9783796553615_LP

Page 1


DIE SCHWYZER FAMILIENNAMEN

Deutung und Bedeutung der Landleutegeschlechter des Kantons Schwyz

Die Schwyzer Familiennamen

Deutung und Bedeutung der Landleutegeschlechter des Kantons Schwyz

Schwabe Verlag

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Frühjahrssemester 2023 auf Antrag der Promotionskommission, bestehend aus Prof. em. Dr. Elvira Glaser (Hauptbetreuungsperson, Deutsches Seminar) und Prof. em. Dr. Stefan Sonderegger (Korreferent, Historisches Seminar) als Dissertation angenommen.

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Open Access: Wo nicht anders festgehalten, ist diese Publikation lizenziert unter der CreativeCommons­Lizenz Namensnennung, keine kommerzielle Nutzung, keine Bearbeitung 4.0 International (CC BY­NC­ND 4.0)

Jede kommerzielle Verwertung durch andere bedarf der vorherigen Einwilligung des Verlages.

Die Verwendung des Inhalts zum Zwecke der Entwicklung oder des Trainings von KI­Systemen ist ohne Zustimmung des Verlags untersagt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2026 Nathalie Henseler, veröffentlicht durch Schwabe Verlag Basel, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel, Schweiz

Abbildung Umschlag: Staatsarchiv Schwyz, SG.CII.2673, SG.CII.2674.

Cover: icona basel gmbh, Basel

Korrektorat: Constanze Lehmann, Berlin

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Druck: Prime Rate Kft., Budapest

Printed in the EU

Herstellerinformation: Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, St. Alban­Vorstadt 76, 4052 Basel, info@schwabeverlag.ch

Verantwortliche Person gem. Art. 16 GPSR: Schwabe Verlag GmbH, Marienstraße 28, 10117 Berlin, info@schwabeverlag.de

ISBN Printausgabe 978­3­7965­5361­5

ISBN eBook (PDF) 978­3­7965­5399­8

DOI 10.24894/978­3­7965­5399­8

Das eBook ist seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe und erlaubt Volltextsuche. Zudem sind Inhaltsverzeichnis und Überschriften verlinkt.

rights@schwabe.ch www.schwabe.ch

Für Amélie, Julien und Noëlle.

