DAS F IK T IV E PHILO S O PHEN- IN T ERV IE W
PLATON SAGT:
„Lasst es rocken, Leute!“
„Egal ob Mozart, Beethoven oder Nirvana: Musik wirkt wie eine Massage für die Seele.“
Wer wollte das bestreiten? Aber die Frage ging doch eher dahin, ob Sie auch gesungen oder ein Musikinstrument gespielt haben. Ah, ich verstehe! Ja, wie alle Jüng linge zu meiner Zeit habe ich die Leier zu spielen gelernt. Doch wie es in Ihrer Welt auch zu geschehen pflegt, habe ich im fortgeschrittenen Alter diese Kunst vernachlässigt. Was ich bedaure, denn das Spiel der Leier ist eigentlich nichts anderes als die Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln. Ich fürchte, das müssen Sie uns erklären. Schauen Sie: Worum geht es in der Philosophie? Der Name verrät es: um die Liebe, philía, zur Weisheit, sophía. Weisheit aber ist die Kunst des guten Lebens. Und was ist das gute Leben? Nun, das gute Leben ist ein stimmiges Leben, ein Leben im Einklang, eine Harmonie und eine Symphonie. Ein gutes Leben zu führen erfordert die Kompetenz eines Komponisten oder Dirigenten, der das Orchester all Ihrer Affekte, Emotionen, Gedanken, Wünsche und so weiter so zu einander ins Verhältnis setzt, dass eine schöne und stimmige Melodie dabei entsteht. Und nichts anderes 16
Gilt das nur für das Selbermusizieren oder auch für das Musikhören? Auch für das Hören. Ein schönes Konzert wirkt wie eine Massage für Ihre Seele – und üb rigens auch auf Ihren Leib. Würde ich in Ihrer Welt leben, ich käme wohl kaum mehr zum Denken, weil ich rund um die Uhr nur noch klassische Musik hören würde, um mich von ihr in gute Stimmung versetzen zu lassen. Mozart, Bach, Beethoven – beim Apollon, so stelle ich mir die Insel der Seligen vor … Okay – aber was halten Sie von anderen Musikstilen? Zum Beispiel von Rockmusik? Rockmusik! Ah, Sie meinen diesen rhythmischen, ekstatischen, diony sischen Lärm. Finde ich auch gut. Ist zwar etwas laut und manchmal auch ein bisschen nervig. Aber zuweilen höre ich mir hier in der Ewigkeit auch Nirvana an. Ich mag es, wenn die E-Gitarren wimmern.
Aber wie passt denn das zu Ihrer Begeisterung für klassische Musik? Alles passt zusammen, mein Freund. Die große Musik des harmonischen Lebens fügt auch das zusammen, was dem ungeübten Ohr nicht gut zu passen scheint. Aber gerade darin liegt die Meisterschaft der Lebens kunst. Nichts ausschließen, alles ins Lied des Lebens einflechten. Darum: Lasst es rocken, Leute! PLATON (428–348 v. Chr.) ist der wohl einflussreichste Philosoph der europäischen Kultur. Seine vollständig erhaltenen Dialoge verraten nicht nur eine hohe literarische Begabung, sondern auch die Fähigkeit, die ganze Weisheit der griechischen Antike zu einer Philosophie zusammenzufassen. Die von ihm gegründete Athener Akademie war knapp tausend Jahre lang das intellektuelle Zentrum der alten Welt. CHRISTOPH QUARCH, 57, ist deutscher Philosoph, Gründer der Neuen Platonischen Akademie (akademie-3.org) und Autor zahlreicher philosophischer Bücher, u. a. „Platon und die Folgen“, Metzler Verlag 2019. THE RED BULLETIN
BENE ROHLMANN
the red bulletin: Herr Platon, haben Sie zu Lebzeiten eigentlich auch musiziert? platon: Nun ja, wissen Sie, bei uns Griechen hatte das Wort „Musik“ eine umfassendere Bedeutung als in Ihrer Sprache. Als Musik galt uns alles, was von den Musen gewirkt war – und dazu gehörten auch die Poesie, der Tanz und selbstverständ lich auch die Philosophie. Deshalb befand sich die von mir gegründete Akademie in einem Heiligtum der Musen. Und als Philosoph, so will ich meinen, habe ich doch wohl ganz respektabel musiziert.
tun Sie, wenn Sie ein Musikinstrument spielen. Musi zieren weist den Menschen deshalb einen geraden Weg zum guten Leben.
DR. CHRISTOPH QUARCH
In den vergangenen eineinhalb Jahren haben viele Menschen vor allem die Musik vermisst. Keine Konzerte, aber auch kein gemeinsames Singen, weder im Chor noch in der Südkurve. Der griechische Philosoph Platon hat sich eingehend Gedanken über die Musik gemacht. In unserem fiktiven Interview mit dem Philosophen Christoph Quarch erklärt er, warum sie für uns so wichtig ist.