chilli – das Freiburger Stadtmagazin

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Titel Kirche

Rebellen im Rieselfeld

Wie eine Gemeinde zum Hotspot des Kirchenprotests wird

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Fotos: © tln

as Standesamt in Köln ist überrannt worden von Menschen, die aus der Kirche austreten möchten. Auch in Freiburg klettert die Zahl der Abtrünnigen auf Rekordhöhe. Immer mehr seien „Überzeugungsaustritte“, berichtet der Freiburger Pfarrer Siegfried Huber, der im März einen Social-Media-Coup landete. Der Protest wächst – auch in Reihen der Freiburger Kirchengemeinde. Das Rieselfeld entwickelt sich dabei zum Kern des Widerstands. Wer die Kirche Maria-Magdalena im Rieselfeld betritt, sieht schnell: Hier ist etwas anders. Der Innenraum des Betonklotzes hat weder Kirchenbänke noch verzierte Fenster oder einen auffälligen Altar. Holzstühle reihen sich in dem schlichten Interieur aneinander, nur die Gemälde einer Kunstausstellung bringen etwas Farbe in den Raum. Protestanten und Katholiken sind hier zu Hause. Gebetet und gefeiert wird oft Seite an Seite – Katholische und Evangelische sitzen bunt gemischt auf den Stühlen. Das berichten Felix Sumbert (25) und Luis Haber (25) nicht ohne Stolz. Die beiden sind hier Pfarrgemeinderäte und haben von sich reden gemacht: Als Trio schrieben sie im April mit ihrem Kollegen Felix Lamprecht einen offenen Brief an Freiburgs Erzbischof Stephan Burger. Die Brandschrift hat’s in sich: Sie bemängeln die „dramatische Entwicklung in der katholischen Kirche“. Die Mehrheit der jungen Menschen in ihrer Gemeinde erwäge einen Austritt. Die Gründe: diskriminierende Ansichten, veraltete Sexualmoral und völlige Intransparenz bei der Missbrauchsaufklärung in Köln. Sie fordern daher radikale Änderungen. „Absolut verachtenswert“ nennen sie die Haltung der Amtskirche beim chilli-Gespräch. Vollkommen marode und altbacken seien die Positionen zu Frauen 10 CHILLI September 2021

und Homosexuellen, dem Zölibat und den Missbrauchsskandalen. Für die drei ist der Brief ein letzter Versuch, bevor sie von Bord eines sinkenden Schiffs gehen. Seit ihrer Kindheit sind sie Teil der Kirche. Ihr Schreiben enden sie mit: „Wir wollen unsere Kirche nicht kommentarlos mit einem Kirchenaustritt verlassen.“ Auch für Maria 2.0 brechen sie im Brief eine Lanze. „Deren überfällige Forderungen zur völligen Gleichberechtigung von Mann und Frau müssten endlich erhört werden.“ Und siehe da: Deren Freiburger Keimzelle ist ebenfalls in der Maria-­ Magdalena-Kirche. Sprecherin der Initiative ist Gabriele Schmidhuber. Mehr als 40 Jahre lang ist sie schon in der Kirche aktiv, erzählt die 53-Jährige in einem Rieselfelder Café. „Wir haben schon vor 30 Jahren über die gleichen Themen gestritten. Bewegt hat sich wenig.“ Über die Amtskirche ärgert sie sich maßlos: Deren Haltung „widerspricht zutiefst meinen Überzeugungen von Freiheit

Bischof rudert zurück und von der Gleichheit von Menschen“. Erzbischof Burger wirft sie eine „Teflonpolitik“ vor. Er sage zwar, er verstehe ihr Anliegen, es passiere aber nichts. „Es ­perlt alles ab“, kritisiert Schmidhuber. Bei ihrem Maria-2.0-Protest bei einer Priesterweihe 2019 auf dem Münsterplatz waren rund 800 Menschen dabei. Daraufhin habe es zwei Gespräche mit Burger gegeben, erzählt Schmidhuber. Anfangs habe er dem Wunsch nachkommen wollen, ihren Forderungen in der Bischofskonferenz Ausdruck zu verleihen. Dann sei er zurückgerudert. Die Aktivistin ist überzeugt: Wenn die Kirche das Ruder nicht rumreißt, werden viele

Gläubige Abschied nehmen. Auch bei ihr fehle nicht mehr viel. Am Ende blieben nur noch alte weiße Männer. Ein Grund, in der Kirche zu bleiben, ist für sie und die drei Pfarrgemeinderäte die Gemeinde im Rieselfeld. Dort werde der Glaube gelebt, wie sie es sich wünschen: flache Hierarchien, Akzeptanz Homosexueller, mehr Verantwortung für Frauen. Gebetet werde beispielsweise nicht das unterwürfige „Lamm Gottes“. Statt „Herr, ich bin nicht würdig“ sagen sie „Herr, du machst mich würdig“. Hinter all dem steht Pfarrer Siegfried Huber. Der 42-Jährige leitet die Katholische Kirchengemeinde Freiburg Südwest mit den Pfarreien Haslach, Weingarten und Rieselfeld. Die drei jungen Pfarrgemeinderäte nennen ihn „Siggi“ und sind schwer begeistert. „Wäre es möglich, aus der Amtskirche auszutreten und hier einzutreten, würden das 90 Prozent der Rieselfelder machen“, sagt Felix Sumbert. Zu überregionaler Bekanntheit kam Pfarrer Huber im März. Da postete er auf Facebook das Foto, wie er zwei Frauen traut – außerhalb der Kirche. Mehr als 500 Mal ist das Bild geteilt worden. In fast 400 Kommentaren gibt es Beifall und Anfeindungen. Auch in seinen drei Gemeinden stehen gleichgeschlechtlichen Paaren die Türen offen, berichtet er in seinem Büro in Weingarten. Schon seit Jahren lädt er sie zu Segnungsgottesdiensten ein. Kirchenrechtlich ist das verboten, Huber tut es dennoch: „Wir fragen in erster Linie, was seelsorgerisch wichtig ist, und in zweiter Linie nach dem Kirchenrecht.“ Probleme mit der Erzdiözese habe er deswegen nicht. „Ich fühle mich ohnmächtig“, sagt Huber zu Skandalen wie um den Kölner Kardinal Wölki, der Missbrauchsuntersuchungen zurückhält. Immer mehr, die sich von der Kirche abwenden,


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