Kuno Raebers Beschwörungen

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1 Beschwörung I

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Vorgabe I

Lieber Walter Als wir am Abend des 29. November das SLA verliessen, hast Du, vermute ich, in Bezug auf die Beschwörung dasselbe empfunden wie ich: Die Lichter aus und alle Fragen offen. Ich möchte im Folgenden nicht diese Fragen definitiv beantworten und so das Dossier über Raebers Zyklus schliessen, sondern gemeinsam mit Dir vielmehr versuchen, sie so weit wie uns möglich zu öffnen und auf diesem Weg das Feld zu entwerfen, auf dem die Verse sich miteinander gegen ihre Deutung mit ihr verschwören. Vers für Vers, Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe.

MF – 18.12.2017

– Aber wir wollten eine – Drei Lesarten je nach Betonung: (a) ‹Aber wir wollten eine› antwortet auf einen Einwand, der ausserhalb des Gedichts liegt. (Ob ausserhalb des Zyklus, ist eine andere Frage.) (b) ‹Aber wir wollten eine› spricht ein Ich-Du an. Kann sein, tatsächlich ein Paar zweier Individuen, kann sein, das sich in sich reflektierende Ich, das Zwiedenken und Zwiesprache mit sich hält, Ego und Alter Ego. (Ich entscheide mich vorläufig für diese Lesart.) (c) ‹Aber wir wollten eine› legt den Nachdruck auf die Absicht, den Wunsch, das Begehren, die offenbar bis zur Präsenz dieses Verses unverwirklicht geblieben sind, sich also als «ohnmächtiges Wollen» erweisen, um mit Hegel zu sprechen. ‹Aber wir wollten eine›… irgendeine? Eine von vielen möglichen? Oder eine einzige ganz bestimmte einzigartige, die es nur einmal geben kann? – Kugel machen zusammen – Eine Kugel also. Wie die Gewehrkugel? Wie die Kegelkugel? Wie die Erdkugel? Eine Kugel, die alle ihr möglichen Nomina anzunehmen bereit ist? «zusammen». Ich und Du. Ego et Alter Ego. Aber keines von beiden allein. Weder Ich noch Du, weder Ego noch Alter Ego. Nur Wir.

I: 1

I: 2


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