KrÀmer . Harmonielehre im Selbststudium
THOMAS KRĂMER
Harmonielehre im Selbststudium
BV 261
ISBN 978-3-7651-0261-5
9., korrigierte Auflage 2023
© 1991/2019 by Breitkopf & HÀrtel, Wiesbaden Alle Rechte vorbehalten
Satz: Dinges & Frick, Wiesbaden
Druck: Memminger MedienCentrum AG, Memmingen
Vorwort
Wenn an der Schwelle zum 21. Jahrhundert eine âHarmonielehre im Selbststudiumâ erscheint und ihre Themenstellung aus der Musik zwischen 1600 und 1900 herleitet, so muss sich die Frage nach der Berechtigung einer solchen Publik ation aufdrĂ€ngen.
Dabei gibt eine Antwort auf diese Frage unsere Zeit selbst: das g Ă€ngige Konzertrepertoire entstammt zum ĂŒberwiegenden Teil dem Zeitraum zwischen 1600 und 1900, und dies hat zur Folge, dass auch die musik alische Berufs ausbildung sich an jenem Zeitraum orientiert Hinzu kommt, dass das erhaltens- und pflegenswerte Liedgut aus dem Choral- und Volksliedbereich in jenen Jahren der Musikgeschichte anzusiedeln ist und dass auch in unserem Jahrhundert Elemente der Tonsprache jener Zeit nicht verloren geg angen sind, vielmehr etwa im Bereich der âPopularmusikâ sich verstĂ€rkt wiederfinden.
Es gibt aber eine weitere Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit des Studiums der klassischen Harmonielehre. Diether de la Motte hat in seiner âHarmonielehreâ (1976) den Versuch unternommen, die Tonsprache unter dem Aspekt des Wandels der Zeiten neu zu ordnen Dieser Ans atz ist richtig und notwendig.
Es setzt aber voraus, dass eine Tonsprache beherrscht wird, die ich in ihrer Bedeutung mit der âMutterspracheâ gleichsetzen möchte Der Erwerb jener Muttersprache jedoch, die in der Beachtung von Regeln, Gesetzen und Verboten Komponisten wie Josquin mit Brahms, Palestrina und Mendelssohn, Bach mit Reger eint, ist Hauptgegenstand der vorliegenden Konzeption; das Aneignen von Basiswissen hat Vorrang vor einer â sicherlich notwendigen âstilistischen Differenzierung
Der Schwerpunkt der vorliegenden Harmonielehre liegt im Aspekt des Selbststudiums. Zwar ist bek annt, dass die korrigierende Hand des Lehrers durch nichts zu ersetzen ist; andererseits verfolgt der Aufbau des Buches die Absicht, schrittweise und gezielt methodisch durchdacht zur Eigenarbeit anzuleiten. Dass dabei gleichzeitig eine systematische Gliederung des Stoffes als mögliche Handreichung fĂŒr den Lehrer entstanden ist, war ein von vornherein geplanter Seiteneffekt; auch k ann das Buch jederzeit im Unterricht Verwendung finden.
Da sich alle Fragestellungen im s atztechnischen Bereich am Choral und am Volkslied orientieren, wurde auf Themenbereiche wie Alteration, Medianten oder Modulation bewusst verzichtet Ein Volkslied mit tiefalterierter Quinte harmonisieren zu wollen, wĂ€re ebenso unsinnig wie das Darstellen von Modulationstechniken mittels choralhaft empfundener Beispiele. Die BeschrĂ€nkung auf das Vermitteln von Basiswissen hat den âVerzicht auf ... â notwendigerweise zur Folge
Ein erfolgreiches Durcharbeiten der einzelnen Kapitel setzt Grundkenntnisse im Bereich der âAllgemeinen Musiklehreâ voraus Das Kapitel 1, âGrundlagen der Allgemeinen Musiklehreâ, dient lediglich dazu, die fĂŒr die Harmonielehre besonders wichtigen Inhalte zu bĂŒndeln und in knapper Form zus ammenzufassen Zum vertiefenden Studium sei Erich Wolfs âAllgemeine Musiklehreâ empfohlen.
Das Buch in der nun vorliegenden Form wĂ€re ohne manchen stillen Mithelfer nicht zustande gekommen. Ihnen allen sei Dank, allen voran Herrn Dr. Gerd Sievers fĂŒr seine redaktionelle Betreuung Seine ebenso unermĂŒdlichen wie geduldigen RatschlĂ€ge haben geholfen, manche UnzulĂ€nglichkeiten zu beseitigen. Dank gebĂŒhrt auch meinen ungezĂ€hlten MusiktheorieschĂŒlern an der Musikschule GĂŒtersloh und an den Musikhochschulen Detmold und SaarbrĂŒcken. Ihrer Erinnerung und einem Motto Arnold Schönbergs sei das Buch gewidmet. Schönberg stellt an den Beginn seiner âHarmonielehreâ (1911) den Satz: âDieses Buch habe ich von meinen SchĂŒlern gelernt.â Ich habe dem nichts hinzuzufĂŒgen.
SaarbrĂŒcken, Herbst 1990
Thomas KrÀmerVorwort zur Neuausg abe
Vorwort zur 7. Auflage
Vorwort zur 9. Auflage
Nahezu 34 Jahre sind seit dem Erscheinen meiner âHarmonielehre im Selbststudiumâ vergangen und anscheinend erfreut sich das Buch ungebrochener Beliebtheit. Mit der 4. Auflage wurden 2006 zahlreiche Ănderungen vorgenommen. Insbesondere erhöhte sich die Anzahl der Aufgabentypen B., um die Möglichkeit der Selbstkontrolle durch den Vergleich mit dem Lösungsteil zu verbessern.
15 Jahre sind seit dem Erscheinen meiner âHarmonielehre im Selbststudiumâ verg angen, wobei bis zur 3 Auflage des Buches nur marginale Ănderungen vorgenommen wurden
WĂ€hrend dieser Jahre habe ich jedoch etliche Anregungen von Kollegen, Studierenden und insbesondere von Benutzern aus dem Umkreis der musizierenden Laien ges ammelt Die Anregungen bezogen sich vorrangig auf die Liedauswahl, aber auch auf den Aspekt der Eigenarbeit, der manchem als zu wenig akzentuiert erscheinen wollte
Es ist daher dem Verlag zu danken, dass er sich entschloss, mit der vorliegenden 4. Auflage eine stark ĂŒberarbeitete Neufassung vorzulegen. Die Ănderungen finden sich mit Schwerpunkt auf dem Gebiet der zu bearbeitenden Lieder, stammen diese nun noch mehr aus den Bereichen des Volksliedes, des populĂ€ren Liedes und des Spirituals.
