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Auch Übungssache
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Zuversicht ist – auch – Übungssache
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Kann und darf man zuversichtlich sein in Zeiten großer Ungewissheit? Man muss, sagt Melanie Wolfers, 51, Philosophin, Autorin und Ordensfrau. Zuversicht klammere Gefühle wie Angst und Sorge nicht aus. Sie wachse dort, wo der Mensch seine Handlungsspielräume erkenne und nutze. Zuversicht könne man üben und habe rein gar nichts mit dem „Glücksterror“ falscher Heilsversprechen zu tun. Wir haben Melanie Wolfers zum Interview gebeten.
Interview: Simone Fürnschuß-Hofer, Fotos: Ulrik Hölzel
Wann wurde denn bei Ihnen in letzter Zeit Ihre Zuversicht auf den Prüfstand gestellt? Gerade in jüngerer Zeit, als ich es beruflich eigentlich extrem dicht gehabt hätte, hat ein Mensch, den ich sehr liebe, einen Unfall gehabt, sodass ich mich um ihn kümmern musste. Das hat mein berufliches Arbeiten völlig auf den Kopf gestellt und zudem hat mich zeitgleich auch noch Corona ordentlich erwischt und mich in große Sorge wegen der Ansteckungsgefahr gebracht ... Das hat mich schon mürbe gemacht und einmal mehr habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, auf die eigenen Gedanken zu achten. Wenn man in einer Angstfantasie drinsteckt, kann schnell aus der Maus ein Elefant werden. Mich nicht in der schwarzen Gedankenwelt einzunisten, dem Gedankenkarussell zu entkommen, all das gute Drumherum nicht zu übersehen, wenn wir in einer Krise stecken, das halte ich für ganz entscheidend.
Zuversichtlich sein ist also auch Übungssache? Ja. Zuversicht ist keine Glückssache, sondern eine Haltung, die wir einüben können. Mein aktuelles Buch handelt von den Quellen der Zuversicht. So kann es beispielsweise helfen, sich an überstandene, bewältigte Krisen zu erinnern und aus dieser Erinnerung an die eigene Lebenskraft Zuversicht zu schöpfen. Viele Untersuchungen zeigen außerdem, wie gut es tut, sich gerade auch in einer Krise in der Natur zu bewegen. Gehen bringt uns körperlich und seelisch über den Berg. Glückshormone werden ausgeschüttet, Körper und Seele werden gestärkt.
Wieso tun wir uns denn in Krisenzeiten so schwer, auch das Gute in unserem Leben wahrzunehmen? Die Forschung spricht vom Negativitätsbias: Unser Gehirn konzentriere sich evolutionsbedingt automatisch auf das Schwierige, weil uns das frühe Erkennen von Gefahr einst Überlebensvorteile gebracht hat.
Wo liegen noch – unbewusste – Stolperfallen? In der weit verbreiteten Vorstellung, dass Glück bedeutet, dass es uns die ganze Zeit gut geht und das Leben nur aus emotionalen Höhepunkten besteht. Doch das ist eine Märchenerzählung ersten Ranges. Das Leben besteht aus lichten und dunklen Farben und vielen Grautönen. Aber wenn ich mit dieser Vorstellung rumlaufe, immer gut drauf sein zu müssen, dann führt mich das erst recht in eine Krise. Denn wenn es mir einmal elend geht, mache ich mir auch noch den Vorwurf, selbst schuld an der Misere zu sein bzw. etwas falsch zu machen. Die Vorstellung, dass das Leben nur aus Angenehmem bestehen soll, schwächt unsere Widerstandskraft, mit Krisen umzugehen. Diese gehören aber zum Leben dazu.
