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Der längste Krieg

Der längste Krieg

Aufstieg und Fall der „Hundsgräfin“

Sie kam arm auf die Welt, wurde die Geliebte von Napoleon und steinreich, zog nach Bregenz, heiratete einen Vorarlberger und gründete ein Tierheim. Ihre Hunde fraßen das beste Fleisch aus silbernen Näpfen. Dann wurde sie um ihr Erbe betrogen und starb in bitterer Armut. Als „Hundsgräfin“ ging Emilie Kraus, Baronin von Wolfsberg, in die Geschichte ein.

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Text: Gerhard Thoma, Fotos: Horst F. Freudenberger, Archiv

Emilie Kraus durchlebte alle Höhen und Tiefen, und im tiefsten Fall ließ sie sich ihren Stolz und ihre Würde nicht nehmen. Geboren wurde sie im Jahr 1785 in Idria im Herzogtum Krain, dem heutigen Slowenien. Ihr Vater war im Bergbau beschäftigt, die Mutter Hausfrau. Emilie war zehn Jahre alt, als ihr Vater starb. Der k.k. Offizier Philipp von Mainoni (1765-1832) macht ihrer Mutter das Angebot, die Kleine mit nach Wien zu nehmen und für ihre Ausbildung zu sorgen. So kam es auch. Das Mädchen erhielt eine gute Schulbildung und wurde in die höfische Etikette eingeführt. Doch ein politisches Erdbeben brachte nicht nur den europäischen Kontinent, sondern auch das Leben der mittlerweile als „schöne Mili“ bezeichneten jungen Frau ins Wanken. Napoleon setzte zu seinem Siegeszug durch Europa an und residierte im Jahr 1805 als Sieger über Österreich in Wien. Der Kaiser der Franzosen zitierte hohe österreichische Verwaltungsbeamte zu sich, unter anderen auch Philipp von Mainoni. Ihr Ziehvater hatte es sich nicht nehmen lassen, Emilie zu dem Empfang in Schloss Schönbrunn mitzunehmen. So nahm das Schicksal seinen Lauf: Napoleon (36) verliebte sich Hals über Kopf in die 20-Jährige und ließ sie nicht mehr von seiner Seite. Jahrelang begleitete Emilie Napoleon auf seinen Feldzügen quer durch Europa – gut getarnt. Denn sie verkleidete sich als fescher junger Mann und trat als Napoleons Page namens „Felix“ in Erscheinung oder als kaiserlicher Adjudant namens „Graf von Wolfsberg“. Nur der innerste Zirkel wusste Bescheid. Hatte ihr Geliebter in Paris zu tun, was eher selten vorkam, war Emilie mit von der Partie. Bei Hof durfte sie nicht auftauchen, weil Napoleon seine damalige Ehegattin Josephine nicht brüskieren wollte. Emilie logierte als „graue Maus“ unweit der kaiserlichen Residenz in den Tuilerien. Nur ein Kammerdiener kannte ihre Identität.

Treu an der Seite des Geliebten

Auch eine adlige Rivalin konnte die leidenschaftliche Affäre nicht trüben. Nach weiteren Siegen auf dem Schlachtfeld kutschierte Napoleon im Herbst 1809 nämlich mit zwei hübschen Trophäen von Warschau nach Wien – nebst Emilie hatte er Gräfin Maria Walewska im Gepäck. Emilie und Maria brachten im Mai 1810 jeweils ein uneheliches Kind zur Welt – Emilie am 3. Mai in Paris und Maria am 7. Mai. Zwei Monate zuvor hatte Napoleon Erzherzogin Marie-Luise von Österreich, die Tochter von Kaiser Franz I., geheiratet. Aber geheiratet wurde damals meistens aus Kalkül, Liebe war selten dabei.

Emilie gab ihren Sohn Eugen in die Obhut von Johann Georg Megerle und dessen Frau in Wien. Sie selbst blieb treu an der Seite Napoleons. Eugen Megerle, Edler zu Mühlfeld (1810-1868), avancierte zu einem liberalen Juristen und Politiker.

Das Ende der Beziehung kommt mit Napoleons Niederlage bei Waterloo 1815. Bevor er ins Exil nach St. Helena muss, vermacht er seiner Geliebten die sagenhafte Summe von 450.000 Gulden und kürt sie offiziell zur Baronin von Wolfsberg. Das Geld liegt auf der Bank von London. Emilies Ziehvater Philipp von Mainoni wurde befohlen, den Pensionsvertrag zu hüten und ihr jährlich den Betrag von 24.000 Gulden auszuzahlen. Aber sofort nach Napoleons Tod 1821 gibt Mainoni ihr nur noch 9000 Gulden und stiehlt ihren wertvollen Schmuck. Schon 1817 hatte Emilie den Wiener Rechtsanwalt Johannes Schönauer geheiratet. Die Ehe wird nach drei Jahren geschieden und hinterlässt tiefe Wunden in Emilies Seele. Enttäuscht von Schönauer zieht sie mit ihrer Mutter Rosalia und ihrer Schwester weit weg von Wien, nach Bregenz, wo sie von 1824 bis 1828 in einer Villa in der Kolumbanstraße 2 wohnt. In Bregenz findet die mittlerweile 41-Jährige in dem 14 Jahre jüngeren Vorarlberger Barbiergesellen Vinzenz Brauner auch ein neues Glück. Nach jahrelangem Versteckspiel als geheime Geliebte und gescheiterter Ehe kann sie mit ihrem Frisör ein normales Leben führen, ohne psychischen Druck. Die Beiden übersiedeln nach Salzburg, wo ihr Lebensgefährte als Wundarzt tätig ist. Emilie kauft zwei Häuser und ein zweistöckiges Schlösschen mit 19 Zimmern – und entdeckt ihre Liebe zu Tieren. Rund um das Schlösschen erwächst ein Tierpark mit 160 Geschöpfen: Hunde aller Rassen, Katzen, Pferde, Esel, Affen, Papageien und Singvögel. Die Leute sprechen von einer „Arche Noah“ und nuscheln über Emilie als „Hundsgräfin“, weil sie ihren Hunden das beste Fleisch in Silbernäpfen serviert und auf dem Gelände einen Hundefriedhof mit Grabsteinen hat.