25 Jahre sind seit dem Erscheinen meiner âHarmonielehre im Selbststudiumâ vergangen und anscheinend erfreut sich das Buch einer ungebrochenen Beliebtheit. Vor zehn Jahren wurden mit der 4. Auflage zahlreiche Ănderungen vorgenommen; insbesondere erhöhte sich die Anzahl der Aufgabentypen B., um die Möglichkeit der Selbstkontrolle durch den Vergleich mit dem Lösungsteil nachhaltig zu verbessern. Ganz offensichtlich aber gibt es zusĂ€tzlich den dringenden Wunsch vieler Leser, nach intensiver Eigenarbeit mit meiner âHarmonielehreâ auch eine RĂŒckmeldung zu den etwas anspruchsvolleren Aufgabentypen C. und D. zu erhalten, die ja im Buch selber nicht gelöst sind, um seine Verwendbarkeit im Unterricht zu sichern. Deshalb wird der Verlag nunmehr meine âPraktischen HarmonieĂŒbungenâ (BV 479) herausgeben, ein umfangreiches Arbeitsbuch mit Aufgaben und Lösungen, das auch Orientierungsmodelle zu allen Aufgabentypen C. und D. der vorliegenden âHarmonielehreâ enthĂ€lt. Damit gehen Autor und Verlag auf vielfĂ€ltige Anregungen und WĂŒnsche ein, die von auĂen an sie herangetragen wurden.
Ganz offensichtlich aber gibt es den dringenden Wunsch vieler Leser, zusĂ€tzlich auch eine RĂŒckmeldung zu den anspruchsvolleren Aufgabentypen C. und D. zu erhalten. Diese Aufgaben blieben bewusst ohne LösungsvorschlĂ€ge, um die EinsatzfĂ€higkeit des Buches im Unterricht zu sichern. Nun hat in der Zwischenzeit der Verlag meine âPraktischen HarmonieĂŒbungenâ (BV 479) herausgegeben. Dieses umfangreiche Arbeitsbuch mit etlichen Aufgaben und Lösungen wurde als Begleitwerk zu meiner âHarmonielehreâ konzipiert und enthĂ€lt jetzt auch Lösungsmodelle zu den Aufgabentypen C. und D. Damit sind Autor und Verlag auf vielfĂ€ltige Anregungen und WĂŒnsche eingegangen, die von auĂen an sie herangetragen wurden.
Ganz wesentlich wurde aber in der 4 Auflage auch der Aspekt des Selbststudiums erweitert So ist die Anzahl der Aufg abentypen âBâ stark angewachsen und damit die Möglichkeit der Selbstkontrolle durch den Vergleich mit dem Lösungsteil nachhaltig verbessert worden Umso mehr wird die âHarmonielehre im Selbststudiumâ auch weiterhin eine erfolgreiche Verwendung als Arbeitsgrundlage im Unterricht finden können.
In der nunmehr 7. Auflage meiner âHarmonielehreâ wurden kleinere Fehler korrigiert und einige Unstimmigkeiten beseitigt, des Weiteren wurde ihre Verwendbarkeit mit den âPraktischen HarmonieĂŒbungenâ synchronisiert. Neu sind die drei Verzeichnisse und die Literaturempfehlungen im Anhang.
Keine Ănderung dagegen hat das nach wie vor stimmige methodische Konzept meines Buches erfahren. Wer nun allerdings nach einer Erweiterung des Stoffes von âHarmonielehreâ sucht, ist mit meinem âLehrbuch der harmonischen Analyseâ (BV 305) bestens fĂŒr ein umfassendes Studium des Ges amtkomplexes der traditionellen Harmonielehre gerĂŒstet. Und wer eine Ausleuchtung und ErlĂ€uterung zentraler Begriffe der Musiktheorie wĂŒnscht, dem sei das âLexikon Musiktheorieâ (Thomas KrĂ€mer/ Manfred Dings, BV 370) empfohlen.
In der vorliegenden 9. Auflage wurden kleinere Fehler korrigiert und einige Unstimmigkeiten beseitigt. Des Weiteren wurde die Verwendbarkeit des Buches mit den âPraktischen HarmonieĂŒbungenâ synchronisiert.
Keine Ănderung hat das nach wie vor stimmige methodische Konzept meines Buches erfahren. Wer dennoch nach einer vertiefenden Erweiterung des umfangreichen Stoffes von âHarmonielehreâ sucht, ist seit Jahren mit meinem âLehrbuch der harmonischen Analyseâ (BV 305) bestens fĂŒr ein umfassendes Studium gerĂŒstet. Und wer eine anschauliche Darstellung sowie eine kurze ErlĂ€uterung zentraler Begriffe der Musiktheorie wĂŒnscht, dem sei das âLexikon Musiktheorieâ
SaarbrĂŒcken, Sommer 2006 Thomas KrĂ€mer
(Thomas KrÀmer/Manfred Dings, BV 370) empfohlen.
Keine Ănderung hat das nach wie vor stimmige methodische Konzept des Buches erfahren. Wer nach einer vertiefenden Abrundung des umfangreichen Stoffes von âHarmonielehreâ sucht, ist seit Jahren mit meinem âLehrbuch der harmonischen Analyseâ (BV 305) bestens fĂŒr ein umfassendes Studium gerĂŒstet. Und wer eine anschauliche Darstellung sowie eine kurze ErlĂ€uterung zentraler Begriffe der Musiktheorie wĂŒnscht, dem sei das âLexikon Musiktheorieâ (Thomas KrĂ€mer/Manfred Dings, BV 370) empfohlen.
