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5 Schlussfolgerungen

Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem stösst an soziale, ökologische und ökonomische Grenzen und bedarf deshalb eines grundlegenden Wandels. Vor diesem Hintergrund haben wir in diesem Working Paper dargestellt, welche Potentiale eine Reduktion der Erwerbsarbeitszeit für die Umwelt, Lebenszufriedenheit und das Funktionieren der Wirtschaft haben könnte und sind der Frage nachgegangen, inwiefern Anstrengungen zur Reduktion der Erwerbsarbeitszeit für die Schweiz eine mögliche suffizienz-orientierte Transformationsstrategie im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung darstellen könnte. Angesichts der ökologischen, sozialen und ökonomischen Probleme scheint es immer wahrscheinlicher, dass eine Reduktion der gesamtgesellschaftlichen und individuellen Erwerbsarbeitszeit nicht nur einen optimalen, sondern einen notwendigen Teil einer suffizienz-orientierten Transformationsstrategie bilden wird. Die Dringlichkeit einer Transformation unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zeigt sich aktuell während der weltweiten Pandemie, hervorgerufen durch den Coronavirus SARS-CoV-2. Dabei wird uns schmerzlich vor Augen geführt, wie anfällig unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in den letzten 30 Jahren durch den eindimensionalen Fokus auf Profitmaximierung geworden ist. Gleichzeitig zeigt uns die Coronakrise aber auch auf, was möglich wäre und bereits ist, und dass die bisher jeweils ins Feld geführten sogenannt nicht verhandelbaren Argumente wie interessengesteuerte Politik, wirtschaftliche Sachzwänge, technologische Barrieren und unveränderliche Verhaltensmuster sich doch innert kürzester Zeit verändern lassen.

Während in den Nachhaltigkeitswissenschaften bereits länger Konsens besteht, dass Effizienz- und Konsistenzstrategien alleine für den dringend benötigten Wandel nicht reichen werden, sondern zusätzlich Ansätze einer Suffizienz-Strategie umgesetzt werden müssen, könnten nun diese Einsichten auch auf einer breiteren politischen und gesellschaftlichen Ebene auf Gehör stossen; dies nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass im Zuge dieser Pandemie die Wissenschaft wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen scheint. Insbesondere im Nachgang zur Coronakrise dürfte es wichtig sein, den Ansätzen der Suffizienz-Strategie Nachdruck zu verleihen und Forderungen nach einem Vorrang der Wirtschaftsstützung auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit entgegen zu treten.

Damit wir auf zukünftige Krisen besser vorbereitet sind, sollten wir nicht unreflektiert auf Antworten und bewährte Lösungen von gestern zurückgreifen, sondern die Widersprüche und Synergien zwischen Sektoren wie Gesundheitswesen, Wirtschaft, Ernährung oder Energiesystemen so gestalten, dass dadurch eine Transformation hin zu einem widerstandsfähigeren Wirtschafts- und Gesellschaftssystem unterstützt wird. Dafür benötigen wir neue oder zumindest angepasste Antworten. Im vorangegangenen Kapitel haben wir neue Ansatzpunkte dargestellt, wie durch eine Erwerbsarbeitszeitreduktion den Herausforderungen in den ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimensionen begegnet werden könnte. Wie in Kapitel 3 ausgeführt, hängt der Effekt einer Erwerbsarbeitszeitverkürzung nicht zuletzt davon ab, wie sich die Reduktion der Erwerbsarbeitszeit auf das verfügbare Einkommen auswirkt und was wir in unserer Freizeit machen. Die konkrete Ausgestaltung der in Kapitel 4 vorgestellten Ansatzpunkte bewegt sich in einem Anspruchsdreieck zwischen den drei beschriebenen Dividenden. Die Ziele müssen eine gerechte und klimaneutrale Gesellschaft sowie eine funktionierende Wirtschaft sein (Abbildung 5.1).

soziale Dividende

gerechte Gesellschaft

ökonomische Dividende

funktionierende Wirtschaft klimaneutrale Gesellschaft ökologische Dividende

Abbildung 5.1: Gestaltungsrahmen einer sozial-ökologischen Arbeitszeitpolitik im Spannungsfeld ökologischer, sozialer und ökonomischer Ziele (Quelle: Eigene Darstellung)

Abbildung 5.1 zeigt, dass der Weg zu einer gerechten und klimaneutralen Gesellschaft sowie einer funktionierenden Wirtschaft ein Aushandlungsprozess ist, da sich je nach Umsetzungsform Trade-Offs zwischen den angenommenen positiven Effekten ergeben. Betrachten wir eine Erwerbsarbeitszeitreduktion beispielsweise aus einer rein ökologischen Perspektive, könnte eine klimaneutrale Gesellschaft am effizientesten mit einer Reduktion der Erwerbsarbeitszeit ohne Lohn- und Personalausgleich erreicht werden. Eine solche Ausgestaltung würde jedoch erhebliche soziale Kosten verursachen. Beispielsweise führt ein mangelnder Lohnausgleich zu einer finanziellen Schlechterstellung, insbesondere in Niedriglohnbranchen und bei prekären Arbeitsverhältnissen. Umgekehrt ist es naheliegend, dass eine Erwerbsarbeitszeitreduktion mit vollem Lohnausgleich aus sozialer Perspektive zwar wünschenswert sein kann, gleichzeitig aber zu erhöhtem Konsum und damit einhergehend einer Zunahme der Umweltbelastung, also negativen Effekten in der ökologischen Dimension führen könnte. Eine Reduktion der Erwerbsarbeitszeit ohne Personalausgleich, d.h. einer Einsparung anstelle einer Weiterverteilung der freiwerdenden Arbeit, verhindert die ökonomisch wie auch sozial wünschenswerte Reduktion der Arbeitslosigkeit und kann zudem zu einer Verdichtung der Arbeit führen, was in der Folge die Gesundheitskosten weiter ansteigen lassen würde. Die Umsetzung einer Erwerbsarbeitszeitreduktion muss deshalb sorgfältig gegen mögliche unerwünschte Folgen in den drei Dimensionen der Ökologie, Wirtschaft und Gesellschaft abgewogen werden. Von vorneherein wird es die eine Lösung nicht geben, vielmehr ist die Transformation hin zu einer gerechten, klimaneutralen Gesellschaft und einer funktionierenden Wirtschaft für alle ein Such- und Lernprozess. Neue Wege und Instrumente müssen ausgetestet, angepasst und teilweise auch verworfen werden. Die Eckpunkte dieses Prozesses sehen wir Autor*innen in einer sozialverträglichen Erwerbsarbeitszeitreduktion, so dass die Reduktion der Erwerbsarbeitszeit weder zu Lasten der Arbeitnehmenden in Form von verdichteter Arbeit geht, noch zulasten von Menschen mit nicht-existenzsichernden Einkommen. Unerlässlich scheint uns eine gerechtere Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit zwischen Männer und Frauen.

Die Coronakrise könnte ein ähnliches Gelegenheitsfenster für eine Transformation des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems bieten, wie die Rezession in den 1970er Jahren, als der Keynesianismus durch den Neoliberalismus abgelöst wurde. Wir hoffen mit dem vorliegenden Arbeitspapier einen Beitrag zur Debatte eines Alternativentwurfs einer gerechten und klimaneutralen Gesellschaft sowie einer funktionierenden Wirtschaft zu leisten.

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