Porträt von Emilie Kraus. Napoleon beauftragte den berühmtesten Porträtisten von Wien, ihm ein Bild seiner Geliebten zu malen. So machte sich Johann Baptist von Lampi ans Werk und schuf ein Bild von Emilie, indem er sie als die Göttin Venus darstellte. Die leidenschaftliche Affäre dauerte zehn Jahre lang. In diesem Haus in der Bregenzer Kolumbanstraße lebte Emilie Kraus von Wolfsberg nach dem Sturz Napoleons im Jahr 1815. In Bregenz lernte sie den Barbiergesellen Vinzenz Brauner kennen und lieben. Ob Kaiser oder Frisör: Zu beiden Männern hatte die „Hundsgräfin“ eine innige Verbindung mit allen Vor- und Nachteilen.

Vom Schloss in die Fischerhütte

Wie ein Blitzschlag trifft die Baronin 1832 die Nachricht vom Selbstmord ihres Vermögensverwalters und Adoptivvaters. Er hatte sich aus dem dritten Stock seiner Wiener Wohnung gestürzt. Zuvor hatte er den Großteil von Emilies Treuhandvermögen verspekuliert und das übrige Geld seinem Neffen, dem Artillerieoffizier Dominik Mainoni, vermacht. Alle Dokumente, Pensionsverträge, die beweisen, dass Emilie ihr Vermögen von Napoleon erhalten hat, hat ihr Stiefvater verbrannt. Vom wertvollen Schmuck fehlt jede Spur.

Um Haus und Hof zu halten, macht sie immer größere Schulden. Zuerst wandern Kleider, Schmuck, Tafelsilber und Möbel ins Pfandhaus. Verbissen kämpft sie um ihre Tiere, aber den Gläubigern reißt der Geduldsfaden. Die Pferde werden verkauft und alle Esel, bis auf einen: Einen Esel behält Emilie, um mobil zu bleiben. Dann erkrankt ihre große Stütze, ihr Lebensgefährte Vinzenz. Er stirbt 1838 im Alter von 39 Jahren. Bis zuletzt hatte sie ihn gepflegt, jetzt steht sie alleine da. Weitere Tiere und Besitzungen werden verkauft oder gepfändet. Emilie hungert, besorgt lieber Futter für ihre 30 Hunde und 80 Vögel. Sie bittet Marie-Luise, die Witwe Napoleons, um Hilfe. Und tatsächlich: Die Gattin gewährt der Geliebten ihres Mannes eine Gnadenpension. Auch Carolina Augusta, die Witwe von Kaiser Franz I., erhört die Bitten der „Hundsgräfin“ und schickt Geld. Aber Emilie steckt alles in Tierfutter und versinkt immer tiefer im Sumpf. 1843 wird ihr gesamter Besitz samt den Tieren versteigert. Was übrig bleibt, sind das Bett, ein Tisch, zwei Sessel, etwas Kleidung und einige Teller und Pfannen. Dazu die nicht versteigerten Tiere: fünf Papageien, acht Singvögel, zwei Trauertauben, acht Pfauen, zwölf Hunde, einige Affen und viele Katzen. Mitten im Winter zieht die 58-Jährige in das ungeheizte „Fischerhäusl“ am Altenbach im Salzburger Stadtteil Gnigl.

„Zerlumpte Königin“

Man schenkte ihr sechs Blusen und vier Betttücher, die sie aber aus Stolz nicht annahm. Wochenlang liegt sie nackt im Bett, nur wenn die Tiere Futter brauchen, rafft sie sich auf und geht betteln. So lebte Emilie Victoria, Baronin von Wolfsberg, und verwahrloste immer mehr. Zähne und Haare fielen ihr aus, sie litt an Gicht und magerte bis zum Skelett ab. Der Salzburger Kardinal Schwarzenberg ließ sie in den erzbischöflichen Palast bringen und bot ihr eine Unterkunft an. Aber Emilie flüchtet nach kurzer Zeit wieder zu ihren Tieren in ihre Fischerhütte. Dort stirbt sie am 15. April 1845.

Ein Mann, dem Emilie in ihren letzten Lebensjahren begegnete, schrieb: „Man sah es dieser Frau an, dass sie einst bessere Tage erlebt hatte. Auf ihrem Gesicht lag der Ausdruck anmaßenden Stolzes, um ihren Leib hingen die Fetzen erstorbenen Reichtums und verblassten Glanzes, und in ihrer ganzen Erscheinung bot sie das traurige Bild herab gekommener Herrlichkeit, jeder Zoll eine zerlumpte Königin.“ Auf einer Tafel am Gnigler Friedhof ist zu lesen: „Zur Erinnerung an die Hundsgräfin Emilie Baronin von Wolfsberg, geb. Kraus, die langjährige Begleiterin Napoleons I. auf allen Feldzügen und seine treue Begleiterin bis zu seinem Sturze.“ Und: „Wer frei von Schuld und Fehler, der werfe den ersten Stein nach ihr.“

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