SaarbrĂŒcken, Herbst 2016
Thomas KrĂ€merSaarbrĂŒcken, im FrĂŒhjahr 2023 Thomas KrĂ€mer
Arbeits anleitung
FĂŒr das erfolgreiche Durcharbeiten der einzelnen Kapitel sollten folgende Punkte beachtet werden:
1. Jedes Kapitel ist so aufgebaut, dass es als eine Lerneinheit erarbeitet werden kann.
Besonders wichtige Hinweise und markante Merks Àtze sind mit gekennzeichnet
Es empfiehlt sich, diese Hinweise in einer gesonderten Ăbersicht zus ammenzutragen, damit bei Bedarf auf sie zurĂŒckgegriffen werden k ann.
Das Wesentliche ist am Schluss eines jeden Kapitels in besonders knapper Form zus ammen gefasst. Diese umrahmten Zus ammenfassungen sollte sich der SchĂŒler nach Möglichkeit einprĂ€gen
2 Vom 4 Kapitel an enthÀlt jede Lerneinheit vier Aufg abentypen
Aufg abentyp A zur Analyse gedacht: in der Regel sollen hier Funktionssymbole eingetragen werden,
Aufg abentyp B s atztechnischer Art: sollte unbedingt gelöst werden können (mit Lösung im Lösungsteil),
Aufg abentyp C s atztechnischer Art mit gesteigertem Schwierigkeitsgrad: sollte gelöst werden können (ohne Lösung im Lösungsteil),
Aufg abentyp D Zus atzaufg aben s atztechnischer Art: könnten im Unterricht Verwendung finden (ohne Lösung im Lösungsteil).
Eine wirklich erfolgreiche Arbeit ist nur dann gewÀhrleistet, wenn die Aufg abentypen A und B (dem jeweiligen Vorschlag der Lösungsschritte folgend) zunÀchst völlig selbststÀndig gelöst werden. Erst danach empfiehlt sich ein Vergleich mit den VorschlÀgen im Lösungsteil.
3. Damit der Aufg abenteil immer wieder verwendet werden k ann, ist das Abschreiben der Aufg abentypen B bis D (Notenpapier!) dringend anzuraten
Die Kontrolle der eigenen Arbeit durch Singen der einzelnen Stimme und das Hören der erzielten Ergebnisse durch Nachspielen (Tasteninstrument!) ist derart wichtig, dass es als unabdingbarer Bestandteil einer jeden Aufg abe angesehen werden muss
1. Grundlagen der Allgemeinen Musiklehre
Die heute gebrÀuchliche Notenschrift ist ein Versuch, die vielfÀltigen Klangereignisse in der Musik mit allgemein verstÀndlichen Zeichen, Symbolen und sonstigen Anordnungen schriftlich zu fixieren
Seit Beginn der ersten Notationsbestrebungen, die bis in die griechische Antike zurĂŒckgehen, ist die Notenschrift dabei immer ein in seiner DarstellungsfĂ€higkeit begrenzter Mittler zwischen der Klangidee des Komponisten und der praktischen AusfĂŒhrung durch den Interpreten gewesen
Die Ausg angsbasis fĂŒr die Notierung von musik alischen Klangfolgen ist seit ca. 1000 n. Chr. das fĂŒnflinige Notensystem.
Das gleichzeitige Erklingen mehrerer musik alischer Stimmen verlangt das Zus ammenfassen der dann benötigten Notensysteme durch die Akkolade.
FĂŒr die verschiedenen Parameter in der Musik (wie Tonhöhe, Tondauer, TonstĂ€rke, Tempo, Ausdruck, Artikulation) werden jeweils eigenstĂ€ndige Symbole verwendet, die sich in teils langen geschichtlichen Prozessen herausgebildet haben.
Die Notierung der Tonhöhe stĂŒtzt sich zunĂ€chst auf die Stammtöne (c d e f g a h), die mittels eines Kreuzes ( # ) um einen Halbton erhöht und mittels eines Be ( b) um einen Halbton erniedrigt werden können Auch GanztonverĂ€nderungen der Stammtöne durch ein Doppelkreuz (âč) und Doppel-Be ( â«) sind möglich. Diese Erhöhungen und Erniedrigungen gelten stets nur fĂŒr die bezeichnete Oktavlage und fĂŒr die Dauer eines Taktes.
Ein Auflösungszeichen ( n ) macht die vorgenommenen VerĂ€nderungen rĂŒckg Ă€ngig
Die Stammtöne werden unter dem Gesichtspunkt der Ordnung des gesamten Tonspektrums (tief/hoch) in Registerlagen eingeteilt, wobei sich 7 gebrÀuchliche Oktavlagen ergeben
Da die Verwendung zu vieler zus Ă€tzlicher Hilfslinien die Notation unĂŒbersichtlich macht, k ann man die Oktavierung nach oben durch 8 . . . . (ottava) und nach unten durch 8va bassa (ottava bass a) fordern.
Die Festlegung der Tonhöhe und damit die Benennung der Töne geschieht durch SchlĂŒssel am Anfang des Notensystems
Am gebrĂ€uchlichsten sind der G- oder ViolinschlĂŒssel (&), der die Note auf der zweituntersten Linie als g ÂŽ fixiert, und der BassschlĂŒssel ( ? ), der die Note auf der zweitobersten Linie als f festlegt.
Die C- SchlĂŒssel bestimmen den Ton c und werden vor allem als AltschlĂŒssel (Viola [Bratsche], Altpos aune) und als TenorschlĂŒssel (Violoncello, Fagott, Tenorpos aune) eingesetzt.
Die Notation der Tondauer ist zunĂ€chst abhĂ€ngig vom Grundschlag, auch Metrum genannt. Durch die Fixierung des Metrums wird das Tempo bestimmt, das fĂŒr jedes MusikstĂŒck individuell festzulegen ist.
Dabei stĂŒtzt man sich seit 1816 auf das âMĂ€lzelsche Metronomâ (M M q = 60 bedeutet: 60 SchlĂ€ge [ViertelnotenschlĂ€ge] in der Minute, also SekundschlĂ€ge, M.M. q = 80 bedeutet demnach: 80 ViertelgrundschlĂ€ge in der Minute.)
