Die Frau, die über den Brexit entscheidet

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DIE WELT

POLITIK 7

MITTWOCH, 10. OKTOBER 2018

rlene Foster war acht Jahre alt, als eine Nacht ihr ganzes Leben verändern sollte. Sie hatte mit ihrer Mutter und Geschwistern abends am Küchentisch gesessen, als die Schüsse fielen. „Meine Mutter erstarrte. Mein Vater war draußen, um die Kühe in den Stall zu bringen“, erzählte Foster Jahre später. Kurz darauf schleppte sich Fosters Vater auf allen vieren ins Haus, „Blut sickerte aus seinem Kopf“. Ein Strafakt von Terroristen der IRA, weil der Familienvater Reserveoffizier der Royal Ulster Constabulary war. Er überlebte knapp. VON STEFANIE BOLZEN

Die Frau, die die Insel ins Chaos stürzen könnte

Nordirlands Ministerpräsidentin Arlene Foster entscheidet zwischen Brexit und „No Deal“

Fosters Biografie ist seither Teil von Nordirlands 30 Jahre währenden „Troubles“, in denen mindestens 3000 Menschen ihr Leben ließen. Als sie 16 war, ging unter ihrem Schulbus eine Bombe hoch, die neben ihr sitzende Freundin wurde schwer verletzt. Kurz danach trat Foster der probritischen Ulster Unionist Party bei, wechselte später zur Democratic Unionist Party (DUP) und ist seit 2015 Nordirlands Erste Ministerin. Jetzt spielt die 48-Jährige nicht nur für ihre Heimat, sondern für ganz Großbritannien und damit die Europäische Union eine entscheidende Rolle. An ihrer Zustimmung hängt der Brexit-Deal. Entscheiden sich Foster und die anderen DUP-Abgeordneten gegen den Kompromiss, um den Premierministerin Theresa May derzeit mit Brüssel verzweifelt ringt, dann steuern alle auf das schlechteste Szenario zu: den „No Deal“. Ein Herausfallen Großbritanniens aus der EU-Mitgliedschaft ohne jegliche Vereinbarungen. Mit für beide Seiten, besonders aber für die Briten, potenziell katastrophalen Konsequenzen. Fosters Biografie hat mit dem „No Deal“-Risiko viel zu tun. Aufgewachsen im Schatten der „Troubles“ war sie aktiv dabei, als Iren und Briten 1998 mit dem Karfreitagsabkommen einen Weg aus dem Konflikt fanden. Für Unionisten wie Foster bedeutet dieser kostbare Frieden aber keinesfalls, dass Nordirland eines Tages Teil der Republik Irland werden könnte. Im Gegenteil, es muss eng angebundener Bestandteil Großbri-

AFP/OLIVIER HOSLET

AUS LONDON

Arlene Foster spielt für ganz Großbritannien und damit die Europäische Union eine entscheidende Rolle

tanniens bleiben. Das machte Foster am Dienstag bei ihrem Besuch in Brüssel, wo sie den Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier traf, unzweideutig klar. „Es gibt nur eine rote Linie – wenn wir anders behandelt würden als der Rest des Vereinten Königreichs.“ Eine Ohrfeige für die Unterhändler aus London und Brüssel, die vor dem EU-Gipfel nächste Woche fieberhaft nach einer Lösung für Nordirland suchen. Aus Sicht der EU ist ein Sonderstatus der Region der einzige Weg aus dem Brexit-Dilemma. Mit dem Votum für den EU-Ausstieg im Juni 2016 stehen beide Seiten vor der Frage, wie eine neue Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden kann. Die Europäer wie auch Premier May haben sich dazu sogar verpflichtet. Aber weil die britische Regierung Zollunion und EU-Binnenmarkt verlassen will, um sich vom Brüsseler Regelwerk zu befreien, ist eine Grenze unvermeidbar. Zölle müssen erhoben, Waren auf Standards kontrolliert werden. „Nordirland ist unlösbar“, hieß es deshalb schon zu Beginn der Verhandlungen in Brüssel hinter vorgehaltener Hand. Barnier schlug daher vergangenen Dezember einen Plan mit drei Optionen vor. Entweder die Briten bleiben im Binnenmarkt und der Zollunion und vermeiden damit Kontrollen in Irland. Oder sie legen durchführbare technische Lösungen für eine unsichtbare Grenze vor. Da die Europäer von Vorneherein keines von beidem erwarteten, schrieben sie eine dritte Variante fest: dass Nordirland abgekoppelt vom britischen „Mainland“ im EU-Regelwerk bleibt. Dann braucht es auf der Irischen Insel auch keine Grenze. Der sogenannte Backstop gilt der EU als Rückversicherung, die im schlechtesten Fall eintritt und dauerhaft gelten muss. Das Ganze hat aus britischer Sicht jedoch einen dicken Haken, weil es Kontrollen zwischen dem künftigen Drittstaat Großbritannien und Nordirland notwendig machen würde. Das ist für Unionisten wie Foster nicht verhandelbar. „Ich bin die Vorsitzende der Democratic Unionist Party. Der Schlüssel liegt in diesem Titel. Ich bin Unionist, ich glaube an die Einheit des Vereinten Königreichs, von allen vier Elementen

