10 minute read

Gescheitert bin ich eben

26 |

Advertisement

Im Sommer erreicht die marie-Redaktion folgende Mail: „Ich bin Eva Renner-Martin, 41, Sitz in Kärnten, und ich schreib‘ für Augustin, kaz, Kupfermuckn und Megaphon (Anm: alles österreichische Straßenzeitungen). Ich hab‘ in Wien studiert bis ich selbst wohnungslos wurde. Auch in Vorarlberg und Tirol zog ich herum, zwischen Bregenz, Bludenz, Feldkirch und ab und zu nach Zürich hinüber. Bis zum 33sten Lebensjahr.“ Und weiter: Ob wir nicht Texte von ihr publizieren wollen. Wir wollen. Hier eine kleine Auswahl ihrer Kolumnen – Puzzleteile eines bewegten Lebens.

Text: Eva Renner-Martin

Zu groß die Unterschiede

Ich lebe hier bei der Mama am Land in Kärnten, in einem kleinen Dorf mit ein paar Häusern, ohne Adeg oder Trafik oder Gasthaus. Wieder. Nach meiner langen Wohnungslosigkeit in Wien. Seit ich hier bin, hab‘ ich eigentlich einen recht strengen Tagesablauf. In der Früh um acht Frühstück, dann eine halbe Stunde am Land unten spazieren gehen, vormittags Mittagessen kochen, dann Mahlzeit, ein Nachmittagsschlaf, noch ein Spaziergang und am Nachmittag weiß ich nie, wie ich die Zeit verbringen soll. Ich vegetiere mehr untätig im Haus herum. Und diese Lebensregeln jetzt seit Jahren. Aber es tut mir nicht nur gut und vieles fehlt mir hier beim Landleben. In Wien oder Graz und wenn ich sonst wo in der weiten Welt unterwegs war, hatte ich nur meinen Rucksack und ein Wasserflascherl dabei. Im Rucksack das Nötigste: Ein Paar Ersatzschuhe, Kleidung zum Wechseln, ein paar Emails und Adressen für Wohnungslose, mein Reisepass. Sonst war ich ein freier Mensch, und da die Obdachlosenbetreuung in den Städten gut ausgebaut ist, hatte ich immer die Wahl, wo geh ich mittagessen, wo leg ich einmal eine Rastpause ein, welchen Weg zu Fuß oder mit der Straßenbahn wähl ich heute. Und: Oft stand es offen, wo ich landen würde an einem Tag, ich war spontan und sah viel Neues. In meinem Leben als Schülerin und dann Studentin hatte ich diese Betreuungszentren ja noch nie gesehen. Ich war offen für die menschliche Hilfe nach dem Verlust der Wohnung. Und ich machte eigentlich gute Erfahrungen mit den Hilfszentren für Obdachlose. Niemand, der einem Vorschriften machte, und man wurde so angenommen, wie man ist. Man war nicht allein, hatte immer viel Buntes an Lebensformen um sich herum. Insofern ist die Isolation hier im Dorf und der Lebensablauf schon ein Extrem. Und wie gesagt, es tut mir nicht nur gut ... Zu groß sind die Unterschiede. l

© Tara Winstead via pexels

Ups, Psychiatrie (richtig oder falsch?)