Im Gefolge der Festlegung des Metrums ergibt sich als Ă€uĂere Einteilung des Grundschlags der Takt (lat. Tactus = Schlag, BerĂŒhrung). Die Taktart und damit die Anzahl der GrundschlĂ€ge innerhalb des Taktes sowie die MaĂeinheit werden zu Beginn festgelegt (
usw )
Ein Takt als ZÀhlzeitengruppe wird in schwere und leichte SchlagzÀhlzeiten eingeteilt, wobei der erste Schlag nach dem Taktstrich, die HauptzÀhlzeit, die 1, von besonderer Betonung ist
Die konkrete Festlegung der Tondauer und damit die innerhalb des vorgegebenen Metrums zugrunde liegende Gliederung des ZeitmaĂes erfolgt durch Noten- und Pausenwerte. Durch die rhythmische Gestaltung, also durch das Prinzip von LĂ€nge und KĂŒrze der Noten und Pausen, erfĂ€hrt das gleichbleibende Metrum seine Belebung.
Beispiel 1.5. â Heute gebrĂ€uchliche Noten- und Pausenwerte
Ganze Noten
Halbe Noten
Viertelnote
Achtelnote
Sechzehntelnote
Ganze Pause
Halbe Pause
Viertelpause
Achtelpause
Sechzehntelpause
Neben den in Beispiel 1.5. dargestellten rhythmischen Grundformen gibt es weitere Möglichkeiten der Tondauerbestimmung. So verlÀngert ein Punkt hinter einer Note oder einer Pause (VerlÀngerungs- oder Augmentationspunkt) diese um die HÀlfte ihres Wertes.
Beispiel 1.6. â VerlĂ€ngerung der Noten- und Pausenwerte durch den Punkt
Die Klangbestimmung des Tonesselber, seine FĂ€rbung und seine IntensitĂ€t, wird bestimmt durch die physikalische Zusammensetzung. So erklingt neben dem Hauptton eine ĂŒber diesem angeordnete Reihe von Obertönen (Partialtönen), die je nach Tonerzeuger verschieden stark mitklingen, vom Hörer jedoch nur unbewusst wahrgenommen werden. Diese Obertonreihe ist ĂŒber jedem Ton angeordnet und hat den immer gleichen, rechnerisch unendlichen Aufbau: die AbstĂ€nde der Obertöne zueinander werden immer kleiner.
Beispiel 1.7. â Obertonreihe auf C
4 Grundlagen der Allgemeinen Musiklehre
Zur Anpassung der Naturgegebenheit musikalischer Töne an die Erfordernisse der Musikpraxis hat es schon zur Zeit der griechischen Antike Versuche systematischer Ordnungen gegeben.
Im pythagoreischen System der Quintverwandtschaft sind alle Quinten rein gestimmt, entsprechen also den VerhÀltnissen, wie sie der Obertonreihe eines jeden Tones zu entnehmen sind.
Beispiel 1.8. â Reine Quinte in der Obertonreihe (2. und 3. Teilton)
Leseprobe
WĂŒrde man 12 nach dem pythagoreischen System errechnete reine Quinten aufeinander schichten, so ergĂ€be sich:
Beispiel 1.9. â 12 reine Quinten auf C2
12 Quinten:
Schichtet man vom gleichen Ausgangston 7 reine Oktaven aufeinander, so ergibt sich:
Beispiel 1.10. â 7 reine Oktaven auf C2
7 Oktaven:
Vergleicht man den in Beispiel 1.9. erreichten Ton hisÂŽÂŽÂŽmit dem in Beispiel 1.10. erreichten Ton cÂŽÂŽÂŽÂŽ, so ergibt sich eine geringfĂŒgige Abweichung: der Ton hisÂŽÂŽÂŽdes Beispiels 1.9. ist um etwa ein Viertel eines Halbtones höher als der Ton cÂŽÂŽÂŽÂŽ des Beispiels 1.10.
Der Unterschied betrÀgt (3: 2)12 :(2:1)7 = 129,74634:128 = 1,0136433.
Diese Differenz (z 74:73) wird pythagoreisches Komma genannt und ist die Ursache dafĂŒr, dass das pythagoreische System sich nicht schlieĂt.
Um diesen Mangel zu beseitigen und ein fĂŒr den gesamten Tonvorrat und fĂŒr alle Tonarten gleichermaĂen brauchbares Tonsystem zu schaffen, teilte Andreas Werckmeister 1691 in der von ihm erdachten temperierten Stimmung die reine Oktave in 12 gleiche Teile (Ăquidistanz der Töne).
Dies hat zwar zur Folge, dass die Tonbeziehungen untereinander mit Ausnahme der Oktaven nicht mehr rein â im mathematischen Sinne also verstimmt â sind; doch ĂŒberwiegt der Vorteil, dass aufgrund der IdentitĂ€t der Oktave in allen Lagen ein geschlossenes System von in allen Tonarten gleichermaĂen brauchbaren Tönen entsteht.
(Das Aufkommen der temperierten Stimmung war fĂŒr J. S. Bach immerhin Anlass, zwei Zyklen des âWohltemperierten Klaviersâ in allen nun brauchbar gewordenen und damit gleichberechtigt nebeneinander stehenden Dur- und Molltonarten zu komponieren.)
Leseprobe
Intervalle
Der Begriff âIntervallâ beinhaltet nicht nur den Abstand zweier zusammen oder nacheinander klingender Töne, er umfasst auch die vielfĂ€ltigen Beziehungen, die zwei Töne miteinander eingehen können.
Man unterscheidet in der Intervalllehre:
a.das Distanzprinzip
b.das KomplementÀrprinzip
c.das Enharmonikprinzip
d.das Klangprinzip
a. Das Distanzprinzip
Das Distanzprinzip handelt vom Abstand zweier Töne zueinander. Die in der Musik gebrĂ€uchlichen Intervallbezeichungen gehen auf lateinische Ordnungszahlen zurĂŒck und meinen grundsĂ€tzlich die Distanz zweier Stammtöne zueinander. So bedeutet Sekunde (lat. secundus = der zweite): der zweite Stammton vom Ausgangston, wenn man diesen mitzĂ€hlt.
Innerhalb der Oktave werden grundsÀtzlich unterschieden:
Reine Intervalle â Prime, Quarte, Quinte und Oktave (diese Intervalle können nicht klein oder groĂ sein),
Kleine und groĂe Intervalle â Sekunden, Terzen, Sexten und Septimen (zwischen âgroĂâ und âkleinâ ist jeweils eine halbe Stufe, ein sogenannter Halbton, Unterschied), ĂbermĂ€Ăige und verminderte Intervalle â alle reinen, kleinen und groĂen Intervalle, die durch Vorzeichen zusĂ€tzlich erhöht oder erniedrigt werden.
