Medical Humanities
Edited by Vincent Barras, Mariacarla Gadebusch Bondio, Martina King and Susanne Michl
Volume 3
Matthias Aumüller
Edited by Vincent Barras, Mariacarla Gadebusch Bondio, Martina King and Susanne Michl
Volume 3
Matthias Aumüller
Narratologische Fallanalysen und historische Entwicklung
Schwabe Verlag
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Abbildung Umschlag:Rostock, Südstadt Krankenhaus (ca. 1966)
Die Abbildung wurde mit freundlicher Unterstützung des Klinikums Südstadt Rostock zur Verfügung gestellt.
Korrektorat:Anja Borkam, Langenhagen
Gestaltungskonzept:icona basel gmbh, Basel
Cover:Kathrin Strohschnieder, STROH Design, Oldenburg
Layout:icona basel gmbh, Basel
Satz:3w+p, Rimpar
Druck:Hubert& Co., Göttingen
Printed in Germany
Herstellerinformation:Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Grellingerstrasse 21, CH-4052 Basel, info@schwabeverlag.ch
Verantwortliche Person gem. Art. 16 GPSR:Schwabe Verlag GmbH, Marienstraße 28, D-10117 Berlin, info@schwabeverlag.de
ISBN Printausgabe 978-3-7965-5308-0
ISBN eBook (PDF)978-3-7965-5309-7
DOI 10.24894/978-3-7965-5309-7
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Diese Untersuchung ist hervorgegangen aus dem SNF-Projekt Medikale Räume in der Erzählliteratur des langen 20. Jahrhunderts unter der Leitungvon Martina King an der Universität Freiburg (Schweiz). Die Integration in ihre interdisziplinäre Arbeitsgruppe war für mich eine außerordentlich positive akademischewie auch genauso schöne persönliche Erfahrung. Insbesondere den anregenden Projektrunden mit ihr und MonaBaie haben die vorliegenden Kapitel viel zu verdanken. Eingeflossen sind aber auch Ergebnisse aus meiner Zeit als Mitarbeiter in der von der DFG geförderten Forschergruppe Narratologie an der Universität Hamburg. Mit Blick auf die Auswahl der literarischen Untersuchungsgegenstände aus der DDR-Literatur möchte ich Stephan Pabst (Universität Halle-Wittenberg)und Carola Hähnel-Mesnard(Université de Lille)für ihre Hinweise danken. Ebenso gilt mein Dank dem Bundesarchiv für die Bereitstellung von Akten bzw. Scans, die nicht online einsehbarsind, und dem SNF für die Übernahme der Kosten für die Open-Access-Publikation. Das Manuskript besser gemacht haben die Gutachterperson mit ihren klugen Hinweisen und das sorgfältige Lektorat von Anja Borkam. Christian Barth und Makbule Rüschendorf vom Schwabe Verlag danke ich für die freundliche und kompetente Begleitung der Drucklegung.
1.3 Das Schloss:Vom Tuberkulose-Sanatorium zur Psychiatrie .. 232
2. Die südländische Klinik als exotischer Ort der Erinnerung und Wahrheitssuche:Werner Heiduczeks Tod am Meer (1977). ... 238
3. Das Regierungskrankenhaus und die Aufarbeitung des Stalinismus: Stefan Heyms Collin (1979). ..
3.1 Erzähltechnik im Schatten der Literaturgeschichte
3.2 Handlung, Figuren, Botschaften
3.3 Schlüsselroman und Literarizität
3.4 Raumerfahrung und Figuren ..
3.5 Das Regierungskrankenhaus als Mikrokosmos ..
3.6 Collin als Reaktionauf Kindheitsmuster
4. Zwischenbilanz III, mit einem Seitenblick auf Dieter Nolls Kippenberg (1979).
IV. MedikalerRaum und die Krankheit des Systems
1. Alkohol im Überfluss und Mangel an Bewusstsein: Die fehlende Suchtklinik in Hildegard Maria Rauchfuß’ Schlußstrich (1986).
1.2 Erzählverlauf im
1.3 Zur Darstellung des Hauptproblems in Verbindung mit seinen ebenfalls problematischenUrsachen
1.4 Narratologie und Semantisierungder medikalen Räume: Spätbürgerliche Ambulanz und die repräsentative Qualität des Bezirkskrankenhauses
1.5 Der Roman und sein Kontext:Alkoholismus in der DDR
2. Abseitige medikale Räume in Gabriele Stötzers Skizzen (1980er Jahre).
V. Schluss
als Tages- und Jahreszeitenbegriffe und numerisch bestimmte temporale Begriffe verwendet werden. Die Zurückhaltung in den Einführungen in die Erzähltheorie könnte damit zusammenhängen, dass sich die nicht eigentlich narratologische Frage, mit was für einem Raum man es zu tun hat, ständig in den Vordergrund schiebt. Häufig begnügt man sich mit traditionellenKonzepten wie dem des setting bzw. Schauplatz, deren Anwendung in der Textinterpretation sich auf ein intuitives Verständnis beschränkt.