Ich hab‘ in meinem Leben schon unter allerhand Bewusstseinszuständen gelitten: Übererregung, Wahnzustände, Dumpfheit, Aufgestachelt- und Angetriebensein, Fluchtgefühle. Ab und zu auch mal ein Wohlbefinden oder das schöne Gefühl, echte menschliche Hilfe zu erhalten. Durch diese Mischung an Zuständen schaffte ich es halt doch auch in die Psychiatrie zur Behandlung. Einmal landete ich an einem Ort namens Lienz in Osttirol, eh in Österreich. Ich sandelte etwas am Bahnhof herum, ein Türke, der dort ein Lokal hatte, lud mich auf einen Kebap ein, und am Abend legte ich mich am Bahnhof auf eine Bank und wollte die Nacht dort verbringen. Es wurde dunkel und kalt draußen, und nach zirka einer Stunde auf der Bank am Bahnhof fuhr auch schon ein Polizeiauto heran. Ich musste mich ausweisen und die Polizei nahm mich dann mit auf die Polizeistation. Am nächsten Morgen brachten sie mich zum Amtsarzt. Wie so was läuft, versteh ich heute noch nicht ganz, schließlich war ich obdachlos gewesen und schläfrig, aber nicht krank. Der Arzt telefonierte mit meiner Mutter und dann wurde ich wie selbstverständlich ins LKH Klagenfurt gebracht, mein Wille wurde gebrochen und ich landete wieder mal in der geschlossenen Station für Frauen. Dort wurde ich bzw. meine Lebensgeschichte aber leider ignoriert und auf die Obdachlosigkeit wurde gar nicht eingegangen, die aber letztlich der Grund für diese Psychiatrie-Tortur war. Das war für mich sehr erschreckend. Man kann nicht einfach jeden Obdachlosen automatisch als krank abstempeln. Geschwächt wurde ich dann einfach auf die Straße entlassen und musste wieder mal von vorn beginnen: Mich draußen orientieren, einen Plan schmieden, einen Schlafplatz suchen ... Irgendwie Irrsinn, oder? Wer bestimmt da eigentlich, was richtig oder falsch ist? l

© Em Hopper via pexels

Hilfsbereiter Westen

Sechs Jahre war ich mit und aus dem Rucksack unterwegs, wohnungslos, nach dem Anthropologie-Studium. Meine Reise führte mich über Sarajevo, Marokko, Kanada, die West-EU und die Schweiz letztlich wieder zurück nach Österreich. Im letzten Jahr meines „Lebens im Freien“ wollte ich nicht mehr ins Ausland, sondern meine Zeit in der Heimat verbringen, auch da ich schon müde war von Psychiatrieaufenthalten, Neuanfängen, verschiedensten Bewusstseinszuständen. In Erinnerung ist mir noch, dass mich mein wohnungsloser Trip zuletzt von Schweden über Tirol und Klagenfurt ins Zentrum von Wien geführt hatte. Eine Zeit lang nützte ich dort noch eine Notunterkunft, doch unglückliche Umstände entfernten mich dann auch von dieser. Heimatlos und müde am Westbahnhof sitzend sah ich auf der Anschlagtafel zufällig den Nachtzug Wien-Bregenz und es wurde gerade Frühling. In diesen stieg ich kurzerhand und fuhr dann über Nacht nach Vorarlberg. Die Gegend um Feldkirch kannte ich noch von meinen Schweiz-Trips der letzten fünf Jahre. Noch öfter sollte mir der praktische Nachtzug in diesem Jahr dienen. Mir, als Obdachlose, „die einfach nicht mehr zurück nach Kärnten kann“. In Bregenz nützte ich den McDonald's als öffentlich zugängliche Stätte, er war praktisch, um zu essen und sich auszuruhen, und ich war oft stundenlang dort. Im Sommer ging ich in der Nähe der S-Bahn zu einer freien Stelle am Bodensee und schlief dort untertags oder ich ging schwimmen. Möglicherweise hat mir mein Backpacker-Rucksack das Leben gerettet, zumindest mein inneres Leben, denn ich sah mich als Reisende und nicht so sehr als Wohnungslose, zumindest Tramperin war ich und hatte auch schon Erfahrungen mit Autostopp gesammelt. In Vorarlberg nützte ich oft die S-Bahn zwischen Bregenz, Feldkirch und Bludenz, öfter fuhr ich auch nach Deutschland, Lindau, da es mir dort gefiel. In guter Erinnerung ist mir das Bahnhofsrestaurant Feldkirch und ein kleines Nachtlokal in der Nähe des Bahnhofs, wo ich auch gerne war und die Abendstunden und Nacht an einem geschützten Ort verbringen konnte. Mir passierte schon nichts und einmal dem stressigen Wien ins Ländle zu entkommen (als eigentlich gewohnte Kärntnerin und Wiener Studentin), freute mich sehr. Ich finde Vorarlberg auch landschaftlich sehr schön. Oft pendelte ich in diesem Sommer mit dem Nachtzug über die weite Strecke, denn der Zug bot sich zum Schlafen an. Bald wurde es Winter, ich fand mich wieder mal in Feldkirch, das Geld ging mir aus, einen Kälteeinbruch gab's, und ich war immer noch am Bahnhof. An diesem Tag entschied ich mich, nach Kärnten zur Mama heimzufahren, ich war am Ende meiner Kräfte. Meine sechs Jahre Reisen endeten also in Vorarlberg, und zugleich führte mich meine Entscheidung zu meinem Neubeginn – wieder zuhause. l

