Aargauer Wirtschaft April 2021

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24  IN EIGENER SACHE

AGV NR. 4 | 15. APRIL 2021

DIE BERUFSBILDUNG IM KANTON AARGAU – IN DER KRISE ODER DOCH AUF KURS? Vielen Medienberichten zufolge steckt die Berufsbildung pandemiebedingt in einer Krise. Zu lesen ist unter anderem, es gĂ€be zu wenig Lehrstellen oder die Qualifikationsverfahren wĂŒrden auch dieses Jahr nur in reduzierter Form stattfinden. INTERVIEW: CLAUDIO ERDIN

C

laudio Erdin, stellvertretender GeschÀftsleiter des Aargauischen Gewerbeverbandes, wollte es genau wissen, wie es um die Berufsbildung innerhalb des Kantons Aargau steht. Er interviewte dazu Matthias Kunz, Leiter der Betrieblichen Bildung beim Kanton Aargau.

Matthias Kunz, Leiter Betriebliche Bildung – Kanton Aargau

auch auf die Einreichung von LehrvertrĂ€gen mit Lehrstart Sommer 2021 nachteilig aus. Wir sind aber zuversichtlich und bauen auf die UnHerr Kunz, tĂ€glich kann man terstĂŒtzung der Ausbildungsbetriebe, verschiedenen Zeitungen ­Berichte zur aktuellen Lage der so dass wir im Sommer in etwa gleich viele LehrvertrĂ€ge wie die Jahre zuSchweizer Berufsbildung entvor genehmigt haben werden. nehmen. Wie ist die Situation eigentlich im Kanton Aargau? Die aktuelle Situation ist in vielerlei Sie sprechen die Wichtigkeit Hinsicht sehr anspruchsvoll. Grund- von Schnupperlehren an, sĂ€tzlich aber kann man sagen, dass damit es in einem weiteren insbesondere die Lehrstellensituation Schritt dann ĂŒberhaupt zu als verhalten positiv beurteilt werden einer Lehrvertragsunterzeichkann. Bis auf wenige Berufe, bei- nung kommen kann. Kann spielsweise in der Gastronomie oder dieses «Beschnuppern» im diin der Reisebranche, haben die aller- gitalen Zeitalter nicht einfach meisten Branchen keinen RĂŒckgang virtuell erfolgen? bei der Lehrstellenvergabe zu ver- Möglich wĂ€re das schon, ist meiner zeichnen. Aber, und dieses «aber» ist Ansicht nach aber nicht ganz so zielmeinerseits auch als Aufruf an die fĂŒhrend. Persönlich fasziniert mich Ausbildungsbetriebe gerichtet, ist das Thema der Digitalisierung sehr. von zentraler Bedeutung, dass die Die Digitalisierung hat aber auch ihre SchĂŒlerinnen und SchĂŒler der 8. und Grenzen. Oftmals nicht in technischer 9. Klasse der Volksschule Zugang zu Hinsicht, sondern vor allem, weil soSchnupperlehrplĂ€tzen erhalten. Hier ziale Aspekte ausgeblendet bleiben. stellen wir leider fest, dass die Pan- Nicht selten haben die SchĂŒlerinnen demie ihre Spuren hinterlĂ€sst. Auf- und SchĂŒler ĂŒbrigens eine klare Vorgrund zusĂ€tzlicher Schutzmassnah- stellung, welchen Beruf sie erlernen men in den Betrieben oder auch der möchten. Genau dann ist die «richtiHome-Office-Pflicht werden zurzeit ge Wahl» des Ausbildungsbetriebes deutlich weniger Schnupperlehren im darauffolgenden Schritt entscheiangeboten als in herkömmlichen Jah- dend fĂŒr eine erfolgreiche Lehrzeit. ren. Diese Tatsache wirkt sich aktuell Dies gilt selbstverstĂ€ndlich auch fĂŒr

die Ausbildungsbetriebe; auch die Unternehmen haben eine möglichst gute Wahl zu treffen, wenn es um die Anstellung kĂŒnftiger Lernender geht. Die beiden potentiellen Vertragsparteien kommen also nicht um ein gemeinsames «Beschnuppern» herum. Nur wenn beide Seiten wissen und persönlich spĂŒren können, was sie wĂ€hrend den nĂ€chsten Ausbildungsjahren gegenseitig erwarten wird, kann eine sorgenfreie Lehrzeit in Aussicht gestellt werden.

