DAS F IK T IVE PHILO S O PHEN- IN T ERV IE W
PLATON SAGT:
âLasst es rocken, Leute!â In den vergangenen eineinhalb Jahren haben viele Menschen vor allem die Musik vermisst. Keine Konzerte, aber auch kein gemeinsames Singen, weder im Chor noch in der ÂSĂŒdkurve. Der griechische Philosoph Platon hat sich eingehend Gedanken ĂŒber die Musik gemacht. In unserem Âfiktiven Interview mit dem Philosophen Christoph Quarch erklĂ€rt er, warum sie fĂŒr uns so wichtig ist.
the red bulletin: Herr Platon, haben Sie zu Lebzeiten eigentlich auch musiziert? platon: Nun ja, wissen Sie, bei uns Griechen hatte das Wort âMusikâ eine umfassendere Bedeutung als in Ihrer Sprache. Als Musik galt uns alles, was von den Musen gewirkt war â und dazu gehörten auch die Poesie, der Tanz und selbstverstĂ€nd lich auch die Philosophie. Deshalb befand sich die von mir gegrĂŒndete Akademie in einem Heiligtum der Musen. Und als Philosoph, so will ich meinen, habe ich doch wohl ganz respektabel musiziert.
BENE ROHLMANN DR. CHRISTOPH QUARCH
Gilt das nur fĂŒr das Selbermusizieren oder auch fĂŒr das Musikhören? Auch fĂŒr das Hören. Ein schönes Konzert wirkt wie eine Massage fĂŒr Ihre Seele â und ĂŒb rigens auch auf Ihren Leib. WĂŒrde ich in Ihrer Welt leben, ich kĂ€me wohl kaum mehr zum Denken, weil ich rund um die Uhr nur noch klassische Musik hören wĂŒrde, um mich von ihr in gute Stimmung versetzen zu lassen. Mozart, Bach, Beethoven â beim Apollon, so stelle ich mir die Insel der Seligen vorââŠ
âEgal ob Mozart, Beethoven oder Nirvana: ÂMusik⯠wirkt wieâŻeine Massage fĂŒr die Seele.â
Wer wollte das bestreiten? Aber die Frage ging doch eher dahin, ob Sie auch gesungen oder ein Musikinstrument gespielt haben. Ah, ich verstehe! Ja, wie alle JĂŒng linge zu meiner Zeit habe ich die ÂLeier zu spielen gelernt. Doch wie es in Ihrer Welt auch zu geschehen pflegt, habe ich im fortgeschrittenen Alter diese Kunst vernachlĂ€ssigt. Was ich bedaure, denn das Spiel der Leier ist eigentlich nichts anderes als die Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln. Ich fĂŒrchte, das mĂŒssen Sie uns erklĂ€ren. Schauen Sie: Worum geht es in der Philosophie? Der Name verrĂ€t es: um die Liebe, philĂa, zur Weisheit, sophĂa. Weisheit aber ist die Kunst des guten Lebens. Und was ist das gute Leben? Nun, das gute Leben ist ein stimmiges Leben, ein Leben im Einklang, eine Harmonie und eine Symphonie. Ein gutes Leben zu fĂŒhren erfordert die Kompetenz eines Komponisten oder Dirigenten, der das Orchester all Ihrer Affekte, Emotionen, Gedanken, WĂŒnsche und so weiter soâŻzu einander ins VerhĂ€ltnis setzt, dass eine schöne und stimmige Melodie dabei entsteht. Und nichts anderes THE RED BULLETIN
tun Sie, wenn Sie ein Musikinstrument spielen. Musi zieren weist den Menschen deshalb einen geraden Weg zum guten Leben.
Okay â aber was halten Sie von Âanderen Musikstilen? Zum Beispiel von Rockmusik? Rockmusik! Ah, Sie meinen diesen rhythmischen, ekstatischen, diony sischen LĂ€rm. Finde ich auch gut. Ist zwar etwas laut und manchmal auch ein bisschen nervig. Aber zuweilen höre ich mir hier in der Ewigkeit auch Nirvana an. Ich mag es, wenn die E-Gitarren wimmern.
Aber wie passt denn das zu Ihrer Begeisterung fĂŒr klassische Musik? Alles passt zusammen, mein Freund. Die groĂe Musik des harmonischen Lebens fĂŒgt auch das zusammen, was dem ungeĂŒbten Ohr nicht gut zu passen scheint. Aber gerade darin liegt die Meisterschaft der Lebens kunst. Nichts ausschlieĂen, alles ins Lied des Lebens einflechten. Darum: Lasst es rocken, Leute! PLATON (428â348 v.âChr.) ist der wohl einflussreichste Philosoph der europĂ€ischen Kultur. Seine vollstĂ€ndig erhaltenen ÂDialoge verraten nicht nur eine hohe literarische Begabung, sondern auch die FĂ€higkeit, die ganze Weisheit der Âgriechischen Antike zu einer Philosophie zusammenzufassen. Die von ihm gegrĂŒndete Athener Akademie war knapp tausend Jahre lang das intellektuelle Zentrum der alten Welt. CHRISTOPH QUARCH, 57, ist deutscher Philosoph, GrĂŒnder derâŻNeuen Platonischen Akademie (akademie-3.org) und Autor zahlreicher philosophischer BĂŒcher, u.âa. âPlaton und dieâŻÂFolgenâ, Metzler Verlag 2019.
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