebt.
Advertisement
Interview: Daniela Egger, Fotos: Johanna Walk, Fayad Mulla
Wie sieht dein Alltag auf Lesbos aus?
Seit 7. November ist Lockdown, ich brauche eine Bestätigung auf dem Handy, wenn ich aus dem Haus gehe, muss also eine halbe Stunde vorher eine SMS an die BH schicken. Dann kommt ein Okay, oder ich brauche die Papiere, die bestätigen, dass ich einer Arbeit nachgehe. Zuerst war ich bei „Attika“, im Moment arbeite ich für „Home for all“ und ein paar Mal in der Woche für „The Lava Project“ – wir holen Wäsche im Camp, waschen alles gründlich, am Abend wird alles zurückgebracht. Das größte Hygieneproblem im Camp ist neben den schon berühmten Rattenbissen die Krätze, und die zu bekämpfen ist sehr schwierig. Unser kleiner Wäscheservice wird das nicht schaffen. Man müsste sich isolieren und täglich alles waschen, mit dem man in Berührung kommt. Das ist aussichtslos. Ich werde demnächst zusätzlich Englisch unterrichten bei „Tolou“, aber das dauert noch. Die Online-Möglichkeiten im Lager sind schlecht, die Leute haben zu wenig Strom, man kann sein Handy nicht zuverlässig aufladen.
Wie stehen die Einheimischen zu den Lagern?
Die griechische Bevölkerung ist sehr freundlich und hilfsbereit, aber der Tourismus ist komplett eingebrochen, wegen der Lager und später natürlich wegen der Pandemie. Es gibt viele Arbeitslose und die Häuser sind heruntergekommen. Das hat zur Folge, dass einige Hilfsorganisationen jetzt auch Einheimische unterstützen. Ein geplantes Camp stieß auf Protest, aber vor allem, weil die Leute nicht wollen, dass diese Menschen hier so lange aufgehalten werden. So war das nie gedacht, diese Camps sollten nur eine kurze Zwischenstation sein. Die schrecklichen Bedingungen sind auch eine Belastung für die Einheimischen. Außerdem muss man deutlich sagen, dass die Polizei sehr hart und rassistisch agiert, sie ist auch den NGOs nicht wohlgesonnen. Im Lockdown werden viele Flüchtlinge unverhältnismäßig abgestraft. Ich kenne eine Frau im Camp, die zum Rauchen kurz die Maske runternahm – 300 Euro Strafe. Das berichten viele von ihnen. Ich gehe immer wieder rauchend auf der Straße und nehme dann die Maske weg, mich schauen die aber gar nicht an.
Wo ist das ganze EU-Geld, hast du eine Theorie?
Das ist alles sehr intransparent – im November sind 10 Millionen Euro von der EU nach Griechenland geflossen, allein 5 Millionen für dieses neue Camp, Kara Tepe. Davon sieht man aber gar nichts. Für so viel Geld könnte man ordentliche Container aufstellen, mit Heizung und ausreichend sanitären Anlagen. Neben dem neuen Camp steht das alte Kara Tepe, dort gibt es das alles, das ist aber voll belegt. Es sind nicht alle Lager so grauenhaft, es gab sogar mal das Vorzeigecamp „Pikpa“ für besonders Schutzbedürftige. Für alleinstehende Mütter und unbegleitete Minderjährige gibt es noch andere Unterkünfte, die sind nicht hier in Kara Tepe, zum Glück. Manche Organisatio-
Winterkleidung, Isoliermatten und Schlafsäcke aus Wien und Vorarlberg in der Lagerhalle von „home for all“. Hier werden die Sachen verteilt.