erweitern diesen sogar. Möglichkeiten wie Freifachangebote, StĂŒtzkursangebote, Nachhilfeunterricht, aktive und individuelle UnterstĂŒtzung durch Lehrpersonen, begleitete Lerntreffs resp. LernrĂ€ume oder PrĂŒfungsvorbereitungskurse stehen zur VerfĂŒgung. Die Angebote finden sowohl online als auch in PrĂ€senzform wĂ€hrend den Unterrichtzeiten oder an Abenden resp. Samstagen statt. So können die BedĂŒrfnisse der Lernenden ganz individuell abgedeckt werden.

Welche UnterstĂŒtzung erhalten die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler an den Schulen selbst? Die Berufliche Orientierung an der Volksschule ist seit EinfĂŒhrung des Lehrplans 21 sakrosankt. Sie gehört zu den Kernaufgaben der Sekundarschule und wird in jedem der drei Schuljahre in unterschiedlichen FĂ€chern thematisiert. Im Laufe der drei Jahre lernen die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler die Vielfalt der Berufe, verschiedene Berufsausbildungen sowie deren Zukunftsperspektiven kennen. Die Jugendlichen sind gefordert, bei der Berufswahl Verantwortung zu ĂŒbernehmen – unabhĂ€ngig davon, ob sie nach der Sekundarschule eine Lehre machen oder eine weiterfĂŒhrende Schule besuchen möchten. Die Eltern werden von Anfang an in die Berufliche Orientierung einbezogen, damit sie ihr Kind aktiv begleiten können. Die verantwortlichen Lehrpersonen begleiten und unterstĂŒtzen die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler wĂ€hrend COVID-19 mehr denn je auf ihrem Weg Richtung Berufsleben oder weiterfĂŒhrende Schule.

Welche Möglichkeiten bieten sich den Organisationen der Arbeitswelt (OdA), die Lernenden zu unterstĂŒtzen? Auch die vielen im Kanton Aargau ansĂ€ssigen OdA unterstĂŒtzen die Lernenden, so gut es nur geht. Beispielsweise durch angepasste und speziell auf die BedĂŒrfnisse der Lernenden abgestimmte ĂŒberbetriebliche Kurse (ĂŒK) oder durch PrĂŒfungsvorbereitungskurse. Insbesondere Lernende, welche in von Corona stark gebeutelten Branchen tĂ€tig sind und dadurch in der praktischen Ausbildung zu kurz kamen, werden zusĂ€tzlich unterstĂŒtzt. So wurden unter anderem bei den Gesundheits- und Bewegungsförderungsberufen und auch in der Veranstaltungsbranche tolle Praxis-Projekte entwickelt. Ein grosses UnterstĂŒtzungsprojekt konnte zudem in der Aargauer Gastronomie und Hotellerie realisiert werden. Hier wurden zusammen mit dem Branchenverband GastroAargau gezielte Praxistage fĂŒr gut 500 Aargauer Lernende an vier verschiedenen Standorten durchgefĂŒhrt.

Und wie sieht es an den ­Berufsfachschulen aus – welche UnterstĂŒtzung erhalten Jugendliche, welche bereits in der Lehre sind? Die Berufsfachschulen nehmen sich auch in erschwerten Corona-Zeiten ihres UnterstĂŒtzungsauftrags an und

Bereits haben die ersten ­PrĂŒfungen der Qualifikationsverfahren 2021 stattgefunden. Wie verlief dieser Start und wie werden die Qualifikationsverfahren (ehemals LehrabschlussprĂŒfungen) angesichts der Pandemie dieses Jahr durchgefĂŒhrt?


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