Rock Solid? Die ungelöste Atommüllfrage

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ROCK SOLID? DIE UNGELÖSTE ATOMMÜLLFRAGE

Die Gefahren und Risiken der geologischen Tiefenlagerung von hochradioaktivem Abfall.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

2010 veröffentlichte Greenpeace erstmals eine Studie, welche die diversen offenen Fragen und ungelösten Probleme hinsichtlich der Tiefenlagerung von hochradioaktivem Abfall (HAA) aus Atomkraftwerken (AKW) präsentierte. Jetzt – 15 Jahre später – gibt es ein Update. Die von Greenpeace Schweiz in Auftrag gegebene Literaturrecherche «Rock Solid? A scientific review of geological disposal of high-level radioactive waste» (im Folgenden: «Bericht») fasst den aktuellen Kenntnisstand der Wissenschaft zusammen.

Autorin

Dr. Helen Wallace hat einen Physikabschluss der Universität Bristol sowie einen PhD in angewandter Mathematik der Universität Exeter. Neben ihrer Tätigkeit als Direktorin von GeneWatch, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für den Einsatz von Genetik und Gentechnologie im Interesse der Allgemeinheit stark macht, hat sie mehrere Berichte zu Themen rund um Atommüll verfasst.

Review

Dr. Johan Swahn war bis Ende 2023 Direktor der MKG, der im schwedischen Göteborg ansässigen NGO für die Überwachung von Atommüll. Der Hauptteil seiner Arbeit war die Mitwirkung an den Genehmigungsprüfverfahren für das schwedische Projekt zum Bau eines Atomtiefenagers. Dr. Swahn ist nach wie vor als Senior Advisor für MKG tätig, leitete die Arbeit der europäischen Organisation Nuclear Transparency Watch (NTW) im Bereich der Entsorgung radioaktiver Abfälle und ist Mitglied des International Panel on Fissile Materials (IPFM).

Link auf Bericht

Rock Solid?

In den 1950er-Jahren ging das erste kommerzielle Atomkraftwerk der Welt ans Netz. Seither steht die Welt vor dem Entsorgungsproblem des hochradioaktiven Abfalls (HAA), heute fallen weltweit jährlich Tausende Tonnen davon an. Die Schweiz gehört seit den 1960er-Jahren zu den Atommüllproduzenten. Wohin mit dem hochgiftigen Abfall? Diese Frage ist bislang unbeantwortet. Es gibt weltweit nach wie vor keine langfristig sichere Lösung zur Entsorgung von HAA, der 1 Million Jahre sicher gelagert werden muss. Das zeigt die aktuelle Analyse von über 800 wissenschaftlichen Publikationen mit Bezug zur Tiefenlagerung von hochradioaktivem Abfall deutlich. Zwar werden viele der chemischen und geologischen Prozesse heute besser verstanden als früher. Der Erkenntnisgewinn der letzten 15 Jahren liess jedoch auch

neue Unsicherheiten zutage treten, die in den aktuellen Berechnungen und Modellen für mögliche Tiefenlager noch kaum Eingang gefunden haben. In Bezug auf die Schweiz heisst das: Es bestehen signifikante Zweifel daran, ob ein geologisches Tiefenlager, wie es von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) im Standortgebiet Nördlich Lägern (Kantone Aargau und Zürich) vorgeschlagen wird, den HAA tatsächlich eine Million Jahre sicher einschliessen kann. Der Bericht empfiehlt grundsätzlich, die laufende Planung von Tiefenlagern zu sistieren, bis die bekannten Risiken bestmöglich ausgeschlossen werden können. Zudem zeigt er andere Möglichkeiten der Langzeitlagerung auf, die bisher noch nicht eingehend geprüft wurden und sich als bessere Option entpuppen könnten.

