Globaler Wachstumsausblick 06/2022: Im Zwillingsschock

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Im Zwillingsschock | Corona und Krieg gefährden Erholung der Weltwirtschaft 21/06/2022

Krieg und Null-Covid in China: Weltwirtschaft im Zwillingsschock Wachstum der Weltwirtschaft dürfte einen Prozentpunkt einbüßen Die Perspektive für die weltwirtschaftliche Entwicklung hat sich seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine am 24. Februar des Jahres und den neuerlichen Lockdowns in vielen chinesischen Städten, insbesondere in Shenzhen und in Schanghai, im Frühjahr erheblich eingetrübt. Während wir im Januar noch mit einem möglichen Wachstum der weltweiten Wirtschaftsleistung in der Größenordnung von vier Prozent ausgehen konnten, halten wir nun nur noch ein Ergebnis von gut drei Prozent für realistisch. Es ist sehr gut möglich, dass wir uns in dieser Krise der Sicherheitsordnung Europas und der Welt und in der nicht ausgestandenen Pandemie erst am Anfang eines Abwärtsrevisionszyklus für den Wirtschaftsausblick befinden. Insofern ist ein nüchterner Blick auf die Lage derzeit gerade im Hinblick auf schwer zu modellierenden Risken überaus notwendig. Die Randbedingungen für die Prognose (Annahmen über Rohstoffpreise und -verfügbarkeit, über Kriegsverläufe und Eskalationsrisiken) sind derzeit in der Regel für die Einschätzung wesentlicher als die eigentliche Prognose. Auch dies ist ein sicherer Indikator für das Maß an Ungewissheit, mit dem weder Märkte noch Regierungen, weder private Haushalte noch Unternehmen, professionell steuernd umgehen können. Märkte fürchten nichts mehr als nicht versicherbare Großrisiken, denen finanzielle Instabilität gerne auf den Füßen folgt. Man muss die Warnungen vor neuen Minsky-Momenten, plötzlichen Zuspitzungen und Finanzkrisen, daher ernst nehmen, denn der Wind an den globalen Kapitalmärkten kann sich rasch noch heftiger drehen. Rezessionsrisiken in der Triade mit globalen Nachwirkungen stark gestiegen Der Mix aus einem doppelten Angebotsschock – hohe Rohstoffpreise und Störungen der globalen Produktion durch die Covid-Strategie Chinas – ist absolut toxisch. Die Auswirkungen auf Preisentwicklungen und wirtschaftliche Aktivität sind drastisch und rasch eingetreten. Die Störungen in den drei Weltregionen – Zinswende in den USA, Einbrüche in China und Kriegsfolgen in Europa – wirken aufeinander ein und verstärken derzeit vor allem die Preisentwicklungen, während das Wachstum zeitgleich zurückgeht und nicht etwa, wie in einem klassischen Boom, gleichgerichtet wirkt. Daher wird die Wirtschaftspolitik auch nur eine komplexe Navigation auf Sicht und nicht eine klare, Vertrauen schaffende Expansion (oder Stabilisierung) anstreben können. All dies ist geeignet, die Märkte zu verunsichern. Eine weitere Verschärfung der gesundheits- oder sicherheitspolitischen Lage mit noch deutlicheren Wirkungen auf die Rohstoffpreise oder -verfügbarkeit kann die Lage leicht über den Rubikon bringen und zumindest eine Region der Triade in die Rezession stürzen, mit hoher Wahrscheinlichkeit dann mit größeren internationalen Rückkopplungseffekten (Rogoff 2022). Besonders gefährdet ist das an sich sehr robuste Europa, weil hier die Wirkungen der Angebotsschocks am stärksten wirken werden (Eichengreen 2022). Abwärtsrevisionen setzen ein: Wachstumshoffnungen werden kräftig gestutzt Doch selbst dann, wenn eine weitere Verschärfung ausbleiben sollte, bleibt die Agenda für die Regierungen und Notenbanken hochgradig komplex und schwierig. Durch den Krieg mussten insbesondere die Wachstumsaussichten in der EU deutlich zurückgenommen werden, aber auch die Volksrepublik China wird kräftig unter den Erwartungen vom Jahresanfang zurückbleiben. Zudem ist die US-amerikanische Volkswirtschaft schwach ins Jahr gestartet. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer werden zudem durch mittelbare Kriegswirkungen und weltweite Lieferstörungen in Mitleidenschaft gezogen werden.

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