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Keine Alleingänge

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Wir müssen reden

Wir müssen reden

Es gibt verschiedene Arten und Möglichkeiten für Unternehmen und Organisationen, die Bevölkerung in bestimmte Prozesse miteinzubinden. Auch in Tirol funktioniert das vielerorts schon gut. Das zeigen zwei Beispiele aus Tourismus und Wirtschaft.

Text: Simon Leitner

Es ist nicht immer leicht, über seinen eigenen Schatten zu springen. Dies gilt auch für Unternehmen und Organisationen, die aus Angst vor möglichen Konsequenzen oftmals nur widerwillig auf Anregungen von „außen“ reagieren – oder diese sogar gänzlich ignorieren.

Gerade in den Bereichen Tourismus und Wirtschaft, die eng mit dem Alltag vieler Menschen verknüpft sind, ist es heutzutage jedoch fast unumgänglich, die Bevölkerung in gewissen Angelegenheiten einzubinden, will man deren Rückhalt nicht verlieren. Dass dies gelingen kann, beweisen der Tourismusverband Wilder Kaiser und Zillertal Bier – jeweils auf ihre ganz eigene Weise.

MITEINANDER REDEN

Bereits seit 2017 erörtert der TVB Wilder Kaiser Mittel und Wege, um die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung bei touristischen Entscheidungen besser berücksichtigen zu können. „Damals haben wir gemerkt, dass aufgrund der starken Zunahme des Sommertourismus in unserer Region ein sozialer Druck entsteht, mit dem wir umgehen müssen“, erläutert Lukas Krösslhuber, der Geschäftsführer des Tourismusverbands. Themen wie Overtourism und Tourismusgesinnung seien in jenem Jahr, vor In der Folge wurde in Kooperation mit den vier Gemeinden der Region das Projekt „Lebensqualität am Wilden Kaiser“ ins Leben gerufen, im Zuge dessen verschiedene Formen der Partizipation für die in dem Gebiet lebenden und arbeitenden Menschen realisiert wurden. Insbesondere kamen dabei Foren und Workshops zum Einsatz, wobei man neben „offeneren“ Treffen auch gezielt in spezifischeren Konstellationen über den Tourismus, und was dieser für die Region leisten kann, diskutieren

„WIR MÜSSEN NICHT NUR SCHAUEN, DASS MENSCHEN IM TOURISMUS ARBEITEN WOLLEN, SONDERN AUCH DEN EINHEIMISCHEN VERMITTELN, DASS IHNEN DAS WAS BRINGT.“

LUKAS KRÖSSLHUBER, GESCHÄFTSFÜHRER TVB WILDER KAISER

allem aufgrund der negativen Olympiaabstimmung in Tirol, an die Oberfläche getreten, wodurch jene Argumente, die bisher das Wachstum in der Branche gerechtfertigt hätten – insbesondere die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie regionale Wertschöpfung durch Gäste –, von anderen Aspekten überlagert worden wären. „Und dem“, so Krösslhuber, „mussten wir natürlich Rechnung tragen.“ wollte – unter anderem etwa mit Menschen unter 25 oder mit Mitgliedern von Vereinen, die jeweils aus ihrer eigenen Perspektive Ideen und Vorschläge eingebracht haben.

DER EINZIGE WEG

Über das Feedback dieser Bürgerbeteiligung, die mit Newslettern und Onlineveranstaltungen mittlerweile auch Eingang in die digitale Sphäre gefunden hat, gibt sich der TVB mehr als zufrieden. Gerade zu Beginn, so Krösslhuber, hätten sich viele Menschen dankbar gezeigt, endlich auch einmal ihre Meinung zum Tourismus, von dem sie ja im Positiven wie im Negativen betroffen seien, artikulieren zu können: „Sie hatten das Gefühl, gehört und auch ernst genommen zu werden – ohne gleich erklärt zu bekommen, warum ihre Meinung denn die falsche sei.“

Nicht nur aufgrund dieser positiven Rückmeldungen wolle man weiterhin an diesem Weg festhalten – Krösslhuber sieht die Einbindung der Bevölkerung generell als eine Art Grundvoraussetzung für erfolgreichen Tourismus: „Wir müssen nicht nur schauen, dass Menschen im Tourismus arbeiten wollen, sondern auch den Einheimischen vermitteln, dass ihnen das was bringt. Dafür müssen wir wissen, was die Bedürfnisse sind und wo der Schuh drückt. Und das gelingt nur, wenn man ständig miteinander redet.“

Alle sind gefragt: Im Rahmen des Projekts „Lebensqualität am Wilden Kaiser“ bittet der TVB Wilder Kaiser auch die örtliche Bevölkerung um ihre Meinung. In Workshops, Foren und Diskussionsrunden wird unter anderem darüber debattiert, was der Tourismus für die Region leisten kann.

wedl.com

Unsere Spezialität sind besondere Wünsche.

