The Red Bulletin DE 08/21

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B O U L E VARD DER HEL DEN

MARK SPITZ

VERLIEBT IN SUPERMAN

Serie: MICHAEL KÖHLMEIER erzählt die außergewöhnlichen Geschichten inspirierender Figuren – faktentreu, aber mit literarischer Freiheit. Folge 5: Teenie-Schwärmerei für einen Meisterschwimmer im Sommer 1972.

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THE RED BULLETIN

BENE ROHLMANN, CLAUDIA MEITERT MICHAEL KÖHLMEIER

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GETTY IMAGES

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as ist eine alte Geschichte, an die mir sogar einbilden, sie mochte mich beson­ ders gern, und deshalb setzte sie sich zu uns manchmal gern, manchmal ungern und schaute sich gemeinsam mit uns an, erinnert wird. Sie trug sich im was da alles in München geschah. Und dann Sommer 1972 zu. Die Olympischen verliebte sie sich. Und sie verliebte sich so Spiele fanden in München statt. heftig, so bedingungslos, voll Hingabe und Wir alle, die damals so viel Freude am Verzweiflung – nie in meinem Leben bin ich Sport hatten, denken gern daran – mein einem solchen Überschwang begegnet. Onkel Hans war Schiedsrichter beim Hoch­ MICHAEL KÖHLMEIER sprung der Damen; und wir denken nicht Der Vorarlberger Sie verliebte sich in Mark Spitz. Bestsellerautor gilt gern daran, denn ein großes Verbrechen Und das war ja auch ganz leicht. Mark als bester Erzähler war geschehen: Palästinensische Terroris­ Spitz war Schwimmer, er trat für die USA deutscher Zunge. ten überfielen das Camp der israelischen an. Er war ein schöner Mann – das erstens. Zuletzt erschienen: olympischen Mannschaft und ermordeten Zweitens war er am Ende der Spiele der „Die Märchen“, zwei Sportler. Insgesamt starben siebzehn ­erfolgreichste olympische Sportler aller 816 Seiten, Verlag Carl Hanser. Menschen. Zeiten. Sieben Goldmedaillen hat er ge­ wonnen! Außerdem sieben Mal Weltrekord! So viel Freiheit war in meinem Leben Und das innerhalb einer Woche! Zu groß, um es nur zu damals. Ich war Student, in den Semesterferien wollte erwähnen; ich will, ich muss aufzählen: Am 28. August ich arbeiten, um wenigstens einen Teil meines Studiums 200 Meter Schmetterling und 4 ×  100 Meter Freistil, selbst zu verdienen. Genauso mein Freund. Es gab die am 29. August 200 Meter Freistil, am 31. August Möglichkeit, in der Schweiz auf den Feldern Bohnen 100 Meter Schmetterling und 4 × 200 Meter Freistil, zu ernten, da konnte man gut Geld machen und eine am 3. September 100 Meter Freistil, am 4. September interessante sonnenbraune Haut bekommen, aber die 4 ×  100 Meter Lagen. Während sich seine Konkur­ Arbeit war beschwerlich – und: Wir wären nicht dazu­ gekommen fernzusehen, wir hätten die meisten Wett­ renten alle Haare vom Körper rasieren ließen, um bewerbe verpasst. Das allein war unser Antrieb, dem ­dadurch vielleicht um ein paar Hundertstel schneller ORF ein Hörspiel anzubieten, das erste, wir hatten zu sein, trat Mark Spitz mit fast schulterlangen brau­ keine Erfahrung. Aber der ORF nahm an, und wir nen Locken auf und mit einem attraktiven Schnurr­ bart. Hundertstelsekunden spielten bei ihm keine verdienten etwa genauso viel wie auf den Schweizer ­Rolle, wo er doch alle anderen manchmal sogar um Bohnenfeldern. Und wir konnten uns im Fernsehen ­einige Längen hinter sich ließ. die Olympischen Spiele ansehen. Das war Glück. ie Schwester meines Freundes versäumte keinen Meine Familie hatte damals noch keinen Fernseher. Start. Sie fieberte. Sie fieberte nicht, weil sie sich Aber die Familie meines Freundes hatte einen. Er um einen Sieg ihres Idols sorgte. Nein. Jeder studierte auch, fast das Gleiche wie ich, er hatte eine wusste, Mark Spitz würde in allen Disziplinen, in denen sehr liebe kleine Schwester, sie war erst vierzehn und er antrat, gewinnen. Sie fieberte, weil sie fürchtete, interessierte sich überhaupt nicht für Sport. Sie mochte er könnte schon vergeben sein. Sie war vierzehn ihren Bruder gern, und mich mochte sie auch, ich darf


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