Inhaltsverzeichnis
Liebe Leserin, lieber Leser!
Herzlich willkommen in diesem wunderbaren Buch!
Hier erzählen ganz unterschiedliche Menschen von ganz unterschiedlichen Alltagswundern. Was alle Geschichten miteinander verbindet, ist die wundersame Erfahrung, dass Menschen wieder neu Hoffnung finden und so über sich hinauswachsen können. Hier finden sich viele verschiedene Begebenheiten und Erlebnisse, die zeigen, dass das Leben unerwartete, wundersame Wendungen nehmen kann. Auch dann, wenn Situationen schon längst aussichtslos schienen.
Normalerweise sollte ein Vorwort in einem Buch ja zeitlos sein. Aber gerade schreibe ich diese Zeilen nach vielen Corona-Monaten und immer noch mitten in der Pandemie. Seit einigen Wochen herrscht Krieg auf europäischem Boden und ich höre in den vielen Beratungsgesprächen, die ich tagtäglich mit Menschen führe, wie groß das Entsetzen, aber auch die eigene Angst ist. Die Bilder, die wir gerade im Fernsehen sehen, verstören und machen mich sprachlos. Mitten in diesen schwierigen Zeiten möchte ich mich gemeinsam mit den Autorinnen und Autoren in diesem Buch auf die Suche nach dem „Licht am Ende des Tunnels“ machen. Möchte fragen, was uns Menschen auch in diesen Stürmen trotzdem hoffen, trotzdem glauben und trotzdem leben lässt.
Im Konzentrationslager in Buchenwald wurden zwei Häftlinge beauftragt, ein Lied über das Lager zu schreiben. Daraus wurde später die berühmte „Buchenwald-Hymne“. Da heißt es: „Halte Schritt, Kamerad, und verlier nicht den Mut, denn wir tragen den Willen zum Leben im Blut und im Herzen, im Herzen den Glauben!“ Und später im Refrain: „O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen, und was auch unsere Zukunft sei – wir wollen trotzdem Ja zum Leben sagen, denn einmal kommt der Tag – dann sind wir frei!“ Welche Worte und was für eine Hoffnung in einer so lebensfeindlichen Umgebung!
Jesus sagt: „Seid getrost, ich bin bei euch bis ans Ende der Welt.“ Das ist viel mehr als nur eine billige Vertröstung. An dieses Versprechen können wir uns gegenseitig immer wieder erinnern. Nicht mit einfältigen Floskeln, nicht mit einem sorglosen „Du brauchst doch keine Angst zu haben!“, sondern durch gemeinsames Ringen, durch das Suchen und Finden von tragfähigen Antworten. Dazu braucht es Geschichten. Wenn wir beginnen, unsere Nöte und Sorgen, unser Schaffen und Scheitern, unsere Erfolge und Brüche erzählend zu teilen, dann beginnen wir, gemeinsam nach Trost zu suchen, und werden dabei feststellen: Wir sind nicht allein – und wir waren es nie!
Der deutsche Theologe Dietrich Bonhoeffer, der von den Nationalsozialisten ermordet wurde, betete ein berührendes Gebet in seiner Zelle. Dieses Gebet begleitet mich schon seit vielen Jahren und in diesen Tagen ganz besonders. Ich muss meine eigene Dunkelheit nicht verschweigen. Ich darf bei
Gott ehrlich und offen meine Zweifel, meine Angst, meine Sorgen und mein Scheitern benennen. Und mitten in den Stürmen des Lebens trotzdem einen Halt finden, der weit über alle Alltagssorgen hinaus tragfähig ist.
„In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht; ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht; ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe; ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden; in mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld; ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den rechten Weg für mich.“
Bleiben Sie behütet! Ihr
Andi Weiss
LICHT AM ENDE DES TUNNELS
Ich weiß, der Sturm wird grade stärker, und du glaubst, du schaffst das nicht.
Jeder Sinn bleibt dir verborgen.
Du sehnst dich so sehr nach mehr Licht.
Du tastest still im Dunkeln weiter, Du suchst verzweifelt nach deinem Glück.
Doch alle Pläne sind gescheitert, Du weißt, es gibt jetzt kein Zurück.