4.3 Beinamen

4.4 Rufnamen, Vornamen und Taufnamen

4.5 Übernamen

4.6 Schleifnamen

4.7 Was sind Korporationen und Genossamen?

5 Forschungsüberblick und Forschungsliteratur

5.1 Familiennamenforschung im

5.2 Die Familiennamenforschung in der Schweiz

5.3 Familiennamenforschung

5.5 Der Kanton Schwyz in der historischen Geschichtsschreibung

6.5

8 Morphologische Bildungstypen

8.1 Konversion

8.2 Univerbierungen und Satznamen

8.3 Namenbildungen mit ­mann .

8.4 Familiennamen mit Suffixen der ­i-Gruppe

8.4.1 Familiennamen auf ­ing/-ling

8.4.2 Familiennamen auf -i/-y

8.4.3 Familiennamen auf -lin/-li

8.5 Familiennamen auf -ert/-art/­ent/-et

8.6 Familiennamen auf ­er/-ler/-ner .

8.7 Familiennamen auf ­en

8.8 Familiennamen auf ­tsch

8.9 Zusammenfassung

9 Historischer Überblick

9.1 Freie Schwyzer oder Untertanen? – Schwyz

9.2 Das Haus Habsburg und die Schwyzer: Mehr als nur Morgartenkrieg

9.3 Die Entwicklung der politischen Strukturen des Kantons Schwyz

9.4 Korporationen und Genossamen: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

9.5 Kurzgeschichte der Bezirke

Der Bezirk Schwyz

Der Bezirk March und der

Der Bezirk Einsiedeln

Der Bezirk Küssnacht

9.5.6 Der Bezirk Gersau

9.7 Schwyzer und Appenzeller – alte Gefährten

9.8 Grenzbeziehungen im Osten: Glarus und Uri

9.9 Schwyzer Vögte bis zur Helvetik

9.10 Übersicht: Territoriale Herrschaftsverhältnisse und historische Marksteine

9.11 Mentalitätshistorische Aspekte

9.12 Rezeptionsgeschichte

Ergebnisse

10.1 Sozialhistorische Ergebnisse

10.1.1 Entstehung der Zweinamigkeit

10.1.2 Die Rolle der Bei­ und Übernamen

Namengebungsprozesse

10.1.4 Namenbedeutsamkeit: Familiennamen als Identitätsstifter, Zugehörigkeitsmerkmal und Existenzgrundlage

10.1.5 Namengeografie: Familiennamen als Relikte der mittelalterlichen Territorialpolitik

10.1.6 Appenzeller und Schwyzer – eine Beziehung wird sichtbar

Auswertung der Wortbildungsmittel

Im Korpus nicht vorhandene Wortbildungselemente

Abgegangene Toponyme

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungen

Dank

Ein Kindheitstraum hat seine Erfüllung gefunden. Diesen Menschen danke ich von ganzem Herzen, ohne sie wäre dieses ambitiöse Projekt nicht zustande gekommen:

Meinen verstorbenen Grosseltern Oliva und Paul, besonders meiner Grossmutter – sie hat mich Demut gelehrt und mir die Fähigkeit mitgegeben, die Dinge vielseitig zu betrachten. Meinem Mann Roland, für seinen festen Glauben an mich, seine unzähligen Inputs als Sparring­Partner, der mir den Rücken freihielt und mich um die technischen Tücken herummanövrierte. Danke tausend Mal.

Meinen Kindern Amélie Oliva, Julien Pablo und Noëlle Marie, die so viel auf mich verzichteten, immer Interesse an meinen Forschungen zeigten und mich überall unterstützten, wo sie nur konnten. Meinen Eltern Mariacruz und Herbert, die mir bei meinen Projekten immer kompromiss­ und bedingungslos zur Seite stehen.

Ganz besonderer Dank gilt meiner Doktormutter Prof. em. Dr. Elvira Glaser für ihre Geduld und das Verständnis für meine Situation – die Realisierung eines Seilbahnprojektes hat die Forschungsarbeit über weite Strecken lahmgelegt. Es gelang ihr, mich immer wieder zu fokussieren und zu motivieren, ohne sie hätte ich mich in den Details verloren.

Der Dank gilt auch unseren Freunden Helen, Dani, Heinz und Urs, die sich stundenlang meine Referate anhörten, wo auch immer: zu Hause am Küchentisch, auf der Terrasse, an der Fasnacht, am Nietenbach, auf Elba. Besonders danken möchte ich Heinz, der mir über all die Jahre die Infrastruktur zur Verfügung gestellt hat.

Viel zu verdanken habe ich Franz Auf der Maur sel.: Er führte mich in die Geheimnisse der alpinen Wüstungsforschung und der Genealogie ein und unterstützte mich bereits bei meiner Lizentiatsarbeit. Ebenso danke ich Walter Imhof, dem Muotathaler Lehrer und Paläontologen für die immer guten Gespräche und Hinweise. Danke Martin für seine Inputs und dass er mir die March nähergebracht hat. Grosser Dank gebührt Dr. Viktor Weibel, der meinen Einstieg in die Namenforschung so umsichtig begleitete. Weiterer Dank gehört Prof. em. Dr. Ludwig Rübekeil, Dr. Simone Berchtold Schiestl, Dr. Martin Hannes Graf, Dr. Martina Heer, Dr. Christian Seidl, Dr. Thomas «Noldi» Hammer und Dr. Linda Steiner­Grassi – einige davon begleiten meine Arbeiten bereits seit dem Studium und stehen für einen kritischen Austausch immer zur Verfügung. Ganz herzlich danke

ich Dr. Rita Heuser von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, die mir den Zugang zur Datenbank des Digitalen Familiennamenatlas Deutschlands zur Verfügung gestellt hat. Ein grosser Dank geht an meine Gewährsleute (Liste im Anhang) und den ehemaligen Leiter des Phonogrammarchivs Zürich, Prof. em. Dr. Stephan Schmid, ohne die es keine phonetischen Umschriften zur Aussprache der Schwyzer Landleutegeschlechter gäbe. Bedanken möchte ich mich auch bei Markus Beeler und Jakob Brunner von der Schwyzer Steuerverwaltung, welche die Datenbank der Schwyzer Namenträger von Landleutegeschlechtern besorgten, sowie dem leider viel zu früh verstorbenen Dr. Oliver Landolt als ehemaligem und Lic. phil. Ralf Jakober als aktuellem Mitarbeiter des Staatsarchivs Schwyz.