In den letzten Jahren sind zwei Monographien von Katrin Dennerlein (2009)und Caroline Frank(2017)erschienen, die sich das Ziel setzen, dem narratologischen Raumnotstand Abhilfe zu verschaffen. Die Vorschläge, so elaboriert sie sind, haben sich bislang nicht so recht durchsetzen können. Beide sprengen überdies jeweils auf ihre Weise den Rahmen der Narratologie, verstanden als eine gegenstandsorientierte Theorie des Erzählens, genauer gesagt,des literarischen Erzähltextes.1
Diese Behauptung ist natürlich begründungsbedürftig. Der erste Teil (A) dieser Arbeit ist deshalb eine Rechtfertigung dieser so verstandenen, gegenstandsorientierten Konzeption von Narratologie am Beispiel kognitivistischer Revisionsvorschläge. In dem ihm folgendenkurzen zweiten Teil (B)präsentiere ich Vorschläge für narratologische Raumkategorien, die aus meiner Sicht die Anforderungen an spezifisch narratologische Kategorien erfüllenund deshalb auch auf bekannten Unterscheidungen wie der zwischenErzählzeit und erzählter Zeit basieren. Im dritten Teil (C), der die Hauptsache dieses Buches ist, kommen diese Kategorien zur Anwendung. Die Textanalysen gehen von einer Beschreibung der narrativen Raumstrukturen aus, die aber niemals so erschöpfend sind, wie sie sein könnten. Sie stellen keinen Selbstzweckdar, sondern sollen den Boden für weitergehende Fragen an die Texte bereiten. Mein Hauptaugenmerk liegt folglich auf der Interpretation dieser Texte im Lichte ihrer Raumdarstellungen. Auf diese Weise wird die grundlegende narratologische Frage, wie der erzählte Raum vermittelt wird, verknüpft mit der Frage, welche Funktion eine spezifischeRaumdarstellung in den untersuchten Erzähltexten haben kann. Das Ziel besteht also darin, einen gegebenen Erzähltext auf der Basis einer Beschreibung seinerspezifischen Raumdarstellung als Untersuchungsgegenstand zu konstituieren (indem dadurch seine Komplexität reduziert und einevon dem narratologischen Modell angeleitete Auswahl getroffen wird)und die so herausgearbeiteten Eigenheiten mit Blick auf ihreFunktionen (unter Verknüpfung mit naheliegenden Kontexten wie zeitgeschichtlichen Ereignissen und sozialistischer Ideologie)zuinterpretieren. Auf dieser Grundlage versuche ich außerdem, literaturgeschichtliche Diskontinuitäten zwischen den Texten herauszuarbeiten.
1 Während Dennerlein explizit eine kognitivistische Erweiterung der Narratologie betreibt, überschreitet Frank trotz ihres programmatischen Bekenntnisses zu einem textbasierten Ansatz diesen durch die Integration heterogener interpretationstheoretischer Kategorien.
nichts anderes, als dass sie in diesen literarischen Texten eben medikalisiert werden.
In diesem Sinne versteht sich die vorliegende Untersuchung auch als Beitrag zu den Medical Humanities.Mit Hilfe des literaturwissenschaftlichen Ansatzes werden literarische Texte nicht nur mit Blick auf ihre Motive aus dem medizinischen Bereich aufgearbeitet, sondern auch mit Blick auf ihr Funktionspotential, das darin besteht, dass diese medizinischen Motive mit anderen Lebens- und Ideenbereichen verknüpftwerden. Die Vorgehensweise ist also ein Beispieldafür, dass und wie medizinische Phänomene in einem geistes- bzw. kulturwissenschaftlichen Setting untersucht werden können. Die Abhandlung zeigt erstens, in welchem Bedeutungsspektrum medizinische Motive im Korpus der Erzählliteratur der DDR verwendet werden, und gibt auf diese Weise erst einmal Aufschluss darüber, welche Texte es sind, die medizinische Kontexte in der DDR aufrufen, sowie darüber, wie sie diese Kontexte literarisch darstellen. Zweitens kann die literaturwissenschaftliche Methodik darüberhinaus zeigen,dass und wie Medizinisches in andere Gesellschaftsbereiche hineinwirkt (hier mittels Literatur z. B. in den der Vergangenheitsbewältigung) und diese in dem Sinne medikalisiert, dass sie mit zusätzlicher medizinischer Bedeutung literarisch dargestellt werden.
Die abschließende These dieser Arbeit, die sich als literaturgeschichtliche Schlussfolgerung aus den einzelnen Analysen ergibt, lautet, dass die von medizinischen Motiven geprägte Erzählliteratur der DDR einen Prozess der Medikalisierung im Sinne einer Pathologisierung durchläuft, der darin besteht,dass medikale Räume in der frühenLiteratur der DDR weitgehend ihrer medizinischen Details entkleidet dargestellt werden und dass später zusehends mehr solcher Details zugelassen werden, die zugleich in steigendem Maße das Krankhafte der thematisierten Probleme symbolisieren.
Mit Bezug auf den Begriffder medikalen Räumeist hinzuzufügen, dass nicht nur medizinische Einrichtungen im engen Sinne als ‹medikal› bezeichnet werden, sondern auch solche, die in Nachbarschaft mit ihnen stehen, sowohl räumlich als auch funktional. Medikale Räume sind somit alle diejenigen, die medizinisch relevant sind, auch wenn in ihnen selbst keine medizinischen Handlungen vorgenommen werden, wie etwa in einem Krankenhaussekretariat oder in einem pharmakologischen Labor.4
Damit komme ich zum Korpus. Die DDR-Literatur ist Teil der deutschsprachigen Literatur sozusagen des kurzen 20. Jahrhunderts, wenngleich noch immer Literatur über die DDR entsteht und Autorinnen und Autoren tätig sind, die noch in der DDR gelebt haben und von ihr geprägt worden sind.5 Der zeitliche
4 Für weitere Ausführungen vgl. die Publikationen, die aus dem Projekt hervorgehen werden, sowie die Projektwebseite https://projects.unifr.ch/medikale-raeume/ 5 Im Folgenden verzichte ich auf die parallele Verwendung der grammatischen Genera und beschränke mich auf die morphologisch einfachere Form.