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Der Supertramp-Mann
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Text: Hans Platzgumer ICH KANN NICHT ALLES AUF DIE POLITIK, AUF CHINA, AUF NESTLÉ ODER COCA-COLA SCHIEBEN. ÄNDERE ICH MEIN VERHALTEN NICHT, BIN ICH NICHT BESSER ALS DIE BIG PLAYERS, HÖCHSTENS HARMLOSER. DANN DARF ICH NICHT DARÜBER JAMMERN, KEINE MACHT ZU BESITZEN, SONDERN DIE WELT KANN FROH DARÜBER SEIN, DASS ICH NICHTS ZU SAGEN HABE.
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Vor einem knappen halben Jahrhundert, im November 1975, brachte die britische Popband Supertramp ihr viertes Album auf den Markt und gab ihm den Titel ‚Crisis? What Crisis?‘. Die Songs der Platte waren nicht sonderlich erfolgreich und sind heute weitgehend vergessen, der Titel des Albums und die optische Gestaltung aber könnten aktueller kaum sein. Krise? Welche Krise? Auf dem Cover sehen wir einen Mann in Badehose und mit Sonnenbrille, der sich scheinbar unbeirrt von seiner Umgebung in einem Liegestuhl entspannt. Er selbst ist wie sein Badetuch, Sonnenschirm, der Longdrink auf seinem Tischchen und sein Transistorradio koloriert. Alles außerhalb seines direkten Umfeldes aber ist grau und trostlos. Dort herrscht offensichtlich die große Krise, zumindest aus ökologischer Sicht. Nichts als eine Industrielandschaft mit unzähligen qualmenden Schloten umgibt den Mann. Er nimmt sein Sonnenbad auf einer Schutthalde, in verseuchtem Brachland, er trotzt den Umständen, er will sich die kleine Oase inmitten der Zerstörung, das Einzige, was ihm geblieben ist, nicht nehmen lassen. Er ignoriert das Außen, so gut es ihm gelingt. In seinem Gesichtsausdruck aber ist zu lesen, dass er sehr wohl Bescheid weiß, wie es um seine Umwelt steht und dass die Tage gezählt sind, die ihm in seiner vermeintlichen Idylle bleiben.
Heute befinden sich viele von uns in der Situation dieses Mannes. Krisen über Krisen umgeben uns, Krisen, so komplex und überwältigend, dass wir nicht wissen, wie mit ihnen umzugehen ist. Selbst in Vorarlberg sind die Auswirkungen der umfassenden Umwelt- und Selbstzerstörung unübersehbar, die der Mensch seit Jahrzehnten betreibt, getrieben von den Zwängen der kapitalistischen Struktur, in der er sich verfangen hat. Nur zu zögerlich beginnt er, wenn überhaupt, diese zu überdenken. Während das grundsätzliche Umdenken weiterhin auf sich warten lässt, werden die Enklaven immer kleiner, die uns bleiben. Auch in Vorarlberg muss ich Tag für Tag mitansehen, wie Böden unvermindert versiegelt werden und Zufluchtsräume, einer nach dem anderen, verschwinden. Der Verkehr auf unseren Straßen nimmt zu statt ab, die Pkw werden größer und schwerer, Lkw- oder Motorradfahrer immer rücksichtsloser. Der Tourismus schreibt Rekordzahlen, Skigebiete werfen ihre Schneekanonen an. Die Liste der Dinge, die sich in die falsche Richtung entwickeln, ließe sich beliebig lange fortführen – auch wenn einer wachsenden Anzahl von Menschen und Unternehmen bewusst ist, dass eine Veränderung unseres Verhaltens einsetzen muss. Es gibt sie, die Ausnahmen von der Regel. Doch wie es so schön heißt, bestätigen diese die Regel nur. Solange sich nicht im Großen etwas ändert oder neue Regeln von der Politik vorgeschrieben werden, fühlen sich zu viele unter uns nicht dazu motiviert, ihren Lebensstil zu ändern. Muss alles von oben her befohlen werden? Funktioniert Läuterung tatsächlich nur über Maßregelungen und Verbote? So scheint es, leider aber fehlt es auch der Politik am nötigen Mut, an der nötigen Einigkeit, der nötigen Durchsetzungskraft, sie handelt zögerlich, zaghaft und schließt sich dem allgemeinen Greenwashing an. Im Großen und Ganzen bleibt alles, wie es ist. Uns hier geht es ja noch verhältnismäßig gut. Bislang sind wir vom Schlimmsten verschont geblieben, was Naturkatastrophen, Flüchtlingsströme, was Hunger, Armut, Bombenhagel betrifft. Wir haben das Glück, uns auf einer dieser Inseln zu befinden, auf denen das Dasein noch halbwegs funktioniert. Doch wir müssten Augen und Ohren verschließen, um nicht zu verstehen, dass außerhalb unserer kleinen Welt die Dinge kollabieren und somit auch unser Spielraum enger wird.