Das Konzept des Tiefenlagers in der Schweiz gemäss Nagra

In der Schweiz soll hochradioaktiver Abfall (HAA) aus dem Betrieb von Atomkraftwerken in dickwandige Stahlbehälter verpackt in einer auf 900 m Tiefe liegenden Opalinustonschicht eingelagert werden. Der Hohlraum zwischen den Behältern und dem Wirtsgestein soll mit einem Füllmaterial – voraussichtlich Bentonit – verfüllt werden. So soll der Zutritt von Wasser möglichst lange verhindert werden. Je länger die Stahlbehälter vor Korrosion geschützt sind, desto länger kann der Austritt von radioaktivem Material verhindert werden. Der HAA bleibt bis zu einer Million Jahre radioaktiv. Entsprechend muss die geplante Lebensdauer eines geologischen Tiefenlagers bis zu einer Million Jahre betragen. Im Laufe der Zeit werden radioaktive Substanzen (Radionuklide) aus dem Tie-

fenlager in das umgebende Grundwasser austreten und/oder als radioaktives Gas freigesetzt. Gemäss Nagra beruht die Sicherheit eines geologischen Tiefenlagers darauf, dass ein Teil der Radionuklide im umgebenden Gestein zurückgehalten wird, während andere (flüchtige) Radionuklide im Grundwasser stark ver-

Oberflächenanlage mit den Zugängen zum Tiefenlager

dünnt werden, so dass sie keinen Schaden mehr anrichten. Laut Einschätzung der Nagra sollen diese Prozesse so langsam ablaufen, dass ein Grossteil der Radioaktivität zerfalle, bevor diese die Oberfläche erreiche. Damit würde die Strahlenbelastung für künftige Generationen sehr gering bleiben.

Tiefenlagerung von radioaktiven Abfällen: Viele Fragen unbeantwortet

Für die Entsorgung hochradioaktiver Abfälle (HAA) in geologischen Tiefenlagern werden diverse Gesteinstypen in Betracht gezogen. Der vorliegende Bericht «Rock Solid? A scientific review of geological disposal of high-level radioactive waste», der die wissenschaftlichen Befunde der letzten Jahre hinsichtlich der Tiefenlagerung von HAA präsentiert, analysiert die Tiefenlagerung in Ton sowie Granit. Er zeigt in aller Deutlichkeit auf, dass es – egal welcher Gesteinstyp –weltweit keine langfristig sichere Lösung zur Entsorgung des Atommülls gibt.

In der Schweiz plant die Nagra ein geologisches Tiefenlager in einer Opalinustonschicht im Standortgebiet Nördlich Lägern (siehe Box). Im Folgenden werden die wichtigsten Punkte aus dem Bericht bezüglich der Situation in der Schweiz zusammengefasst.

Jeder Eingriff ist eine Störung

Zwar ist die Opalinustonschicht, die momentan von der Nagra als bestgeeignetes Wirtsgestein fürs Schweizer Tiefenlager betrachtet wird, mehrere Dutzend Millionen Jahre alt. Man könnte darum davon ausgehen, dass sie nochmals eine Million Jahre überdauert. Durch den bergmännischen Eingriff ins Gestein, die Einbringung von chemisch völlig anders gearteten Materialien sowie den über mehrere hunderttausend Jahre andauernden radioaktiven Zerfall der HAA erfährt das Wirtsgestein jedoch eine substanzielle Störung, deren langfristigen Folgen nur unvollständig verstanden sind.

Folgen der Wärmeentwicklung

Der radioaktive Zerfall der HAA setzt sich im Tiefenlager fort und erhitzt das umliegende Gestein. Darum müssen die Behälter weit auseinander angeordnet werden. Nur so kann verhindert werden, dass die Temperatur im Tiefenlager 100 °C übersteigt, was die Durchlässigkeit der Tonmineralien erhöhen resp. deren Barrierewirkung massgeblich beeinträchtigen würde. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die Barrierewirkung der Tonmineralien bereits bei tieferen Temperaturen geschwächt werden könnte. Zudem deuten Studien darauf hin, dass die Wärme auch bei genügendem Abstand zwischen den Behältern ausreicht, um das Gestein an der Erdoberfläche etwa 1000 bis 2000 Jahre nach der Einlagerung der Abfälle um 10 cm oder deutlich mehr anzuheben. Eine solche Verschiebung innerhalb des Wirtsgesteins kann zu

Brüchen und Spalten führen, die den Grundwassereintritt bis zur Lagerstätte und als Folge davon den Austritt von Radioaktivität ermöglichen.