INTERVIEWUnd wie ist es mit der erlebten Ohnmacht: aushalten oder gegen Windmühlen ankämpfen? Unsere Gesellschaft lebt in dem Glauben, alles immer sicherer machen, alles kontrollieren zu können. Aber auch die Erfahrung von Ohnmacht gehört zu unserem Leben: dass ich älter werde, dass ich Dinge nicht mehr so kann, dass mich Schicksalsschläge ereilen. Ich glaube, dass uns Corona deutlich vor Augen geführt hat, nicht alles im Griff zu haben. Es gilt als Gesellschaft die Einsicht zu integrieren, nicht alles kontrollieren zu können und anzuerkennen, dass vieles sich unserer Verfügbarkeit entzieht. Auch das hat etwas mit Realismus zu tun. Manchmal provoziert angesichts der gegenwärtigen Krisen oder individueller Schicksalsschläge der Appell zur Zuversicht geradezu, evoziert Widerstand. Wie lässt sich zwischen wahrhaftigem Zuspruch und Schönreden unterscheiden? Ein Mensch, den keine Sorge erfüllt angesichts der Klimakatastrophe, des Krieges und der Energiefrage, der zunehmenden Armut in vielen Ländern etc. – ein Mensch, der da keine Angst oder keinen Schmerz verspürt, ist vorsätzlich blind oder naiv und redet sich die Dinge schön. Zuversicht heißt nicht, dass ich keine Angst kenne, sondern dass ich die Probleme sehe, aber mich davon nicht lähmen lasse, sondern meine Handlungsspielräume erkenne und wahrnehme. Dem gegenüber steht ein billiger Trost wie „Wird schon wieder!“, der im Grunde erneut verletzt, da ich in meiner Not nicht gesehen werde. Das Vertrauen in Menschen, auf die man wirklich bauen kann, ist DIE Quelle von Zuversicht schlechthin. Zu wissen, dass mich jemand unterstützt, sich interessiert, mich wahrnimmt. Auch im „Hoffnungsbarometer“ der Schweiz zeigt sich die Erfahrung von Solidarität als Zuversichtsquelle par excellence. Wie schafft man es denn, einem Mitmenschen gute Impulse zu geben ohne Gefahr zu laufen, ihn mit „guten Ratschlägen“ zu vergraulen? Zuhören und bei der Person sein. Fragen stellen, die die Perspektive ein Stückchen erweitern, das ist das Um und Auf. Wegzukommen vom Warum hin zu ressourcenorientierten, vielleicht auch überraschenden Fragen, die nach vorne schauen lassen. Zum Beispiel der Frage, was der Person denn jetzt guttäte oder auch, ob man aus der Krise etwas lernen kann. Können Sie im Zusammenhang mit dem Thema Zuversicht dem Zugang der „Positiven Psychologie“ etwas abgewinnen? Ja sehr, ihr werte- und ressourcenorientierter Blick gefällt mir. Kritisch sehe ich sie nur dort, wo sie naiv daherkommt; wo im Populärwissenschaftlichen mit „Drei Tipps zum Glück“ oder „Wie du garantiert angstfrei lebst“ geworben wird, denn dann entsteht schnell ein Glücksterror. Doch wir sind nicht einfach unseres Glückes Schmied. Wir wachsen mit sehr unterschiedlichen Bedingungen auf und haben unser Leben nicht nur selbst in der Hand. Das zu glauben, ist eine ungnädige Siegermentalität. Ganz zu schweigen von der Einsamkeit, in die man schlittert, wenn man nicht zeigen kann, dass es einem nicht gut geht. Zurück zu den globalen Krisen und zum Punkt Selbstermächtigung: Was sagen Sie jemandem, der davon überzeugt ist, mit seinem Tun, seinen kleinen Schritten, nichts bewirken zu können? Ich möchte mit Greta Thunberg antworten, die sagt: „Eine einzelne Person kann die Welt nicht verändern, aber eine einzelne kann andere beeinflussen, so dass sie die Welt zusammen verändern.“ Gesellschaftlicher Fortschritt ist fast immer das Ergebnis von vielen Leuten, die viele Schritte gehen und irgendwann gemeinsam etwas erreichen. Man braucht keine Mehrheit, um Dinge zu verändern. Denn in einem Netzwerk muss man nicht alle auf einmal überzeugen. Wie bei einer Reihe Dominosteine reicht es, nur den nächsten anzustoßen, der seinerseits seinen Nächsten anstößt und so weiter.
„Mut beginnt nicht erst bei nobelpreisverdächtigen Großtaten. Sein eigentliches Revier ist der konkrete Alltag!“, ein Zitat aus ihrem Mut-Buch. Welchen Mut meinen Sie? Viele Menschen sind sehr viel mutiger, als sie von sich selbst glauben. Mut beginnt nicht erst dann, wenn ich ein Kind aus dem brennenden Haus rette, Mut beginnt bei den kleinen Weichenstellungen im Alltag. Etwa, wenn ich es wage, jemandem meine Liebe einzugestehen, im Arbeitsteam eine ungewöhnliche Idee einzubringen, mich einzulassen auf die eigene Intuition. Wage ich es, mich zu zeigen und das Risiko der Enttäuschung einzugehen? Genau das schmeckt doch nach echtem Leben! Ich glaube, jeder Mensch will mutig sein. Denn ich kann mich umso mehr bejahen, je mehr ich im Einklang mit mir selbst und meinen Überzeugungen gelebt habe und nicht, indem ich danach geschielt habe, möglichst unverletzt durchs Leben zu kommen oder wie ich bei anderen ankomme.