ZUSAMMEN ARBEITEN

Etwas anders gelagert ist die Angelegenheit bei Zillertal Bier. Zwar wird auch in der in Zell am Ziller beheimateten Brauerei Wert auf Dialog gelegt, dies manifestiert sich allerdings insbesondere in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit lokalen Partnern. „Wir vertreiben unsere Bierspezialitäten ganz bewusst ausschließlich in Tirol, damit sie optimal frisch sind“, erklärt Zillertal-Bier-Geschäftsführer Martin Lechner. „Und damit diese Wertschöpfungskette rund um unseren Betrieb auch funktioniert, haben wir für uns Regeln festgelegt, alle Rohstoffe so nah wie möglich zu beziehen.“ Allerdings sei nicht alles in der Region zu bekommen: Während man beispielsweise die Hefe selbst züchte, müsse man das Getreide unter anderem aus dem Wiener Becken ankaufen.

Vor rund sieben Jahren hat das Unternehmen jedoch damit begonnen, eine alte Tiroler Gerstensorte, die sogenannte Fisser Imperial Gerste, wiederzubeleben und als Basis für zwei Bierspezialitäten zu verwenden. Lechner zufolge habe es einiges an Zeit und Mühen erfordert, bis die autochthone Getreideart tatsächlich zum Brauen geeignet war, am Ende sei es jedoch gelungen – mithilfe modernster Technik und in Kooperation mit lokalen Partnern, darunter die Genbank des Landes Tirol, die Saatbaugenossenschaft und heimische Landwirte.

Mittlerweile bauten mehr als 50 Tiroler Bauern auf etwa 70 Hektar die Fisser Imperial Gerste an, wobei der Ertrag bei rund 200 Tonnen jährlich liege. „Inzwischen haben sich auch andere Betriebe, wie

„WIR HABEN FÜR UNS REGELN FESTGELEGT, ALLE ROHSTOFFE SO NAH WIE MÖGLICH ZU BEZIEHEN.“

MARTIN LECHNER, GESCHÄFTSFÜHRER ZILLERTAL BIER

die Bäckerei Ruetz, drangehängt, das Ganze ist also eine schöne regionale Geschichte geworden“, so der Zillertal-Bier-Chef.

REGIONALE PARTNER

Mit Tiroler Bauern und Partnern im Rahmen dieses Projektes zusammenzuarbeiten, sei von Beginn an ein wichtiges Anliegen für ihn gewesen, sagt Lechner. Und auch jetzt unterstütze man sie, wo man nur könne: „Wir zahlen unseren Bauern einen stolzen Preis, ungefähr das Fünffache von dem, was am Weltmarkt üblich ist. Zudem haben wir einen eigenen Anbauberater, der sie in allen Belangen rund um den Anbau unterstützt – etwa wann der optimale Aussaatzeitpunkt ist oder wie die Felder am besten bestellt werden können, um die Hektarerträge ohne Einsatz von Spritzmitteln zu steigern.“

Die Forcierung lokaler Rohstoffe sowie die damit einhergehende enge Kooperation mit heimischen Partnern will die Brauerei in Zukunft weiter ausbauen, sie experimentiert schon mit neuen Produkten, die ausschließlich mit in Tirol angebauten Getreidesorten hergestellt werden sollen. Diese Fokussierung auf Regionalität ist zwar mit gewissen Kosten verbunden, Lechner zufolge aber der richtige Weg für sein Unternehmen: „Meine Frau und ich führen unseren Betrieb bereits in der 16. Generation. Von unseren Vorgängern haben wir gelernt, dass wir in der Region eingebunden sind, wir haben den Regionalitätsgedanken also schon längst verinnerlicht. Und das wollen wir auch zeigen.“ VERGESSENES KORN

Vor über 100 Jahren noch weit verbreitet, geriet die Fisser Imperial Gerste im Laufe der Jahre zunehmend in Vergessenheit – bis sich einige Pioniere am Oberen Gericht dazu entschlossen, die robuste Sorte zu reaktivieren. Die Suche nach geeignetem Saatgut gestaltete sich nicht leicht, schließlich wurde man jedoch in der Genbank des Landes Tirol fündig. Das nur noch spärlich vorhandene Saatgut wurde im Anschluss gemeinsam mit der Saatbaugenossenschaft in Flaurling vermehrt, sodass mittlerweile wieder mehr als 50 Bauern in Tirol diese Getreideart anbauen.

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