Angesichts der kaum lösbaren Krisen, in denen sich die Menschheit inzwischen wiederfindet, angesichts der Ohnmacht, die uns überkommt, wirkt es nur menschlich, wenn Zeitgenoss*innen auf die Überforderung wie dieser Supertramp-Mann reagieren. Sie schätzen, sofern sie überhaupt bewusst am Weltgeschehen teilnehmen, die Lage als aussichtslos ein und wollen ihr privates Leben in vollen Zügen genießen, so lange es sich machen lässt. Doch die Umstände haben sich seit den 1970er-Jahren verändert. Als Supertramp dieses Album veröffentlichten, glaubten wir Menschen noch an die Zukunft. Damals war das Wissen über die globalen Folgen unserer Ausbeutung und Zerstörung der Natur, darüber, wie das Kleinste mit dem Größten zusammenhängt, noch nicht weit genug verbreitet. Zustände konnten als lokale Phänomene abgetan werden. Heute gilt solches Unwissen nicht länger, heute sehen wir, dass wir unsere Zukunft
womöglich verspielt haben. Wer glaubt noch daran, dass die Welt in absehbarer Zeit zu einem besseren, lebenswerteren Ort wird? Heute ist permanenter Wohlstandsverlust das Schlagwort, das in westlichen Industrienationen die Runde macht. In anderen Teilen der Welt geht es bereits um Krieg und Hunger. In Supertramps Zeiten – ich erinnere sie gut – war der Gedanke an die Apokalypse noch ein Spiel. Es machte Spaß, sie sich auszumalen, wohl weil man davon ausging, rechtzeitig vor ihr flüchten zu können. Gruselfilme, Horrorgeschichten machen immer Spaß, solange sie nicht wirklich werden. Heute aber ist das Szenario unseres Untergangs allzu drängend, überaus realistisch geworden. Wenn wir so weitermachen wie bislang, ist es nur eine Frage der Zeit, eine Frage danach, ob uns Jahre oder Jahrzehnte bleiben, mehr nicht.
Angesichts dieses Zeitdrucks, den alle spüren, in Anbetracht der gewaltigen Ausmaße und Komplexität unserer selbstgemachten Probleme wirkt, was auch immer wir versuchen, rein kosmetisch, zu klein, für manche geradezu lächerlich. Also setzen sie sich lieber auf ihren kolorierten Sonnenstuhl und chillen – was ein anderes Wort für Resignieren sein könnte. Sie stellen ihr Ich in den Vordergrund, weil unser Wir keine Chance mehr zu haben scheint. Wie viele haben den sogenannten ‚Klimabonus‘, diese 500 Euro, die jeder und jede, egal wie bedürftig, ungefragt vom Staat erhalten hat, direkt in ihr Auto oder einen Billigflieger gesteckt? Tatsächlich weiß ich es von einigen. Ungefähr dreimal Volltanken war dieser Klimabonus wert oder einen Kurztrip nach Mallorca. Eine Politik, die Fahr- oder Flugstreckenverbote meidet, nicht einmal Tempobeschränkungen durchsetzt, dafür Kohle- und Atomkraftwerke, sogar Gas-Fracking wiederbelebt, darf sich nicht wundern, wenn ihre Klima-Ideen oftmals zynisch anmuten.
So menschlich es sein mag, auf die Herausforderungen, die vor uns stehen, mit einem Kopf-in-den-Sand oder „Hinter uns die Sintflut“ zu reagieren, es ist auch erbärmlich. Es hilft dabei, die Welt schneller an den Abgrund zu bringen. Ich kann nicht alles auf die Politik, auf China, auf Nestlé oder Coca-Cola schieben. Ändere ich mein Verhalten nicht, bin ich nicht besser als die Big Player, höchstens harmloser. Dann darf ich nicht darüber jammern, keine Macht zu besitzen, sondern die Welt kann froh darüber sein, dass ich nichts zu sagen habe.
Was haben Sie mit Ihrem Klimabonus gemacht? Was werden Sie mit dem nächsten, der früher oder später kommen wird, machen? In welcher Welt wollen Sie leben, heute, morgen? Und was sind Sie bereit für eine solche Welt zu tun? Auf welchen von all dem Unfug, mit dem wir dazu beitragen, die Welt kaputt zu machen, sind Sie bereit zu verzichten? Denken Sie noch darüber nach oder haben sie bereits damit begonnen, ihr Konsumverhalten zu verändern? Jeder und jede einzelne kann und muss sich heute, 47 Jahre nach Crisis? What Crisis?, die Frage stellen, ob er*sie der Supertramp-Mann sein will oder nicht. Jede*r muss prüfen, inwieweit sie*er Teil einer positiven Veränderung ist, oder wie weit die Hoffnung bereits aufgegeben wurde. An diesen Fragen kommt niemand vorbei, das ist sie heute, die unbequeme Wahrheit, auf die Al Gore uns 2006 hingewiesen hat.
Auch ich gehe ein solches Abwägen Tag für Tag aufs Neue ein. Es ist Teil meines Bewusstseins geworden, ein Teil in meinem Kopf, den ich den anderen Bildern der Zerstörung entgegenstelle, die in den Medien ununterbrochen auf uns niederprasseln. Auch wenn die Veränderung meines persönlichen Verhaltens global gesehen keinen Unterschied macht, für mich macht sie es sehr wohl. Mein eigenes, kleines, persönliches Leben wird dadurch ein wenig besser, lebenswerter, heller. Wenn ich schon längst kein Held bin, wenigstens bin ich nicht der Supertramp-Mann. Und der Klimabonus? Der ist irgendwann auch auf meinem Konto eingegangen und dort versickert. Von ihm kann ich mir weder etwas kaufen noch erwarten. Aber ich erschaffe mir meine eigenen kleinen Klimaboni, jeden Tag ein bisschen mehr davon.