Korrosion der Stahlbehälter

Der HAA von Schweizer Atomkraftwerken soll in dickwandige Stahlbehälter verpackt werden. Der Hohlraum zwischen den Behältern und dem Tonstein soll voraussichtlich mit Bentonit verfüllt werden (siehe Box). Diesbezüglich ergeben sich mehrere Probleme: Im sauren Milieu des Tongesteins ist die Lebensdauer der Stahlbehälter zu kurz, um den langen Zeitraum zu überdauern, während dem die intensive Wärme der HAA die physikalischen und chemischen Prozesse im Endlager beeinflussen kann. Der Tunnelbau in Tongestein erfordert zudem erhebliche Mengen an Stahl und/ oder Beton, um ein Einstürzen der Stollen zu verhindern. Das mit der Zeit entstehende Zementwasser aus den Stollenverbauungen, gepaart mit Hitze, Radioaktivität und Mikroben, beeinträchtigt die Quellfähigkeit von Ton und Bentonit und damit ihre Fähigkeit, die Behälter vor Belastungen des darüberliegenden Gesteins zu schützen und die Freisetzung von Radionukliden zu verzögern. Darüber hinaus ist weiterhin unklar, ob die Verfüllung aus Bentonit sowie das umgebende Gestein dem grossen Volumen an Wasserstoffgas standhalten werden, das durch die Korrosion des Stahls entsteht.

Gestörte Geologie

Die Wärme und Strahlung des HAA sowie die Schäden und Störungen, die beim Bau des Tiefenlagers an Gestein und Grundwasser verursacht werden, führen zu einer erheblichen Veränderung der unterirdischen Bedingungen. Diese Veränderungen werden sich im Laufe von 100 000 Jahren fortsetzen, bevor sie wieder einen stabilen Zustand der ungestörten Geologie erreichen (vorausgesetzt, dass in dieser Zeit keine anderen Störungen wie Erdbeben, Vergletscherung oder menschliche Eingriffe auftreten). Doch selbst dann bleiben die Schäden durch den Bergbau und die Wärme- und Gasentwicklung bestehen und könnten schnelle Pfade für den Austritt von radioaktivem Wasser und Gas aus dem Tiefenlager öffnen. So konnte z. B. nachgewiesen werden, dass die Durchlässigkeit von gebrochenem Tonstein bei Raumtemperatur nach dessen «Selbstheilung» zwei Magnituden höher liegt. Bei höheren Temperaturen (bei 80 °C) wird dieser kritische Effekt zusätzlich verstärkt.

Weitere Einflussfaktoren

Jüngste Erkenntnisse haben die Befürchtungen bekräftigt, dass selbst seit langer Zeit ruhende Verwerfungen durch die Wärmeentwicklung im Tiefenlager reaktiviert werden könnten, was zu Erdbeben und/oder schnellen Austrittspfaden für Radionuklide führen würde. Die Reaktivierung der Verwerfungen durch die Wärme könnte bereits innerhalb der ersten 1000 Jahre geschehen. Auch zukünftige Vereisungen könnten Verwerfungen im Tiefenlagerbereich beeinflussen, selbst wenn eine Eisdecke in einiger Entfernung vom geplanten Tiefenlagerstandort liegt. (Während der letzten Million Jahre gab es mindestens sechs bedeutende Eiszeiten.) Darüber hinaus wird zunehmend anerkannt, dass die Rolle von unterirdischen Bakterien und Pilzen bei kritischen chemischen Reaktionen nur unvollständig verstanden wird. Unzureichend verstandene chemische Effekte, wie die Bildung von Kolloiden, könnten den Transport von gewissen radiotoxischen Elementen wie Plutonium zusätzlich beschleunigen.

Unzureichende Modelle

Zwar werden die Computermodelle für die im Gestein stattfindenden Prozesse immer ausgefeilter. Trotzdem bestehen nach wie vor grundlegende Schwierigkeiten bei der Vorhersage der relevanten (geo-)chemischen Reaktionen sowie der komplexen gekoppelten Prozesse über die erforderlichen langen Zeiträume. Dazu gehören die Auswirkungen von Wärme, mechanische Verformung, der Einfluss von Mikroben, sich verändernde Chemie und gekoppelter Gas- und Wasserströmung durch heterogene und gebrochene Tonschichten. Entsprechend liefern die Modelle je nach getroffenen Annahmen und vordefinierten Ausgangsbedingungen unterschiedliche Ergebnisse. Eine Studie zur Überprüfung von Modellen zur Abschätzung des Radionuklidflusses durch gebrochene Gesteinsschichten kam zum Ergebnis, dass deren Unsicherheiten auf diverse Faktoren zurückzuführen sind. Namentlich sind dies:

• die inhärente Komplexität der gebrochenen Formationen

• die Unzuverlässigkeit der Parameter

• die riesigen Datenmengen

• die zugrundeliegenden konzeptionellmathematischen Rahmenbedingungen

• die Unsicherheiten bei multidisziplinären Grundlagen

• die unklaren Szenarien, unter denen ein System voraussichtlich betrieben wird.

Kurz: Die Aussagekraft der gegenwärtigen Modelle wird überschätzt.

Zweifel am Mehrbarrierenkonzept

Bei Tiefenlagern gilt das «Mehrbarrierenkonzept», das davon ausgeht, dass jede Barriere – Abfallbehälter, Verfüllmaterial und Wirtsgestein – beim Einschluss der HAA unabhängig wirkt. Doch

die von den einzelnen Barrieren ausgehenden Prozesse können miteinander interagieren und das «Mehrbarrierenkonzept» auf verschiedene Weise untergraben. Beispielsweise erzeugt die Korrosion der Behälter und der Abfälle Gase, die sowohl die Bentonitbarriere als auch das umgebende Gestein beschädigen und Radionuklide an die Oberfläche transportieren können. Mineralische Veränderungen des Bentonits verursacht durch Hitze, Mikroben und Zementwasser können dazu führen, dass er seine Schutzwirkung auf die Behälter vor Korrosion oder Beschädigungen durch hohe Spannungen im umgebenden Gestein verlieren kann. Zudem können auch andere Produkte aus der Korrosion der Stahlbehälter die Puffereigenschaften des Bentonits reduzieren, sodass Radionuklide schneller entweichen. Chinesische Forschende kommen zur für die Schweiz bedenklichen Erkenntnis, dass sich Stahlbehälter nicht für ein geologisches Tiefenlager eignen.

Die Sicherheit des Tiefenlagers ist nicht garantiert

In Anbetracht dieser vielfältigen, sich teilweise gegenseitig verstärkenden Unsicherheiten kann beim gegenwärtigen Schweizer Lagerkonzept für HAA ein Austritt von gesundheitlich relevanten Mengen Radioaktivität nicht ausgeschlossen werden. Der Bericht warnt darum vor vorschnellen Entscheidungen.

Schematische Darstellung von bisher zu wenig berücksichtigen Prozessen, die zu einem beschleunigten Austritt von Radioaktivität ins Grundwasser und die Umwelt führen könnten.