Beispiel 1.11. â Distanzprinzip der Intervalle bis zur Oktave
Reine Intervalle
Kleine und groĂe Intervalle
ĂbermĂ€Ăige Intervalle (Ă)
âTritonusâ*
* Tritonus â eigenstĂ€ndige Bezeichnung fĂŒr die ĂŒbermĂ€Ăige Quarte, Abstand von 3 Ganztönen
Verminderte Intervalle (V)
Bedingt durch die in der temperierten Stimmung vorgegebenen Ăquidistanz der Töne innerhalb der Oktave ergeben sich oberhalb des Oktavrahmens keine neuen VerhĂ€ltnisse. Das Distanzprinzip der Intervalle oberhalb der Oktave wird nach der Formel âOktave + âŠâ fortgesetzt, wobei bis zur âOktave + Quinteâ eigenstĂ€ndige Bezeichnungen ĂŒblich sind:
Oktave + kleine Sekunde = kleine None
Oktave + groĂe Sekunde = groĂe None
Oktave + kleine Terz = kleine Dezime
Oktave + groĂe Terz = groĂe Dezime
Oktave + Quarte = Undezime
Oktave + Quinte = Duodezime
Leseprobe Sample
Beispiel 1.12. â GebrĂ€uchliche Intervallbezeichnungen oberhalb der Oktave
b. Das KomplementÀrprinzip
Das KomplementÀrprinzip ordnet die Intervalle unter dem Gesichtspunkt ihrer gegenseitigen ErgÀnzung zur Oktave (lat.-frz. komplementÀr = sich gegenseitig ergÀnzend).
Dabei ergÀnzen einander:rein und rein
klein und groĂ
ĂŒbermĂ€Ăig und vermindert
Prime und Oktave
Sekunde und Septime
Terz und Sexte
Quarte und Quinte
Sexte und Terz
Septime und Sekunde
Oktave und Prime
Leseprobe
c. Das Enharmonikprinzip
Unter âEnharmonikâ wird die verschiedene Notierung und Benennung von Tönen verstanden, die aufgrund der temperierten Stimmung gleich klingen. Die notationsmĂ€Ăige Umbenennung zweier gleich klingender Töne wird âenharmonische Verwechslungâ genannt.
In der Intervalllehre werden all jene Intervalle dem Enharmonikprinzip zugeordnet, die verschieden notiert werden und dennoch gleich klingen.
Beispiel 1.14.
Beispiel 1.15. â Auswahl von enharmonisch verwechselbaren Intervallen
d. Das Klangprinzip
Das Klangprinzip ordnet die Intervalle nach dem Gesichtspunkt ihrer harmonischen StabilitÀt bzw. InstabilitÀt. Dabei unterscheidet man konsonante und dissonante Intervalle
Zu den konsonanten Intervallen (lat. consonare = zusammenklingen) rechnen Tonbeziehungen, die einen hohen Verschmelzungsgrad aufweisen und keiner WeiterfĂŒhrung bedĂŒrfen, weil sie Bestandteile eines Dur- oder Molldreiklangs sind.
Zu den konsonanten Intervallen zÀhlen: Primen, Quinten, Oktaven, Terzen und Sexten.
Unter dissonanten Intervallen (lat. dissonare = auseinanderklingen) versteht man Tonbeziehungen, die durch Reibung und SchĂ€rfe gekennzeichnet sind und die im harmonischen Sinne als auflösungsbedĂŒrftig gelten (Auflösung der Dissonanz in eine Konsonanz).
Zu den dissonanten Intervallen zĂ€hlen: Sekunden und Septimen; alle ĂŒbermĂ€Ăigen und verminderten Intervalle.
Eine Mittelstellung nimmt die Quarte ein, die je nach Auffassung konsonant oder dissonant sein kann (Auffassungskonsonanz).
Beispiel 1.16. â Konsonante Intervalle
Beispiel 1.17. â Dissonante Intervalle (mit Auflösung in die Konsonanz)
Beispiel 1.18. â Auffassungskonsonanz/-dissonanz Quarte
Tonleitern
Tonleitern sind ordnende Zusammenstellungen des Tonmaterials, welches ein MusikstĂŒck bestimmt.
Dabei wird der Grundton zum Ausgangs- und Endpunkt eines nach dem Prinzip der Stufenfolgen angelegten Tonsystems, das als Tonleiter lediglich die Materialzusammenstellung, als Tongeschlecht jedoch die typischen Merkmale erkennen lÀsst.
Grundlagen der Allgemeinen Musiklehre
BeschrĂ€nkt sich der Komponist bei der Wahl der Töne auf die in der jeweiligen Tonleiter vorzufindenden, so verbleibt er im Bereich der Diatonik (gr.-lat. = durch die Tonfolge hindurch). Weicht er vom Tonleitermaterial ab und benutzt er weitere Töne, so mĂŒssen diese durch Akzidentien (Versetzungszeichen) kenntlich gemacht werden. Da diese sich im Notenbild als âEinfĂ€rbungâ Ă€uĂern, wird eine solche Diatonik-Erweiterung als Chromatik (gr.-lat. Chroma = Farbe) bezeichnet.
Beispiel 1.19.
â Vergleich von C-dur-Tonleiter und C-chromatischer Halbtonleiter
Im Mittelalter unterschied man 8 Tongeschlechter, die sogenannten Kirchentonarten (Modi). Es waren â nach griechischem Vorbild (bei Ăbernahme-IrrtĂŒmern) â mit Namen griechischer VolksstĂ€mme (dorisch, phrygisch, lydisch, mixolydisch) belegte Tonleitermodelle, die Ausschnitten aus unserer C-dur-Tonleiter entsprechen (die authentischen von den Stufen d, e, f, und g aus, die plagalen, mit dem Zusatz âhypoâ [gr. = unter], jeweils eine Quarte darunter). Zu Beginn der Neuzeit ergĂ€nzte ein humanistischer Musikgelehrter (Glareanus) dieses System um 4 weitere Modi â die Ausschnitte von a (aeolisch) und von c (ionisch) aus als authentische nebst ihren plagalen â und gelangte so zu 12 Tonleitermodellen (Dodekachordon, 1547). Von eben diesen setzten sich im Laufe des 17. Jahrhunderts zwei mehr und mehr durch, das Ionische (c bis c) und das Aeolische (a bis a), verdrĂ€ngten allmĂ€hlich die anderen Modi und wurden zu unserem Dur und Moll
â 6 authentische Kirchentonarten
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Die nach der Abspaltung von Ionisch als Dur und Aeolisch als Moll verbleibenden 4 authentischen Kirchentonarten Dorisch, Phrygisch, Lydisch und Mixolydisch weichen in jeweils einem Ton von Dur bzw. Moll ab. Diese Abweichung ist zugleich das spezifische Merkmal einer jeden Kirchentonart.