gebracht werden. Alles andere ist ausgeschöpft. Es sind über 100 NGOs auf der Insel, Geld ist genug vorhanden, daran liegt es überhaupt nicht. Die Spenden der Zivilbevölkerung aus der ganzen EU sprechen eine deutliche Sprache – die Menschen wollen ein solches Elend nicht zulassen. Es ist allein der politische Wille, der fehlt. Die griechische Regierung muss unter Druck gesetzt werden, von den Verantwortlichen im EU-Parlament. Wir haben so viele Sach- und Geldspenden bekommen, auch aus Vorarlberg, die kommen aus ganz Europa. Die logistische Herausforderung ist enorm, weil nur wenige ins Lager hineindürfen. Wir brauchen für alles eine Genehmigung, man nen haben Häuser in der Stadt gekauft und bringen Flüchtlinge muss sich registrieren, wenn man ins Camp will, derzeit geht dort unter, die besonders gefährdet sind. aber gar nichts. Immer hat das Ministerium das letzte Wort
Wie geht es den Leuten im neuen Kara Tepe? und die Beamten verhindern alles. Trotzdem ist es wichtig, dass
Ein Kollege von mir sagte, dies hier ist die schönste Hölle auf jetzt Winterkleidung abgegeben werden kann, und dass für die
Erden. Die Insel ist wunderschön, Mytilini eine ildyllische Ha- Leute gekocht wird. fenstadt. Und dann dieses Elend – vor allem die Kinder sind Es muss sich das Bewusstsein etablieren, dass ein Pull-Faktor sehr gefährdet, eine Kollegin von mir arbeitet mit Kindern mit einfach nicht existiert. Es kommen immer noch häufig Boote
Autismus und ADHS, sie ist oft verzweifelt. Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos an und illegale Push-backs geschehen regelmäßig. lenken die öffentliche Aufmerksamkeit immer wieder auf die Die meisten werden auf dem Meer abgefangen und zurückgepsychischen Belastungen der Kinder. Aber auch die Erwachse- schleppt, wer es an Land schafft, braucht die Unterstützung von nen sind an ihrer Grenze, viele traumatisiert – die Zahlen der NGOs wie „Agean Boat Report“ oder der UNHCR. Werden die selbstmordgefährdeten Menschen sind erschreckend. Es heißt, Menschen von der Polizei aufgegriffen, kann es passieren, dass 14 1/3 aller Flüchtlinge wollen nicht mehr leben. Es gibt zu viele Kinder mit ihren Familien im Lager und viele alleinstehende Männer. Es wird gestohlen und Auseinandersetzungen sind häufig. Das ist jetzt ein bisschen besser, weil die Polizei präsenter ist. Oft kommt es zu Verbrennungen wegen der Gaskocher im Zelt – man versucht damit zu heizen, aber mit acht Leuten im Zelt ist das einfach sehr gefährlich. Ein junger Bekannter von mir aus Bangladesch ist bereits seit fünf Jahren hier, der arbeitet wie so viele andere inzwischen selbst für eine NGO, weil das Nichtstun zermürbend ist. Viele Leute sind aktiv und organisieren im Lager Angebote, aber es gibt keine Perspektive. Was sollte aus deiner Sicht jetzt geschehen? Es muss unverzüglich evakuiert, die Menschen adäquat untersie bei Nacht auf ein Boot der griechischen Küstenwache gezwungen, raus aufs Meer gebracht und dort in kleinen orangen Rettungsbooten ohne Motor ausgesetzt werden. Dies ist umso wahrscheinlicher, wenn es keine Zeugen für ihre Ankunft gibt. Solche Fälle gab es im letzten Jahr zirka 350, dabei wurden fast 10.000 Menschen illegal zurückgedrängt. (Quelle: Aegean Boat Report). Wie lange planst du zu bleiben? Ich verschiebe die Abreise immer wieder nach hinten. Ich hätte jetzt auch in Wien nichts Sinnvolles zu tun, und hier ist doch einiges möglich, was die Menschen unterstützt. Außerdem ist es schön hier, und ich lerne viele Menschen mit unglaublichen Geschichten kennen. Eben die schönste Hölle auf Erden.