Der Neid und die Katze

Ich lebte immer schon mit Katzen. Am Bauernhof meiner Großmutter und meines Großvaters im Dorf in Kärnten bin ich ja aufgewachsen, und da gab es immer Katzen. Später lebte dann meine Katze Schecki lange Jahre in unserem Haus. Ihr Versterben hab ich leider nicht miterlebt, denn ich war gerade umtriebig in der Welt unterwegs. Die Schecki hab ich sicher einige Jahre nicht gesehen. Und plötzlich war sie weg. In den Städten und Notschlafstellen war es unmöglich, eine Katze zu haben, doch manche der Obdachlosen (meist Frauen), die ich traf, hatten Hunde. Seit ich wieder zu Hause bin von meiner Straßentour mit dem Rucksack, haben ich und die Mama wieder ein Kätzchen im Haus. Den Kater Fritzi. Und ich hab schon lang so einen Neid auf ihn. Er hat alles, was ich nicht hab: Bekommt Liebe, Streicheleinheiten, kann jederzeit kuscheln, bekommt seine Nahrung und sein Wasser und seinen Schlaf- und Ruheplatz, hat bei uns ein Zuhause gefunden. Und wie sie mir fehlt, die Liebe und die Zärtlichkeit. Die Lebensliebe, die sexuelle Liebe, die Liebe zu einem Menschen. Beim Herumziehen hatte ich keine Zeit und keine Gedanken dafür, und deshalb bin ich jetzt auch schon länger allein. Grauslich, wenn man auch einmal gesehen werden will, begehrt und begehren will. Naja und der Fritzi hat das eben alles. Er ist nicht einsam. Aber ich. Oft träume ich von alltäglichen Liebessachen, dass zum Beispiel wieder einmal jemand zu mir sagt „Willst du die Nacht mit mir verbringen?“ und es knistert. Oder mir ein Mann die Tür aufhält. Für Liebe, Sex und Zärtlichkeit. Es ist zum Heulen. Dem Kater Fritzi halte ich auch jeden Tag die Tür zum Schlafzimmer auf, und er übernachtet gerne bei mir im Bett. Na so ein Neid drauf: Jemanden lieb zu haben. l

„UND WIE SIE MIR FEHLT, DIE LIEBE“

| 27

28 | Die Mama ist eh so nett

Die Mama ist eh so nett. Sie fährt mit mir gemeinsam einkaufen, zum Arzt, wir gehen gemeinsam schwimmen in die Therme Villach oder im Sommer ins Freibad, fahren manchmal gemeinsam auf Urlaub, zum Wörthersee oder nach Bad Radkersburg in der Steiermark. Und sie kocht für mich. Und das Haus, in dem wir wohnen, gehört ihr, und sie kümmert sich um alles, Haus- und Gartenarbeit. Sie lebt hier gern, und früher fuhr sie mit dem Auto hinein in den Ort, wo sie als Volksschullehrerin arbeitete. Da war ich Kind, Jugendliche, Studentin in Wien. Doch manches versteht die Mama nicht. Meinen Wohnungsverlust, meine psychische Krankheit, die Jahre in Notschlafstellen und der Gruft in Wien. Und wie mich das geprägt hat. Dieses Absinken aus der bürgerlichen Existenz ins Nirgendwo, oder, zumindest nach unten. Gescheitert bin ich eben. Und dann bin ich wieder zurück zur Mama ins Dorf nach Kärnten, als ich kein Geld, keine Kraft und kein Durchhaltevermögen für das Leben auf und mit der Straße mehr hatte. Wie mich das heute noch beeinflusst: Weil das Leben auf der Straße, so alleine, total auf die Körperkraft gegangen ist und ich jetzt verbraucht bin. Die ständige Reizüberflutung in Wien, die Menschen, Autos, Busse, Straßen- und U-Bahnen, die vielen Plakate. Ich bin total ermüdet ins Dorf gekommen. Und mit all meinen Erfahrungen soll ich jetzt wieder bürgerlich leben. Ich merke schon ein Aufeinanderprallen der Gegensätze in meinem Leben und bin ein hin- und hergerissener Mensch. Freilich, so ein wohlhabendes Leben im Normalbürgertum ist schon angenehm. Sich Essen leisten können, Trinken, eine abwechslungsreiche Garderobe, Musik hören, sich der Literatur widmen, Kunstausstellungen besuchen, ein Haus oder eine Wohnung besitzen, in den Urlaub fahren, Männer und Kinder haben, wie die Mama. Kann ich das überhaupt wieder? Momentan hänge ich total in der Luft und befinde mich irgendwie in einer Identitätskrise, zusätzlich zur Midlife-Crisis mit 40. Wenn man mal drinnen war wie ich, dann aber draußen. Mittlerweile sehe ich von draußen auf die bürgerliche, wohlhabende Welt. Es ist ein Kampf für mich, „wieder“ da hineinzukommen, und ich merke es am eigenen Leib, diese Spannungen, Armut, Reichtum, Gesundheit, Krankheit, wohnend oder obdachlos. (Frage mich, wem es noch so geht.) l