Es ist:Dorisch = Moll mit groĂer Sexte (âdorische Sexteâ)
Phrygisch = Moll mit kleiner Sekunde (âphrygische Sekundeâ)
Lydisch = Dur mit ĂŒbermĂ€Ăiger Quarte (âlydische Quarteâ)
Mixolydisch = Dur mit kleiner Septime, d.h. ohne Leitton (âmixolydische Septimeâ)
Bei der Transposition der Kirchentonarten (Transposition = Ăbertragung in eine andere Tonart) sollte deshalb die systematische Ăbersicht des Beispiels 1.21. zu Hilfe genommen werden.
Beispiel 1.21. â Erkennungsmerkmale der Kirchentonarten Dorisch, Phrygisch, Lydisch und Mixolydisch
2.HauptdreiklÀnge und Kadenz
Unter âHarmonielehreâ wird die Lehre von den Klangbeziehungen in der dur-moll-tonalen Epoche der Musikgeschichte zwischen etwa 1600 und 1900 verstanden. Die Harmonielehre stellt allerdings kein fest umrissenes System von dauerhaft gĂŒltigen SĂ€tzen auf. Ihre Bedingungsfelder stehen vielmehr in Bezug zur jeweils gĂŒltigen Tonsprache der verschiedenen Epochen innerhalb dieser 300 Jahre Musikgeschichte. Dabei eint alle Epochen jedoch die Tatsache, dass das Material zur harmonischen Gestaltung aus den diatonischen, d.h. den leitereigenen DreiklĂ€ngen einer Tonleiter gewonnen wird.
Hierbei zeigt sich, dass die DreiklÀnge auf der I., IV. und V. Stufe von besonderer Bedeutung sind.
Drei GrĂŒnde sind es, die diese KlĂ€nge von jeher gegenĂŒber den anderen ausgezeichnet haben:
1.Sie sind von gleicher Intervallstruktur und somit DurdreiklÀnge, die einzigen im Durgeschlecht.
2.Sie weisen in ihrer Summe sÀmtliche Töne der Tonleiter auf.
3.Die Anordnung der Grundtöne zueinander ist die einer Quinte (vgl. Bsp. 2.2. âQuintverwandtschaftâ).
Da die DreiklÀnge auf der I., IV. und V. Stufe in der Lage sind, die jeweilige Tonart eindeutig zu bestimmen und festzulegen, werden sie HauptdreiklÀnge genannt.
Die KlĂ€nge auf der II., III., VI. und VII. Stufe sind demgegenĂŒber von untergeordneter Bedeutung; man nennt sie NebendreiklĂ€nge
Um eine Tonart zu festigen und zu bekrÀftigen, muss man die HauptdreiklÀnge in einer bestimmten Reihenfolge anordnen.
Das Prinzip dieser Anordnung ist die Geschlossenheit der Klangfolge. Sie wird mit den HauptdreiklĂ€ngen in dem GerĂŒst der (vielfĂ€ltig erweiterungsfĂ€higen und abwandelbaren) Kadenz erzielt.
Seit etwa einhundert Jahren werden die HauptdreiklÀnge mit eigenen Namen belegt, die ihre Funktion bezeichnen:
Dreiklang auf der I. Stufe = Tonika( T)
Dreiklang auf der IV. Stufe = Subdominante( S)
Dreiklang auf der V. Stufe = Dominante( D)
Das Kadenzschema stellt sich danach wie folgt dar: T â S â D â T.
Die Bezeichnungen Tonika, Subdominante und Dominante stammen von Hugo Riemann aus dessen gegen Ende des vorigen Jahrhunderts (1893) begrĂŒndeter Funktionstheorie, die auf Erkenntnissen von Jean-Philippe Rameau (TraitĂ© de lâharmonie, 1722) beruht. Damit trat an die Stelle der rein mechanisch zĂ€hlenden Stufenlehre ein Konzept, das in das Wesen der Musik, in ihre inneren ZusammenhĂ€nge einfĂŒhrt â eine revolutionĂ€re Entdeckung, die auch gehörpsycholgisch von eminenter Bedeutung ist. Das noch eher oberflĂ€chliche VerstĂ€ndnis des in Beispiel 2.4. dargestellten Kadenzschemas bedarf einer tiefergehenden Untersuchung, etwa durch Anordnung der DreiklĂ€nge auf der Quintengeraden.
Die Quintengerade ist unendlich: steigend nach oben in den Kreuzbereich ( # ), fallend nach unten in den B-Bereich ( b).
Die hĂ€ufig zu findende Anordnung der Tonarten im âQuintenzirkelâ ist insofern sachlich falsch, als die Tonarten Fis-dur und Ges-dur hier scheinbar identisch sind. In Wirklichkeit aber liegen sie â nĂ€mlich harmonisch â 12 Quinten auseinander.
Die Ursache der akustischen IdentitĂ€t von Fis-dur und Ges-dur (bzw. anderen enharmonisch verwechselbaren Tonarten) liegt im Prinzip der temperierten Stimmung (vgl. Kapitel 1). Optisch veranschaulichen lĂ€sst sich dieses Quintengeschehen besser mit einer Spirale, bei der die enharmonisch gleichgesetzten Töne ĂŒbereinanderliegen (vgl. Bsp. 2.6.).
