2 minute read

Geltendes Recht versus Abschiebepraxis

Next Article
Impressum

Impressum

Michael Rauch, Kinder- und Jugendanwalt für Vorarlberg, gibt eine Einschätzung der Vorgehensweise der Behörden, wenn mitten in der Nacht Kinder und Jugendliche mit Polizeiaufgebot und Hundestaffel in ein für sie fremdes Land verbracht werden.

Interview: Daniela Egger, Foto: kija DSA Michael Rauch | Kinder- und Jugendanwalt

Advertisement

Kinder- und Jugendanwaltschaft

+43 5522 849 00 | kija@vorarlberg.at | www.kija.at

Michael Rauch, sind die kürzlich erfolgten Abschiebungen hier geborener und aufgewachsener Kinder im Einklang mit

Gesetzen zum Schutz der Kinder?

Geflüchtete Kinder und Jugendliche sind aufgrund ihrer Flucht- und Gewalterfahrung eine besonders verletzliche Gruppe. Sie haben das Recht auf besonderen Schutz und Beistand durch den Staat, so sieht es Art. 22 der UN-Kinderrechtskonvention vor. Gemäß Art. 3 ist das Kindeswohl bei allen staatlichen

Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen. Dazu hat sich

Österreich mit der Unterzeichnung dieses völkerrechtlichen

Vertrags vor knapp 30 Jahren verpflichtet. Das Kindeswohlvorrangigkeitsprinzip wurde zudem in Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern aufgenommen und ist damit geltendes Recht.

Das bedeutet aber, diese Abschiebungen waren gesetzeswidrig und damit auch einklagbar?

Nicht unbedingt. In vielen Fällen bedeutet es, dass sich Österreich zum einen nicht an völkerrechtliche Verpflichtungen hält (Kinderrechtekonvention) und die zwar allgemein gehaltenen, aber doch gültigen Bestimmungen der Bundesverfassung nicht bzw. zu wenig ernst nimmt.

Gibt es vielleicht einen gesetzlich verankerten Schutz vor mut-

12 willig herbeigeführten, traumatischen Erfahrungen? Bereits jetzt besteht die Möglichkeit bei der Festlegung des Zeitpunktes der Abschiebungen bzw. Rückführungen und der Wahl der Mittel besonders auf das Kindeswohl und die Bedürfnisse speziell kleinerer Kinder Rücksicht zu nehmen. Ebenfalls gibt es bereits die Verpflichtung im Sinne des Art. 8 der Menschenrechtskonvention, Familien nicht zu trennen. Gibt es einen Weg, diese Familien wieder nach Hause zu holen? Das ist abhängig vom jeweiligen Einzelfall, in der Regel ist das aber schwierig. Könnte Vorarlberg dabei einen eigenen Weg gehen? Die Bildung einer „Härtefallkommission“ in jedem Bundesland, die nach negativem Asylentscheid in sog. „Abschiebefällen“ ein humanitäres Bleiberecht prüft, wäre eine Möglichkeit, um den Bundesländern mehr Mitsprache zu ermöglichen. Diese könnte zusätzlich zum Verfahren selbst Kinder- und Jugendrechte, die Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person und Integrationssachverhalte nochmals prüfen.

Wer kann die Gesetzeslage jetzt verändern?

Das Asyl- und Fremdenrecht zu ändern ist Aufgabe der Politik bzw. des Nationalrats. Aktuell ist zu hoffen, dass die Arbeit der Kinderschutzkommission Impulse für notwendige Gesetzesänderungen bringt und die Politik diese auch aufgreift und umsetzt. Auch in der Anwendung der Gesetze (Vollzug durch die Behörden) gibt es Möglichkeiten einer Verbesserung.

Wie sind die Abschiebungen von Minderjährigen ohne Begleitung einzuschätzen, die hier jahrelange Bildungswege hinter sich haben und aus dem Lehrberuf gerissen werden?

Kinder und Jugendliche ohne Begleitung abzuschieben sollte nicht stattfinden. Ebenfalls sollte nach längerer Ausbildung und entsprechender Integration davon abgesehen werden. Die Schaffung eines Aufenthaltstitels für in Ausbildung stehende junge Menschen bis zum Abschluss ihrer Ausbildung/Lehre mit der Möglichkeit einer zweijährigen Anschlussbeschäftigung und damit der Chance, nachhaltig am heimischen Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können, sollte ermöglicht werden.

Was macht die aktuelle politische Vorgehensweise mit Ihnen als Privatperson?

Grundsätzlich schaffe ich es meistens gut, berufliche Erfahrungen und mein Privatleben auseinanderzuhalten. Gewalt an Kindern – und dazu gehört auch strukturelle Gewalt wie sie bei Abschiebungen von jungen Menschen passiert – ist auch nach so vielen Jahren in dieser Funktion etwas, was mich mehr und länger beschäftigt.

| 33

This article is from: