marie 107/ September 2025

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GEBSENGOLD

Anton Sutterlüty, erster MillionenshowHauptpreis-Gewinner (2001), widmet sich heute einem uralten Traditionshandwerk: Zweimal im Jahr wird er zum Senn und stellt in Schwerstarbeit auf einer Bregenzerwälder Alpe Gebsen-Bergkäse her. Wir haben ihn in seinem Käsekeller in Wien besucht.

Seiten 4-7

3,40 Euro

davon 1,70 Euro für die Verkäuferin/ den Verkäufer

Foto: Thomas Wunderlich

s u n g

Donnerstag, 09 10 2025 19:00 Uhr Kulturhaus Dornbirn Eintritt fei!

BILDUNGSHAUS

BATSCHUNS

PROGRAMM

Raus aus dem Funktionsmodus – in die Lebendigkeit | Vortrag zum Umgang mit Stress

Mo 22. Sept. 19.00 – 21.00 h

Das kleine Fenster zum Glück Buchpräsentation Elmar Simma

Fr 3. Okt. 19.00 h

Ins Spiel kommen | Schauspiel Grundseminar Wie beginnt man eigentlich zu spielen?

Fr 3. Okt. 18.00 h – So 5. Okt. 12.00 h

Trauer begleiten bei Kindern und Jugendlichen Seminar für Eltern und Pädagog:innen

Mo 6. Okt. 18.00 – 20.00 h | mit Familienpass

Klappmaulpuppen spielen | Einführung

Einstieg in die Kunst des Handpuppenspiels

Do 9. Okt. 15.00 – 18.30 h

Anmeldung | Ort: bildungshaus@bhba.at T +43 5522 44290-0

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Foto:©broell.cc
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Inhalt

4-7

8-10

Vom Millionär zum Käsemacher

Anton Sutterlüty (59) aus Egg, erster HauptpreisGewinner der Millionenshow, im Porträt

Das Leben als Büroalltag

Autor Hans Platzgumer über das Altern und warum die natürlichste Sache der Welt so kompliziert ist

11 Schachecke, Rechenrätsel

12-13

Vom Bildschirm ins Team

Wie ein Nachrichtenartikel für Bianca Riedmann in ein journalistsiches Projekt mündete

14-16 „Zum Hunderter künnend sie wieder ko“

Interview mit den Ü-90ern Helga Felder und Hannes

Mäser über Heimat, Feierlichkeiten und Abschiede

16-17 Soziale Kontakte als Schutzfaktor

Geronto-Psychologin Ruth Wucher erklärt, warum das Miteinander von Menschen im Alter so wichtig ist

18-20 Wie wird man zum Nazi?

Autorin Brigitte Herrmann über das Leben und Wirken der Malerin Stephanie Hollenstein

21 Meine Straße

Künstler Helmut King aus Bregenz erinnert sich an die Straße seiner Kindheit

22 Reparaturcafés

23 Sudoku, Rätsellösungen

24-25 Thoreaus radikales Experiment

Warum „Walden“ auch 170 Jahre nach Erscheinen noch immer als Kultbuch der Aussteigerliteratur gilt

26-27 Träumen vom Frieden

Musiker Andreas Paragioudakis spürt gemeinsam mit Schüler*innen dem Frieden nach

28-32 Dem Licht entgegen

Wie Optimismus dem Menschen zu einem längeren und leichteren Leben verhelfen kann

32 Impressum

33 Alles für die Fische

Die Bodensee-Suppe aus Dans Probelokal verlängert den Sommer

34-36 Der Trommler Gottes

Der Geburtstag des Priesters und Klostergründers

Franz Pfanner jährt sich im September zum 200. Mal

37 Filmclub-Tipps

38-39 Veranstaltungskalender

Kontaktieren Sie uns

Sie haben Anregungen, Wünsche oder Beschwerden? Dann schreiben Sie uns doch einfach. marie – Die Vorarlberger Straßenzeitung, Graf-MaximilianStraße 18, 6845 Hohenems. E-Mail: redaktion@marie-strassenzeitung.at oder Sie rufen uns an unter 0677 615 386 40. Internet: www.marie-strassenzeitung.at. Wir freuen uns über Ihre Zuschriften!

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser! Every summer has its own story, so posteten wir Anfang Sommer auf Instagram: Jeder Sommer hat seine eigene Geschichte. Was wäre der Titel Ihrer diesjährigen Sommergeschichte? Meine würde wohl „Achterbahnfahrt“ lauten. Die Traurigkeiten lass ich an dieser Stelle beiseite, lieber teile ich mein persönliches Highlight mit Ihnen: In Lissabon fand im Juli die World Gym for Life Challenge statt, ein internationales Turnsport-Event, wo ich als Zaungast dabei sein durfte. Ein Erlebnis, das nicht nur ein persönliches Glück in sich trägt, sondern durchaus eine gesellschaftliche Relevanz hat. Folgendes Szenario: 142 Teams aus fünf Kontinenten nahmen an der Gym for Life 2025 teil, ihre Show-Acts wurden jeweils mit Bronze, Silber und Gold ausgezeichnet. Mit am Start: Das Tanzhaus Hohenems als einzige inklusive Tanzgruppe! (Die marie hatte im Vorfeld berichtet.) Neun Tänzer:innen der 20-köpfigen Truppe haben das Down-Syndrom. Mein Sohn tanzt im Ensemble mit – ich weiß also sehr gut, wie probenintensiv und anstrengend die Vorbereitungszeit war. Und wie aufwändig für die Organisatorinnen, diese Reise zu finanzieren und alle „special needs“ mitzudenken. Niemand wusste so recht, wie eine inklusive Gruppe bei einem internationalen Wettbewerb aufgenommen werden würde. Insgesamt eine richtig große Sache also. Spannung, Aufregung, Vorfreude. Was dann geschah, lässt sich nur so weit beschreiben, wie Worte überhaupt Emotionen vermitteln können. Gänsehauttage.

Die Jury zeichnete den Tanzhaus-Show-Act „This is us“ (zunächst) mit Silber aus. Der Jubel im Team darüber war groß, wenngleich sich die Stimmen von außen häuften, die uns zuraunten: Ihr hättet Gold verdient! Ich selbst hörte beim Frühstück heimlich einem Gespräch am Nebentisch zu: „Hast du das Tanzhaus gestern gesehen?“, fragte da ein deutsches Delegationsmitglied sein Gegenüber. „Es war der Hammer. Da tanzen Menschen mit und ohne Behinderung miteinander. Niemand wird zur Schau gestellt, es war so eine harmonische, hoch professionelle Performance.“ Ich hätte ihn umarmen können für diese unmittelbare, ehrlich positive Resonanz, die keiner Höflichkeit geschuldet war.

Die Krönung kam zum Schluss: Das Tanzhaus bekam neben den 15 Gold-Gewinnern der Vortage eine von zwei „Wild Cards“ für den feierlichen Gala-Abschluss-Abend. Nach dem Auftritt Standing Ovations – nicht nur vom Publikum, das gesamte Komitee erhob sich von den Plätzen. Glücksmomente auch hinter der Bühne: Spalier stehende Mitbewerber:innen, Mitfreude statt Mitleid, Tränen des Berührtseins und der Erleichterung. Und bei mir eine unbändige Dankbarkeit für diesen Beweis, dass gemeinsam so vieles möglich wird, wenn Inklusion vollherzig gelebt wird. Ich weiß, das schüttelt man nicht einfach so aus dem Ärmel – aber wo ein Wille, da ein – nein, viele – Wunder. Siehe auch Seiten 12-13. Anderes Thema, ähnlicher Effekt.

Also, ab in einen bunten Herbst! Vielfalt wie immer auch auf den nächsten Seiten – von Hauptgewinnen, Optimismus und Friedensträumen bis hin zu radikalen Experimenten, falschen Entscheidungen und dem Hadern mit dem biologischen Alter. Viel Freude mit unseren Geschichten.

Ihre Simone Fürnschuß-Hofer Redakteurin

Die nächste Ausgabe der marie erscheint am 1. Oktober.

VOM MILLIONÄR ZUM KÄSEMACHER

Der Name Anton Sutterlüty sagt Ihnen was? Ich helfe Ihnen auf die Sprünge: Der gebürtige Bregenzerwälder war der Erste, der bei der österreichischen Millionenshow mit atemberaubendem Mumm fürs Spekulative alle 15 Fragen knackte. Das war 2001. Wir wollten vom ehemaligen Kunstvermittler, zehnfachen Schillingmillionär und heutigen Käsemacher wissen, was seither in seinem Leben geschah. Und trafen dabei auf einen entwaffnend offenen, gleichzeitig bescheidenen und ansteckend entspannten Zeitgenossen.

Text: Simone Fürnschuß-Hofer, Fotos: Thomas Wunderlich

DIE LUST, MEINER

INTUITION NACHZUGEBEN, WAR EINFACH GRÖSSER ALS DAS SICHERHEITSBEDÜRFNIS.“

Ursprünglich wollte ich Anton Sutterlüty (59) an jenem Ort besuchen, wo er seinen „Kes“ macht: Auf dem Vorsäß Rehenberg in Egg. Dort verbringt der gebürtige Bregenzerwälder und Wahlwiener zweimal im Jahr mehrere Wochen, um nach uralter Tradition aus Gebsen-gereifter* Milch Bergkäse herzustellen. Doch weil dies Schwerstarbeit ist – dazu später – und sein ungeteiltes Augenmerk verlangt, bleibt ihm keine Zeit für Schaulustige wie mich. Also nutze ich schließlich eine Wienreise, um ihm in seinem prächtigen Käsekeller im ersten Bezirk einen Besuch abzustatten.

ICH LACHE JETZT, ABER FÜR MICH

WAR ES EIN MYSTISCHES ERLEBNIS – VON ANFANG AN. IM GRUNDE ETWAS UNFASSBARES. ALS HÄTTE MICH

EIN TIEFER UNTERIRDISCHER SEE GESPEIST, EIN SEE VON LIEBE.“

Während sich rund um den Stephansdom die Touristen drängen, lande ich wenige Gehminuten später in einer fast schon beschaulichen Seitengasse. Ein schlichtes Holztäfelchen mit der Aufschrift „Anton macht Ke:s im Keller“ verrät mir, dass ich angekommen bin. Es hängt unter einer Reihe glänzender Business-Schilder – ein dezenter Hinweis darauf, dass man sich hier in bester Gesellschaft befindet. Das rotbraune Tor steht offen und gibt den Blick frei auf einen kleinen Innenhof. Weiter wage ich mich vorerst nicht, sondern bleibe – wie vereinbart – vor dem Haus stehen. Da rollt auch schon Anton Sutterlüty mit dem Rad heran: Jeans, T-Shirt, ein Schirmkäppi als Sonnenschutz. Ein echter Millionärs-Look eben.

Mein Interviewpartner führt mich sechs Meter unter die Erde, wo ich Wilber kennenlerne, einen Tänzer der Staatsoper, der hier tatkräftig mithilft, die 170 Käselaibe regelmäßig zu wenden und mit Salz zu schmieren. Ein gutes Training, allemal. Hier im „Wiener Untergrund“ lässt sich Anton Sutterlüty auf ein Gespräch ein, das journalistisch gesehen Geschenk und Herausforderung zugleich ist: Man könnte über diesen Menschen auch ein Buch schreiben. Allein seine Liebe zum traditionellen Käsehandwerk –und die daraus erwachsene Expertise – würden Seiten füllen. Nicht minder inspirierend seine Sicht aufs Leben, seine berufliche Experimentierfreude und sein Mut, sich immer wieder auf Intuition und Kairos – den günstigen Moment – einzulassen. Sein Auftritt vor über 24 Jahren als erster Millionenshow-Gewinner hat Fernsehgeschichte geschrieben. Welche Erinnerungen verknüpft er selbst an jene Zeit? Was geschah seitdem? Und was hat das viele Geld mit ihm gemacht? Hier der Versuch, unser Gespräch auf ein paar überschaubare marie-Seiten einzudampfen.

Nerven der Zuschauer liegen blank Schauplatz Millionenshow im Februar 2001. Für die ersten zehn Fragen verbraucht der damals 34-jährige Kunstvermittler Anton Sutterlüty ratzeputz alle Joker. Er ist bei 320.000 Schilling –ein durchaus formidabler Betrag – und will weitermachen. Bis zum Gewinn von zehn Millionen Schilling liegen die fünf schwersten Fragen noch vor ihm. Er wird keine davon aus dem Stegreif beantworten können. „Die Lust, meiner Intuition nachzugeben, war einfach größer als das Sicherheitsbedürfnis“, so Sutterlüty. Wie beim Film „Slumdog Millionär“ nutzt er biografische Anknüpfungspunkte, um die richtigen Antworten herzuleiten. Er tut dies mit einer atemberaubenden Mischung aus Intuition, wachem Geist, Courage und letztendlich wohl auch einem Quäntchen Glück. Tatsächlich zockt er sich auf diese Weise bis ganz nach oben. Menschen sitzen vor den Fernsehgeräten und müssen umschalten, weil sie die Spannung nicht mehr ertragen – so wird es ihm im Nachhinein erzählt. Er selbst bleibt locker, hat Spaß am Spiel und verspürt keinen Druck, das Ding unbedingt gewinnen zu müssen. Nichtwissen kompensiert er über Nachdenken. Einmal ist es das Volkswirtschaftsstudium eines ehemaligen Zimmergenossen, von dem ihm was hängen geblieben ist und die Spur zur richtigen Antwort legt, einmal ist es eine vage Erinnerung an den Marc-Twain-Lesestoff – „und der Glücksstein im Hosensack ist auch plötzlich ganz heiß geworden“. Als ihm die damalige Millionenshow-Moderatorin Barbara Stöckl die alles entscheidende Schlussfrage stellt: „Wie hieß die griechische Muse der lyrischen Tonkunst?“ setzt er auf sein „Gespür für griechische Sprache“. Der Hasardeur lässt die Antwort „Euterpe“ einloggen. Und gewinnt den Hauptpreis. Zehn Millionen Schilling. Stöckl sollte recht behalten: „Ich glaub, Sie sind eher der Typ für die schweren Fragen!“ hatte sie ihm kurz zuvor prophezeit. Anton Sutterlüty übersetzt das Phänomen so: „Ich habe einfach einen Speicher genutzt, in dem sich Dinge angesammelt hatten.“ Er habe erst vor zwei Jahren mit seinen Kindern (26, 19 und 17 Jahre alt) die Sendung wieder einmal angeschaut. Auch nach so langer Zeit spüre er immer noch die positive Aufregung von damals. „Ich lache jetzt, aber für mich war es ein mystisches Erlebnis – von Anfang an. Im Grunde etwas Unfassbares. Als hätte mich ein tiefer unterirdischer See gespeist, ein See von Liebe. Das gibt dir eine Wärme, die dich >>

verändert.“ Kein Wunder, dass sein Auftritt in die „Zehn emotionalsten Fernsehmomente aus 70 Jahren“ (ORF, 2025) einging.

Vor Gaudi jutza

10.000.000

WAS BLEIBT? DAS STARKE GEFÜHL, MICH AUF MICH VERLASSEN ZU KÖNNEN.“

Bereits die Anmeldung sei fast schicksalshaft abgelaufen. Aus einem spontanen Impuls heraus habe er die eingeblendete Nummer in sein Telefon getippt. „Ich musste dann gleich die Frage beantworten, was eine Angina ist. Im Nachhinein betrachtet war das schon ein Zeichen, weil ich gerade eine längere Angina-Geschichte hinter mir hatte.“ Es folgte ein Telecasting. Neben Wissensfragen wurde auch Persönliches abgefragt. Zum Beispiel, was er besser könne als alle anderen. Für Anton, der seit Kindheitstagen auf der Alpe sennt, gab und gibt es nur eine Antwort: „Käse machen“. Eine Fähigkeit, die später noch an Bedeutung gewinnen wird. Jedenfalls: Anton Sutterlüty bekommt die Einladung in die Show, fliegt nach Düsseldorf und findet sich in einem Bus mit insgesamt 30 Kandidat:innen wieder. Spätestens als er mit ihnen zum Studio fährt, merkt er, worauf er sich da eingelassen hat. „Im Bus war eine sehr angespannte Stimmung, man spürte die geballte Erwartung der Leute. Für manche ging es echt um was, sie wollten Schulden tilgen, sich einen Traum erfüllen. Die Leute fragten einander ab, tauschten ihr Wissen aus.“ Er selbst hatte sich wenig ernsthaft auf die Show vorbereitet, „halt ein bisschen Trivial Pursuit mit den Telefonjokern gespielt“. Im „arschkalten“ Studio sei er dann auch noch halb krank geworden, dennoch hätte er plötzlich „vor Gaudi jutza künna“, als er mit neun weiteren Kandidat:innen ins Studio hineingeholt wurde.“ Ein Gefühls-Vorbote für das, was kommen würde. Weder er noch das Umfeld hatten mit diesem Erfolg gerechnet: „Alle waren baff und viele haben sich wahnsinnig mitgefreut, dass mir dieser Coup gelungen ist. Natürlich hat es bei dem einen oder andern auch die Angst ausgelöst, dass sich ab nun mein Lebensumfeld verändern könnte.“

Erst einmal veränderte sich vor allem der Kontostand. Wie muss man sich das vorstellen, frage ich den Schilling-Millionär, wird da tatsächlich ein achtstelliger Betrag überwiesen? Er lacht: „Ja. Das ist schon cool.“ Es folgt ein enormes Medienecho, Sutterlüty muss ein Interview ums andere geben. Er erlebt es als Energieschub. Nicht ungern habe er dieses Spiel mitgespielt, gibt er zu, es sei ja auch etwas Schönes, „wenn man gehört wird“. Zunehmend belastet ihn allerdings der Umstand, dass er kaum mehr anonym durch die Stadt gehen kann. Zumal das Wohlwollen ihm gegenüber bald abnimmt. „Plötzlich waren da auch gehässige Kommentare zu hören wie: ‚Wenn ich das Geld gewonnen hätte, würde ich mir eine andere Hose anziehn‘ usw.“ Die Alpe ist Anton Sutterlüty seit jeher ein willkommener Zufluchtsort, um sich zurückzuziehen und die eigene Mitte wieder zu finden. Er, der einerseits das Rampenlicht nicht scheut, muss gleichzeitig gut mit sich und der eigenen Stimme in Verbindung sein, um gesund zu bleiben.

Zeit für Experimente

Beruflich will Sutterlüty erstmal keine radikalen Schritte vollziehen, wenngleich er Wendepunkte eigentlich gewohnt wäre. Bereits im Alter von zehn Jahren beschließt er ganz für sich allein, ins Internat zu gehen. Weil er Priester werden will, beginnt er nach der Schule ein Theologiestudium, doch eine Glaubenskrise lässt diese Welt sehr plötzlich und irreversibel zusammenbrechen –und ihn orientierungslos zurück. Er landet erst in einem Kibbuz in Israel und entscheidet sich dann, Kunstgeschichte in Wien zu studieren. Die Vermittlung moderner Kunst sichert ihm daraufhin über lange Jahre seinen Lebensunterhalt. Daneben verbringt er regelmäßig seine Sommer am Sennkessel auf der Alpe – eine Konstante, die sich inzwischen durch sein ganzes Leben zieht. Das gewonnene Millionenshow-Geld bedeutet ihm vor allem gewonnene Zeit und damit die Freiheit, sich losgelöst von Geldzwängen und Leistungsdruck auszuprobieren: Er mietet sich ein Atelier, lädt Musiker:innen ein, mit ihm zu spielen, er veranstaltet Performances, absolviert die Ausbildung zum Familienaufsteller und verteilt nach jedem Alpsommer seinen selbstgemachten Bregenzerwälder Gebsenkäse im Freundeskreis. Schlussendlich ist es unter all dem der Käse, der die Begeisterung bindet und mit Sutterlütys Spe-

ESSEN GEHEN MIT FREUNDEN WAR LANGE ZEIT SCHWIERIG. IMMER ALLES ZAHLEN IST BLÖD, ABER NICHT ZU ZAHLEN EBENSO. DAS HAT MICH LANGE BESCHÄFTIGT.“

zialgebiet, dem Intuitiven, harmoniert. Der Bregenzerwälder unterfüttert seine Leidenschaft mit Geschäftssinn, gründet „Anton macht Ke:s“, wird zweimal im Jahr zum Senn und Älpler und verkauft übers Jahr hindurch seinen Alpkäse auf Wiener Märkten, in ausgesuchten Shops sowie an Restaurants. Konstante Temperatur und Luftfeuchtigkeit zur Reifung der rund 170 Laib Berg- und Alpkäse bietet ihm das geschichtsträchtige ehemalige „Kipferlhaus*, in dessen schickem Kellergewölbe sich nicht nur das Käsegold, sondern auch eine „Winebank“ (ein exklusiver Weinkeller für Clubmitglieder) befindet.

Schwerstarbeit

Eigentlich sei es ein Wahnsinn, dass er sich das „allart no atu“. Spätestens am zweiten Tag auf der Alp sage er sich das jedes Mal wieder. Das alte Käsehandwerk, so wie es Sutterlüty betreibt, führt den Körper an seine Grenzen. Es fordert volle Aufmerksamkeit. Sieben Tage die Woche ohne Pause. Leidenschaft wörtlich genommen. „Das halten nicht alle aus. Immer wieder habe ich Leute auf der Alpe, die mithelfen wollen, aber abbrechen müssen, weil sie die Schmerzen nicht ertragen“, erzählt er. Ihm hingegen würde sein langjähriger Gesangsunterricht entgegenkommen: „Ich habe ein Gespür für die richtige Körperhaltung entwickelt, sodass mein Körper nicht zu sehr belastet wird.“

Anton Sutterlüty hat es nicht so mit Maschinen, ihm geht es um den Erhalt der kleinteiligen Käseherstellung, um das alte Bregenzerwälder GebsenHandwerk, um den „Mikrokosmos Rehenberg“, der in jedem Bissen seines Slow-Food-Käses steckt. Durch seine Expertise ist er inzwischen zu einem Hotspot in der Naturkäseszene geworden. Sogar aus Amerika und Südafrika kommen Menschen, um von ihm zu lernen: Wie er Lab aus Kälbermägen herstellt und ohne Bakterienkulturen aus dem Labor auskommt, wie das mit den Holzbottichen funktioniert, wie eine Sennerei zum FermentierRaum wird, der obendrein keinen Spritzer Putzmittel braucht und dennoch blitzeblank sauber ist. Er sagt: „Diese Prozesse haben eine lange Geschichte. Das ist ja alles auch ein bisschen archaisch.“

Geld: Stress- oder Glückfaktor?

Und, frage ich Anton Sutterlüty abschließend, macht jetzt Geld glücklich oder nicht? Weder Ja noch Nein, meint er unentschlossen. Ein klares Ja wegen besagtem Zeitgeschenk für das, was einem wichtig ist. Das viele Geld auf dem Konto habe ihn aber zeitweise ge-

Alles über Anton Sutterlütys Käsehandwerk: antonmachtkes.at

stresst, weil es Druck machte, es gut zu investieren. Und weil es „gewonnenes Geld“ war, dem sich die Frage aufdrängte, ob man es denn überhaupt verdient hatte. Stress auch deswegen, weil durch die Fernsehshow alle davon wussten: „Essen gehen mit Freunden war lange Zeit schwierig. Immer alles zahlen ist blöd, aber nicht zu zahlen ebenso. Das hat mich lange beschäftigt.“ Erst nachdem er in Kunst investiert hatte und ein großer Brocken weg war, sei ihm wieder wohler gewesen. Und er sei zur Erkenntnis gelangt: „Eigentlich spielt es keine große Rolle, ob das Geld bleibt oder geht. Man muss offen, in Bewegung bleiben, mit dem mitschwimmen, was vorhanden ist. Aus allem wächst wieder etwas Neues, alles sind immer nur Bausteine.“

Persönlich nehme er durch diese ganze MillionenshowGeschichte aber vor allem etwas Immaterielles und Versöhnliches mit, was seine unstete Biografie betrifft: „Wenn ich meine vielen Brüche im Leben betrachte, die Schmerz verursachten und auch mit der Facette des Versagens verbunden waren, dann war dieses Ereignis wie eine Synthese aus allem Vorigen. Zur Beantwortung der Quiz-Fragen konnte ich durch meine Intuition aus all dem schöpfen.“ Was bleibt? „Das starke Gefühl, mich auf mich verlassen zu können.“

*Gebse: flacher, runder Holzbottich mit ca. 60 cm Durchmesser. Die Abendmilch wird direkt nach dem Melken kuhwarm in die Gebsen gefüllt. Die Milch reift über Nacht, indem sich die in ihr enthaltenen verschiedenen Arten von Milchsäurebakterien vermehren.

**Kipferlhaus: eines der ältesten Gebäude der Stadt Wien, Teile davon stammen noch aus dem 12. Jahrhundert. Im Gewölbekeller, in dem sich einst eine Bäckerei befand, soll der Legende nach während der Türkenbelagerung das Kipferl erfunden worden sein.

DAS LEBEN ALS BÜROTAG

Text: Hans Platzgumer, Illustrationen: iStock

EEGAL WIE ALTKLUG ODER JUNG-

GEBLIEBEN WIR UNS IN EINER BESTIMMTEN LEBENSPHASE FÜHLEN:

DER SELBSTWAHRNEHMUNG EINES

MENSCHEN IST IN SELTENSTEN FÄLLEN ZU TRAUEN.

in geflügeltes Wort besagt, dass wir Menschen immer bloß so alt seien, wie wir uns fühlen. Diese Volksweisheit spiegelt, wenn überhaupt, höchstens die halbe Wahrheit wider. Egal wie altklug oder junggeblieben wir uns in einer bestimmten Lebensphase fühlen: der Selbstwahrnehmung eines Menschen ist in seltensten Fällen zu trauen. Sie unterliegt einer unausweichlichen Subjektivität, einem durch Stimmungen, Launen, Neigungen und Abwehrmechanismen stetig neu geformten Trugbild, das wir gerne mit Wahrheit verwechseln. Der Blick der Außenwelt auf uns spricht oft eine andere Sprache. Eine 15-Jährige mag sich wie 30 vorkommen, ein 60-Jähriger mag sich wie halb so alt gebärden, als er tatsächlich ist; ihre Mitmenschen aber haben für gewöhnlich einen realistischeren, unerbittlichen Blick auf sie. Einer wissenschaftlichen Studie zufolge fühlen sich Menschen über 70 im Durchschnitt 13 Jahre jünger, als sie sind. Doch sie sind es nicht. Es ist eine der Kränkungen des Lebens, die alle durchmachen: Fast zu jeder Phase unseres Seins wünschten wir, entweder jünger oder älter zu sein, als wir in Wirklichkeit sind. Wir integrieren dieses Wunschdenken in das Selbstbildnis, das wir von uns errichten. Manche der uns umgebenden Menschen, etwa im familiären Umfeld, sind von in uns gesteckter Liebe und eigenen Vorstellungen so geblendet, dass sie unser Wunschbild teilen, es verstärken oder ein eigenes an dessen Stelle rücken. Fremde aber begegnen uns mit unbarmherzigem Realismus. Ohne Gnade ordnet die Gesellschaft uns in jung oder alt ein und etikettiert uns dementsprechend als für bestimmte Situationen passend oder unpassend. Wir können uns fühlen, wie wir wollen, von außen bekommen wir den Stempel des biologischen Alters aufgedrückt. Wer über 50 ist und regelmäßig mit der U- oder Straßenbahn fährt, wird nicht lange darauf warten müssen, bis eine junge, freundliche, hilfsbereite Person ihren Sitzplatz mit den Worten freimacht: „Wollen Sie sich setzen?“ Für viele in die Jahre Kommende ist dies ein Erweckungserlebnis. Mir persönlich wurde vor ein paar Jahren bei einer Verkehrssituation, in der ich von einem erzürnten Autofahrer als „alter Trottel“ beschimpft wurde, bewusst, dass ich als Ü-50 für einen Ü-30 ein Oldie bin. Ich war für ihn kein gewöhnlicher Trottel, sondern ein alter Trottel. Das wog gleich doppelt schwer. Mein Alter war ihm sofort ins Auge gestochen. Ich selbst sah mich als junggeblieben, als im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten an. Er aber erkannte in mir sogleich eine unheilvolle Kombination aus grauen Haaren, Halbglatze, Brille und Falten. In früheren Jahrhunderten hätte mir das fortgeschrittene Alter vielleicht Respekt verschafft, in den 2020er Jahren aber gelte ich dadurch eher als Ballast, etwas Lästiges, im besten Fall Bemitleidenswertes.

Diese Momente, in denen das Selbstverständnis mit der Sichtweise der Gesellschaft auseinanderklafft, sind schmerzhaft. Doch je mehr wir uns einer Authentizität verschließen und etwas vorgaukeln, das wir nur in unserer Einbildung sind, desto lächerlicher machen wir uns. Es mag uns ungerecht erscheinen,

statt das sein zu dürfen, was wir gerne wären, das sein zu müssen, was wir tatsächlich sind. Doch wir tun uns keinen Gefallen damit, den aussichtslosen Kampf gegen das Alter zu führen. Früher oder später fliegt die Täuschung auf, je länger wir den Aufschlag auf dem Boden der Realität hinauszögern, desto härter fällt er aus. Das eigene biologische Alter und die Ansammlung biografischer Erfahrung und geistiger Entwicklung, die damit einhergeht, sollte etwas sein, das einen älteren Menschen eher mit Stolz statt mit Scham erfüllt. Zu altern ist die natürlichste Sache der Welt. Kein Lebewesen entkommt diesem Schicksal. Wir tun gut daran, ihm mit Würde zu begegnen. Leichter gesagt als getan. Allein der Blick in den Spiegel ist für viele ein so erschreckendes Ereignis, dass sie lieber vorteilhafte, digital manipulierte Fotos von sich betrachten. Alle wollen schön sein. Schön aber sind wir letztendlich nur dort, wo wir bei uns selber ankommen, uns als das akzeptieren, was wir sind: unzulängliche, makelhafte Wesen auf der Suche nach sich selbst und einem Sinn im Dasein. Ich selbst, faltig, bebrillt, ergraut, beglatzt, habe unübersehbar längst die Hälfte meiner zu erwartenden Lebensspanne überschritten. Mit Mitte Fünfzig müsste ich rechnerisch die sogenannte Mid-Life-Crisis bereits überwunden haben. Vielmehr aber macht es den Anschein, sie ziehe sich unaufhörlich bis an mein Lebensende hin und hat nicht erst in der Lebensmitte, sondern viel früher schon eingesetzt. Sinneskrisen, Selbstzweifel, ein Hadern mit den Gegebenheiten, ein Ohnmachtsgefühl, die Erkenntnis, den Ungerechtigkeiten der Welt hilflos ausgefliefert zu sein, all dies kenne ich spätestens seit der Pubertät. Als jungem Menschen fehlte mir die Erfahrung, diese Kränkungen zu verarbeiten, dafür trieb mich eine Mischung aus Energie, Neugier, Naivität und Selbstüberschätzung an. Im Alter kehrt sich dies um. Mit einem halben Jahrhundert auf dem Buckel weiß man eher einzuschätzen, wo man steht – und hat sich nun mit den lähmenden Konsequenzen dieser Erkenntnis herumzuschlagen. Im Lauf der Zeit ist das Dasein zu einer Abwehrschlacht gegen Ernüchterungen geworden. Sich von ihnen nicht aus der Bahn werfen zu lassen und Verbitterung, Rechthaberei oder Zynismus aus

dem eigenen Denken fernzuhalten, ist die wahre Kunst des Alters. Ich habe Respekt vor allen, denen diese Meisterleistung gelingt. Mitgliedern aller Altersgruppen, die ihr jeweiliges Alter in konstruktiver Weise, ohne Selbstzentrierung, mit der nötigen Gelassenheit anzunehmen wissen, gebührt Respekt. Für meine 94-jährige Mutter gilt dasselbe wie für den 15-jährigen Neffen, egal ob für Jungeltern, Berufsjugendliche oder Frühpensionisten: Das Leben ist stets eine Herausforderung, oft Überforderung.

Um mir ein Bild davon zu machen, wo in diesem chronologischen Tumult des Seins ich gerade stehe, betrachte ich mein gesamtes, natürlich zu erwartendes Leben hin und wieder wie einen gewöhnlichen Arbeitstag im Büro. Die ungefähr 80 Jahre auf Erden, von denen ich statistisch ausgehen kann, entsprechen dann den etwa 16 Stunden eines solchen Tages, die ich wach verbringe. Eine Stunde dieses Tages entspricht also 5 Jahren Lebenszeit.

Mitgliedern aller Altersgruppen, die ihr jeweiliges

Alter in konstruktiver Weise, ohne Selbstzentrierung, mit der nötigen Gelassenheit anzunehmen wissen, gebührt Respekt.

Um 6 Uhr hat der Wecker geläutet, mich brutal aus dem Schlaf gerissen. Es war nicht mein Wunsch gewesen, aber ich wurde hineingeworfen in dieses Wachsein, warum auch immer, wohin auch immer. Eine Weile lang ist es noch dunkel um mich herum. Ich bin nicht wirklich bei Bewusstsein. Erst langsam komme ich zu mir. Allmählich begreife ich die Dinge um mich herum ein wenig. Es ist 8 Uhr, als ich Kaffee getrunken und gefrühstückt habe. Ich bin nun in der Pubertät, lerne mich selbst kennen, hassen, lieben. Wenn ich vormittags, eher verspätet als pünktlich, meinen Bürotag beginne, vielleicht widerwillig und schleppend, bin ich bereits ein Twenty-Something. Ich arbeite mich dann hinein in den Alltag, vielleicht erschaffe ich etwas, erreiche etwas, erlebe so etwas wie einen produktiven Vormittag. Es ist die fruchtbarste Zeit des Tages.

Zur Mittagspause bin ich bereits Mitte 30. Jetzt stehe ich mitten im Leben. Ich habe noch viel vor mir, blicke auf einiges bereits zurück. Ich merke, dass ich nicht mehr so jung bin wie vormittags noch. Der Nachmittag wird mühsamer, >>

DER TAG LIEGT HINTER MIR, 80 JAHRE AUF ERDEN.

DER REST IST ZUGABE, VIELLEICHT DIE SCHÖNSTE, WERTVOLLSTE ZEIT MEINES

LEBENS, EBEN WEIL SIE SO LIMITIERT IST.

das ahne ich. Auch wenn ich mich mittags gut gestärkt, nochmals Kaffee getrunken habe, eine gewisse Müdigkeit lässt sich in der zweiten Tagesschicht kaum verbergen. Nachmittags, während ich 40, 50 Jahre alt werde, kämpfe ich gegen die Mühsal an. Der Bürotag beginnt sich in die Länge zu ziehen. Immer öfter schaue ich auf die Uhr. Wann kann ich endlich aufstehen und heimgehen?

Um 17 Uhr habe ich persönlich mein derzeitiges Alter erreicht. Ich bin 55 Jahre alt. Seit dem Vormittag besetze ich meinen Arbeitsplatz. Ich kann eine gewisse Erschöpfung nicht leugnen. Ein Stündchen durchhalten noch. Um 18 Uhr kann ich frühestens in Pension gehen. Dann ist Feierabend. Ich bin dann jenseits der 60 angekommen, gehe langsam nach Hause. Mein Dienst ist getan. Ich habe die gesellschaftliche Pflicht erfüllt. Erleichtert und ausgelaugt zugleich bin ich, verwirrt, aber auch voller Vorfreude auf den Rest des Tages, der mir noch zur freien Verfügung steht.

Ich bereite mir ein Abendessen zu. Während ich mich damit zu Tisch setze, denke ich an Udo Jürgens „Mit 66 Jahren fängt das Leben an“. Was fange ich mit diesem Abend bloß an, wenn ich fertig gegessen und das Geschirr abgespült habe? Wieviel Zeit bleibt mir noch, bevor ich zu Bett gehen muss? Lohnt es sich auszugehen? Was habe ich draußen noch zu erwarten?

Um 21 Uhr trinke ich ein Glas Rotwein, eher in den eigenen vier Wänden als in einem Wirtshaus. Ich bin nun 75 Jahre alt. Um 22 Uhr habe ich mein Plansoll erreicht. Der Tag liegt hinter mir, 80 Jahre auf Erden. Der Rest ist Zugabe, vielleicht die schönste, wertvollste Zeit meines Lebens, eben weil sie so limitiert ist. Ich koste die Minuten aus, bevor ich schlafen gehe. Auch im Bett liege ich noch lange wach. Solange es geht. Irgendwann aber spüre ich, wie müde ich bin. Ich lösche das Licht und mache die Augen zu.

Eine derartige Verbildlichung hilft mir bei der Einschätzung, wo in meinem Leben ich mich in einem bestimmten Alter befinde. Es spielt keine Rolle, in welchem Büro ich welche Arbeitszeiten genau verbringe. Im Grunde gleicht ein Bürotag dem anderen. Ich erfahre, dass Leben Arbeit bedeutet, Durchhalten ist. Es ist ein Sich-behaupten gegen Widerstände, gegen innere und äußere Trägheit, irgendwann ein Mehr-darüber-wissen. Ein Sich-einfügen in das große Ganze. Zu leben bedeutet, seinen Platz darin zu finden, eine Weile ihn zu halten und später ihn wieder freizumachen. Leben ist anpacken und loslassen lernen. Es liegt Schönheit in diesem Lernprozess, Kraft, Helden- und Heldinnentum. In meinem persönlichen Bürotag habe ich noch nicht Feierabend. Dennoch ist es bereits ein langer Tag. Ich blicke zurück und ich blicke voraus. Ich freue mich auf das, was noch vor mir liegt.

Offenes Ohr für LGBTIQ*-Themen

„Es war für uns nicht einfach als sich unser Sohn entschieden hat, seine sexuelle Orientierung öffentlich zu machen“, erzählt Andrea (47): „Wir standen zwar immer klar hinter ihm, aber die familiäre Umgebung und die Bekanntenkreise können gnadenlos sein. Da waren wir dankbar für die Möglichkeit dies zu besprechen und uns Ermutigung zu holen.“

„Der Regenbogen ist das biblische Zeichen eines unwiderrufbaren Bundes zwischen Gott und den Menschen: Nach der biblischen Sintflut hat Gott den

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Menschen zugesichert, dass er sie liebt – komme, was wolle. Dieses Zeichen ist zum Symbol für unsere queere Seelsorge geworden“, so Pfarrer Rainer Büchel von der Regenbogenpastoral Vorarlberg: „Wir bieten offene Ohren, Beratung und Seelsorge speziell jenen Menschen an, die in der Kirche das grundsätzliche Ja zu ihrem Sein über eine lange Zeit nicht erlebt und stattdessen Ausgrenzung erfahren haben. Wir nehmen jeden Menschen in all seinen Dimensionen, mit seinen Beziehungen und seiner Geschichte ernst und freuen uns über jede Kontaktaufnahme.“ Mehr dazu: www.efz.at/regenbogenpastoral

Pfarrer DI Mag. Rainer Büchel Regenbogenpastoral Vorarlberg www.efz.at/regenbogenpastoral +43 5522 74139 / info@efz.at

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Beginnen Sie die Kopfrechnung mit der Zahl im Feld ganz links. Rechnen Sie von links nach rechts – Kästchen für Kästchen. Die Lösung im leeren Feld rechts eintragen. Jede Rechnung unabhängig von der Schwierigkeit sollte in weniger als 60 Sekunden gelöst werden. Keinen Taschenrechner verwenden!

SCHACHECKE

Die Österreichische Staatsmeisterschaft im Standardschach wurde in diesem Jahr vom 19. bis 27. Juli erstmals im neuen Turnierformat ausgetragen – ein frischer Impuls für das heimische Schachgeschehen. Das Oberbank Donau Forum in Linz bot mit seinem klimatisierten Spielsaal und dem professionellen Rahmen eine Bühne, die dem hohen Anspruch der Veranstaltung in jeder Hinsicht gerecht wurde.

Im hochkarätig besetzten Rundenturnier setzte sich der Burgenländer GM Dominik Horvath nach neun intensiven Turniertagen durch. Mit fünf Siegen und vier Remisen krönte er sich verdient zum Österreichischen Staatsmeister 2025. Ebenfalls ungeschlagen, jedoch mit einem Sieg weniger, belegte der Wiener IM Konstantin Peyrer den zweiten Platz – knapp vor seinem Mannschaftskollegen GM Valentin Dragnev

Das parallel ausgetragene Oberbank-Challenger-Open 2025 bot 106 Spielerinnen und Spielern die Möglichkeit, sich für das Rundenturnier im Folgejahr zu qualifizieren. Vor-

FM Benjamin Kienböck (Hohenems)

David Martinovic (Graz)

Oberbank-Challenger-Open, Linz 2025

Wie erreicht Weiß am Zug entscheidenden Materialvorteil?

aussetzung dafür war eine Platzierung unter den besten drei Österreicherinnen und Österreichern. Mit starken Auftritten sicherten sich IM Lukas Leisch, IM Florian Schwabeneder und GM Stefan Kindermann – allesamt vom Landesverband Oberösterreich nominiert – die begehrten Startplätze für das Rundenturnier 2026.