Beispiel
Die Anordnung der KlĂ€nge der C-dur-Kadenz (Bsp. 2.4.) stellt sich im Ausschnitt der Quintengeraden nun folgendermaĂen dar:
Beispiel 2.7. â C-dur-Kadenz in der Quintengeraden
Vom Ausgangspunkt C-dur ergibt sich zunÀchst ein harmonischer Abstieg um eine Quinte nach F-dur: 1; es erfolgt ein zwei Quinten umfassender Aufstieg nach G-dur: 2, von dem aus ein erneuter Quintfall abwÀrts (G-dur nach C-dur) zu beobachten ist: 3
In diesem zweimaligen Quintfall liegt die ursÀchliche Bedeutung des Begriffs Kadenz (lat. cadere = fallen)
Beispiel 2.7. veranschaulicht aber auch die Bedeutung der in der Funktionstheorie gebrÀuchlichen Bezeichnungen der HauptdreiklÀnge:
Tonika â der âtonischeâ Akkord (lat. tonus = Spannung), der Dreiklang , der im Zentrum aller harmonischen Spannungsfelder steht und dessen Grundton mit dem Grundton der Tonart identisch ist,
Dominante â (lat. dominari = herrschen), der Dreiklang, der die obere Region der Tonika harmonisch reprĂ€sentiert und dessen KrĂ€fte von oben auf die Tonika einwirken (deshalb auch Oberdominante), Subdominante â (lat. sub = unter, unterhalb), der Dreiklang, der die untere Region der Tonika vertritt (deshalb auch Unterdominante).
ZUSAMMENFASSUNG
Die DreiklĂ€nge auf der I., IV. und V. Stufe einer Durtonleiter werden HauptdreiklĂ€nge genannt. Werden sie in der Reihenfolge I â IV â V â I angeordnet, so festigen und bekrĂ€ftigen sie als Kadenz die jeweilige Tonart. Die Funktionstheorie weist den HauptdreiklĂ€ngen im Kadenzablauf eine spezifische âFunktionâ zu und bezeichnet den Dreiklang auf der I. Stufe als Tonika, den auf der IV. Stufe als Subdominante und den auf der V. Stufe als Dominante.
Aufgabe 2.B.1.
Die Kadenzen folgender Tonarten sind in Tonartenschrift zu notieren. Die Quintengerade (Bsp. 2.5.) mag als Orientierung hilfreich sein.
Die QualitÀten der HauptdreiklÀnge
1. Die Tonika
Die Tonika ist Anfangs- und Endpunkt der harmonischen Entwicklung in einem fest umrissenen formalen Ablauf; sie hat zugleich Zentrumsfunktion, indem alle KlĂ€nge der herrschenden Tonart sich immer wieder auf sie beziehen lassen. (Ihr ĂŒbermĂ€Ăig gehĂ€uftes Auftreten kann ebenso sinnvoll sein wie ihr Fehlen, etwa bei stĂ€ndigem Umspieltwerden von KlĂ€ngen anderer Funktionen.)
Die Tonika erscheint in der Regel am Anfang, grundsÀtzlich aber am Schluss des Werkes oder eines hieraus abgegrenzten Teiles. Ihr kommt dadurch die Aufgabe zu, tonal wichtige Begrenzungspunkte zu setzen.
2.Die Dominante
Die Dominante besitzt den nach dem Grundton der Tonika wichtigsten Ton einer Tonart: den Leitton, die Terz der Dominante. Dieser Leitton hat melodische Spannungskraft; seine unabdingbare Tendenz ist die Auflösung aufwÀrts in den Grundton der Tonika
Daraus folgt: Bei der Verwendung der Dominantfunktion ĂŒberwiegt der Spannungsgehalt der Verbindung Dominante â Tonika.
Die Verbindung Dominante â Tonika als Schlussformel nennt man authentischen Schluss.
Erscheint die Subdominante nach der Dominante, so wird der Leitton in die als unbefriedigend empfundene Subdominantquinte geleitet.
Die Verbindung Dominante â Subdominante gilt (zunĂ€chst) als fehlerhaft.
Beispiel
3.Die Subdominante
nach Dominante
Im Gegensatz zur Dominante enthÀlt die Subdominante keine Strebetöne.
Da es ihr an dem unbedingten Drang zur harmonischen FortfĂŒhrung fehlt, bildet sie ein eher entspannendes Moment. Innerhalb des Kadenzvorgangs allerdings dient die Subdominante als notwendige Abrundung und ErgĂ€nzung der TonalitĂ€tsgrundierung; hier entfaltet der Subdominantklang seine QualitĂ€ten als âGegenspielerâ zu den quintverwandten KlĂ€ngen Tonika und Dominante.
Der Klanggehalt der Subdominante bildet den wichtigen Gegensatz zum Spannungsgehalt der Dominante.
Beispiel 2.10. â Klanggehalt der Subdominante im Volkslied âWo bist du denn gewesenâ
Die Verbindung Subdominante â Tonika als Schlussformel nennt man plagalen Schluss. Dieser gilt im Vergleich zum authentischen Schluss als âschwĂ€cherâ, da ihm die Leittonspannung fehlt.
Leseprobe
(Allerdings kann die âSchwĂ€cheâ der Verbindung Subdominante â Tonika als Schlussformel eines meist gröĂeren Satzes auch von besonderer Bedeutung sein. Plagale Wendungen werden z.B. von HĂ€ndel hĂ€ufig als Abschluss eines von authentischen Spannungen bestimmten oratorischen Satzes gewĂ€hlt.)
ZUSAMMENFASSUNG
Die FĂ€higkeit der Tonika liegt in der Zentrierung des sie umgebenden Akkordmaterials. Sie ist zugleich in einem fest umrissenen formalen Ablauf Endpunkt der harmonischen Entwicklung.
Bei der Dominante ĂŒberwiegt das SpannungsverhĂ€ltnis zur Tonika, wĂ€hrend die QualitĂ€ten der Subdominante vorwiegend im klanglich entspannenden Moment liegen (Dominante = Spannungsgehalt, Subdominante = Klanggehalt).
KadenzvorgÀnge im Kinder- und Volkslied
Viele Kinder- und Volkslieder beschrÀnken sich in ihrer harmonischen Grundhaltung auf die HauptdreiklÀnge.
Die Untersuchung des Liedes âWinde wehn, Schiffe gehnâ weist die GrundsĂ€tze kadenzieller VorgĂ€nge am praktischen Beispiel auf; sie macht zugleich deutlich, dass melodische AblĂ€ufe immer in harmonische VorgĂ€nge eingebettet sind (latente Harmonik).