des Vereinten Königreichs“, erklärte Foster in Brüssel. Auch Theresa May sagt, „kein britischer Premier könnte einem Aufspalten der territorialen Integrität zustimmen“. Barnier versucht derzeit die Idee einer Grenze in der Irischen See zu „dedramatisieren“ durch kaum sichtbare Kontrollen an den Häfen, die es schon jetzt teilweise gibt. Ein gut verpackter Kompromiss, mit dem sich auch May möglicherweise anfreunden könnte. Das Problem ist, dass dieser Kompromiss nicht weit über Brüssel hinauszukommen droht. Denn das britische Parlament muss dem Brexit-Deal zustimmen. Und just im Unterhaus ist die Konservative ohne Mehrheit und angewiesen auf – Arlene Foster und ihre neun DUP-Kollegen. Sie sind seit der von May selbst verursachten Wahlschlappe im Juni 2017 Königsmacher. Kommt die Regierungschefin mit einem Vertrag aus Brüssel zurück, den die Nordiren nicht mittragen wollen, hat sie numerisch keine Mehrheit und müsste sich diese womöglich von der oppositionellen Labour-Partei holen. Was wiederum die Brexit-Anhänger in den Tory-Reihen aufwiegeln würde. In London vermutet man hinter Fosters lauter Ablehnung derweil Kalkül. „Meint sie ihr Nein ernst? Anfangs hatte die DUP auch eine Unterstützung der Minderheitsregierung abgelehnt und sich dann doch darauf eingelassen“, erinnert Sam Lowe daran, dass May Nordirland nach der Wahl kurzfristig umgerechnet 1,2 Milliarden Euro Sonderhilfen zusagte. „Nordirland ist in vielerlei Hinsicht nicht in Großbritannien integriert. Etwa in seiner kategorischen Ablehnung der rechtlich verbindlichen Homo-Ehe oder des Abtreibungsrechts. Das Beharren auf die Integrität des Territoriums birgt aber hohe Symbolik, und die ist wichtig für die DUP“, sagt der Handelsexperte vom Centre for European Reform. Hohe Symbolik hat Nordirland aber auch für die Europäische Union. Das Karfreitagsabkommen von 1998 sieht sie als Beleg für ihre Frieden stiftende Kraft. Zudem flossen seit Mitte der 90er-Jahre mehr als 1,3 Milliarden Euro aus Brüssel in das „Peace“-Programm der Region. Bis zum EU-Gipfel kommende Woche muss eine Lösung stehen. Aber die wird es nicht ohne Billigung von Arlene Foster geben.

Nikki Haley nimmt sich eine Auszeit

UN-Botschafterin legt ihr Amt nieder. Lob von Trump

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ie Botschafterin der USA bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, legt ihr Amt zum Jahresende nieder. Präsident Donald Trump gab bekannt, dass Haley „eine Auszeit nehmen“ wolle, sie habe ihn bereits vor einem halben Jahr über diesen Wunsch informiert. Der Präsident lobte Haley für ihre „fantastische Arbeit“ als UNBotschafterin. Haley ging vor Journalisten nicht im Detail auf die Gründe für ihren Rücktritt ein. Sie betonte aber, dass sie nicht die Absicht habe, sich um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner für die Wahl im Jahr 2020 zu bewerben. Es sei „wichtig zu wissen, wann die Zeit zu gehen gekommen“ sei, sagte sie ohne nähere Erläuterung. Die frühere Gouverneurin von South Carolina ist in ihrer Partei populär. Seit Januar 2017 war sie UN-Botschafterin – ein wichtiges Amt, das in den USA Kabinettsrang hat. Als Tochter indischer Einwanderer ist die 1972 geborene Haley eine Ausnahmeerscheinung bei den Republikanern, deren Spitzenpersonal hauptsächlich aus europäischstämmigen Weißen besteht. Für den Botschafterposten in New York brachte Haley wenig außenpolitische Erfahrung mit. Sie profilierte sich aber schnell als wortgewaltige Fürsprecherin einer harten Linie in der US-Außenpolitik – gegenüber dem Iran, aber auch gegenüber Nordkorea, mit dem Präsident Trump derzeit die Annäherung sucht. Haley hatte im September einen Artikel veröffentlicht, in dem sie über politische Differenzen mit Trump berichtete, aber auch über ihren Stolz darauf, für ihn zu arbeiten. Sie unterstütze die meisten Entscheidungen der Regierung und die Richtung, in der diese das Land führe, schrieb sie. „Aber ich bin nicht bei allem mit dem Präsidenten einer Meinung.“ DW ANZEIGE


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