Für die Schlussphase standen mir zwei kompetente Kollegen und eine Kollegin zur Verfügung, denen ich ebenfalls danken möchte: Lic. phil. Daniel Zollinger, der die Karten nach meinen Vorstellungen umgesetzt hat; Dr. Jürg Auf der Maur, der die ganze Arbeit kritisch durchgelesen und mit mir seine Überlegungen diskutiert hat, und Dr. Angela Dettling, die sich Zeit nahm, den historischen Kontext auf Herz und Nieren zu prüfen.

Zu guter Letzt danke ich meinem Korreferenten, dem Historiker Prof. em. Dr. Stefan Sonderegger. Mit seinen Inputs ermutigte und unterstützte er mich darin, dieses bisher wenig beachtete historische Scharnier der gemeinsamen schwyzerischen und appenzellischen Territorialgeschichte mithilfe der Familiennamengeschichten zu bearbeiten.

Seit meiner Kindheit frage ich mich, weshalb etwas so heisst, wie es heisst. Immer schon konnte ich – während einer Wanderung oder auf der Fahrt durch eine Landschaft – darüber sinnieren, was hinter den vorbeiziehenden Orts­, Berg­ und Flurnamen stecken könnte. Und früh schon hat mich die Geschichte meines Heimatortes Goldau und seiner Region, der Innerschweiz, interessiert: Der Bergsturz, die alpinen Handels­ und Passrouten, die wunderbaren Berglandschaften und die Alpenkultur.

Sprache, Dialekte, Geschichte und Topografie – in diesen Themenfeldern kann ich mich verlieren. Nie hätte ich als Kind gedacht, dass es einen Forschungszweig gibt, der sich explizit mit der Schnittmenge dieser Themen auseinandersetzt. Und dass mich die Namenforschung nach über 27 Jahren noch immer beispiellos in ihren Bann zieht und sie zu meiner Leidenschaft geworden ist.

Diese Leidenschaft trieb mich an, das Vorhaben einer Dissertation über all die Jahre nie aufzugeben. Obwohl die Signale des Lebens längst andere Vorzeichen trugen: Kinder, Familie, Seilbahnneubauprojekt, Strategiebüro, Politik, Journalistin, Autorin, Selbstständigkeit – die Leidenschaft zu den Namen und ihrer Erforschung blieb trotz allen Herausforderungen so frisch wie am ersten Tag. Noch heute wandere ich durch die Landschaft und studiere die Flurnamen, die mir begegnen. Mit dem Unterschied, dass ich heute viel zusammen mit meinen Kindern unterwegs bin und Antworten auf ihre Fragen zu Namendeutungen häufig aus dem Ärmel schütteln kann.

Mein Interesse an den Anthroponymen, speziell den Familiennamen, war anfangs bescheiden. Es war Dr. Viktor Weibel, der Verfasser des Schwyzer, Urner und Nidwaldner Namenbuches, der mich überzeugte, diese Untersuchung aufzunehmen. Er weiss, wie leidenschaftlich mich die Namen der Berge und Fluren interessieren – doch die Erforschung der Schwyzer Landleutegeschlechter sei längst überfällig, betonte er. Er sollte Recht behalten: Aus dieser Forschung ist ebenso Leidenschaft geworden, die mir neue namenkundliche und interdisziplinäre Horizonte eröffnet hat.

Am Anfang stand als Idee das reine Namenlexikon: Korpus zusammenstellen, Belege suchen, Namen deuten, kategorisieren, die Resultate zusammentragen und abgeben. So stellte ich mir das in etwa vor – aber es kam anders. Unter anderem durch die 2012 in der Schwyzer Kantonsgeschichte veröffentlichten neuen histori­

schen Forschungsergebnisse zum Untersuchungsgebiet stellten sich mir neue Fragen zur Entstehungsgeschichte der Familiennamen im Kanton Schwyz.

Ich erweiterte die sprachwissenschaftlichen Untersuchungen zu den Namenbildungstypen und ­motiven um die historischen Komponenten der Wirtschafts­, Territorial­ und Sozialgeschichte unseres ländlich­alpinen Lebensraumes. Damit sollten die Motive hinter den Familiennamen auf breiteres Fundament gestellt werden können. Denn sie geben nicht zuletzt Hinweise auf das gesellschaftliche Leben im hochmittelalterlichen Schwyz und auf den Einfluss von Familiennamen als Bestandteil der kognitiven historischen Landkarte der Gründungszeit der Eidgenossenschaft, die das kollektive Gedächtnis der Region bis heute prägt.