Mit FM Benjamin Kienböck aus Hohenems und FM Fabian Matt aus Wolfurt waren auch zwei Vorarlberger im Oberbank-Challenger-Open vertreten. Beide starteten überzeugend mit jeweils drei Siegen und positionierten sich nach dem ersten Turnierdrittel im Spitzenfeld. Im weiteren Verlauf des Turniers konnten sie ihre Erfolgsserie jedoch nicht fortsetzen und mussten sich am Ende mit Platzierungen im vorderen Mittelfeld begnügen.

Zum Abschluss zeigen wir Ihnen drei ausgewählte Stellungen aus Partien, die die beiden Vorarlberger in Linz gespielt haben. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lösen dieser Kombinationen!

WFM Emilia Deak-Sala (Oggau)

FM Fabian Matt (Wolfurt)

Oberbank-Challenger-Open, Linz 2025

Wie gewinnt Schwarz am Zug eine Figur?

MK Hubert Koller (Amstetten)

FM Benjamin Kienböck (Hohenems)

Oberbank-Challenger-Open, Linz 2025

Wie erzwingt Schwarz am Zug die sofortige Entscheidung?

Lösungen auf Seite 23

Vom Bildschirm ins Team

Ein Nachrichtenartikel, ein Video – mehr braucht es nicht, um bei Bianca Riedmann etwas auszulösen.

Als Rollstuhlfahrerin erkennt sie sich in der Kritik an „Licht ins Dunkel“ sofort wieder. Was als neugieriger Klick beginnt, führt die Autorin mitten hinein in ein journalistisches Projekt, das vieles anders macht. Und das sie schließlich selbst mitgestalten wird.

Text: Bianca Riedmann, Fotos: Ramona Arzberger, Christian Burtscher

Ein kalter Vormittag im Dezember 2022, ich sitze zuhause in Lochau vor meinem Computer, der Kaffee dampft. Gedankenverloren scrolle ich durch die Nachrichten. Dann bleibt mein Blick an einer Headline hängen: „Menschen mit Behinderungen kritisieren ‚Licht ins Dunkel‘“. Ich bin hellwach. Als Frau im Rollstuhl weiß ich, wie es ist, wenn über Behinderung gesprochen wird – aber nicht mit uns. Und dass solche Formate daher oft an der Realität vorbeigehen. Neugierig klicke ich den Artikel an. Zum ersten Mal lese ich vom Medienhaus andererseits. Sie haben eine Doku über die Schwachstellen der ORF-Spendenaktion gemacht. Ich schaue mir das 30-minütige Video an – und bin wie elektrisiert. Erstmals bringt jemand auf den Punkt, was ich als Mensch mit Behinderung lange empfunden habe, aber nie benennen konnte. Ich teile das Video eifrig und tauche dann selbst tiefer in die Welt von andererseits ein. Ich klicke mich durch die Website und abonniere den kostenlosen Freitagmorgen-Newsletter. Darin erzählen Menschen mit verschiedensten Behinderungen ihre Sicht auf die Welt – persönlich, ehrlich, bewegend. Dadurch lerne ich viel. Über Perspektiven, die mir als rein körperlich behinderte Frau bislang fremd waren: Autismus, Lernschwierigkeiten, Trisomie 21. Über Menschen, die ganz andere Hürden im Alltag zu bewältigen haben – und deren Blick auf die Welt mein eigenes Denken verändert.

„Als Frau im Rollstuhl weiß ich, wie es ist, wenn über Behinderung gesprochen wird – aber nicht mit uns.“

Bald merke ich auch: andererseits ist viel mehr als nur ein Medium. Es ist ein Projekt mit einer Vision: Journalismus, der für alle da ist. Kritisch, zugänglich und gemacht von Menschen mit und ohne Behinderungen – gleichberechtigt, fair bezahlt, ohne Abhängigkeit von Parteien oder großen Geldgeber*innen. Damit das möglich ist, finanziert sich andererseits hauptsächlich über Abonnent*innen.

Ich schließe ein Abo ab und zähle damals noch zu einer der ersten Unterstützer*innen von andererseits. Woche für Woche lese ich Geschichten, Recherchen, Gedanken. Ich fühle mich gehört. Gesehen. Texte gibt’s nur in einfacher oder leichter Sprache – das ist kein Extra, das ist Prinzip. Denn nur, wenn alle gleichermaßen informiert sind, können auch alle mitreden – so der Gedanke dahinter.

Aus ihrem Homeoffice in Lochau arbeitet Bianca für andererseits in Wien

Journalismus, der für alle da ist. Kritisch, zugänglich und gemacht von Menschen mit und ohne Behinderungen – gleichberechtigt, fair bezahlt, ohne Abhängigkeit von Parteien oder großen Geldgeber*innen.

Irgendwann nehme ich Kontakt zu den Menschen hinter andererseits auf – damals ein kleines, engagiertes Team, das 2020 mitten im Lockdown zusammenfand. Acht Menschen mit und ohne Behinderungen, die sich fragten: Wie kann Journalismus inklusiver werden? Aus einer Idee und einem Crowdfunding entstand ein unabhängiges Medium, das heute viele Stimmen hörbar macht – auch meine.

Ich schreibe dem Team, wie toll ich sie finde, und dass ich gerne mithelfen würde. Ich denke dabei an freiwillige Unterstützung. Was ich zu dem Zeitpunkt nicht weiß: Bei andererseits wird jede Arbeit bezahlt. Anfang 2024 nehme ich nervös an meinem ersten OnlineRedaktionstreffen teil, bald darauf erscheint mein erster Newsletter. Und auf meinem Konto sehe ich zum ersten Mal ein Honorar für meine journalistische Arbeit. Ein kleiner Moment, der für mich sehr groß ist. Ab da mache ich immer mehr mit. Und ich merke: Hier wird wirklich auf Augenhöhe gearbeitet. Denn ein Credo von andererseits lautet: Jeder kann mitmachen. Und jeder, der mitmacht, kann mitbestimmen. Das ist keine Floskel.

Als ich gefragt werde, ob ich einen Teil des Vertriebs vom neuen Magazin in leichter Sprache übernehmen will, bin ich sprachlos. Mir wird so viel zugetraut? Das verändert etwas in mir. Ich bin sonst eher vorsichtig und stets darauf bedacht, mich nicht selbst zu überschätzen – aber hier darf ich mich ausprobieren. Und es funktioniert. Ich lerne, ich darf Fehler machen. Und ich wachse. Ich fange an, meine Stärken zu erkennen. Und was die Schwächen anbelangt: andererseits bietet jedem die Unterstützung, die er braucht. Und das wird gelebt. Ende 2024 gewinnt andererseits aus 136 Bewerbungen gemeinsam mit zwei weiteren Medien eine große Förderung. Anfang 2025 können dadurch endlich weitere Menschen mit und ohne Behinderungen fix angestellt werden. Ich bin eine davon und gehöre nun zu einem Team von zwölf fest angestellten und ganz vielen anderen Menschen, die auf Honorarbasis für andererseits mitarbeiten. Für mich ist das nicht einfach ein Job. Es ist ein Ort, an dem ich wachsen darf. An dem ich lerne, mich traue, mitgestalte. Es ist ein Stück Gesellschaft, wie ich sie mir wünsche. Denn andererseits gibt dem Journalismus zurück, was ihm so oft fehlt: Die verschiedenen Perspektiven von Menschen, die in unserer Gesellschaft oft übersehen werden.

andererseits gibt dem Journalismus zurück, was ihm so oft fehlt: Die verschiedenen Perspektiven von Menschen, die in unserer Gesellschaft oft übersehen werden.

Doch damit andererseits langfristig fair und unabhängig arbeiten und faire Löhne zahlen kann, brauchen wir bis Ende 2026 insgesamt 7000 Abonnent*innen. Denn die aktuelle Förderung ist einmalig – danach müssen wir unsere Arbeit selbst finanzieren und zeigen, dass guter Journalismus inklusiv sein kann – und bleiben darf.

Ich habe bei andererseits meinen Platz gefunden. Und ich wünsche mir, dass dieses Zuhause noch viele weitere Menschen erreicht.

andererseits

andererseits arbeitet unabhängig und kritisch, hilft, Behinderungen zu verstehen und deckt Missstände rund um das Thema auf. Mit einem Abo (andererseits. org/abo) kann man ihre Arbeit unterstützen. Abonnent:innen erhalten 6-mal im Jahr das gedruckte Magazin in leichter Sprache, 2x im Monat eine ausführliche Recherche, Zugang zu allen Texten auf der Website und Einladungen zu Veranstaltungen und Community-Recherchen. www.andererseits.org

Das Team von andererseits wächst kontinuierlich: Seit Frühjahr 2025 gibt es zwölf Angestellte

„ ZUM HUNDERTER KÜNNEND SIE WIEDER KO“

Helga Felder und Hans Mäser, beide aus Dornbirn, kennen sich seit 70 Jahren. Sie haben schon viele Geburtstage zusammen gefeiert, sind miteinander viel auf Reisen gegangen und haben in den letzten Jahren immer öfter von lieben Freunden Abschied nehmen müssen. Die marie hat die heute 91-Jährigen zum Nachmittags-Kaffee getroffen und mit ihnen über JahrgängerTreffen, heimatliche Gefühle und über die Gelassenheit im Alter gesprochen.

Interview: Frank Andres

Fotos: Frank Andres, privat

marie: Wann haben Sie sich zum ersten Mal getroffen?

Helga Felder: Das war im Jahr 1955. Die Stadt Dornbirn hatte den Jahrgang 1934 zur Jungbürgerfeier* ins Vereinshaus eingeladen. Laut Einwohnerverzeichnis waren das damals 432 Frauen und Männer.

Jungbürgerfeier?

Helga Felder: So etwas gibt es heute nicht mehr. Aber damals war es noch Tradition. Man hat im Rahmen der Jungbürgerfeier seine Volljährigkeit gefeiert. Ich kann mich noch erinnern, dass wir danach noch ins Gütle spaziert sind.

Wie ging es danach weiter?

Helga Felder: Unser Jahrgang 1934 hat einen eigenen Verein gegründet. Zu unserem 25. Geburtstag gab es dann den ersten gemeinsamen Jahrgängerausflug nach Gargellen.

Ich war zwar zahlendes Mitglied, aber im Jahrgänger-Verein nicht wirklich aktiv. Das änderte sich erst mit meiner Pensionierung. Davor hatte ich schlichtweg keine Zeit. Ich war 70 Jahre bei der Feuerwehr und 60 Jahre beim Kirchenchor.“

Waren Sie in dieser Zeit aktiv im Verein tätig?

Helga Felder: Am Anfang nicht. Ich habe mit 29 Jahren geheiratet und mit 30 mein erstes Kind bekommen. Mit 41 kam das dritte und letzte Kind zur Welt. Und solange du kleine Kinder hast, kannst du nicht so einfach von zu Hause weg. Ich wurde im Verein erst richtig aktiv, als die Kinder größer waren.

Und wie war das bei Ihnen Herr Mäser?

Hans Mäser: Bei mir hat es etwas länger gedauert. Ich war zwar zahlendes Mitglied, aber im Jahrgänger-Verein nicht wirklich aktiv. Das änderte sich erst mit meiner Pensionierung. Davor hatte ich schlichtweg keine Zeit. Ich war 70 Jahre bei der Feuerwehr und 60 Jahr beim Kirchenchor. Zudem habe ich davor in Eigenregie und mit Hilfe meiner Feuerwehrkameraden ein Eigenheim gebaut und dies nach Familienerfordernissen zweimal vergrößert.

Was haben Sie im Verein gemeinsam unternommen?

Helga Felder: Wir machten jedes Jahr Tagesausflüge mit dem Bus. Es gab auch regelmäßig ein Preisjassen und im Herbst traditionell eine Schlachtpartie. Bei runden Geburtstagen wurde aber auch einmal größer und länger gefeiert. Zum 50er ging es an den Achensee, zum 60er drei Tage in die Wachau und zum 70er ins Südtirol. Das war einfach nur schön. Vor allem, weil

man bei diesen Gelegenheiten ehemalige Schulkollegen getroffen hat. Der Kontakt zu meinen Jahrgängern war mir immer wichtig. Jeder hatte etwas zu erzählen.

Hans Mäser: Ich hatte schon früher viele soziale Kontakte. Mein Terminkalender war immer voll. Ich hatte auch super Nachbarn. Zu zehnt haben wir 36 Jahre lang gemeinsame Reisen ins Südtirol unternommen. Apropos Jahrgänger: Man tut sich einfach leichter, wenn man mit Menschen im selben Alter diskutieren kann. Das ist wichtig. Aber leider gehen mir in meinem Alter immer mehr davon verloren.

Verschwindet nicht langsam die alte Tradition der JahrgängerTreffen?

Hans Mäser: Nein, das Gefühl habe ich nicht. Im Gegenteil: Die Tradition wird vor allem in Dornbirn noch intensiv gelebt. Es gibt im Gemeindeblatt immer wieder Aufrufe, dass sich Jahrgänger melden sollen. Viele meiner Jahrgänger sind nicht in Vorarlberg geboren. Solche Treffen von Gleichaltrigen können mithelfen, dass Auswärtige im Ländle eine Heimat finden bzw. Wurzeln schlagen können.

Helga Felder: Ich bin zum Beispiel eine Auswärtige. Ich bin in Niederösterreich geboren. Als die Russen einmarschiert sind, bin ich im Mai 1945 gemeinsam mit meiner Mutter nach Vorarlberg geflüchtet. Wir kamen ins Ebnit und wohnten am Anfang in einem Haus, in dem Frauen und Kinder untergebracht waren. Als ich dann mit 14 Jahren die Hauptschule gekommen bin, galt ich noch immer als Fremde. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als mich die Lehrerin als die Neue vorgestellt hat. Alle Schüler haben mich nur groß angeschaut. Plötzlich aber stand eine Mitschülerin in der dritten Bank auf, nahm mich an der Hand und sagte zu mir: „Komm, du kannst neben mir sitzen.“ Das war ein einschneidendes Erlebnis, das ich nie vergessen werde.

Heute sind Sie beide 91 Jahre alt. Wie wichtig sind Ihnen die Jahrgängertreffen heute?

Hans Mäser: Heute sind die Treffen an unser hohes Alter angepasst. Wir kommen einmal im Monat im Café zusammen. Wir haben festgestellt, dass zwei Stunden mehr als ausreichend sind. Danach sind die meisten müde. Wenn es gut läuft, treffen sich jeweils 10 bis 12 Jahrgänger. Ausflüge machen wir keine

Heute sind die Treffen an unser hohes Alter angepasst. Wir kommen einmal im Monat im Café zusammen. Wir haben festgestellt, dass zwei Stunden mehr als ausreichend sind.“

mehr. Den Verein selbst haben wir 2023 aufgelöst. Wir hatten schöne Zeiten miteinander erlebt, haben gemeinsam gesungen, gefeiert und getrauert. Wenn zum Beispiel jemand unserer Jahrgänger verstirbt, dann gestaltet Helga noch heute wunderschöne Beileidskarten.

Eines hätte mich noch interessiert. Wir man im Alter wirklich gelassener? Hans Mäser: Für mich kann ich diese Frage eindeutig mit Ja beantworten. Helga Felder: Das kann ich von mir nicht behaupten. Ich verkopfe mich heute noch wahnsinnig. Die jüngste Tochter ist vor zwei Tagen mit ihrem Mann zu einem Konzert nach Zürich gefahren. Dann studiere ich immer nach und hoffe, dass sie auch alle gesund ankommen. Ich bin erst dann richtig entspannt, wenn ich einen Anruf bekomme, dass alles gut ist.

Nach knapp einer Stunde geht das Gespräch zu Ende. Ich begleite Helga Felder und Hans Mäser noch zum Auto und verabschiede mich. Helga dreht sich noch einmal um und sagt zu mir: „Zum Hunderter künnend Sie wiedr ko.“ Versprochen!

*In Österreich wurde das Alter der Volljährigkeit am 1. Juli 1973 von 21 auf 19 und am 1. Juli 2001 von 19 auf 18 Jahre per Gesetz herabgesetzt.

Impressionen von den zahlreichen Ausflügen

„ SOZIALE KONTAKTE SIND DER WIRKSAMSTE SCHUTZFAKTOR“

Die Klinische und Gesundheitspsychologin Ruth Wucher ist spezialisiert auf die psychischen Veränderungen und Probleme älterer Menschen. Die marie hat mit der Expertin über die Wichtigkeit sozialer Kontakte, die Überwindung von Barrieren und wie das Demenzrisiko im Alter gesenkt werden kann, gesprochen.

marie: Wie groß ist der Einfluss von aktiven sozialen Kontakten auf die kognitive Gesundheit im Alter?

Ruth Wucher: Soziale Kontakte stellen aus gerontopsychologischer Sicht einen der wirksamsten Schutzfaktoren für geistige und psychische Gesundheit im höheren Lebensalter dar. Sie beugen Einsamkeit vor und können Lebensfreude und Zufriedenheit erhöhen. Zöudem werden durch gemeinsame Aktivitäten und Gespräche verschiedenste Gehirnareale aktiviert, die die Resilienz gegenüber dem kognitiven Abbau erhöhen können.

Mag.a Ruth Wucher ist Klinische und Gesundheitspsychologin mit Schwerpunkt Gerontopsychologie © privat

Wie wichtig sind gemeinsame Erinnerungen – sei es durch Familienfeiern, Ausflüge oder das Pflegen alter Freundschaften – für die Identität und das Wohlbefinden älterer Menschen? Gemeinsam gelebte Erinnerungen, zum Beispiel bei Feiern, Ausflügen oder beim Blättern im Fotoalbum stärken die Identität und Verbundenheit mit dem Gefühl „ich gehöre dazu“, „ich habe sichtbare Spuren hinterlassen“. Sie unterstützen ältere Menschen dabei, das eigene Leben als wertvoll wahrzunehmen. Darüber hinaus können biografische Anker wie Fotos, Musik oder vertraute Rituale zum Beispiel bei körperlichen Einschränkungen oder bei beginnender Vergesslichkeit Orientierung und Stabilität bringen.

Viele Angehörige fragen sich, wie sie ihre älteren Verwandten, die möglicherweise Schwierigkeiten haben, neue Kontakte zu knüpfen, am besten unterstützen können. Welche konkreten Ratschläge geben Sie ihnen, um soziale Teilhabe zu fördern – sei es durch die Organisation von Familienfeiern, die Begleitung zu Gruppenaktivitäten oder die Nutzung digitaler Medien?

Wichtige Eckpfeiler dabei sind in erster Linie niederschwellige Kontakte, sinnvolle Aufgaben bereitstellen, Routine, aktives Miteinbeziehen und kleine Schritte, kleine Erfolge. Das kann bedeuten: lieber regelmäßige, kurze Treffen als Großveranstaltungen, „Mithilfe statt Besuch“ (zum Beispiel Fotos sortieren), begleitete Gruppenaktivitäten (beim ersten Mal), digital niederschwellige Angebote (zum Beispiel Tablet mit großen Symbolen) oder das Gefühl zu vermitteln, als „Ratgeber“ bzw. „Familienchronist“ gefragt zu sein. Unterstützung bei der Aktivierung alter Freundschaften durch gemeinsame erste Kontaktaufnahme und das Gestalten einer Erinnerungsmappe oder -box sowie – als zentrale Hilfeleistung – das Hör- und Sehvermögen zu überprüfen, sind weitere Möglichkeiten, um die soziale Einbindung zu stärken.

Welche häufigen Hürden sehen Sie in Ihrer Praxis, die ältere Menschen daran hindern, soziale Kontakte zu pflegen? Typische Barrieren sind funktionelle Einschränkungen wie

Minderung von Mobilität, Seh- und Hörvermögen, Verlust des Freundeskreises, Schamgefühle, digitale Hürden, Angst vor Überforderung oder exekutive Schwierigkeiten beim Planen und Organisieren.

Wie kann man diesen Barrieren am besten begegnen, um auch in schwierigen Lebensphasen eine aktive soziale Teilhabe zu ermöglichen?

Förderlich sind zum Beispiel Fahrdienste, Angebot von Begleitung, wohnortnahe Treffen, feste Bezugspersonen, die die Organisation übernehmen können und die optimale Versorgung mit Hör- und Sehhilfen. Ebenso dienlich sind digitale Brücken, zum Beispiel Videoanrufe, kleine, verlässliche Routinen wie zum Beispiel ein wöchentlicher Spaziergang oder ein regelmäßiger Telefontermin. Entscheidend ist, dass die Teilhabe leicht zugänglich bleibt und auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist.

Inwiefern können regelmäßige soziale Interaktionen das Demenzrisiko nachweislich senken oder den Krankheitsverlauf verlangsamen?

Soziale Kontakte allein können die Demenz nicht verhindern, aber sie senken erwiesenermaßen das Risiko. Wer aktiv sozial eingebunden ist, erkrankt im Schnitt später und/oder zeigt einen leichteren Krankheitsverlauf. Selbst bei bestehender Demenzerkrankung haben positive Sozialkontakte vorteilhafte Effekte – sie verringern depressive Symptome, erhalten die Alltagsfähigkeiten, erhöhen die Lebensfreude und geben Sicherheit. Am wirkungsvollsten ist die Kombination aus sozialen Aktivitäten, gesundheitsfördernder Ernährung, angepasster körperlicher Aktivität und guter Sinnesförderung. Soziale Teilhabe ist aus der gerontopsychologischen Perspektive nicht nur gesundheitsförderlich, sondern unerlässlich für Gesundheit, Lebensqualität und Wohlbefinden im Alter. Um dies zu gewährleisten kann die Unterstützung älterer Menschen durch Angehörige, Freunde, Nachbarn etc. als zentrale Aufgabe entscheidend sein.

Gemeinsam gegen Partnergewalt – Mach mit!

StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt setzt sich für ein respektvolles und gewaltfreies Miteinander ein. Interessierte sind willkommen, ihren Beitrag zu leisten und gemeinsam Aktionen zu planen, die ein Zeichen setzen:

// Treffpunkt Aktionsgruppe Hohenems: Gemeinschaftsraum, Diepoldsauer Straße 7 Mo, 01.09., 18 - 20 Uhr >>

// Treffpunkt Aktionsgruppe Bregenz: Interkulturelles Lokal, Bahnhofstraße 47 Di, 02.09., Dienstag 18 - 20 Uhr >>

// Treffpunkt Aktionsgruppe Lustenau: dô für jung und älter, Dornbirner Straße 19 Di, 09.09., 18 - 20 Uhr >>

// Treffpunkt Aktionsgruppe Feldkirch: Haus am Katzenturm, Herrengasse 14 Di, 17.09. 18 - 20 Uhr

Expert:innen im Fokus: Was passiert, wenn die Polizei bei häuslicher Gewalt gerufen wird?

Brainstorming zur Förderung von Zivilcourage und zur intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema in der Gesellschaft.

Info: stopvorarlberg@ifs.at, Telefon: 05 1755 534, www.stop-partnergewalt.at

WIE WIRD MAN ZUM NAZI?

In ihrem Erstlingswerk „Die Suche nach der eigenen Farbe“ hat Autorin Brigitte Herrmann dem kontroversiellen Leben der Lustenauer Malerin Stephanie Hollenstein nachgespürt. Das Buch kann die Ambivalenzen der 1944 verstorbenen Künstlerin freilich nicht ganz auflösen, reüssiert aber mit einem differenzierten Blick auf eine lebenshungrige Frau, deren Wirken sich über beide Weltkriege spannt. Auf eine Frau, die sich entgegen allen Widerständen jener frauenfeindlichen Zeit als Künstlerin ihren Lebensunterhalt verdient. Und die schlussendlich die falschen Entscheidungen trifft.

Bevor wir in das Leben der Hauptprotagonistin Stephanie Hollenstein einsteigen, wollen wir von Neo-Autorin Brigitte Herrmann wissen: Wie findet man eigentlich einen guten Stoff? Und erfahren: manchmal erst im zweiten Anlauf. Herrmann, Historikerin und Dramaturgin, hatte sich bereits bei einigen Wettbewerben mit Kurzgeschichten ausprobiert, bevor sie den Sprung in Richtung „Buchlänge“ wagen sollte – und sich dabei zunächst am Genre Kriminalroman versucht. Spätestens nach 60 Seiten zeigten sich allerdings die Grenzen: „Ich konnte mir einfach kein Mordmotiv ausdenken, das stark genug war, glaubhaft zu sein“, sagt sie lachend. Sie gab das Krimi-Projekt auf und folgte stattdessen einem neuen, kraftvollen Impuls, der direkt die Historikerin in ihr ansprach. Eine reale, historisch belegte Frauenfigur sollte es sein, die sie ins Zentrum rücken wollte – gerade, weil Frauen in der Geschichtsschreibung viel zu selten sichtbar seien.

Parallele zur eigenen Großmutter

Ein Jahrsiebt ist es her, als Brigitte Herrmann in einer Runde saß, in der Stephanie Gräve, Intendantin am Vorarlberger Landestheater, den aktuellen Spielplan vorstellte. Und dabei „von diesem Bauernmädchen aus Lustenau – einer Malerin, lesbisch, im Ersten Weltkrieg als Mann an der Front im Einsatz und später mit den Nazis sympathisierend“ erzählte. Brigitte Herrmann fing sofort Feuer: „Das war mein Stoff!“ Zumal er ein zutiefst persönliches Thema anrührte: „Mein Leben lang beschäftigt mich schon der Gedanke, wie sich Menschen für den Nationalsozialismus begeistern konnten.“ Die Frage bohrt in der eigenen Familienchronik: „Meine Großmutter, der ich sehr ähnlich sehe, der ich selbst aber nie begegnet bin, hatte in den 20ern und 30ern in einer jüdischen Anwaltskanzlei gearbeitet, bevor sie 1937 aufgrund der ersten Schwangerschaft kündigte. Zudem verkehrte sie zu jener Zeit in einem jüdischen Freundeskreis. Nur wenig später unterstützte sie, wenngleich auch nie als Parteimitglied, die Idee der Nazis.“ Darüber sei in ihrer Familie offen gesprochen worden, auch der Großvater habe nie einen Hehl draus gemacht. Doch erklären konnte diese Ambivalenz der Enkelin niemand. Die heute 57-jährige: „Man muss sich vorstellen, im Februar 1945 hat sie ihr drittes Kind bekommen und ihm als zweiten

... „VON DIESEM BAUERNMÄDCHEN AUS LUSTENAU – EINER MALERIN, LESBISCH, IM ERSTEN WELTKRIEG ALS MANN AN DER FRONT IM EINSATZ UND SPÄTER MIT DEN NAZIS SYMPATHISIEREND“...

Text: Simone Fürnschuß-Hofer, Fotos: Historisches Archiv Lustenau, DOCK 20
Stephanie Hollenstein

„WIE KANN DAS SEIN? DA JÜDISCHE FREUNDE UND EIN JOB IN EINER JÜDISCHEN KANZLEI UND DORT DIE ZUWENDUNG ZU DIESEM MENSCHEN VERACHTENDEN NS-REGIME?“

Namen Adolf gegeben. Dabei hätte sie aus gesundheitlichen Gründen gar nicht mehr schwanger werden dürfen. Sie tat es als Verfechterin dieser nationalsozialistischen Fantasie, dass eine Frau viele Kinder zu bekommen hat. Das hat ihr im Grunde das Leben gekostet – sie ist 1946 auch an den Folgen dieser Schwangerschaft gestorben.“ Brigitte Herrmann holt Luft und schüttelt den Kopf: „Wie kann das sein? Da jüdische Freunde und ein Job in einer jüdischen Kanzlei, die ihr dazu noch ein gutes Zeugnis ausstellt und dort die Zuwendung zu diesem Menschen verachtenden Regime? Nein, da kann man sich nicht rausreden.“ Eine Kontroverse, die sie als Parallele in der Biografie von Stephanie Hollenstein wittert. Ihre Spurensuche beginnt.

Rein in die Archive

Brigitte Herrmann entschließt sich zu einer Romanbiografie und verschafft sich damit Spielraum, die Handlung zusätzlich über fiktive Gedanken, Szenen und Dialoge voranzutreiben. „Dabei wollte ich die Person Stephanie Hollenstein so gut wie möglich verstehen, ein Gespür für sie entwickeln.“ So habe sie sich zuallererst Hollensteins Werke im Dock 20* angeschaut und später viel Zeit beim Lustenauer Gemeindearchivar Oliver Heinzle verbracht. Der erhaltene Briefwechsel der Künstlerin ist für Herrmann sehr aufschlussreich und auch im Archiv der Wiener „Vereinigung Österreichischer Künstlerinnen“ wird sie fündig. Leider gibt es keine Nachkommen, die man befragen könnte. Stephanie Hollenstein blieb – wie auch ihre drei Schwestern – unverheiratet und kinderlos.

Nahe an der historischen Figur

„DABEI WOLLTE ICH DIE PERSON STEPHANIE HOLLENSTEIN SO GUT WIE MÖGLICH VERSTEHEN, EIN GESPÜR FÜR SIE ENTWICKELN.“

„ICH WOLLTE DAS MENSCHLICHE AN IHR SICHTBAR MACHEN. UND DABEI ZEIGEN: AUCH SYMPATHISCHE MENSCHEN KÖNNEN NAZIS WERDEN. MENSCHEN, DIE EINEN BEEINDRUCKEN UND DIE MAN AUF DEN ERSTEN BLICK TOLL FINDET.“

Für den Schreibprozess sucht sich Brigitte Herrmann eine Lektorin – „ein kluger Schachzug“ – und lässt sich zudem auf einen Romanschreibekurs ein, der ihr zusätzliches Rüstzeug mit auf den Weg gibt. Fünf Jahre wird sie schlussendlich recherchieren, schreiben, verwerfen, neu schreiben, Probe lesen, fertigschreiben. Und weil man sich als Newcomerin nicht einfach mal so einen Agenten angelt, geht man besser direkt auf eine Buchmesse. Zum Beispiel auf die Leipziger. Dort findet Brigitte Herrmann tatsächlich mit „Gmeiner“ ihren Verlag.

Die Faszination für ihre Protagonistin Stephanie Hollenstein bleibt über all die Jahre bestehen. Es entsteht so etwas wie Vertrautheit. „Natürlich musste ich da und dort abweichen von den Fakten, aber ich glaube, ich bin ihr schon sehr nah gekommen“, sagt Herrmann. „Sie hatte dieses Geschäftstüchtige, Selbstbewusste, Egoistische an sich, gleichzeitig war sie aber auch naiv und unsicher wegen ihrer bäuerlichen Herkunft. Stephanie war ein Mensch, der sich außerdem schnell ungerecht behandelt fühlte. Und sich auch mal für andere, wie für den Bildhauer Albert Bechtold, stark machte. Und ich glaube, sie hatte eine große Ausstrahlung, – viele Menschen haben sie verehrt, das macht sie auch faszinierend.“ Als Künstlerin habe sie einen guten Blick für Qualität gehabt, konnte Kunst von Kitsch unterscheiden und erkannte, wenn etwas außergewöhnlich gut war, selbst dann, wenn es ihr persönlich nicht gefiel wie beispielsweise die Werke von Egon Schiele: „Ordinäre Karikaturen – aber groß“, so dazu ein Notizbucheintrag von Hollenstein, der auch Einzug in Herrmanns Roman gefunden hat.

Zwei Seiten

Der Autorin war es wichtig, auch Hollensteins sympathische Seite in Wirkung zu bringen. Eben weil es ihr um genau diesen Widerspruch ging: „Ich wollte das Menschliche an ihr sichtbar machen. Und dabei zeigen: Auch sympathische Menschen können Nazis werden. Menschen, die einen beeindrucken und die man auf den ersten Blick toll findet.“ Wieso >>

Stefanie Hollenstein Hohenems 1938
Stefanie Hollenstein Amalfiküste 1931

Mit Autorin Brigitte Herrmann über ihr Erstlingswerk zu sprechen, ist eine in mehrfacher Hinsicht spannende Sache. Nicht nur lässt sie einen teilhaben an ihrer Erfahrung, einen historischen Stoff in Romanform zu gießen, zudem ist die Hauptfigur, um die sich alles dreht, äußerst kontrovers.

„POPULISTISCHE IDEEN KLINGEN VERFÜHRERISCH, DEMOKRATIE IST ANSTRENGEND, GERADE JETZT IN ZEITEN, WO MAN SIE VERTEIDIGEN MUSS. UND WO MAN FRÜHER DIE ‚JUDEN SIND SCHULD‘ SKANDIERTE, SIND ES HEUTE DIE AUSLÄNDER.“

eine fortschrittliche, lesbische Frau, eine Künstlerin, sich derart zum Nationalsozialismus hingezogen fühlte, dass sie vor der Machtübernahme Hitlers sogar einschlägiges Propagandamaterial schmuggelte, darüber kann Herrmann allerdings auch nach intensiver Recherche nur spekulieren: „Die Demokratie hatte in den Augen vieler Menschen damals nicht funktioniert und dieses Gefühl entstehen lassen, es braucht einen starken Mann. Wohl hat Stephanie auch gehofft, dass mit dem Anschluss ans Deutsche Reich das Gesetz übernommen wird, Homosexualität nur bei Männern zu ahnden –in Österreich galt der ‚schwere Kerker‘ für beide Geschlechter.“ Allerdings habe sie sich dabei gründlich getäuscht, das österreichische Gesetz blieb, ihre Liebe zu Frauen konnte sie in ihrem letzten Lebensjahrzehnt nur versteckt ausleben.

Für Brigitte Herrmann ist und bleibt ihre Protagonistin eine mutige, talentierte Frau, die unbeirrt ihre Pläne verfolgte: Mit jungen 18 geht sie mausallein an die Kunstgewerbeschule nach München. 1915 lässt sie sich die Haare abschneiden und zieht Männerkleidung an, um als Standschütze Stephan im Ersten Weltkrieg zu dienen. Nachdem ihr einziger Bruder Johann im Krieg gefallen und der Vater 1924 verstorben ist, unterstützt sie ihre Familie in Lustenau, auch finanziell. Sie steht für eine selbstbestimmte Sexualität und die freie Liebe. Und etabliert sich als Künstlerin, die vom Verkauf ihrer Bilder leben kann. Dennoch lässt die Autorin keinen Zweifel an der Schuld, die Hollenstein auf sich geladen hat: „Sie ist zum Nazi geworden und davon hat sie sich bis zu ihrem Tod nicht distanziert. Sie hat vom Nationalsozialismus profitiert, es ging ihr wirtschaftlich nie so gut wie in jener Zeit. Viele Fabrikanten haben ihre Bilder gekauft.“ Herrmann glaubt, dass niemand davor gefeit ist, ein Regime zu unterstützen, in dem es einem selbst gut geht. Das wirft sie nicht als Entschuldigung ins Rennen, sie will damit eine Gefahr verdeutlichen, die bis heute Aktualität hat: „Populistische Ideen klingen verführerisch, Demokratie ist anstrengend, gerade jetzt in Zeiten, wo man sie verteidigen muss. Und wo man früher die ‚Juden sind schuld‘ skandierte, sind es heute die Ausländer.“ Doch einen entscheidenden Unterschied gebe es: „Sie wussten nicht, worauf Faschismus hinausläuft. Wir wissen es.“

*Dock 20:

Das DOCK 20 – Kunstraum und Sammlung Hollenstein ist eine Lustenauer Institution in der Pontenstraße 20, in der seit den 1970er Jahren sowohl Ausstellungen zeitgenössischer Kunst als auch immer wieder Ausschnitte aus der hauseigenen Sammlung gezeigt werden. Die Gründungsgeschichte ist eng verbunden mit einer Schenkung des künstlerischen Nachlasses der Lustenauer Malerin Stephanie Hollenstein (1886-1944) an die Marktgemeinde Lustenau. Seit 1971 werden hier über 1200 Gemälde, Aquarelle, Skizzen und Zeichnungen der Künstlerin verwahrt und bilden den Grundstock der Sammlung.

Brigitte Herrmann:

Die Suche nach der eigenen Farbe

Das widersprüchliche Leben der Malerin

Stephanie Hollenstein

Stephanie Hollenstein war eine talentierte Malerin, deren Rolle im NS-Regime ihr Werk überschattet. Die Romanbiografie zeichnet ein differenziertes Bild einer lesbischen Frau, die nach Anerkennung strebte – als Person und in ihrer Kunst. Dafür kämpfte sie, als Mann verkleidet, im Ersten Weltkrieg und für Gleichberechtigung in der Kunstszene, bevor sie schließlich im Nationalsozialismus Karriere machte. Brigitte Herrmann zeigt die Widersprüche eines Lebens auf – zwischen Erfolg, Liebe und Verantwortung, Kunst und Politik.

Diesmal von dem aus Bregenz stammenden

Künstler Helmut King (75):

Ich bin am Wuhrbaumweg 2 in Bregenz aufgewachsen. Die Straße führt von der Ecke der damaligen Firma VOLTA bis zur Rheinstraße beim Gasthaus Matt.

Auf dieser Straße spielten wir Völkerball, Seilhüpfen, Tempelhüpfen, Ochs am Berg und wir ließen selbstgebastelte Drachen steigen. Dabei musste ich dauernd rennen, damit der kleine Drachen überhaupt fünf Meter abhob.

Manchmal kam ein „Lohnsäger“ mit dem großen Kreissägeblatt und der Eiermann vorbei.

Zum Milchholen wurde ich in die Mehrerauerstraße geschickt. Natürlich riss mir am Heimweg beim „Rundumschleudern“ der Milchkanne der Henkel. So machte ich erstmals mit der Farbe Weiß großflächig Bekanntschaft.

Ich wohnte nur zirka 50 Meter von der Bregenzerwaldbahn entfernt. Meistens standen dort die mit Kartoffeln gefüllten Wagons, die mich und meine Nachbarjungen zu sogenannten „Kartoffelschlachten“ animierten, ähnlich wie Schneeballschlacht, nur viel härter.

Nach Starkregen bildete sich vor den Geleisen eine zirka 20 Zentimeter tiefe Wasserlache. Selbstverständlich badeten wir darin.

Beliebt war auch das Gelände des VELAG. So schlichen wir uns in der Mittagspause hinein und rutschten

vom 3. Stock auf der Rutsche, welche für die Kornsäcke bestimmt war, hinunter. Auch der Hubstapler wurde in Betrieb genommen. Dabei blieben allerdings ein paar Papierkornsäcke nicht ganz heil.

Unser Aktionsradius ging vom Mehrerauerwald (Krähenschießen mit Pfeil und Bogen, keine getroffen!) bis zur Ankergasse. Dort war noch die alte handbetriebene Holzbahnschranke, an die wir uns gerne hängten während der Bahnwärter vergeblich versuchte, sie zu öffnen. Er war in Sichtweite – 200 Meter entfernt. Wir legten auch gerne Zehngroschen-Stücke auf die Schienen um zu sehen, wie flach sie wurden.

Einmal kam ich mit meinem Freund auf die glorreiche Idee, auf dem Firmengelände der VOLTA ein Spiegelei zu braten. Wir wurden entdeckt! Die Schimpfkanonade meines Vaters – er arbeitete in der Firma – höre ich heute noch.

Es gäbe noch viel zu erzählen.

ZUKUNFT

BRAUCHT WEITSICHT.

Schnelle Lösungen sind nicht immer die besten. Wer mit Bedacht handelt, schafft Vertrauen – und Strukturen, die nicht nur heute, sondern auch morgen tragen.

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Seit 1939 steht TIRO für Holzkompetenz in Vorarlberg –als Genossenschaft, tief verwurzelt im Handwerk und getragen von 300 Tischlern und Zimmerern. www.tiro.at

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Kultur am Bahnhof:

Begegnung und Teilhabe

Nach dem erfolgreichen Auftakt im vergangenen Jahr verwandelt die Offene Jugendarbeit Dornbirn auch 2025 den Dornbirner Bahnhofsvorplatz wieder in eine lebendige Kulturbühne. Das Projekt „Kultur am Bahnhof“ präsentiert ein vielseitiges, niederschwelliges Programm für Menschen aller Altersgruppen. Insgesamt sind bereits 18 Projektpartner*innen an Bord, um gemeinsam ein buntes und abwechslungsreiches Kultur- und Begegnungserlebnis zu gestalten. Die Aktionen finden noch bis Oktober einmal im Monat statt. Durch künstlerische Performances, Mitmachaktionen und gemeinsames Verweilen sollen Menschen zusammengebracht, der Bahnhofsvorplatz zu einem positiven Begegnungsraum gemacht und der Austausch im öffentlichen Raum gezielt gefördert werden.

Termine: Freitag, 12. September, 12 - 17 Uhr

Freitag, 10. Oktober, 12 - 17 Uhr

REPARATURCAFÉS

REPARATURCAFÉ ANDELSBUCH

Bahnhof Andelsbuch | 3. Oktober, 14 - 17 Uhr

CARLA REPARATURCAFÉ ELEKTRO ALTACH

Möslestraße 15, 6844 Altach (carla Einkaufspark Altach) | Jeden 2. Freitag im Monat von 13 bis 16.30 Uhr | carla@caritas.at, T 05522 200 1520

REPAIRCAFÉ BLUDENZ

Klarenbrunnstraße 46, 6700 Bludenz (carla store) | Jeden letzten Freitag im Monat von 13 bis 16.30 Uhr christine.erath@caritas.at, T 05552 200 26 00

REPARATURCAFÉ BREGENZ

Vorklostergasse 51, 6900 Bregenz (Integra-Fahrradwerkstatt) | Jeden 1. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr | T 0650 264 74 46, Roswitha Steger

REPARATURCAFÉ DORNBIRN

Anton-Schneider-Straße 28B, Gewerbepark Fischbach, 6850 Dornbirn | Jeden 3. Mittwoch im Monat von 17.30 bis 20.30 Uhr hallo@reparaturcafedornbirn.at

REPARATURCAFÉ FELDKIRCH

Hirschgraben 8, 6800 Feldkirch (Polytechnische Schule) | Jeden 1. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr info@reparaturcafe-feldkirch.at, T 0699 192 870 66

REPARATURCAFÉ GÖFIS

Büttels 6, 6811 Göfis | Jeden 3. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr reparaturcafe-goefis@aon.at

REPARATURCAFÉ KLAUS

Treietstraße 17, Klaus im M2 | Jeden 2. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr corinna.schaechle@gmail.com

REPARATURCAFÉ KOBLACH

Mittelschule Koblach, Rütti 11 | Sep./Okt. jeden 1. + 3. Samstag, Nov. 2. + 3. Samstag, Dez. 1. + 2. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr www.zkobla-dahoam.at, T 0650 341 97 85

REPARATURCAFÉ LAUTERACH

Alte Säge, (Lebenshilfe), Hofsteigstraße 4, 6923 Lauterach | Jeden 2. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr | repcafe.lauterach@hotmail.com

REPARATURCAFÉ LEIBLACHTAL

Alte Schreinerei Forum Leiblachtal, Lochauer Straße 107, 6912 Hörbranz | Jeden 3. Freitag im Monat von 14 bis 17.30 Uhr | T 0664 384 53 01

REPARATURCAFÉ NENZING

Gaisstraße 5, 6710 Nenzing | 12.07., 02.08., 06.09. mit Kleidertauschbörse, 18.10. | jeweils von 14 bis 17 Uhr REPAIRCAFÉ RANKWEIL

Köhlerstraße 14, 6830 Rankweil (Werkstätte der Lebenshilfe) Jeden 1. Freitag im Monat von 14 bis 16.30 Uhr REPAIRCAFÉ RHEINDELTA

Dr-Schneider-Straße 40, 6973 Höchst | Jede gerade Kalenderwoche am Freitag von 14 bis 16 Uhr | repaircafe.rheindelta@gmx.at NÄHTREFF SATTEINS

Kirchstraße 8, 6822 Satteins (Untergeschoß Pfarrsaal) | Jeden ersten Freitag im Monat 8.30 bis 11.30, 19 bis 22 Uhr REPAIRCAFÉ THÜRINGEN

Werkstraße 32, 6712 Thüringen | Jeden 1. Samstag im Monat von 8.30 bis 12 Uhr

MACHEREI WOLFURT

Mittelschule Wolfurt, Schulstraße 2, 6922 Wolfurt | Jeden 4. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr | info@macherei-wolfurt.at, T 0650 567 25 10

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Montagsforum am Sonntag

So, 28. September, Roger de Weck, Autor Helden und Demokratie, Helden der Demokratie

Heldinnen und Helden

So, 12. Oktober, Alexander Horwath, Kurator, Filmhistoriker und Filmemacher Leinwandhelden. (Un-)Heroische Projektionen in Film und Geschichte

Herbstsemester 2025 28. September – 30. November Weitere Veranstaltungen

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So, 2. November, Dr. Monika Hauser, Ärztin und Gründerin von medica mondiale Gemeinsam für Würde und Solidarität: medica mondiale im Kampf gegen sexualisierte Kriegsgewalt

Sudoku

So geht‘s: Füllen Sie die leeren Felder so aus, dass in jeder Reihe, in jeder Spalte und in jedem Block (= 3×3-Unterquadrate) die Ziffern 1 bis 9 genau einmal vorkommen. Viel Spaß!

LÖSUNGEN

Schachecke

1.g4! Lxf4 [Dadurch bekommt Schwarz wenigstens zwei Bauern für die Figur. Nach 1...Kf8 entscheidet die Bauerngabel 2.g5 und auf 1...Sg8? gewinnt Weiß mit 2.g5 sogar die Dame.] 2.exf4 Dxd4 3.Df3 Schwarz hat keine ausreichende Kompensation für die verlorene Figur und steht auf Verlust.

1...Lxf4! Diese Verteidigungsfigur muss beseitigt werden, um Zugang zum Feld g2 zu erhalten. 2.Lxf4 [Auch nach 2.Tg1 Tg2 3.Txg2 Dxg2+ verbleibt Schwarz mit einer Mehrfigur.] 2...Dg2+! Weiß gibt diese hoffnungslose Stellung auf. Nach 3.Dxg2 fxg2+ 4.Kg1 gxf1D+ 5.Kxf1 Tf3+ sieht es materiell ganz bitter aus. 1...Se3! Nach diesem starken Zug von Schwarz bricht die weiße Stellung zusammen. 2.Dxe3 [Was sonst? Weiß hat keine vernünftige Fortsetzung zur Verfügung. Auf 2.Sxe3 folgt einfach 2...Txc3 und einer der beiden weißen Türme geht verloren.] 2...Txe3 3.Kxe3 Txc3+! 4.Sxc3 Dxc3+ Schwarz steht materiell klar auf Gewinn. Außerdem stehen die weißen Türme sehr unglücklich.

Rechenrätsel Für Anfänger = 12, Für Fortgeschrittene = 72 Für Genies = 169

Sudoku

Aussteiger THOREAUS RADIKALES EXPERIMENT

„Es ist durchaus nicht nötig, dass der Mensch seinen Lebensunterhalt im Schweiße seines Angesichts verdient“ – Henry David Thoreaus These provoziert. Sie nagt an der Wurzel bürgerlichen Selbstverständnisses. Und sie stellt eine Leistungsgesellschaft infrage, die auf Selbstausbeutung fußt und soziale Beziehungen durch warenförmige Vermittlung ersetzt. Unzählige Menschen leiden darunter. Aber ist ein Ausstieg überhaupt möglich? Ja, sagte Thoreau und zog sich 1845 für zwei Jahre in ein kleines selbstgebautes Haus am Walden-See in Massachusetts (USA) zurück. Über sein Selbstexperiment führte der amerikanische Schriftsteller und Philosoph minutiös Protokoll. Thoreaus „Walden“ gilt als Kultbuch der Aussteigerliteratur.

Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten“, begründete Thoreau seinen Rückzug in die Natur. Er war überzeugt, dass es nur sehr wenig bedarf, um glücklich zu leben. Seine selbstauferlegte Beschränkung verstand er als Widerstand gegenüber der modernen Gesellschaft, die er als materialistisch und konsumorientiert wahrnahm. Thoreau machte sich keine Illusion, der Zivilisation entfliehen zu können. Aber er ging auf Distanz. Aus der Abgeschiedenheit übte er Kritik an der kapitalistischen Wirtschaftsordnung.

„ÜBERALL, IN DEN LÄDEN, DEN SCHREIBSTUBEN

UND AUF DEM FELD, SCHIENEN MIR DIE

EINWOHNER AUF MERKWÜRDIGE WEISE IHRE

SÜNDEN ABZUBÜSSEN.“

Mit wachem Blick registrierte er die Verzweiflung seiner Mitmenschen, ihre Knechtschaft im Joch entfremdender Arbeit: „Ich bin viel herumgekommen und überall, in den Läden, den Schreibstuben und auf dem Feld, schienen mir die Einwohner auf merkwürdige Weise ihre Sünden abzubüßen.“ Noch heute legen seine Analysen den Finger in die Wunde: „Wenn behauptet wird, dass die Zivilisation für den Menschen einen Fortschritt bedeutet, dann müsste auch zu beweisen sein, dass sie ohne höhere Kosten bessere Wohnungen geschaffen hat.“ Thoreau wollte zeigen, dass es eine lebenswerte Alternative zur arbeitsteiligen Gesellschaft gibt, als deren Signatur er die Selbstversklavung im Dienst der Wertschöpfung erkannte: „Die Menschen haben sich zu Werkzeugen ihrer Werkzeuge gemacht“, befand er.

Rückzug als Widerstand – Ein Leben jenseits der Norm Thoreau errichtete ein einfaches Häuschen am See, baute Gemüse an und lebte in enger Verbindung mit der Natur. Körperliche Arbeit, ausge-

Text: Florian Stegmaier, Foto: Peter Thomas via unsplash

„DIE MENSCHEN HABEN SICH ZU WERKZEUGEN IHRER

WERKZEUGE GEMACHT.“

dehnte Spaziergänge und philosophische Reflexionen prägten seinen Tagesablauf. Er fand, dass wahre Zufriedenheit nicht materiellen Gütern, sondern dem Ideal der Reduktion geschuldet ist: „Fast jeder Luxus und viele Bequemlichkeiten des Lebens sind nicht nur entbehrlich, sondern ein Hindernis für die Höherentwicklung der Menschheit“. Normen und Zwänge bürgerlichen Arbeitslebens lehnte er ab. „Die besten Jahre seines Lebens auf den Gelderwerb zu verwenden, nur um während der minder wertvollen Jahre eine fragwürdige Freiheit zu genießen“, das kam für ihn nicht infrage.

In Thoreaus Augen verstrickten sich die Menschen in endlose Verpflichtungen und ließen sich von der Jagd nach Wohlstand versklaven. „Tatsächlich hat der arbeitende Mensch nicht mehr die Muße, sein Leben sinnvoll zu gestalten“, schreibt er. Darunter leide auch sein Sozialleben: „Wahrhaft menschliche Beziehungen kann er sich nicht leisten, es würde den Marktwert seiner Arbeit herabsetzen.“ Thoreau plädierte für einen einfachen Lebensstil, der den Menschen Zeit gibt, sich selbst zu entfalten und die Schönheit der Natur wahrzunehmen.

Nun war Thoreau gewiss kein Träumer. Und auch nicht faul. Die ökonomischen Erfordernisse des Lebensunterhalts waren ihm stets bewusst. Seine Form des Gelderwerbs ging jedoch mit der größtmöglichen Unabhängigkeit einher: „Die Arbeit des Tagelöhners geht mit Sonnenuntergang zu Ende. Dann steht es ihm frei, sich seinen Neigungen hinzugeben.“ Thoreau arbeitete, um zu leben – nicht umgekehrt: „Mehr als fünf Jahre habe ich mich in dieser Form durch die Arbeit meiner Hände erhalten, und ich fand, dass sechs Wochen Arbeit im Jahr genügten, um alle meine Ausgaben zu bestreiten.“ So hatte er Zeit, dem nachzugehen, was ihm sinnvoll schien. Etwa Bücher zu schreiben, von denen wir noch heute lernen können. Sein berühmtes Motto „Simplify, simplify!“ (deutsch: „Vereinfache, vereinfache!“) bringt seine Philosophie auf den Punkt.

Außenleben heute: Digitale Nomaden und moderne Aussteiger Thoreaus Ideen sind aktueller denn je. Sie haben Trends der Gegenwart vorweggenommen. So ist sein kompaktes Häuschen am See der Prototyp des „Tiny House“. Auf nur 13 Quadratmetern verfügte es neben Bett, Tisch und Stühlen über einen eingebauten Schrank, eine Bodenkammer, zwei große Fenster und einen Backsteinkamin. Ein Konzept minimalistischen Lebens, das sich zunehmender Attraktivität erfreut. Viele Menschen teilen mit Thoreau den Wunsch nach Einfachheit und Naturverbundenheit. Manche entscheiden sich für ein Leben in selbstversorgenden Ökodörfern, andere suchen das Abenteuer in Form ausgedehnter Wanderungen oder dem Leben im Van. Eine moderne Form des „Draußenlebens“ pflegen die digitalen Nomaden. Dank des Internets können sie ortsunabhängig arbeiten und jenseits fester Bürostrukturen leben. Mit leichtem Gepäck reisen sie um die Welt, arbeiten von Stränden, Berghütten oder Camper Vans aus. Digitales Nomadentum verbindet das Bedürfnis nach Freiheit mit der Möglichkeit, in einer global vernetzten Welt beruflich aktiv zu bleiben. Doch auch für jene, die nicht ganz aussteigen können, bieten sich Möglichkeiten, das „Draußenleben“ im Alltag zu integrieren. Mikroabenteuer wie Übernachtungen im Wald, urbanes Gärtnern oder bewusste Offline-Zeiten in der Natur zeigen, dass die Essenz von Thoreaus Experiment nicht allein im Rückzug, sondern auch im bewussten Erleben der Umwelt liegt.

170 Jahre nach seinem Erscheinen ist Thoreaus „Walden“ ein inspirierendes Manifest für ein Leben in Einfachheit und Achtsamkeit. Der Text regt an zum Nachdenken: Was ist wirklich notwendig, um ein sinnstiftendes Leben zu führen? Welchen Stellenwert hat die Natur für unser Wohlbefinden? In einer Zeit, in der viele Menschen von Arbeitsstress und Konsumdruck überfordert sind, bietet Thoreau einen Gegenentwurf, der Wege zu einem erfüllteren Leben aufzeigen kann.

WAS IST WIRKLICH NOTWENDIG, UM EIN SINNSTIFTENDES LEBEN ZU FÜHREN? WELCHEN STELLENWERT HAT DIE NATUR FÜR UNSER WOHLBEFINDEN?

FRIEDEN

SOMNIA PACIS –TRÄUMEN VOM

Andreas Paragioudakis steht für das Verbinden von unterschiedlichen Kulturen und Menschen – über die Musik schafft er Räume für Gemeinsamkeit und gegenseitiges Verständnis. In seinem neuesten Projekt setzen sich unterschiedliche Generationen für den Frieden ein. Zwei Schulklassen treten dabei mit internationalen Musiker*innen auf, um dem Frieden nachzuspüren.

Interview: Daniela Egger, Fotos: Barbara Marte

: Du planst ein Schulprojekt zum Thema Frieden mit einem klingenden Namen – somnia pacis – Träumen vom Frieden. Was werden wir dabei hören?

Andreas Paragioudakis: Das Projekt beleuchtet musikalisch die aktuelle Thematik des Kriegs und der Sehnsucht nach einer friedlichen Welt. 127 Jugendliche des Bundesgymnasiums Gallusstraße und 40 Jugendliche der Mittelschule Bregenz Stadt treten gemeinsam mit einem Streichquartett der Stella Privathochschule für Musik und mit einer Reihe griechischer und österreichischer Profimusiker*innen auf. Die Jugendlichen bilden einen gemischten Chor und übernehmen Sprechpassagen mit Texten aus Kriegsgebieten.

Wie bist du dabei vorgegangen?

SOMNIA PACIS

19. September, 18 Uhr / Kirche St. Gallus, Bregenz

Der Eintritt ist frei.

Demenzstück für Kinder

HEX-AGON

18. und 19. Dezember / Theater Kosmos, Bregenz

Ich habe sieben Kompositionen geschrieben, jeweils für Chor und Instrumente. Die Choralsätze sind so konzipiert, dass sie leicht erlernbar sind und keine Gesangserfahrung voraussetzen. Allerdings sind sie in mehreren Sprachen (Arabisch, Türkisch, Griechisch und Latein) geschrieben. Sie beschreiben einen möglichen Prozess hin zum Frieden: Träumen vom Frieden, Nächstenliebe, innerer Frieden, Liebe für die Gemeinschaft, Weltliebe und Frieden. Im Rahmen von drei intensiven Einheiten in Zusammenarbeit mit Double Check – Netzwerk für Kultur und Bildung – haben wir das Material erlernt. Welche Erfahrungen hast du in der Arbeit mit den Schulklassen gemacht? Die Arbeit mit Jugendlichen ist immer eine positive Herausforderung. Dieses Projekt ist eine Einladung an sie, aus ihrer Komfortzone zu treten und sich auszudrücken. Das ist für viele junge Menschen eine schwierige Aufgabe. Aus meiner Sicht benötigt es sehr viel Verständnis, einen respektvollen Umgang,

viel Klarheit und Geduld. Bereits am ersten Tag hatte ich den Eindruck, dass die Jugendlichen dabei sind. Das hat sich an den leuchtenden Gesichtern nach der Bewältigung der Aufgaben gezeigt. Wir haben viel und intensiv diskutiert, über verschiedenen Stadien zur Friedensbildung und überhaupt die Notwendigkeit, darüber nachzudenken.

Ließe sich das Projekt an anderen Schulen wiederholen?

Ja, natürlich, es ist ein altersübergreifendes Konzept, das sowohl in anderen Schulen wiederholt, als auch mit Erwachsenen umgesetzt werden kann.

Was sagen die Jugendlichen selbst dazu – hast du ein paar Rückmeldungen bekommen?

Wir hatten nicht viel Zeit, doch die hohe Konzentration, die Zweifel, die Unruhe und wieder die Konzentration zeigen mir, dass diese Arbeit etwas mit den Jugendlichen macht. Wir sind auf dem richtigen Weg und werden bei den Proben im September gemeinsam mit den Musikpädagoginnen der Schulen weiterarbeiten. Von ihnen kamen schon sehr positive Rückmeldungen, wofür ich sehr dankbar bin.

Du planst noch ein weiteres Projekt, gemeinsam mit der Märchenerzählerin und Illustratorin Monika Hehle – da geht es um das Thema Demenz?

Ja, Demenz ist uns ein großes Anliegen, das Stück heißt Hex-Agon, eine Produktion des Vereins Soundblossom. Wir öffnen gemeinsam einen Erfahrungsraum für Kinder, in dem Erzählung, Bühne und Musik diese Thematik beleuchten. Die Kinder sind im ganzen Geschehen Akteur*innen und stehen unterstützend an der Seite der Erzählerin, die ihre Geschichte immer vergisst. Die Kinder helfen ihr, sich zu erinnern. Die Musik und das Bühnenbild spielen dabei eine sehr wichtige Rolle. Wir möchten sie für dieses Thema sensibilisieren und sie einladen, aktiv zu helfen.

„STUBOHOCK“ ZUM THEMA DEMENZ

Auch im zweiten Jahr bleibt der „Stubohock“, ins Leben gerufen von Mona Egger-Grabher und Kurt Grabher, nah dran am Leben – und widmet sich im Herbst einem besonderen und hochaktuellen Thema: Demenz. Unter dem Titel „Worte, die verschwinden“ geht es um den Verlust von Sprache, Erinnerung und Identität – aber auch um Nähe, Würde und die Kraft des Erzählens. Mit literarischen Texten, persönlichen Erfahrungen und fachlichem Wissen wird ein sensibler Raum geöffnet, um über das zu sprechen, was oft sprachlos macht.

Wann: Mittwoch, 24. September, 19.30 Uhr

Wo: TiK Dornbirn, Jahngasse 10

Entdecke unsere kommenden Veranstaltungen. Du bist herzlich eingeladen!

MI, 10.9.25 / 18.30 - 21.30 Uhr Dornbirn, Zentrum Annagasse Frauen*kreis

Raum und Zeit nur für dich Preis: 30 EUR (Mitfrauen* 25 EUR)

SA, 13.9.25 / 9 – 17 Uhr Online »Rote Feste« gestalten und leiten Workshop für Fachfrauen, Pädagoginnen, Mütter, Patinnen & Interessierte Preis: 210 EUR (Mitfrauen* 170 EUR)

MI, 1.10.25 / 19 – 21.30 Uhr Dornbirn, Grabenweg 10a Heilpflanzen für Körper, Herz und Seele Workshop Preis: 65 EUR (Mitfrauen* 50 EUR) + 5 EUR Materialkosten

MI, 24.9.25 / 19 Uhr Dornbirn, Volksbank Wert.Voll – Was dein Geld mit Gerechtigkeit zu tun hat Vortrag inkl. Umtrunk & offenem Austausch Eintritt frei

Detaillierte Informationen zu den Inhalten und die Möglichkeit zur Anmeldung findest du auf unserer Homepage: salon13.at/jahresprogramm

Unser Programm bietet ein vielfältiges Angebot an Seminaren, Workshops und Vorträgen für Frauen* in unterschiedlichen Lebensphasen – von Mitgliedsfrauen* gestaltet, die ihre Expertise und Erfahrung weitergeben.

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DEM LICHT ENTGEGEN

Optimismus verhilft den Menschen zu einem längeren und leichteren Leben. Doch kann er auch zur Lösung globaler Krisen verhelfen?

Text: Kati Pietarinen, Foto: iStock

Bei unserer ersten Begegnung waren die dunklen Locken meiner Großmutter Klári bereits ergraut. Als ich klein war, lebte sie in einem mehrstöckigen Wohnhaus im Stadtbezirk Queens in New York. Schwarzeiserne Feuertreppen führten an den Außenwänden von einem Stockwerk zum nächsten.

Nachdem sie ihre Arbeit als technische Zeichnerin niedergelegt hatte, zog sie in ein Altenheim in Florida. Aus dem im Garten gelegenen Teich tauchte dort der eine oder andere Alligator auf. Meine Großmutter ging gerne schwimmen (nicht im Teich, sondern im Schwimmbecken), spielte mit Freunden und Nachbarn Bridge und fuhr in ihrem großen Auto umher. Um ihr Auto auf den unzähligen Parkplätzen der Einkaufszentren Floridas einfacher wiederzufinden, hatte sie an der Heckscheibe einen Sonnenhut befestigt.

Den ersten Hauch einer Tragödie verspürte ich bei einem der seltenen Besuche meiner Großmutter in Finnland. Ich war damals noch im Vorschulalter. Bei einer gemeinsamen Reise nach Stockholm trafen wir eine Frau, mit der der Bruder meiner Großmutter in den 1940er Jahren eine Affäre gehabt hatte. Wir fuhren mit dem Taxi zum Barockgarten am Schloss Drottningholm am Rande von Stockholm. Die Erwachsenen unterhielten sich über längst vergangene Zeiten – da hörte ich meine Großmutter zum allerersten Mal weinen. Sie sprach von einem verstorbenen kleinen Jungen.

Jahre später sah ich im Fotoalbum meiner Großmutter Schwarz-Weiß-Fotografien von diesem Jungen. Sein helles Haar war so lang, dass ich ihn für ein Mädchen gehalten hätte. Das Album enthielt noch weitere Fotografien aus dem Leben meiner Großmutter vor unserer Zeit: von ihrem ersten Ehemann, dem Vater ihres Sohnes, blond und groß gewachsen; von ihrer Mutter, der Tochter einer Musikerfamilie. Niemand von ihnen überlebte den Völkermord.

Als Jugendliche fand ich Interesse am Leben meiner Großmutter und führte für ein Schulprojekt ein Interview mit ihr durch. Vieles blieb in dem Interview unausgesprochen – etwa wie meine Großmutter nach der Tragödie sechzig Jahre ihres Lebens in einer recht unkonventionellen Beziehung verbrachte. Stattdessen sprach sie unablässig über die Werke von John-Roger McWilliams, dem Anführer einer kontroversen New-Age-Bewegung, und Peter McWilliams, einem selbstgelehrten Selbsthilfeautor – insbesondere über ihr Buch You Can’t Afford the Luxury of a Negative Thought: A Guide to Positive Thinking (zu Deutsch: Du kannst dir negative Gedanken nicht leisten: Eine Anleitung zum positiven Denken). Das 1988 veröffentlichte Buch habe ihr Leben verändert und ihr eine neue Sicht auf die Welt eröffnet.

Dass meine Großmutter – eine Völkermordüberlebende – ein billig anmutendes Buch wie dieses in den Mittelpunkt ihres Lebens stellte, kam mir absurd vor. Doch auf das Buch kam es meiner Großmutter nicht an. Es kam ihr eher darauf an, dass jemand die ihr so eigene Einstellung zum Leben in Worte gefasst hatte.

Die Lebenseinstellung meiner Großmutter schien jedoch zu funktionieren – zumindest aus Sicht meines kindlichen Ichs. In meinen Erinnerungen lebt sie trotz ihres hohen Alters ein überraschend stabiles und erfülltes Leben. Sie konzentriert sich auf das, was ihr Freude bereitet: von ihren Freunden umgeben zu sein, Marmelade zu kochen, in der Sonne zu baden und sich mit stets zueinander passenden Schuhen, Lederhandschuhen, Hüten und Handtaschen stilvoll für den Flohmarkt einzukleiden. Sie tut die Dinge auf ihre Art und fürchtet sich nicht vor Alligatoren (vor den kleinen Eidechsen auf ihrer Veranda merkwürdigerweise schon).

„Ich freue mich über das, was ich tun kann; ich bedauere nicht das, was ich nicht tun kann. Ich bin dem Schicksal, ich bin Gott dankbar für die vielen guten Freunde, die mich besuchen kommen, für meine wundervollen Kinder und Enkelkinder“, sagte meine Großmutter am Ende unseres Interviews. „Ich danke Gott, dass er mir ein Millionstel einer Sekunde schenkte, um auf mich zu blicken und sich um mich zu kümmern.“

Das Konzept des Optimismus entstand im 18. Jahrhundert in einer Debatte zwischen Philosophen der Aufklärung. Gegenstand ihrer Debatte war die Frage, ob wir in der besten aller möglichen Welten lebten, wie Gottfried Wilhelm Leibniz es beschrieb. Philosophen, die das Gute in der Welt hervorhoben, wurden von Kritikern wie dem berühmten Aufklärungsphilosophen Voltaire als Optimisten bezeichnet. Candide ist eine Satireschrift Voltaires gegen Optimisten wie Leibniz. Darin erzählt Voltaire die Geschichte eines Mannes, der trotz unablässigen Unglücks beständig behauptet, in der besten aller möglichen Welten zu leben. Ich habe das Buch in der Oberstufe gelesen und erinnere mich vor allem an seinen Schluss: Es endet buchstäblich mit einem Aufruf zur Gartenarbeit. (Eine nette Idee, doch offensichtlich hatte Voltaire nie mit unseren heimischen Schnecken zu tun.)

Über die Jahrhunderte hat sich die Bedeutung des Begriffs Optimismus gewandelt. In der gegenwärtigen Psychologie wird er als allgemeine Tendenz zur Erwartung positiver Er-

„Ich freue mich über das, was ich tun kann; ich bedauere nicht das, was ich nicht tun kann.“

Optimisten leben länger als Pessimisten. Der Optimismus ist ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal. Doch interessanterweise ist er nur nur teilweise erblich: Optimismus wird größtenteils erlernt.

eignisse definiert. In den vergangenen Jahrzehnten war der Optimismus Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten weltweit. Die Forschungsergebnisse sind nahezu erschöpfend. Optimisten sind gesünder, können besser mit Stress umgehen und führen bessere Beziehungen. Optimismus führt zu besserem Schlaf und einem geringeren Risiko für Herzerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle.

Optimisten leben länger als Pessimisten. Der Optimismus ist ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal. Doch interessanterweise ist er nur teilweise erblich: Optimismus wird größtenteils erlernt. Zu diesem Schluss kam Martin Seligman, Professor für Psychologie an der University of Pennsylvania und prominenter Forscher für Optimismus und Positive Psychologie. In den 1970er Jahren führte er ein Experiment durch, bei dem die Teilnehmer Lärm ausgesetzt wurden. Durch das Betätigen eines Knopfes könnten sie diesen Lärm abstellen. Bei der ersten Gruppe funktionierte der Knopf, bei der zweiten Gruppe funktionierte er nicht. Als die Teilnehmer der zweiten Gruppe dem Lärm erneut ausgesetzt wurden, versuchten die meisten von ihnen erst gar nicht, den Knopf zu betätigen. Seligman beschrieb die Einstellung dieser Teilnehmer als erlernte Hilflosigkeit. Ein Drittel der Teilnehmer aus der zweiten Gruppe ließ sich nicht entmutigen und versuchte erneut, den Knopf zu betätigen. Laut Seligman besaßen diese Menschen allesamt die Tendenz, Probleme als vorübergehend, überwindbar und mit lediglich teilweiser Auswirkung auf ihr Leben zu betrachten.

Seligman reiste für weitere Forschung nach Twinsburg, einer Kleinstadt im US-Bundestaat Ohio, in der jährlich das Twins Festival stattfindet. Dort sammelte er von Zwillingen Antworten auf eine Umfrage zum Optimismus. Aus diesen Antworten schloss Seligman eine partielle Angeborenheit von Optimismus. Optimismus sei folglich erlernbar. Im Jahr 1990 veröffentlichte Seligman sein Buch Learned Optimism (deutscher Titel: Pessimisten küsst man nicht). Nachdem ich abends mein Kind zu Bett gebracht habe, höre ich mir das Hörbuch an.

Seit mehr als einem Jahr weine ich jedes Mal, wenn ich mir die Nachrichten anschaue. Alles erscheint sinnlos in einer Welt, in der ich Artikel über Gartenschnecken schreiben kann, während wir den anhaltenden Völkermord im Gazastreifen nicht zu beenden vermögen. Ich habe zunehmend das Gefühl, dass nichts von dem, was ich tue, von Bedeutung ist – welchen Sinn hat es, Artikel über Alltagsthemen der finnischen Gesellschaft zu schreiben, wenn derzeit viel bedeutsamere Dinge geschehen, die außerhalb meiner Reichweite liegen? Wie wird es weitergehen? Aus vielen Richtungen scheinen dunkle Wolken aufzuziehen.

Vielleicht sollte ich mir etwas von der Einstellung meiner Großmutter aneignen, wobei mir der Psychologieprofessor ein zuverlässigerer Ratgeber zu sein scheint als der

Selbsthilfe-Guru meiner Großmutter. Bei Seligmans Hörbuch handelt es sich um eine digitalisierte Version einer Kassettenaufnahme. Es vermittelt so ein gewisses Zeitreisegefühl. Beim Zuhören schlafe ich auf dem Sofa ziemlich schnell ein.

Dennoch gelingt es mir, die Kernaussage aufzugreifen: Laut Seligman stehen bestimmte sich wiederholende Denkweisen im Zentrum einer optimistischen Einstellung. Wenn ein Optimist mit einem Problem konfrontiert wird, glaubt er, so Seligman, dass dieses nicht selbst verursacht wurde und nur vorübergehend ist sowie lediglich Teile seines Lebens betrifft. Ein Pessimist hingegen glaubt, dass ein Rückschlag auf seine eigene Minderwertigkeit zurückzuführen und dauerhaft ist sowie sein gesamtes Leben betrifft.

Wenn ein Optimist mit einem Problem konfrontiert wird, glaubt er, so Seligman, dass dieses nicht selbst verursacht wurde und nur vorübergehend ist sowie lediglich Teile seines Lebens betrifft. Ein Pessimist hingegen glaubt, dass ein Rückschlag auf seine eigene Minderwertigkeit zurückzuführen und dauerhaft ist sowie sein gesamtes Leben betrifft.

oder für die du dankbar bist. Die Idee dahinter ist, das Gehirn darauf zu trainieren, sich auf das Gute zu konzentrieren.

Wer Optimist werden möchte, dem empfiehlt Seligman eine Reihe von Übungen, um positives Denken zu fördern und mit dem Kreislauf des negativen Denkens zu brechen. Beispielsweise kann man mit der flachen Hand auf eine Wand schlagen und dabei „Stop!“ rufen, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken und gegen negative Aussagen argumentieren. Dabei soll sich der pessimistische Denkprozess dem Denkprozess der optimistischen Teilnehmer aus Seligmans Experiment annähern. Probleme werden dann als vorübergehend, fremdverursacht und auf bestimmte Teile des Lebens begrenzt angesehen. Positive Erfahrungen sollen als selbstverursacht, dauerhaft und das gesamte Leben betreffend betrachtet werden.

In den vergangenen Jahren wurden konkretere und vielerorts aufgegriffene Leitlinien zur Erlernung von Optimismus entwickelt. Sie wurden bereits erforscht und scheinen den gegenwärtigen Konsens über das Erlernen und die persönlichen Vorteile des Optimismus abzubilden. Auch in Finnland werden diese Methoden empfohlen.

In einem Interview mit dem Guardian rät die Forscherin für klinische Psychologie Lewina Lee zu einer Intervention namens Best Possible Self (Deutsch: Bestmögliches Ich). Dabei geht es um die Auflistung persönlicher, beruflicher und zwischenmenschlicher Ziele. Anschließend solltest du einen Absatz schreiben, in dem du zum Beispiel eine Welt beschreibst, in der alle deine Träume wahr geworden sind, und das jeden Tag für zwei Wochen lang, jeweils nur fünf Minuten.

Die britische Star-Psychotherapeutin Philippa Perry empfiehlt ein Dankbarkeitstagebuch, in dem du am Ende jedes Tages drei Dinge aufschreibst, die gut gelaufen sind

Ich verstehe den Gedanken hinter diesen Übungen, aber irgendetwas daran ist ein wenig befremdlich – zusätzlich zu den übertrieben blumigen Umschlägen der Dankbarkeitstagebücher oder der Tatsache, dass diese Idee so stark kommerzialisiert wurde, fühlt sich vorgegebener Optimismus ein wenig realitätsfern und selbstbezogen an.

Auch die Anweisungen lassen ein gewisses Privileg erkennen. Ja, in meinem mittelständischen, banalen Familienleben mit Kindern habe ich – trotz der leichten Langeweile – vieles, wofür ich dankbar sein kann. Ich hatte in letzter Zeit genug Arbeit, mein Zuhause ist warm, mein Kind genießt die neue Schu-

le, mein geliebter Mensch mit Demenz wird gut versorgt, und manchmal färbt der Sonnenuntergang beim Joggen die Landschaft golden. Aber gibt es nicht Umstände, in denen das Einfordern von Dankbarkeit unangebracht oder falsch wirkt?

Professor Alex Wood von der London School of Economics warnt in einem Artikel im Guardian vor der Schattenseite der Dankbarkeit. Manchmal empfinden Menschen einen Mangel an Dankbarkeit, weil sie unter schrecklichen Umständen leben, beispielsweise als Opfer häuslicher Gewalt. Dankbarkeitsübungen können Menschen in solchen Situationen gefangen halten, anstatt ihnen dabei zu helfen, herauszukommen.

Wenn wir uns nur auf unsere Gedanken konzentrieren, kann es so wirken, als würde die Realität um uns herum verschwinden. Der Hauptfokus liegt auf der Fähigkeit des Einzelnen – im Extremfall des Opfers – zu überleben, aber äußere Umstände werden nicht immer berücksichtigt.

Hart ausgedrückt: Wir rufen die Menschen in Gaza dazu auf, ihre Moral mit einem Dankbarkeitstagebuch aufrechtzuerhalten, anstatt Israel zum Stopp des Völkermords aufzufordern und die übrige Welt, Druck auf sie auszuüben. Wir ermutigen Arbeitslose, sich eine bessere Zukunft vorzustellen, anstatt ihnen bei der Arbeitssuche zu helfen – sofern es überhaupt geeignete Arbeitsplätze gibt.

Vielleicht ist das zu schwarz-weiß. Es ist unwahrscheinlich, dass die Förderung optimistischen Denkens auf individueller Ebene die Möglichkeit politischen Handelns oder anderer Formen der Unterstützung ausschließt. Dennoch ist es bezeichnend, dass Seligman gleich zu Beginn seines Buches eine Situation beschreibt, in der ein verbitterter Professor die Karriere einer jungen Forscherin mit falschen Plagiatsvorwürfen angreift und Seligman der Frau selbst vorwirft, sie sei gegenüber den Anschuldigungen zu pessimistisch gewesen und habe sich dadurch selbst ruiniert.

Persönlich stört mich am meisten, dass sich Dankbarkeit im Alltag zwar natürlich anfühlt, den Optimismus im Hinblick auf größere Themen jedoch nicht steigert. Letztlich mache ich mir weniger Sorgen darüber, mein bestmögliches Selbst zu sein, als über den Zustand der Welt – darüber, was in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten passieren könnte; und was gerade jetzt passiert. Die Bedrohung durch die extreme Rechte, der Krieg in der Ukraine, die Unsicherheit der Demokratie, die Aushöhlung der Menschenrechte, die Vorbereitung auf einen Krieg – und hinter all dem der Klimawandel.

Ich vermute, dass die Fähigkeit meiner Großmutter, sich auf das Gute zu konzentrieren, auf der Überzeugung beruhte, dass das Schlimmste bereits geschehen war und keine unmittelbare Gefahr bestand, dass es sich wiederholen könnte. Meine Großmutter verfolgte die Nachrichten nicht besonders. Ich weiß nicht, ob sie einfach kein Interesse hatte oder ob ihr ihre eigenen Schwierigkeiten – die Flucht über die Grenze, ihr neues Leben in Amerika, Sprache und Arbeit, Beziehungsprobleme, Scheidung, schwere Krankheiten – genügten. Vielleicht wurde ihr Optimismus dadurch geschützt, dass sie von ihren Porzellanfiguren umgeben war.

Vielleicht sehne ich mich nach einem anderen Licht als dem, das meiner Großmutter zu einem guten Leben verhalf. Oder brauche ich doch Licht? Wäre es gut, im Dunkeln umherzuwandern?

Vor fünf Jahren schrieb der Dramatiker Ilja Lehtinen einen Essay zur Verteidigung der Hoffnungslosigkeit. Dem Essay folgte eine Reihe von Briefen, in denen Lehtinen und Ville Lähde, ein Forscher für Umweltphilosophie und -politik an der BIOS-Forschungseinheit, über Hoffnung und Verzweiflung sowie die Bedeutung von Optimismus und Pessimismus im Kontext des Klimawandels und des Verlusts der Artenvielfalt diskutierten. Herr Lähde schrieb in einem Brief, dass er in Vorträgen und Interviews ständig gefragt werde, ob er Optimist oder Pessimist sei. Gibt es noch Hoffnung? Er fand die Frage frustrierend. „Warum sollten Hoffnung und Hoffnungslosigkeit Optionen sein, die alle anderen ausschließen?“, fragte er sich. „Wir können schließlich auch traurig, trotzig, ängstlich, stur, enthusiastisch sein oder unzählige andere Emotionen erleben.“

„Ich vermute, dass die Fähigkeit meiner Großmutter, sich auf das Gute zu konzentrieren, auf der Überzeugung beruhte, dass das Schlimmste bereits geschehen war und keine unmittelbare Gefahr bestand, dass es sich wiederholen könnte.“

Einige Klimaforscher befürchten jedoch, dass pessimistische Botschaften die Menschen lähmen könnten, obwohl die Beweislage zu diesem Thema widersprüchlich erscheint. Manchmal schaue ich mir Naturdokumentationen an, die von David Attenborough moderiert werden. Sie sind visuell opulent und geprägt von durchdachten Handlungssträngen. Mich interessiert, wie sie Botschaften der Verzweiflung und der Hoffnung in Einklang bringen. Am Ende einer Folge gibt es meist einen Hoffnungsschimmer: irgendein lokales Projekt zum Schutz von Meeresschildkröten oder zum Pflanzen von Korallen. Es gibt mir ein gutes Gefühl, aber da ich nicht auf einer Insel mit Schildkröten lebe und nicht tauchen kann, schalte ich einfach den Fernseher aus und gehe ins Bett. Ich weiß nicht, ob mir der Glanz des Optimismus wirklich etwas bringt.

In seinem Essay betont Lehtinen, dass die menschliche Verbundenheit mit der Hoffnung weder ewig noch universell ist. Er wendet sich dem antiken griechischen Mythos von der Büchse der Pandora zu. In der Sage öffnet Pandora eine Büchse, die alles Übel der Welt enthält, und von dort aus verbreitet sich das Böse. Ganz unten bleibt nur die Hoffnung: Elpis.

Überraschenderweise beschreibt selbst OptimismusGuru Seligman Optimismus als ein Werkzeug, das nicht für alle Situationen geeignet ist. Es sollte nicht verwendet werden, wenn man für eine ungewisse Zukunft plant.