1 Jeder Eingriff stört die Geologie

2 Die Zerfallswärme senkt die Barrierewirkung des Tongesteins

3 Die Zerfallswärme hebt das darüberliegende Gestein an und kann Brüche und Spalten erzeugen

4 Die Stahlbehälter korrodieren und setzen Wasserstoff frei

5 Das Zementwasser (gepaart mit Hitze, Radioaktivität und Mikroben) beeinträchtigt die Quellfähigkeit von Tongestein und Bentonit

6 Ruhende Verwerfungen können reaktiviert werden

7 Kolloide können den Transport von Radionukliden beschleunigen

8 Mineralische Veränderungen des Bentonits beeinträchtigen dessen Schutzwirkung gegen Spannungen im Gestein

Alternative Lagerkonzepte noch kaum geprüft

In Anbetracht der signifikanten Unsicherheiten im Hinblick auf eine Tiefenlagerung von hochradioaktivem Abfall aus Atomkraftwerken in Nördlich Lägern stellt der Bericht alternative Konzepte zur deren Lagerung kurz vor:

Trockenlager

Ähnlich wie dies die Schweiz in Würenlingen bereits praktiziert, bieten Trockenlager an der Erdoberfläche eine einigermassen sichere Möglichkeit, HAA über einen Zeitraum von einem Jahrhundert oder länger zwischenzulagern. Dank der passiven Kühlung ist dazu nur wenig Aufwand nötig. So bleibt mehr Zeit, um nach einer besseren Lösung für die Langzeitlagerung zu suchen. Zudem nimmt die Wärmeentwicklung der Abfälle mit der Zeit ab, was eine Langzeitlagerung vereinfachen könnte. Aktuell hat die Niederlande diesen Weg gewählt.

Extrem tiefe Bohrlöcher

Bohrungen bis auf 5000 m Tiefe zur Entsorgung der HAA könnten gegenüber dem aktuell in der Schweiz diskutierten Tiefenlager mehrere Vorteile bieten: Erstens ist die Durchlässigkeit des

Gesteins in dieser Tiefe um mehrere Magnituden geringer und es existieren Zonen, die seit Millionen von Jahren vom Grundwasser isoliert sind. Dies würde ein Entweichen der Radionuklide massiv erschweren. Zweitens ist die Wahrscheinlichkeit viel geringer, dass Menschen in ferner Zukunft die Lagerstätte anbohren. Drittens kann dank einer grösseren Distanz zwischen den einzelnen Bohrlöchern resp. den Lagerbehältern eine zu starke Wärmeentwicklung vermieden werden. Zudem könnte sich die Methode unter dem Strich als günstiger erweisen als der komplexe Bau eines Tiefenlagers.

Warnung vor vorschneller Entscheidung

In Anbetracht der Tatsache, dass noch längst nicht alle Optionen zur langfristigen Entsorgung der radioaktiven Abfälle erforscht und evaluiert wurden, wäre es gemäss Bericht fahrlässig, sich bereits jetzt auf eine finale Lösung festzulegen.

Sichtbarer Teil des Tiefenlagers an der Erdoberfläche nach Vorstellungen der Nagra.

am Tiefenlager-Konzept

Schlussfolgerungen im Kontext der Schweizer Energiepolitik: Zweifel

Der Bericht «Rock Solid? A scientific review of geological disposal of high-level radioactive waste» macht deutlich, dass aktuelle Modelle und Berechnungen der Komplexität der Aufgabe, HAA während einer Million Jahre sicher von Mensch und Umwelt fernzuhalten, nicht gewachsen sind. Entsprechend bleiben viele elementare Fragen hinsichtlich der Tiefenlagerung von HAA ungelöst.

Der Bericht legt insbesondere dar, dass offenkundige Zweifel am Schweizer Konzept für ein Tiefenlager in Tongestein bestehen. Die Auswertung von über 800 wissenschaftlichen Artikel aus anerkannten Fachzeitschriften zeigt eine Reihe von Szenarien auf, bei denen es zu einer erheblichen Freisetzung von Radioaktivität aus einem geologischen Tiefenlager kommen könnte. Dies hätte schwerwiegende Folgen für die Gesundheit und Sicherheit künftiger Generationen. Die im Bericht beschriebenen Gefahren und offenkundigen Wissenslücken machen deutlich, dass die Sicherheitsanforderungen an ein Tiefenlager für HAA in Nördlich Lägern gegenwärtig nicht erfüllt sind.