Mit dieser Interdisziplinarität wird ein grosses Arbeitsfeld geöffnet, bei dem am Ende vielleicht mehr offene Fragen zurückbleiben als sich am Anfang stellten. Doch angetrieben von der Neugier braucht es am Ende auch Mut zur Lücke und das Bewusstsein, dass die Arbeit nicht frei von Irrtümern ist – was in der Natur einer Forschungsarbeit liegt.

Die Beschäftigung mit Namen gleicht einer Zeitreise: Sie nimmt uns mit in die Vergangenheit, die uns jedoch ungewöhnlich vertraut ist. Die überlieferten Namen gehören in unser Repertoire, mit ihnen bringen wir persönliche Geschichten in Verbindung – mit Ortsnamen, Bergnamen, Gewässernamen, Flurnamen, Personennamen. Vergleichbar mit den Düften aus Grossmutters Küche oder dem herbstlichen Geruch verbrannten Laubs und Ästen verknüpfen wir mit Namen wie Gotthard, Muetter oder Goldseeli ganz persönliche Erfahrungen und Erinnerungen, entwerfen wir unseren ganz eigenen Heimatbegriff.

Auch wenn sich die Namenforschung wissenschaftlich an linguistischen Prinzipien und älteren Sprachstufen als sicheren Ankern orientiert, muss sie allzu oft Unsicherheiten zulassen. Ähnlich wie das über Generationen überlieferte Apfelkuchenrezept, das nie so gut wie das Original bei Mutter gelingen wird. Und doch: Die Zutaten sind dieselben und der Kuchen schmeckt auch fein. Aber es wird nie dasselbe sein, denn es fehlt Mutters Küche, der erwartungsvolle Blick beim ersten Bissen, die Familie am Küchentisch. Diesen Kontext zu erfassen, die Düfte und Landschaften aufzunehmen, gleichzeitig aber festzustellen, dass Namen nur eine pragmatische Bezeichnung eines Gegenstandes oder einer Person sind – dieses Spannungsfeld macht die Namenforschung so einzigartig in ihrer Vielschichtigkeit.

Während die Orts­ und Flur­1, sowie die meisten Bergnamen2 des Kantons Schwyz onomastisch bereits ausführlich und systematisch untersucht wurden, trifft das auf die Familiennamen nicht zu. Einen Teil dieser Lücke möchte die vorliegende Arbeit schliessen, indem sie ihren Fokus auf die namenkundliche Deutung der Landleutegeschlechter des Kantons Schwyz richtet. Sie umfasst also jene Familiennamen, die in den Statuten der Schwyzer Geschlechter­Korporationen aufgeführt sind. Korporationen und Genossamen gehören zu den ältesten gesellschaftlichen Organisationsformen der Schweiz, sie spielen bei der politischen Entwicklung des Alten Lands Schwyz zu einem Kanton eine zentrale Rolle. Deshalb führen die Spuren der Korporationsgeschlechter teilweise bis ins 12. Jahrhundert

1 WEIBEL, Viktor (2012a): Schwyzer Namenbuch. Die Orts­ und Flurnamen des Kantons Schwyz. Bd. 1–6. Triner Verlag, Schwyz.

2 HENSELER, Nathalie (2003): Die Bergnamen der Gemeinde Muotathal. Unveröffentlichte Lizentiatsarbeit. Universität Zürich.

zurück und markieren damit den sozialhistorischen Ausgangspunkt für die vorliegende Forschungsarbeit.

Namen enthalten oft Wörter aus älteren Sprachstufen, die heute längst nicht mehr verstanden werden oder aus dem täglichen Sprachgebrauch verschwunden sind und welche die Zeit nur als Bestandteil eines Namens – oder als Name selbst –überdauert haben.

Namen sind aber auch Orientierungspunkte, sie schaffen Identität und bewahren uns vor der «Gewalt des Namenlosen», wie der Schwyzer Autor Meinrad Inglin in seiner Erzählung Jugend eines Volkes die Szene beschreibt, als der sesshafte Jäger die Neuankömmlinge im Talkessel von Schwyz auf den täglichen Erkundungsgängen begleitet:

«Auch nannte er in seiner Sprache manches mit Namen, und die künftigen Siedler, dem ordnenden inneren Triebe folgend und aus einer immerwährenden leisen Angst vor der Gewalt des Namenlosen, wiederholten sie eifrig. Den Fluss im Talboden nannte er Muota; auf die Felsberge zu Häupten des Tales weisend, sagte er: ‹Mitun›. Die Männer blickten zu den kahlen, menschlichen Sinn und Zweck starr überragenden Felsgebilden hinauf und wiederholten leise: ‹Mitun›.»3

So zeigen uns Flussnamen Wortschätze vordeutscher Sprachen; Flurnamen erhellen Besitzverhältnisse, Geländeformen und Nutzungen; Ortsnamen verraten Geheimnisse zur Siedlungsgeschichte – und was erzählen uns Familiennamen? Familiennamen enthalten Ortsnamen, Flurnamen, Rufnamen, Übernamen, Tätigkeitsnamen, Adjektive oder Verben, ja sie bestehen sogar aus ganzen Sätzen.