Ich habe die Hoffnung am Boden dieser Schachtel immer als etwas Positives empfunden – dass es trotz allem noch Hoffnung gibt. Dies ist laut Lehtinen eine christliche Interpretation des Themas. Die Griechen selbst standen der Hoffnung skeptischer gegenüber: Sie könne irreführend sein und Leid verursachen.

Skepsis dieser Art findet sich nicht nur in der Antike. Überraschenderweise beschreibt selbst Optimismus-Guru Seligman Optimismus als ein Werkzeug, das nicht für alle Situationen geeignet ist. Es sollte nicht verwendet werden, wenn man für eine ungewisse Zukunft plant. In solchen Situationen muss man auf Pessimismus setzen: auf das Beste hoffen, sich aber auf das Schlimmste vorbereiten, schreibt Seligman. Das klingt furchtbar vernünftig.

In der Psychologie beschreibt der Begriff Optimismus-Bias das Phänomen, dass Menschen vorhersagen, dass sich die Dinge in der Zukunft besser entwickeln werden, als es tatsächlich der Fall ist. Gute Wendungen werden überschätzt, während Unfälle und Schwierigkeiten als weniger wahrscheinlich eingeschätzt werden, als sie in Wirklichkeit eintreten. Das Konzept des Optimismus-Bias wurde auch auf das Projektmanagement angewendet. In Großbritannien gibt es offizielle Richtlinien zur Quantifizierung des Optimismus-Bias sowohl für Bau- als auch für IT-Projekte: Die Dauer von Projekten und Budgets muss mit einem bestimmten Faktor multipliziert werden, um die Auswirkungen des Optimismus-Bias auszugleichen.

Eine Richtlinie empfiehlt, die Dauer eines spezialisierten Bauprojekts um 39 Prozent zu verlängern. Der Preis soll um 51 Prozent erhöht werden. Es erscheint irgendwie grundsätzlich absurd, in einer Welt zu leben, in der so viele Dinge mit solcher Präzision geplant und durchdacht werden, während zugleich den größten Klima- und Umweltrisiken nicht mit der gleichen Sorgfalt begegnet wird – obwohl der kollektive Optimismus-Bias offensichtlich ist.

Ich erkenne diesen Optimismus-Bias auch in meinem eigenen Leben: Meine Familie reist mehrmals im Jahr mit dem Flugzeug, um weit entfernt lebende ältere Familienmitglieder zu besuchen, obwohl wir genau wissen, dass dies die Katastrophe beschleunigen wird. Trotz aller Informationen denke ich irgendwo in meinem Kopf immer noch, dass vielleicht doch alles gut ausgehen wird.

Oder, gemeiner ausgedrückt: Vielleicht glaube ich wirklich, dass es mich und meine Liebsten nicht unbedingt so sehr betrifft, selbst wenn sich die Dinge verschlechtern. Schließlich konzentriere ich mich auch jetzt, während die Welt voller Krieg, Hunger und Terror ist, auf die Schnecken in meinem kleinen Garten – so wie meine Großmutter sich auf ihre Regale voller Porzellan konzentrierte. Vielleicht wird dieses Szenario „Schnecken für mich, Not für andere“ einfach so weitergehen. Laut Lehtinen sollte man in dieser Situation die Hoffnung aufgeben und mit der Tragödie leben. Tu, was du kannst, um die Emissionen zu senken, aber warte nicht auf eine Rettung. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, und es ist sicherlich nicht mein Weg: Ich liebe sonnige Tage. Doch trotz all seiner Traurigkeit wirkt es erfrischend ehrlich.

Letzten Sommer haben wir Ringelblumen für unsere Blumenbeete gekauft. Wir haben sie gekauft, obwohl die Schnecken sie meiner kurzen Google-Suche beim Floristen zufolge absolut lieben. Aber vielleicht nicht unsere Schnecken, dachte ich. Es lief schlecht.

Übersetzt aus dem Englischen via Translators without Borders Mit freundlicher Genehmigung von Iso Numero / INSP.ngo

Impressum

Grundlegende Richtung

Die Straßenzeitung marie versteht sich als Sprachrohr für die Anliegen von Randgruppen unserer Gesellschaft. marie ist ein Angebot zur Selbsthilfe für Menschen an oder unter der Armutsgrenze, die ihren Lebensmittelpunkt in Vorarlberg haben. Ziel ist die Förderung des Miteinanders von Menschen am Rande der Gesellschaft und der Mehrheitsgesellschaft. Die Hälfte des Verkaufspreises von 3,40 Euro verbleibt den Verkäufer:innen. marie ist ein parteiunabhängiges, soziales und nicht auf Gewinn ausgerichtetes Projekt.

Redaktion

marie – Die Vorarlberger Straßenzeitung, Graf-Maximilian-Straße 18, 6845 Hohenems, Telefon: 0677 615 386 40, eMail: redaktion@marie-strassenzeitung.at Internet: www.marie-strassenzeitung.at

Redaktion: Frank Andres, Simone Fürnschuß-Hofer

Mitarbeiter:innen dieser Ausgabe: Daniela Egger, Guntram Gärtner, Walter Gasperi, Daniel Mutschlechner, Hans Platzgumer, Bianca Riedmann, Gerhard Thoma, Thomas Wunderlich

Zeitungsausgabestellen:

Dornbirn: Kaplan Bonetti Sozialwerke, Kaplan-Bonetti-Straße 1, Montag, Mittwoch und Freitag von 7.15 bis 9 Uhr

Bregenz: dowas, Sandgrubenweg 4, Montag bis Freitag: 8.30 bis 13 Uhr

Feldkirch: Caritas-Café, Wohlwendstraße 1 Montag bis Freitag 8.30 bis 14 Uhr

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Frank Andres, Obmann, Christina den Hond-Vaccaro, Obmann-Stellvertreterin, Schriftführerin, Oliver Mössinger, Kassier

Gabriele Hörl-Anselmi, Daniel Mutschlechner

Druck: Russmedia Verlag GmbH, Schwarzach

Auflage: 10.000 Exemplare, Erscheinungsweise monatlich

Layout/DTP/Bildbearbeitung

:TAGWERK Grafik|Design Monika Dür Bankverbindung & Spendenkonto

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Alles für die Fische

Diese Bodensee-Fischsuppe verlängert den Sommer

Zutaten für sechs Personen:

• 1 l Fischfond (Zubereitung siehe probelokal.com)

• 1 Dose Kokosmilch (400 g)

• 500 g Fischfilet (enthäutet und entgrätet)

• 500 g Gemüse (z.B. Karotten, Stangensellerie, Paprika, Zucchini)

• 3 EL Olivenöl

• 1 Knoblauchzehe

• 1 kl. Stück Ingwer

• 1 Stängel Zitronengras

• Prise Zucker

• 1 EL Currypaste und 1 EL Currypulver

• etwas Limettensaft

• 1 TL Maisstärke

• etwas gehackter Koriander

Zubereitung:

Knoblauch, Ingwer und Zitronengras fein hacken, in 1 EL Olivenöl anschwitzen. Currypaste und Zucker mitrösten, Fischfond, Kokosmilch und Currypulver dazugeben, langsam erhitzen und einige Minuten leise ziehen lassen. Mit dem Stabmixer pürieren, durch ein feines Sieb gießen, Stärke mit etwas Wasser glattrühren und zur Suppe geben, wieder erhitzen. Karotten schälen und mit weiterem Gemüse in kleine Scheiben schneiden. In einer Bratpfanne in 1 EL Öl zuerst Karotten und Sellerie, dann Paprika und noch kurz Zucchini anbraten und in den Suppentopf geben. In der Bratpfanne klein geschnittenes Fischfilet beidseitig kurz anbraten, salzen und pfeffern, ebenso zur Suppe geben, mit Limette abschmecken und mit Koriander anrichten.

Von Daniel Mutschlechner, probelokal.com

Der Spruch mag abgedroschen sein: „Wenn ich den See seh‘, brauch‘ ich kein Meer mehr.“ Aber er stimmt jedes Jahr aufs Neue. Egal ob bei Sonne, Regen oder Nebel, ob im Sommer oder bald im Herbst: Der Bodensee fasziniert mich in jeder Hinsicht.

Ein Streifzug entlang des Ufers führte mich in den Gaißauer Hofladen von Albert Bösch. Fischer wie er erleben täglich die Sonnen- und Schattenseiten ihres Berufs. Einerseits hat er einen der schönsten Arbeitsplätze des Landes: Wer sonst kann schon behaupten, den Tag in aller Ruhe bei Sonnenaufgang am Wasser zu starten?

Andererseits ist der Wildfang ein Knochenjob – pardon, ein Grätenjob. Grätig könnte man auch werden, wenn man erfährt, was das Fischer-Dasein schwermacht. Es gelten strenge Fangregeln und invasive Arten machen sich breit. Da bleibt die Beute oft überschaubar.

Und dann ist da noch der Kormoran, der auf Fangquoten pfeift und die feinsten Kretzer und Felchen stibitzt. Zwar gönne ich jedem komischen Vogel ein feines Essen. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Aber sie dürften ihren Appetit ruhig zügeln, damit den Fischern genügend übrigbleibt. Regionaler Wildfang ist mir nämlich lieber als weit gereister Antibiotika-Zuchtfisch.

Albert Bösch füllt meine Tasche mit Köpfen und Gräten vom Barsch, damit ich einen kräftigen Fond kochen kann. Auch ein großes Stück Karpfen legt er dazu, das wird die Einlage. Die Suppe schmeckte beim Probekochen übrigens auch denen, die meinten, keine Fischsuppe zu mögen. Und sie verlängert den Sommer!

Musiktipp: „Halcyon“ von Kingfishr Wenn der Herbst sich anschickt, den Sommer abzulösen, geschieht mit meiner Musikpräferenz stets Wundersames: Dann erwacht der Folk zu neuer Blüte. Aktuell hat es mir die Band Kingfishr angetan. Die drei Herren aus dem irischen Limerick klingen bei ihrem Debutalbum „Halcyon“ ein bisschen wie die frühen Mumford & Sons, haben das Größte aber noch vor sich. Dass der Bandname zum Essen passt, macht die Sache noch runder. Weitere Rezeptgeschichten und Musiktipps finden Sie auf www.probelokal.com

„DER TROMMLER GOTTES“

Am 21. September 2025 jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag des Vorarlberger Priesters Franz Pfanner (1825 - 1909). Er gründete in Bosnien das Trappistenkloster Maria Stern sowie in Südafrika das Kloster Mariannhill. Der umtriebige Kirchenmann hinterlässt ein Erbe, das bis heute Menschen zum Guten inspiriert. Gleichzeitig wirft seine im Umgang nicht immer einfache Persönlichkeit viele Fragen auf.

Text: Gerhard Thoma, Fotos: Archiv

Der als „Trommler Gottes“ verklärte Missionar kommt 1825 als Sohn einer kinderreichen Bauernfamilie in Langen bei Bregenz zur Welt. Getauft wird er auf den Vornamen Wendelin. Den Namen Franz – in Anlehnung an Franziskus von Assisi – gibt sich Pfanner nach seinem Eintritt in den Orden der Trappisten, einem strengen Reformzweig der Zisterzienser. Zuvor hatte er Theologie studiert und nach seiner Priesterweihe die Betreuung der Expositur Haselstauden in der Pfarre Dornbirn übernommen. Im Jahr 1859 versetzt Fürstbischof Vinzenz Gasser den „derben Patron“ Pfanner nach Kroatien, wo er in Zagreb als Beichtvater und in der Strafanstalt Lepoglava als Gefängnisseelsorger tätig ist.

Dort erkrankt Pfanner jedoch an Tuberkulose und beschließt, in das deutsche Trappistenkloster Mariawald in der Eifel einzutreten. Bei den Trappisten herrschen strenge Klausur, eiserne Schweigegelübde, der Verzicht auf eine äußere Seelsorgetätigkeit, vegetarische Ernährung, eine ausgeprägte Marienverehrung und die tägliche Praxis der benediktinischen Tradition: Beten und Arbeiten – ora et labora. Pfanner hofft, sich mit der asketisch-kontemplativen Lebensform der Trappisten seelisch optimal auf seinen Tod vorbereiten zu können.

Aber die „Trappistenkur“ hilft Pfanner wieder auf die Beine und rasch steigt er in höhere Positionen in der Klosterhierarchie auf. Allerdings: Sein cholerisches Naturell provoziert scharfe Konflikte. Der Abt des elsässischen Klosters Oelenberg will ihn loswerden. So schnell wie möglich und so weit entfernt wie möglich. Pfanner solle doch in den Weltpriesterstand zurückkehren oder in einem Land der Donaumonarchie mit seinen Gefolgsleuten eine Tochterniederlassung von Mariawald gründen.

Die Idee der Zweigstelle gefällt dem Verstoßenen. Pfanner kauft ein Grundstück zur Errichtung seines eigenen Trappistenklosters. Aber es entsteht nicht in Österreich-Ungarn, sondern bei Banja Luka an der nordwestlichen Grenze der osmanischen Provinz Bosnien. In einem vertraulichen Schreiben lässt Pfanner seinen Landsmann und früheren Theologieprofessor Josef Fessler, den nunmehrigen Bischof der Diözese St. Pölten, wissen, dass der Kauf „natürlich nicht als Ordensperson, sondern als Privatmann“, somit unter Vortäuschung falscher Tatsachen „in aller Stille und im strengsten Stillschweigen“ erfolgt war. Das Geld steuerte primär die Zisterzienserinnenabtei St. Marienstern in der sächsischen Oberlausitz bei. Zum Dank nennt Pfanner sein neues Kloster Marija Zvijezda (Mariastern).

Als Bosnien 1878 von Österreich-Ungarn annektiert wird, erspäht Pfanner eine Chance: Er veröffentlicht Texte, in denen er Katholiken die Auswanderung aus Deutschland und Österreich nach Bosnien schmackhaft macht – „Bosnien, ein Land für Ansiedelung“. Für die praktische Umsetzung der Pläne bietet ihnen Pfanner sogar seine persönliche Unterstützung als Vermittler, Berater und Übersetzer an. Die Korrespondenz mit potentiellen Interessenten soll sich „ins Fabelhafte“ gesteigert haben und ab 1880 emigrierten ganze Familien aus Schlesien, Böhmen, Mähren und Ungarn sowie aus dem Rheinland und Holland nach Bosnien. Der eifrige Missionar versteht es vorzüglich, die Medien für seine Ziele zu nutzen. In der Nähe von Banja Luka und dem Kloster Marija Zvijezda entstehen Kolonien wie Rudolfsthal (heute Aleksandrovac) und Windthorst (heute Nova Topola). Vom Fortschritt seiner Erstgründung motiviert, will er auch in Busovača in Zentralbosnien ein Trappistenkloster bauen lassen, für das er den Namen Mariannaberg vorgesehen hatte. Über den gescheiterten Versuch berichtet Pfanner in seinen Lebenserinnerungen: „Und jetzt liegt der Mariannaberg immer noch

Abt Franz Pfanner (1825 - 1909). In seiner Heimatgemeinde Langen bei Bregenz erinnert unter anderem das „Abt Pfanner-Haus“ an den Missionar.

Der Schriftsteller Mark Twain und Mahatma Gandhi besuchten Pfanners Missionsstation und Kloster in Südafrika und waren beeindruckt.

da, aber bloß in der Idee, mit Dornen bedeckt, mit Gras überwuchert, das Opfer von drei Gegnern, nämlich der bosniakischen Franziskaner, der Türken und der griechischen Politik. Dafür habe ich ein anderes Mariannaberg gebaut, das MariaAnna-Hill in Südafrika.“

Neue Aufgabe in Südafrika

Finanziell schwer verschuldet und mit sämtlichen kirchlichen wie politischen Autoritäten zerstritten stürzt sich Franz Pfanner im Juni 1880 mit 30 Mönchen von Marija Zvijezda in das Abenteuer Südafrika. Im Auftrag eines irischen Bischofs sollen sie dort in der britischen Kapkolonie das Kloster Mary Dunbrody errichten. Doch der Plan misslingt. Vor allem wegen der klimatischen Bedingungen. Schlagartig berühmt wird hingegen Pfanners Kloster Mariannhill, zu dem seine Leute 1882 nahe der Hafenstadt Durban in der britischen Kolonie Natal den Grundstein legen. Im Eiltempo bauen sie Gebäude, Brücken, Straßen und Dämme. Bereits im ersten Jahr nach ihrer Ankunft sind die Kirche, der Kapitelsaal, der Schlaf- und der Speisesaal, ein Krankenzimmer, eine Bibliothek, ein Werkzeuglager, Tischler-, Schmiede-, Schuster- und Schneiderwerkstätten, eine Bäckerei, eine Gerberei, eine Wollspinnerei, eine Buchbinderei, Stallungen und ein fotografisches Atelier fertig. Franz Pfanner erkennt früh die enorme Wirkung einer gezielten Propaganda für die erfolgreiche Rekrutierung des Klosternachwuchses, aber auch als Mittel zur Aufrechterhaltung des Kontakts mit den Spendern in Europa, auf deren Gelder er angewiesen ist. Nachdem er zunächst seine Texte in kirchennahen Publikationsorganen veröffentlicht hatte, macht er sich in Mariannhill bald mit einer eigenen Druckerei und einem Verlag unabhängig. Auflagenstarke Periodika wie das „Vergissmeinnicht aus Mariannhill“ oder der „Mariannhiller Kalender“ finden über ein engmaschiges Netz aus Kontaktpersonen in europäischen Diözesen und Pfarren eine enorme Verbreitung. Das „Presseapostolat“ spielt heute noch eine wichtige Rolle für die Versorgung der Leserschaft mit Berichten aus den Wirkungsorten der Missionare.

Dazu Dr. Clemens Gütl, Historiker mit den Spezialgebieten Afrikanische Kolonial- und Missionsgeschichte: „Pfanner war ein guter Rhetoriker und in gewisser Hinsicht auch Populist. In engagierten Texten zur ‚sozialen Frage‘ zeigte er ein besonderes Verständnis für die Probleme und Ängste der ‚kleinen Leute‘. Sein Lösungsvorschlag für die zunehmende materielle Not breiter Bevölkerungsschichten mündete stets in einem Appell zur Hinwendung an das ‚lebendige Christentum‘ und häufig in der Aufforderung zum Eintritt in sein Kloster.“

Ob in Bosnien oder Südafrika: Pfanner versteht es, Menschen zu überzeugen und zu begeistern. Innerhalb kürzester Zeit hatten sich hunderte Personen aus deutschsprachigen Gebieten, vereinzelt auch aus Irland, Großbritannien und Polen gemeldet. Nach Mariannhill kam er 1882 mit 30 Mitbrüdern, nach einem Jahr waren es 85 und 1898 beachtliche 300 Ordensangehörige. Sogar in Marija Zvijezda, das 1882 zur Abtei erhoben worden war, lebten nach dem Ersten Weltkrieg noch 150 Mönche.

Mariannhill entwickelte sich zu einem Zentrum der katholischen Kirche und zog auch als touristische Attraktion zahlreiche Gäste aus Nah und Fern an. Besucher wie der Schriftsteller Mark Twain trugen zum internationalen Bekanntheitsgrad des Klosters und seiner dutzenden Filialen in Natal, Simbabwe und Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) bei. Bei einem indischen Rechtsanwalt soll die 1895 in Mariannhill beobachtete Spiritualität der Mönche einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen ha-

„Pfanner war ein guter Rhetoriker und in gewisser Hinsicht auch Populist. In engagierten Texten zur ‚sozialen Frage‘ zeigte er ein besonderes Verständnis für die Probleme und Ängste der ‚kleinen Leute‘. Sein Lösungsvorschlag für die zunehmende materielle Not breiter Bevölkerungsschichten mündete stets in einem Appell zur Hinwendung an das ‚lebendige Christentum‘ und häufig in der Aufforderung zum Eintritt in sein Kloster.“

Seligsprechung?

1963 wurde der kirchliche Prozess zu Pfanners Seligsprechung eingeleitet. Nach dessen Scheitern setzen die Mariannhiller Missionare und Missionsschwestern seit 2004 auf den positiven Ausgang einer erneuten Prüfung von Pfanners tugendhaftem Lebensstil und eines ihm zugesprochenen Wunders.

„Die Schwestern sind bloß das Mittel zum Zwecke, um recht viele katholische Ehebündnisse zu erreichen, oder kürzer gesagt: Die Schwarzen katholisch zu machen.“

ben, der ihm später als Inspiration für seine eigene Philosophie gedient haben soll. Dieser Mann war Mahatma Gandhi (1869 –1948).

Stifter der „Roten Schwestern“

Ab 1885 holt Pfanner auch hunderte Frauen aus Europa nach Natal. Die „weltliche Körperschaft“ nennt er „Schwestern“ oder auch „Rote Schwestern“. Sie tragen eine Ordenstracht, die an das Blut Christi erinnern soll. Die Frauen werden von Pfanner „je nach den Talenten und Gaben, welche jede einzelne von Gott erhalten hat“ als Missionarinnen eingesetzt. Sie kümmern sich primär um die schulische und handwerkliche Ausbildung der Zulu-Mädchen. Ziel ist die Hinführung zum katholischen Glauben und die Verheiratung der Mädchen mit bereits konvertierten Zulu-Männern. Durch die Gründung einer katholischen Kernfamilie will Pfanner sicherstellen, dass auch deren Kinder katholisch werden: „Die Schwestern sind bloß das Mittel zum Zwecke, um recht viele katholische Ehebündnisse zu erreichen, oder kürzer gesagt: Die Schwarzen katholisch zu machen.“ Die Schwestern bekommen von den Trappisten ein Konvent und werden materiell und ärztlich versorgt. Rom approbiert die religiöse Gemeinschaft allerdings erst 1907. Heute trägt der Orden die Bezeichnung „Missionsschwestern vom Kostbaren Blut“. Sie sind auch unter dem Namen „Mariannhiller Missionsschwestern“ bekannt. Pfanner gilt für sie als „Vater Stifter“.

Amtsenthebung

und Verbannung

Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. „Hinter den Klostermauern von Mariannhill treten von Beginn an Meinungsverschiedenheiten auf, die in einer tiefgreifenden internen Kontroverse münden“, erklärt Gütl. Im Kern geht es um die Identität der Priester und Ordensbrüder. Eine Gruppe will ihr Leben nach den Idealen der Trappisten führen, während die anderen damit begonnen hatten, sich missionarisch zu betätigen, was mit den Konstitutionen der Zisterzienser unvereinbar ist.

Die Maßnahmen, die Franz Pfanner in Mariannhill zur so genannten „Bekehrung“ von Afrikanerinnen und Afrikanern zum katholischen Glauben ergreift, könnten, so Gütl, in Summe als ganzheitliches, von Zwang und Anreiz geprägtes, System charakterisiert werden. Im Kontext der komplexen Beziehungen aus kolonialer Fremdherrschaft und Missionierung habe es unter den damaligen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Natal unweigerlich zu Konflikten kommen müssen.

Die jahrzehntelangen Differenzen innerhalb der Klostergemeinschaft enden 1909 mit einem kirchenhistorisch interessanten Resultat, nämlich mit der Trennung der Trappisten des Klosters Mariannhill vom Zisterzienserorden und mit der Geburt einer neuen Kongregation auf afrikanischem Boden. Sie trägt heute den Namen „Kongregation der Missionare von Mariannhill“.

Pfanner hat die Umwandlung der Trappisten in einen aktiven Missionsorden persönlich nicht mehr erlebt. Er war am 24. Mai 1909 im 84. Lebensjahr in Emaus, seiner letzten Filialgründung in der Kapkolonie, gestorben. Schon 1892 war er im Rahmen einer kirchlichen Visitation in der Abtei Mariannhill wegen seines autoritären Führungsstils und zahlreicher Verstöße gegen die Konstitutionen des Zisterzienserordens seines Amts und der Leitung des Klosters enthoben und als einfacher Trappist nach Emaus verbannt worden.

Die chaotische Situation hatte sich allerdings nach der Suspension von Pfanner unter dessen Nachfolgern noch weiter verschlimmert. 1904 beklagt Abt Gerhard Wolpert gegenüber Rom die „Charakterschwächen“ und die „sittliche Verkommenheit“ von mehreren der ihm unterstellten Priester, von denen einige dem Alkohol frönten, andere an psychischen Störungen litten oder sich des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig gemacht hatten.

Mythos und Realität

Obwohl die historischen Fakten inzwischen aufgearbeitet worden sind, dominiere noch heute „ein positiv verklärtes Bild“ über die Persönlichkeit von Franz Pfanner und die Gründungsgeschichten seiner Klöster, so Gütl.

Dabei übte schon zu seinen Lebenszeiten der Chronist des Klosters Oelenberg Kritik an Pfanners „energischen“, „mitunter verletzenden“ und „rücksichtslosen“ Äußerungen und seinen „vom Eifer und weniger von Klugheit geleiteten“ Handlungen. Pfanner glaubte, sich nicht an Gesetze und Regeln halten zu müssen. Des öfteren prangerten Zeitzeugen seine wiederholte Missachtung von gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Gepflogenheiten an. Ständig geriet er in Konflikte, sowohl in Österreich als auch in Deutschland, Kroatien, Bosnien und Südafrika.

Historiker Clemens Gütl geht ins Detail: „Als Pfanner in den 1880er-Jahren wegen einer Belanglosigkeit in Mariannhill mit einer Afrikanerin in Streit geriet, stammelte er in Unkenntnis ihrer Muttersprache Zulu „vom heiligen Zorne ergriffen bosniakische Wörter, die den Bosniaken vielleicht jetzt noch in den Ohren klingen“. Seiner eigenen Schilderung zufolge hatte er weder in der Begegnung mit Muslimen in Bosnien noch mit Zulus in Südafrika je „das Bedürfnis zu einem ‚Bitte‘ zu greifen.“

Trotzdem lebt der Mythos von Franz Pfanner als „Herold“ und „Trommler Gottes“, als „Mann der Vorsehung“ oder als „einer der wichtigsten Pioniere der Missionsarbeit unter den ‚Bantu‘“ und „einer der größten Apostel Südafrikas“ weiter.

FILMCLUBTIPPS von Walter Gasperi

Ausführliche Filmrezensionen zu Mainstream- ebenso wie zu Arthausfilmen und einen Filmclubkalender finden Sie unter www.film-netz.com

Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne

Ein Dorf in der Bretagne will ukrainische Flüchtlinge aufnehmen, doch stattdessen kommt überraschend eine syrische Familie: Julie Delpy gelingt ein großartiger Mix aus Komödie und Drama, in dem gleichzeitig bissig mit Vorurteilen und Rassismus abgerechnet und bewegend von einem Flüchtlingsschicksal erzählt wird.

→ FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 03.09., 18 Uhr + Do 04.09., 19.30 Uhr (franz. O.m.U.)

→ Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mo 15.09., 18 Uhr + Mi 24.09., 20 Uhr (franz. O.m.U.)

→ LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 03.12., 19.00 Uhr (franz. O.m.U.)

→ „Treffpunkt Kino“ im Kino GUK, Feldkirch: Mo 12.01. 2026, 15.30 Uhr (dt. Fassung – ab 14.30 Uhr Kaffee/Kuchen)

Bergers – Schäfer

Ein junger kanadischer Werbefachmann will alles hinter sich lassen und ein neues Leben als Schafhirte in den französischen Alpen beginnen: Sophie Deraspe gelang mit der Verfilmung von Mathyas Lefebures semi-autobiographischem Roman „D´ou viens-tu, berger?“ ein ungeschönter, herb-poetischer und bildmächtiger Spielfilm, der auch ein eindrückliches Bild der Probleme und der harten Arbeit heutiger Schafzüchter und Hirten zeichnet.

→ TaSKino Feldkirch im Kino GUK: 06.09. bis 11.09. (franz. O.m.U.)

→ Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mi 01.10., 20 Uhr + Mo 06.10., 18 Uhr (franz. O.m.U.)

→ LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 19.11., 19.00 Uhr (franz. O.m.U.)

One to One: John &

Yoko

Kevin Macdonald und Sam Rice-Edwards zeichnen ausgehend vom einzigen abendfüllenden Solo-Konzert von John Lennon und Yoko Ono im August 1972 mit einer Fülle an Archivmaterial sowohl ein Bild der Beziehung von John Lennon und seiner Partnerin als auch der zwischen Vietnamkrieg und Protestbewegung zerrissenen USA der frühen 1970er Jahre.

→ Spielboden Dornbirn: Di 09.09. + Sa 20.09. –jeweils 19.30 Uhr (engl. O.m.U.)

Tótem

Die Mexikanerin Lila Avilés erzählt in ihrem zweiten Spielfilm vor allem aus Kinderperspektive von einem Geburtstagsfest für den todkranken Vater: Ein durch räumliche und zeitliche Einheit

dichtes Kammerspiel, das das Leben vor dem Hintergrund des nahen Todes feiert und die Schwierigkeit des Loslassens vermittelt.

→ Filmforum Bregenz im Hotel Honolulu, Bregenz: Di 09.09., 20.15 Uhr span. O.m.U.)

Mein Weg 780 km zu mir

Der australische Filmemacher Bill Bennett zeichnet seine Erfahrungen auf dem Jakobsweg nach: Das einfach gestrickte Roadmovie bietet nichts Neues, lässt aber immerhin mit seinem ruhigen Erzählrhythmus und seinem Wechsel von prächtigen Landschafts- und malerischen Stadtansichten sowie Gesprächen unter den Pilgern in deren Welt eintauchen.

→ Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mi 17.09., 20 Uhr + Mo 22.09., 18 Uhr (engl. O.m.U.)

→ LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 08.10., 19.00 Uhr (engl. O.m.U.)

Vermiglio

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs verliebt sich eine junge Frau in einem Bergdorf im Trentino in einen sizilianischen

Deserteur: Maura Delpero versetzt in ihrem zweiten Spielfilm in bedächtiger und elliptischer Erzählweise in großartigen Bildern intensiv in eine archaisch-patriarchale Welt, in der die Menschen in Konventionen eingesperrt sind.

→ FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 17.09., 18 Uhr + Do 18.09., 19.30 Uhr (ital. O.m.U.)

→ Filmforum Bregenz im Parktheater Lindau: Mi 17.09., 19.30 Uhr (ital. O.m.U.)

Riefenstahl

Andres Veiel zeichnet in seinem Dokumentarfilm mit einer Fülle von Archivmaterial ein komplexes Bild der Filmemacherin Leni Riefenstahl (1902 - 2003), die für die NS-Propagandafilme „Triumph des Willens“ und „Olympia“ verantwortlich zeichnet, aber bis zu ihrem Lebensende jede Involvierung ins NS-Regime von sich wies.

→ Altes Kino, Rankweil: Mo 22.09., 20 Uhr (deutsche Originalfassung) – Film und Diskussion

Die kompletten Filmclubprogramme finden Sie hier: www.filmforum.at // www.spielboden.at // www.allerart-bludenz.at/leinwand-lounge // www.fkc.at // https://saumarkt.at/taskino

Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne © Luna Filmverleih

VERANSTALTER AKZEPTIEREN DEN KULTURPASS FÜR FREIEN/ERMÄSSIGTEN EINTRITT

Infos über den Kulturpass unter www.hungeraufkunstundkultur.at

Di., 02. & Mi., 07.09.

11 bis 17 Uhr, Reichenfeld Feldkirch

CIRKUS BARBAR

Interaktive Puppeninstallation

Di., 02.09.

14 bis 17 Uhr, vorarlberg museum, Bregenz

OFFENES ATELIER FÜR MENSCHEN JEDEN ALTERS

Hämmern, kleben, werfen; Sterne streicheln mit Holz, Draht, Acrylfarben, Papier, Stoffen, Buntstiften

Di., 02.09.

17 Uhr, Pförtnerhaus Feldkirch

HEY, HEY, HEY, TAXI!

Musiktheater nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Saša Stanišic

Mi., 03.09.

17 Uhr, Pförtnerhaus Feldkirch ROTKÄPPCHEN

Duo Fiarco und Figurentheater St. Gallen Ein Märchen in Bild und Musik

Do., 04.09.

17 Uhr, Pförtnerhaus Feldkirch

ZEBRALALA

Clowns-Objekt-Theater

Fr., 05.09.

10 Uhr und 17 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch

ERROR 404 Puppenspiel ohne Worte

Fr., 05.09.

20 Uhr, Vor dem Alten Hallenbad, Feldkirch

PANDORA'S KITCHEN

Straßentheater im Imbisswagen mit Musik, Puppentheater und Live-Suppenkochen

Veranstaltungskalender

Sa., 06.09.

9 bis 16. 30 Uhr, Bildungshaus

St. Arbogast, Götzis

KRÄUTERYOGA FÜR ENTSPANNUNG UND INNERE BALANCE Kurs

Sa., 06.09.

15 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch

LEMBA

Puppenspiel über die Bedrohung der Schimpansen

So., 07.09.

10 bis 17 Uhr, Frauenmuseum Hittisau EIN T-SHIRT AUF WELTREISE

Ausstellung und Führung im Rahmen Reiseziel Museum

Mi., 10.09.

16 bis 17.30 Uhr, Stadtbibliothek Dornbirn

SHARED READING-MITEINANDER LESEN

Mi., 10.09.

19 bis 20.30 Uhr, inatura, Dornbirn SPEISEPILZE UND IHRE GIFTIGEN DOPPELGÄNGER

Vortrag

Mi., 10.09.

19 bis 21 Uhr, Bildungshaus Batschuns PATIENTENVERFÜGUNG

Praktisches für die Pflege daheim für pflegende An- und Zugehörige, Referat und Kurs

Do., 11.09.

12 bis 19 Uhr, Literaturhaus Vorarlberg, Hohenems

WRITERS:ROOM

verwandle das Literaturhaus in deinen Schreibort

Do., 11.09.

14 bis 17 Uhr, Montafoner Alpin- und Tourismusmuseum, Gaschurn WOLLRESTE GEGEN KALTE OHREN

Handarbeitsrunde für einen guten Zweck

Do., 11.09.

19.30 bis 22 Uhr, inatura Dornbirn INATURA-PUB-QUIZ wir forschen – ihr spielt!

Do., 11.09.

20 Uhr, Altes Kino, Rankweil DAVID HELBOCK'S RANDOM CONTROL Konzert

Fr., 12.09.

15 bis 17 Uhr, Bludenz EIN GEFÜHRTER SPAZIERGANG Durch Bludenz mit räumlicher Entdeckung der Vergangenheit und der Gegenwart.

Fr., 12.09.

15 bis 17 Uhr, Innenstadt Bludenz WORKSHOP-PRÄSENTATION mit Landschaftskünstler Matthias Würfel

Fr., 12.09.

18 bis 19.30 Uhr, Innenstadt Bludenz TAKING INTO GOOD Workshop & Talk mit Trainerin Simone HöllerGeiger

Fr., 12.09.

19.30 bis 20.45 Uhr, Bildungshaus St. Arbogast, Götzis WEGE DER ZUVERSICHT – DIE ATEMLUFT EINES CHRISTEN inspiriert von Benno Elbs' Schriften, Konzert-Lesung in der Arbogaster Kapelle

Fr., 12.09.

20 bis 21.30 Uhr, Innenstadt Bludenz SONGWRITER'S NIGHT Konzert mit Heidi Michelon

Sa., 13.09.

10 bis 18 Uhr, Innenstadt Bludenz VINTAGE-MARKT

Sa., 13.09.

14.30 bis 16.30 Uhr, Kunsthaus Bregenz KUNSTSALON FÜR FLINTA*

Ein philosophischer Nachmittag mit Künstlerin Claudia Mang zu den Themen der aktuellen Ausstellung

Sa., 13.09.

20 bis 21.30 Uhr, Innenstadt Bludenz I OSLO

Konzert: Tom Neuhold (Beats, Synths), Martin Domig (Bass), Martin Tschernig (Guitars, Keys, Rhodes), Klaus Österle (Guitars, Vocals)

Sa., 13.09.

11.30 Uhr, Villa Falkenhorst, Thüringen

ÄSSA&TSCHÄSSA MIT MCLOUD

Konzert und Kulinarisches, Köstlichkeiten aus der Region und heimische Weine, traditionell gibt es auch Forellenfilets, selbstgemachte Kuchen und Kaffee.

Sa., 13.09.

21.30 Uhr, Innenstadt Bludenz

TANZ UNTER DEN STERNEN mit Djane bloombox

So., 14,09.

18 Uhr, Kammgarn, Hard CUARTETO ROTTERDAM Tango-Tanzabend

Di., 16.09.

14 bis 17 Uhr, Bücherei Göfis STRICKEN, GUGELHUPF UND MEHR

Di., 16.09.

19 bis 20 Uhr, vorarlberg museum, Bregenz

FRANZ TÜRTSCHER: ERWEITERTE MALEREI

Buchpräsentation

Mi., 17.09.

14.30 bis 16.30 Uhr, Kunsthaus Bregenz

KUNSTVERMITTLUNG FÜR MENSCHEN MIT DEMENZ

Do., 18.09.

17.30 Uhr, Literaturhaus Vorarlberg, Hohenems

GUEST:ROOM

Das W*ORT spricht mit dem Literaturhaus Für Kinder ab 6 Jahren

Fr., 19.09.

17 bis 18.30 Uhr, vorarlberg museum, Bregenz

„GEMEINER MANN“ UND „BAUERNSCHLÄCHTER“

Der bäuerliche Aufstand im Jahr 1525, Vortrag: Elmar L. Kuhn

Fr., 19.09.

19.30 bis 21 Uhr, Museum Frühmesshaus, Bartholomäberg GEMEINSAMES SINGEN mit Klaudia Mathies

Sa., 20.09. & Di., 30.09.

13 bis 18 Uhr, Kunsthaus, Bregenz UPCYCLING-WORKSHOP FÜR ERWACHSENE

Nach einer Führung im KUB wird in der Wladika Creative Schneiderei unter Anleitung von Stephanie Wladika ein eigenes Kleidungsstück zu neuem Leben erweckt.

Sa., 20.09.

20.30 Uhr, Kammgarn, Hard

DER NINO AUS WIEN & DIE AUSWIENBAND

Konzert

Mo., 22.09.

19.30 bis 21.30 Uhr, Familentreff, Hittisau

DIE SCHATZKISTE DES FREIEN SPIELS ENTDECKEN

Ein Plädoyer für das freie, ursprüngliche Spiel der Kinder und was wir als Erwachsene alles NICHT tun müssen - gerade zu Hause, Vortrag

Di., 23.09.

19.30 Uhr, Spielboden, Dornbirn HELLWACH- HOMMAGE AN BODO HELL

Vorarlberg-Premiere des Films im Anschluss Regiegespräch mit Regisseurin Carola Mair

Do., 25.09.

19 bis 20.30 Uhr, inatura Dornbirn NACHT-NATUR und die dunkle Seite des Lichts Vortrag

Do., 25.09.

19 bis 21 Uhr, Stadtbibliothek Dornbirn

SABINE TSCHOLL: TRANSIT LISSABON Vortrag, Lesung

Do., 25.09.

19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch

MINA CANAVAL: WIDERSTAND; LIEBESERKLÄRUNG AN DIE UNBEQUEMEN

Lesung und Gespräch, Moderation: Agnes Mair

Do., 25.09.

20 Uhr, Conrad Sohm, Dornbirn FOLKSHILFE Konzert

Do., 25.09.

20.30 Uhr, Spielboden Dornbirn CHRISTIAN MUTHSPIEL& ORJAZZTRA VIENNA Jazz-Konzert

Sa., 27.09. & So., 28.09.

20 Uhr, Kammgarn, Hard HIRTENSALAT UND TORTE Interkultureller Verein Motif, Theater

So., 28.09.

10 bis 14 Uhr, Literaturhaus Vorarlberg, Hohenems

TAG DES DENKMALS

Die Villa Franziska und Iwan Rosenthal im Wandel

Di., 30.09.

19 Uhr, Literaturhaus Vorarlberg, Hohenems #DEINE BÜHNE: ZEIG DICH MIT DEINEN TEXTEN

Keine Anmeldung, kein Wettbewerb, kein Druck – nur du, dein 8-Minuten-Moment und ein Publikum, das sich zufällig zusammenwürfelt und ganz sicher auf dich freut. Komm vorbei, tritt auf oder hör einfach zu.

Di., 30.09.

20 Uhr, Spielboden, Dornbirn DORIS KNECHT liest aus „Ja, nein, vielleicht“

Die Julius Blum GmbH unterstützt die Berichterstattung über privat initiierte, gemeinnützige Projekte in Vorarlberg.

marie ist Mitglied im Weltverband der Straßenzeitungen. www.insp.ngo

EINE ZUKUNFT FÜR UNSERE ZUKUNFT.

ZU VORARLBERG GEHÖRT VIELES: DIE NATUR, DIE NEUGIERDE, DER FLEISS, DER MUT, DIE MENSCHEN. UND RAIFFEISEN.

WIR MACHT’S MÖGLICH.

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