© privat © Palu Malerba

Die Folgen der Eile

Im Ausland schlief ich oft auf Bahnhöfen oder Flughäfen, und in Österreich in den Notschlafstellen für Wohnungslose. Untertags war ich viel unterwegs auf den Füßen. Es ging wirklich ums Überleben, und das schlug nach und nach auf meine Körperkraft. Ich musste viele Entscheidungen für mich selber treffen, und zum Nachdenken blieb nur wenig Zeit. Oft war ich auf der Flucht vor der Polizei, nirgendwo konnte ich länger bleiben, da ich Angst hatte, mit Gewalt weggewiesen zu werden. Meine gewohnte Persönlichkeitsentwicklung blieb auf der Strecke in diesen Jahren des rastlosen Herumziehens, denn ich war in eine andere, raue Welt geraten. Eine Mischung aus Trampen und Überleben auf der Straße. Für Reflexion und Integration der Erfahrungen blieb keine Zeit, ich musste schauen, dass ich von Ort zu Ort weiterkam, und immer wieder einen Schlafplatz und Nahrung suchen. Jetzt, da ich wieder bei meiner Mutter im Dorf in Kärnten bin, strömt das Erlebte und auch das Verdrängte pausenlos auf mich ein, und ich tue mir schwer, die ganzen Eindrücke zu verarbeiten. Das muss man aber, sonst lebt man mit einer Gedächtnislücke. In meiner Entwicklung zu menschlicher Reife, und jetzt mit über 40 fehlen mir die Jahre, die ich unter Existenzdruck verbracht habe. Vieles habe ich nie erlebt, zum Beispiel Arbeit und Beruf oder Ehe. Dafür den bloßen Existenzkampf. Heute frage ich mich manchmal, ob Loslassen und Reife nicht reiner Luxus sind. Denn beim Überleben auf der Straße galten andere Regeln. l

Eva Renner-Martin, geb. 1981 Villach, Kärnten. Mensch mit Behinderung. Sie studierte biologische Anthropologie mit Fokus auf Verhalten (Blick, Prospect Refuge), Transitionen und das Königreich Bhutan (Bruttoglücksprodukt). Als Studentin kam sie im Alter von 26 Jahren in eine psychische Krise, woraufhin sie durch die Psychiatrie, durch Wien, Österreich und mehrere Länder der Welt zog. Im united p.c. Verlag erschienen 2020 „Gedankensammlung mit schwarzer Katze, die Geschichte einer psychischen Erkrankung“ oder „Kleines Gedicht Potpourri“. Sie schreibt auch für den Augustin und das Megaphon Graz. 1997 Würdigungspreis 1. Kärntner Jugendlyrikpreis, ihr Buch „OBDACH-LOS“ schaffte es 2021 auf die Shortlist des Kärntner Literaturstipendiums „Literatur im Süden“.

This article is from: