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Es ist kompliziert
INTERVIEW
ES IST
KOMPLIZIERT…
Das Verhältnis zwischen dem Tiroler Tourismus und der Tiroler Bevölkerung war schon mal besser. Bei manchen Themen scheinen die Fronten verhärtet, doch noch ist nichts verloren – zumindest nicht nach Ansicht einer Paartherapeutin, die für uns diese ganz besondere Beziehung beleuchtet hat.
Das Gespräch führte Simon Leitner.
ZUR PERSON
Dr. Ulrike Paul ist Psychologin, systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin, Sexualpädagogin und -therapeutin sowie Sachverständige für psychotherapeutische Diagnostik und psychische Folgeschäden. Als gebürtige Tirolerin, die seit Jahren im Land lebt und arbeitet, erlebt sie die Beziehung zwischen Tiroler Tourismus und Bevölkerung nicht nur hautnah mit, sondern ist gewissermaßen auch Teil davon.

SAISON :
Frau Paul, ist die Beziehung zwischen dem Tiroler Tourismus und der Tiroler Bevölkerung noch zu retten? ULRIKE PAUL: In meinen Augen, ja. Da es sich dabei um eine sehr lange Beziehung handelt, gibt es eine gute Basis, auf der man aufbauen kann. Andererseits ist die gemeinsame Geschichte, wie in vielen langjährigen Partnerschaften, natürlich auch von Konflikten geprägt. Es gibt offensichtlich bereits seit einiger Zeit Interessendifferenzen, und die sind im Zuge der Klimakrise und der Coronapandemie noch mal deutlich zutage getreten. Welche Probleme meinen Sie konkret? Ich bin natürlich keine Touristikerin, aber als gebürtige Tirolerin, die seit Jahren im Land lebt, glaube ich, dass es im Tourismus künftig kein bedingungsloses „Höher, schneller, weiter“ mehr geben kann.
„MAN IST DERMASSEN IN ALTEN MUSTERN VERHAFTET, DASS Zumindest nicht, wenn man sich der Unterstützung eines breiten Teils MAN AM JEWEILIGEN GEGENÜBER der Bevölkerung sicher
NUR NOCH DIE SCHLECHTEN sein will. Ich gehe davon SEITEN SIEHT.“ aus, dass die Branche noch stärker als bisher auf Themen wie Nachhaltigkeit und Qualität setzen muss, also auf jene Trends, die auch für die Menschen in Tirol und der Welt zunehmend wichtiger werden. Weitermachen wie bisher geht jedenfalls nicht. Wie lässt sich die Beziehung wieder kitten? Zuallererst muss man die Perspektiven wieder geraderücken. Man ist dermaßen in alten Mustern verhaftet, dass man am jeweiligen Gegenüber nur noch die schlechten Seiten sieht. Viele Menschen beklagen etwa die negativen Auswirkungen bestimmter Ausprägungen des Tourismus, ignorieren dabei aber die Tatsache, dass dieser auch viel Gutes
für Land und Leute getan hat – von der Schaffung von Arbeitsplätzen bis hin zur Stärkung lokaler Infrastruktur. In Partnerschaften ist es ja oft so, dass man das, was der jeweils andere für einen tut und in die Beziehung einbringt, nach einiger Zeit nicht mehr sieht, weil man sich bereits daran gewöhnt hat. Diese positiven Aspekte muss man sich und dem anderen wieder ins Gedächtnis rufen.
Wie kann das gelingen? Über richtige Kommunikation. Daran hapert es nämlich auch: Wenn zwei Partner unzufrieden sind und sich trotz mehrfacher Aussprache nichts zu ändern scheint, fühlen sich beide missverstanden, vom jeweils anderen nicht ernst genommen, als ob man nicht mehr wirklich zum anderen durchdringe. Wenn jede Diskussion in der gleichen Sackgasse endet, hört man irgendwann aus Frust ganz auf, miteinander zu reden.
Wie findet man aus dieser Sackgasse heraus? Beide Seiten müssen wieder das Gefühl bekommen – und es der jeweils anderen vermitteln –, dass man einander zuhört, dass Respekt und Wertschätzung herrschen. Der Tourismus kann beispielsweise die Sorgen der Bevölkerung nicht einfach abtun, sondern muss zeigen, dass er Bedenken nicht nur wahr-, sondern auch ernst nimmt und was dagegen unternimmt. Es braucht Erfolgserlebnisse, um für den anderen wieder glaubwürdig und überprüfbar zu werden. Nur so kann man das Vertrauen zueinander erneuern, was wiederum die Grundlage für einen Dialog auf Augenhöhe und die Artikulation von möglichen Differenzen ist.
Und wie kann man Konflikte schließlich überwinden? Viele Auseinandersetzungen lassen sich nicht so ohne Weiteres einer
einfachen Lösung zuführen, nicht immer ist ein Kompromiss möglich. Aber das muss auch nicht unbedingt sein, denn es geht nicht um eine oberflächliche Scheinbefriedung, sondern vielmehr darum, sich Konflikten bewusst zu werden und diese offen auszutragen. Wenn es in einer Partnerschaft Unvereinbarkeiten gibt, muss man darüber reden und Lösungen suchen, nicht einfach alles unter einen Teppich kehren, weitermachen wie bisher und so tun, als sei alles in Ordnung. Das ist nämlich ganz charakteristisch für uns Menschen: Das Vertraute scheint uns immer sicherer, auch wenn es offensichtlich dysfunktional ist.
Wie können der Tourismus und die Bevölkerung wieder zueinander finden? Ich glaube, beide müssen sich schlichtweg wieder darüber klar werden, was sie miteinander verbindet und was sie voneinander haben. Dass der Tourismus und die Bevölkerung sich gegenseitig brauchen, steht für mich außer Frage. Deshalb glaube ich, dass es sich für beide Seiten lohnen würde, an der Beziehung zu arbeiten – auch wenn es vielleicht manchmal kompliziert sein mag.