Sie geben Hinweise auf die Herkunft der ersten Namenträger, auf die Namen ihrer Vorfahren, was sie arbeiteten, wo sie wohnten und ob sie noch einen Übernamen trugen. Sie erzählen noch Jahrhunderte später Geschichten über Migration und Gesellschaftsordnungen, vergangene Berufszweige, den ländlichen Alltag und längst vergessene Traditionen.

Der Lexikograf Guntram Saladin, Redaktor des Schweizerischen Idiotikons, der sich unter anderem mit den Luzerner und Zuger Familiennamen befasste, beschrieb die Namenforschung als Auseinandersetzung mit vielseitigen Disziplinen, die aber auch Enttäuschungen birgt, weil es nicht immer möglich ist, restlos allem auf die Spur zu kommen:

«Die Unkenntnis und Hilflosigkeit, in der wir unserm Namengut gegenüberstehen, bringt uns um hohe geistige Werte. Denn es spricht doch daraus ein guter Teil vom Denken und Fühlen unserer Urahnen; es spiegelt sich darin manch lehrreiches Bild der alten Volkskultur und Wirtschaftsform. Die heimatliche Landschaft tritt aus ihm ungemein mannigfaltig und anschaulich vor unser Auge. Aber eben in diesem weiten und tiefen Reichtum unseres Na­

3 INGLIN, Meinrad (1981): Jugend eines Volkes. 1. Auflage, Atlantis Verlag, Zürich, S. 22–23.

menbestandes liegt es begründet, dass er uns schwer zugänglich, ja verschlossen ist. Die Namen sind zum grössten Teil Zeugen von sprachlichen, geistigen und wirtschaftlichen Zuständen, die uns längst entschwunden sind.»4

Diese Vielseitigkeit kommt auch in der vorliegenden Arbeit auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck. So bilden beispielsweise die hochmittelalterlichen siedlungs­ und herrschaftshistorischen Gegebenheiten um 1200 im ländlich­voralpinen Raum die Ausgangslage für die namenkundliche Deutung der Schwyzer Landleutegeschlechter. Denn die Entstehungsphase der zweigliedrigen Personennamen fällt zeitlich in die Phase der Entwicklung erster staats­, beziehungsweise korporationsähnlicher Gebilde. Ob und wie diese beiden Phänomene miteinander zu tun haben, ist beispielsweise eine der Fragen, die sich während dieser Untersuchungen entwickelte. Mit der Ausleuchtung sozialer Aspekte und Funktionen von Familiennamen – die über die eigentliche Deutung der Namen hinausgeht – wurde versucht, mögliche Antworten zu finden. Deshalb ist die Namenkunde als Teildisziplin der historischen Linguistik stark interdisziplinär ausgerichtet und befindet sich an der Schnittstelle von Germanistik, Geschichte und Geografie.

In einem ersten Teil wird die Auslegeordnung für die aus den obgenannten Disziplinen relevanten Bereiche vorgenommen: Einführung in die Familiennamenforschung und in das zu untersuchende Material, die Auswahl der Quellen und Ausführungen zur Forschungsmethodik.

Im zweiten Teil werden die motivischen und morphologischen Aspekte der Familiennamen ausführlich thematisiert: Welche Motive wurden für die Benennung von Personen mit einem Familiennamen benutzt und welche Wortbildungsmittel wurden dafür angewendet? Zudem wird der historisch­geopolitische Kontext für das Untersuchungsgebiet ausgeleuchtet und aufgezeigt, in welcher Beziehung er zur Familiennamenforschung steht.

Im dritten und grössten Teil befindet sich das eigentliche Namenlexikon mit den Deutungen und weiterführenden Literaturhinweisen.

Die Korpusgrundlagen und Register finden sich im Anhang.

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
9783796553615_LP by Schwabe Verlag - Issuu