Umso mehr irritiert, mit welcher Gewissheit atomfreundliche Expert:innen für die Sicherheit des Schweizer Tiefenlagers einstehen. Es entsteht der Eindruck, als möchte der Bund der Bevölkerung aus finanziellen und politischen Gründen so rasch wie möglich ein finales Konzept präsentieren.

Entsorgungsnachweis muss hinterfragt werden

Die wissenschaftlich-technische Machbarkeit der sicheren Langzeitlagerung ist eine gesetzliche Pflicht, sowohl für den Neubau eines Atomkraftwerks, wie für den Weiterbetrieb der bestehenden Reaktoren (Art. 13d und 106 Abs. 2 KEG). 2002 reichte die Nagra den Entsorgungsnachweis von HAA im Opalinuston des Zürcher Weinlandes ein.

Der Bundesrat hat den von der Nagra erbrachten Entsorgungsnachweises zwar 2006 gutgeheissen. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass die bundesrätliche Gutheissung ein rein politischer Entscheid war, um den Weiterbetrieb der bestehenden AKW zu ermöglichen und den Weg für einen allfälligen Neubau zu ebnen. Denn rund zwanzig Jahre später wird in Anbetracht der im Bericht vorgebrachten wissenschaftlichen Fakten deutlich, dass die wissenschaftlich-technische Machbarkeit der sicheren Langzeitlagerung von HAA in einem Tiefenlager in Tonstein nicht gegeben ist. Ein Weiterbetrieb und allem voran die Diskussion über den allfälligen Neubau eines AKW sind nach aktuellem Stand der Wissenschaft unzulässig. Es gibt weltweit keine langfristig sichere Lösung zur Entsorgung des Atommülls.

Forderungen

Gestützt auf die Erkenntnisse des Berichts stellt Greenpeace Schweiz folgende Forderungen an den Bund:

• Die Entwicklung und Festlegung eines Schweizer Entsorgungskonzepts für HAA muss solange sistiert werden, bis alle offenen Fragen hinsichtlich der (zu raschen) Freisetzung von Radionukliden restlos geklärt sind. Solange die Wirkung der geplanten Schutzmassnahmen nicht vollständig garantiert ist, macht eine weitere Planung und Konkretisierung des von der Nagra vorgeschlagenen Tiefenlagers in Nördlich Lägern nicht nur keinen Sinn, sondern wäre schlicht fahrlässig.

• Solange es keine erwiesene Lösung für die sichere Lagerung von Atommüll gibt, muss dessen Produktion stoppen. Die Diskussion um neue Atomkraftwerke ist, allein aus diesem Grund, nicht opportun.

• Der Entsorgungsnachweis muss vom Bundesrat zurückgezogen werden. Als Folge davon muss die Ausserbetriebnahme der bestehenden AKW verbindlich geplant werden, um die Entstehung von weiterem HAA zu vermeiden.

Mit einem übergrossen Atomfass in der Rheinschlucht machen Greenpeace-Aktivist:innen auf das ungelöste Atommüllproblem aufmerksam.

Impressum

Rock Solid? Die ungelöste Atommüllfrage Greenpeace Schweiz, November 2025

Das Factsheet basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen des Reports «Rock solid? A scientific review of geological disposal of high-level radioactive waste» von Helen Wallace, GeneWatch, UK, November 2025.

Autor: Nathan Solothurnmann, Florian Kasser

Korrektorat: Yvonne Anliker

Layout: Melanie Cadisch

Fotos: © Marc Meier / Greenpeace (Cover, S. 9), Nagra (S. 4+7), Nagra und Greenpeace (S. 6)

Greenpeace Schweiz, Badenerstrasse 171, Postfach 9320, CH-8036 Zürich schweiz@greenpeace.org

Greenpeace finanziert ihre Umweltarbeit ausschliesslich durch Spenden von Privatpersonen und Stiftungen. greenpeace.ch/de/handeln/spenden Spendenkonto: IBAN CH07 0900 0000 8000 6222 8

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