Beispiel 2.12. â Lied âWinde wehn, Schiffe gehnâ
Anmerkungen
Takt 1die Tonika etabliert sich
Takt 2â3 die Tonika stabilisiert sich
Leseprobe
Takt 4Ăffnung zur Dominante (âHalbschlussâ), zur ĂberbrĂŒckung vermittelt der Ton a (mit Hilfe der Tonika) zwischen Dominante und Subdominante
Takt 5die âKlangergĂ€nzungâ: Subdominante als Klanggehalt, gleichzeitig als melodischer Höhepunkt
Takt 6âRĂŒckfallâ in den Ausgangspunkt der Tonika; Beginn der Schlusskadenz
Takt 7erst- und einmaliger Harmoniewechsel innerhalb eines Taktes (harmonische Verdichtung, âBeschleunigungâ); dadurch besonders starke StrebefĂ€higkeit in den Schlusstakt
Takt 8Tonika als Schlussakkord (authentischer Schluss)
Aufgabe 2.A.
Der Tonsatz zum Choral âEs ist gewisslich an der Zeitâ ist mit Funktionsbezeichnungen zu versehen.
FĂŒr die nachstehenden Aufgabentypen sind folgende Lösungsschritte zu empfehlen:
Melodie spielen und versuchen, die âlatente Harmonikâ herauszuhören, â HauptdreiklĂ€nge der jeweiligen Tonart herausfinden (aufschreiben!), â Funktionsbezeichnungen eintragen,
erneut spielen (zweistimmig: Melodie und Grundtöne der HauptdreiklÀnge), eventuell korrigieren
fĂŒr die Aufgaben B. VorschlĂ€ge des Lösungsteils zum Vergleich heranziehen.
Aufgabe 2.B.2. Lied âHafermĂ€hnâ
Aufgabe 2.B.3. BĂ€nkellied âSabinchenâ
Aufgabe 2.B.4. Lied âOld Mac Donald has a farmâ
Aufgabe 2.C.
Choral âIch singe dir mit Herz und Mundâ
Aufgabe 2.D.
Gospel âHört, wen Jesus glĂŒcklich preistâ
Leseprobe Sample page
3. Die Grundlagen des vierstimmigen Tonsatzes
I. Grundlagen
Zur praktischen Darstellung von harmonischen AblÀufen bedient man sich seit jeher des vierstimmigen Satzes.
Die vier beteiligten Vokalstimmen Sopran (S), Alt (A), Tenor (T) und Bass (B) entsprechen den vier Lagen der menschlichen Stimme.
1. Die UmfÀnge der Stimmlagen
Die UmfĂ€nge der vier Stimmlagen orientieren sich an den Gegebenheiten des Chorgesangs Folgende UmfĂ€nge gelten fĂŒr alle kĂŒnftigen Ăbungen als verbindlich:
Leseprobe
Dabei ist zu beachten, dass der Abstand zweier benachbarter Stimmen die Oktave nicht ĂŒberschreiten sollte; nur der Bass darf bis zu einer Duodezime (= Oktave + Quinte) vom Tenor entfernt sein. Dies gilt aus klanglichen wie aus stimmlichen GrĂŒnden.
Im Hinblick auf die ersten eigenen SatzĂŒbungen prĂ€ge man sich auch die unterschiedlichen Funktionen der Stimmen im Tonsatz ein: Sopran hat als höchste Stimme des Satzes uneingeschrĂ€nkte FĂŒhrungsqualitĂ€t und muss â als TrĂ€ger der Melodie â immer erkennbar, d.h. hörbar bleiben, Alt wurde frĂŒher als hohe MĂ€nnerstimme, wird heute als tiefe Frauenstimme angesehen (lat. altus = tief/hoch), Tenor wurde frĂŒher von Knaben ausgefĂŒhrt und ist (u.a. deshalb) als hohe MĂ€nnerstimme an den Oberstimmen Sopran und Alt zu orientieren, Bass hat als TrĂ€ger des akkordischen Geschehens die QualitĂ€t einer Fundamentalstimme; der Abstand zum Tenor darf bis zu einer Duodezime reichen, ohne dass der Satz dabei an klanglichem Zusammenhalt verliert.
2. Bewegungsarten
Es werden in der Musik vier Bewegungsarten unterschieden:
Geradbewegung â zwei oder mehrere Stimmen bewegen sich in gleicher Richtung in ungleichen Intervallen (Bsp. 3.3.),
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Thomas KrĂ€mers âHarmonielehre im Selbststudiumâ bietet in erster Linie eine methodische Anleitung zur Eigenarbeit. Dieser Aspekt ist seit der Neuausgabe 2006 noch stĂ€rker betont.
Durch die systematische Gliederung und den umfangreichen Lösungsteil ist das Buch jedoch auch weiterhin fĂŒr die pĂ€dagogische Arbeit hervorragend geeignet. Zahlreiche Beispiele aus der Musikliteratur aller Epochen veranschaulichen die einzelnen Fragestellungen.
Thomas KrĂ€mer (* 1952) absolvierte ein umfangreiches Studium an der Hochschule fĂŒr Musik Detmold. Er war Musiklehrer, Kirchenmusiker, Privatdozent und von 1985 bis 2018 Professor fĂŒr Musiktheorie an der Hochschule fĂŒr Musik Saar. ZusĂ€tzlich lehrte er 27 Jahre lang Harmonielehre und Kontrapunkt an der UniversitĂ€t des Saarlandes.
Aus diesen vielfĂ€ltigen Lehrerfahrungen heraus hat Thomas KrĂ€mer im Verlag Breitkopf & HĂ€rtel folgende FachbĂŒcher zu Grundfragen der Musiktheorie geschrieben:
â Harmonielehre im Selbststudium
â Praktische HarmonieĂŒbungen
â Lehrbuch der harmonischen Analyse
â Lexikon Musiktheorie
(gemeinsam mit Manfred Dings)
â Musikwissen! 231 Fragen und Antworten
Als WĂŒrdigung der weiten Verbreitung und hohen Akzeptanz seiner BĂŒcher wurde Thomas KrĂ€mer von der Hochschule fĂŒr Musik Saar die EhrendoktorwĂŒrde (Dr. h. c.) verliehen.