Ist unsere Mutbereitschaft nicht oft insgeheim an die Bedingung des Gelingens geknüpft? Das glaube ich nicht. Wenn wir Menschen aufmerksam werden auf die Mut-Momente in unserem Leben und uns daran erfreuen, dann stärkt uns allein das schon. Und immer, wenn ich es wage, eine Sache zu tun, obwohl ich etwas Angst davor habe, ist das wie ein Mut-Muskeltraining. Ich glaube tatsächlich, dass wir nicht immer nur auf das Ergebnis schauen. Aber zugleich ist es natürlich wichtig, dass wir uns nicht nackt und schutzlos den rauen Stürmen des Lebens ausliefern.
Was aber, wenn die Reaktion auf unser Mutigsein eine Beschämung ist? Mit Beschämung wird häufig und unbewusst operiert – eine miese Tour des Miteinander-Umgehens! Da darf man sich ruhig auch anschauen, was das über die andere Person aussagt. Für einen selbst ist in so einer Situation wichtig, sich das unangenehme Gefühl der Beschämung einzugestehen und sich – statt sich selbst noch eine Ohrfeige zu geben – wohlwollend in den Arm zu nehmen. Vielleicht hilft auch die Frage weiter: Woran will ich mein Selbstwerterleben festmachen: an meinem
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Mut, meiner Überzeugung zu folgen, oder an der Wirkung, wie ich bei den anderen ankomme?

Aber die Scham ist ein schreckliches, regelrecht an einem klebendes Gefühl. Absolut. Ich erlebe es immer wieder als sehr befreiend, in einem vertrauenswürdigen Rahmen über die eigene Scham zu sprechen und zu spüren, da fühlt jemand mit mir. Die Empathie des anderen wirkt wie eine Leiter, die einen aus dem Loch herausholt, in das man sich vor lauter Scham verkrochen hat.
Angst vor Scham und Verletzung ist auch das Thema bei Ihrem Zwischentöne-Abend, wo Sie – auch ganz schön mutig – in einen musikalisch-philosphischen Dialog treten ... Ja, und ganz ehrlich, ich finde das sehr aufregend, weil ich dort quasi mit Instrumenten spreche. Aber selbst, wenn ich mich verhaspeln werde, glaube ich nicht, dass jemand hämisch grinsen würde, vor allem, wenn ich mich auch mit meinen Gefühlen zeige. Das schafft doch Nähe, das macht menschlich.
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.
Bücher (Auszug):
ZUVERSICHT Die Kraft, die an das Morgen glaubt
Entscheide dich und lebe! Von der Kunst, eine kluge Wahl zu treffen
Trau dich, es ist dein Leben Die Kunst, mutig zu sein Die in Flensburg geborene Melanie Wolfers ist Philosophin, Theologin und Mutmacherin. Seit 2004 lebt die Expertin für Lebensfragen und Spiritualität in der Ordensgemeinschaft der Salvatorianerinnen in Wien. Melanie Wolfers schöpft aus ihrer langjährigen Erfahrung als Seelsorgerin, sie ist Bestseller-Autorin, Rednerin und betreibt einen eigenen Podcast – siehe unten. www.melaniewolfers.de
Montforter Zwischentöne 2022: Sehnsucht und Verwandlung
Festival mit neuen Formaten vom 1. bis 30.11.2022. Musikalische Meditationen zu Beginn, Konzerte zu Sonnenaufgang, Visual Art, ein „Begräbnis der Fakten“ als „Nachruf auf die Wahrheit“, Klavierkonzerte, Ballade „Die Füße im Feuer“, Musik aus unterschiedlichen Welten im Dialog mit Videokunst, das Oratorium „Triumph der Zeit“ von Händel, die „Temporäre Universität“, Musikalische Dialoge an „Drei Abenden über die Weisheit,“ das Konzert des Hugo-Siegerteams (Wettbewerb für neue Konzertformate), ein Adventskonzert und Küchentisch-Gespräche im Rahmen von Salon Paula
Melanie Wolfers ist am Mi, 23. November, 19:00-20:30 Uhr, im Alten Hallenbad Feldkirch zu Gast. Titel des Abends: Flight, Fight oder Freeze? Über Furcht, Scham und Wagnis. Ein alltägliches Thema auf der Bühne und im Leben: Der Auftritt vor Publikum, die Angst vor dem Fehler, dem Verglichen-Werden, der Beschämung. Das Musik-Ensemble führt vor, die Expertin für Lebensfragen und Spiritualität kommentiert im Dialog mit den Musikerinnen und Musikern.
Podcast-Tipp:
„GANZ SCHÖN MUTIG – dein Podcast für ein erfülltes Leben“ mit Melanie Wolfers