The Red Bulletin AT 12/21

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B O U L E VARD DER HEL DEN

EGON ZIMMERMANN

DAS PECH DES SIEGERS

Serie: MICHAEL KÖHLMEIER erzählt die außergewöhnlichen Geschichten inspirierender Figuren – faktentreu, aber mit literarischer Freiheit. Folge 19: Warum auch Ski-Weltmeister zum Gewinnen Glück brauchen.

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THE RED BULLETIN

BENE ROHLMANN, CLAUDIA MEITERT MICHAEL KÖHLMEIER

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PICTUREDESK.COM

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gon Zimmermann – Weltmeister Du, jetzt ist einer schneller gefahren als du, das war der Edy Bruggmann. im Riesentorlauf 1962, Gold im Und ich frage: Wer? Wer ist der Edy Abfahrtslauf bei den Olympischen Bruggmann? Von wo ist der? Habe ich Spielen 1964 in Innsbruck – noch nie gehört. Sagt er: ein Schweizer. ­erzählte, und ich habe ihm gern zugehört. „Wenn ein Mensch bereit Das war hart. Aber es war gerecht. Der ist zu kämpfen“, sagte er, „dann vergisst Edy hat einen guten Kampf geliefert. er alles andere um sich herum. Ich glau­ Wenn einer besser fährt, dann muss MICHAEL KÖHLMEIER be, er vergisst s­ ogar, dass er kämpft. Der Vorarlberger man das anerkennen. Es ist bitter. Aber Bestsellerautor gilt Den Erfolg bekommt man zuerst gar man spürt etwas Großes in sich wach­ als bester Erzähler sen, wenn man zu ihm hingeht und nicht richtig mit, weil man sich so sehr deutscher Zunge. die Hand ausstreckt, du musst sie weit auf ihn konzentriert. Da schaut man Zuletzt erschienen: ausstrecken, nicht knapp am Körper, knapp daneben vorbei. Das ist meine der Roman „Matou“, das wäre geizig, und dann sagst du: Erfahrung. Zuerst ist der Sieg ja nur 960 Seiten, Hanser Verlag. Gratuliere, Edy Bruggmann, du warst im Kopf, als Einbildung, als Hoffnung, heute besser als ich. Das tut gut, beiden. dort bleibt er noch eine Weile hängen, als Schlimm ist es nur, wenn man verliert, nicht, weil Einbildung, als Hoffnung. Weißt du, was ich meine?“ man schlechter gefahren ist als ein anderer, sondern Ich traf ihn in seinem Hotel in Lech. Ein schöner wegen eines Zufalls.“ Mann, drahtig, ein Kopf wie ein Kämpfer, immer noch. Das war vor über zehn Jahren. Egon Zimmer­ mann war siebzig. Und ein Kämpfer war er. Immer mmer wenn ich Egon Zimmermann traf – drei oder vier Mal besuchte ich ihn –, kam er bald noch. auf die Olympischen Spiele 1964 in Innsbruck „Nein, ich weiß nicht genau, was Sie meinen“, zu sprechen. Ich sagte ihm, dass er unser Idol ge­ ­sagte ich. Er duzte mich, ich ihn nicht. Als Kind war wesen sei. Alle Buben, die ich kannte, spielten Egon ich so über alle Maßen begeistert von ihm gewesen, Zimmer­mann, wenn sie mit den Skiern über irgend­ dass ich auch nach so langer Zeit ein Du nicht zu­ einen Hang rutschten. Dieser Mann hat uns inspi­ stande brachte. riert. Er aber konnte sich nicht freuen. Der goldene „Mit der Niederlage ist es viel komplizierter“, Sieger im Abfahrtslauf hatte diese Olympischen fuhr er fort. „Ein Beispiel: ein anderes Rennen. Spiele in traumatischer Erinnerung. Irgend­eines. Ich weiß nicht mehr. Lange her. Da Nach einer langen Pause fing er wieder an: „Ich war der Edy Bruggmann. Ich meine, wer war der! habe oft darüber nachgedacht, ob man da nicht Das war, bevor er in Sapporo die Silbermedaille eine Sonderregelung treffen sollte. Ich weiß nicht, im Riesen­torlauf gewonnen hat. Der war niemand. was für eine Sonderregelung, irgendetwas eben. Der hat die Startnummer 38 oder 40 gehabt. Da ist Man muss grundsätzliche Überlegungen anstellen. bei den hinteren Startnummern die Piste immer Es handelt sich doch um Wettbewerbe. Die Frage schneller ­geworden, es hat eine leichte Wanne lautet doch: Wer ist der Beste? Und nicht: Wer hat ­gegeben, und da fährt er Bestzeit. Ich war schon am meisten Glück? Sicher ist immer etwas Glück beim Essen. Kommt der Trainer herein und sagt:


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