Ich weiß, du wolltest noch so viel machen, so viel lachen, noch so viel tun.
Und aus dem schönsten Sommerregen wird gerade ein Monsun.
Auch wenn jetzt alle Stricke reißen, auch wenn dir gar nichts mehr gelingt –dann hör auf dieses kleine Lied hier, das jetzt in deinem Herz erklingt.
Ich weiß, da ist ein Licht am Ende des Tunnels.
Und es scheint für dich, auch wenn alle Winde wehn.
Ich weiß, in dir liegt so viel Gesundes und du wirst auch diesen Sturm hier überstehn.
Ich weiß, du wirst auch diesen Sturm hier überstehn.
Ich weiß, noch bohrt in dir der Zweifel, ich weiß, noch lähmt dich deine Angst.
Und wird der Sturm auch grade stärker, es kommt der Tag, an dem du tanzt.
In dir liegen große Schätze und die kann niemand zerstörn.
Ich weiß, in deinem Herzen klingt es.
Und ich hoff, du kannst es hörn?
Text und Melodie: © ANDI WEISS, www.andi-weiss.de (Aus der CD: „WEIL IMMER WAS GEHT“)
Verblüffung am Ende der Welt
Was mache ich denn ausgerechnet hier in Blumental im Chaco Paraguays, am Ende der Welt? Wir schreiben Karfreitag, den 6. April 2012. Hinter mir liegt eine lange Reise. Erst mit dem Flieger von Frankfurt aus rund 11.000 Kilometer bis nach Asunción, der Hauptstadt des südamerikanischen Landes Paraguay. Dann mit einem Auto aus der Stadt heraus und mehrere Stunden lang auf der fast schnurgeraden Asphaltpiste, überwiegend durch menschenleere Wildnis bis nach Fernheim, eine der mennonitischen Kolonien in der ChacoRegion.
Der Chaco ist ein riesiges, sehr dünn besiedeltes Gebiet in der Grenzregion zwischen Paraguay, Bolivien und Argentinien. Oft extrem heiß, trocken, übersät mit struppigen Dornbüschen. Hier haben in den letzten Generationen mutige Mennoniten aus Europa unter schier unsäglichen Strapazen ihre „Kolonien“ errichtet. Hier wollten und wollen sie frei und fröhlich ihren Glauben und ihre pazifistische Lebenshaltung ausüben, was sie in der alten Heimat (ganz ursprünglich in Nordfriesland, dann für einige Jahrhunderte in Osteuropa) nicht durften.
Noch vor einhundert Jahren – so erfahre ich – gab es hier nur Trockenheit und Hitze. Lediglich eine Handvoll Einheimischer zog von Wasserloch zu Wasserloch durch die
menschenverachtende Gegend oder unterhielt kleine landwirtschaftliche Betriebe. Heute aber ist die Region durch hart arbeitende Mennoniten im Sinne des Wortes „aufgeblüht“.
Vor den Nachkommen der Pioniergeneration darf ich nun bei mehreren Veranstaltungen singen und heute mit ihnen in Blumental Gottesdienst feiern.
Dazu sind wir von Philadelphia aus am Karfreitagmorgen noch einmal eine gute Stunde mit dem Auto unterwegs. Wir holpern über eine Sandpiste, die so aussieht, als wolle sie uns ins Nirgendwo führen. Oder – so überlege ich – bis zu einem Bretterzaun mit der Aufschrift: „Ende der Welt. Weiterfahrt auf eigene Gefahr“.
Nach viel Ruckelei und Staub kommen wir am Ziel an, steigen aus, recken und strecken unsere Glieder. Blumental also. In the middle of nowhere. Ein paar wenige Gebäude. Rund herum trockenes Gestrüpp. Zwei, drei Sandpisten, die von verschiedenen Richtungen herkommen und sich hier kreuzen. Na, super. Was mache ich denn ausgerechnet hier in Blumental, wo sich kaum eine Menschenseele zeigt?
Den Musikgottesdienst zu Karfreitag werde ich zusammen mit zwei jungen Musikern aus der Mennonitengemeinde gestalten, die mich an Klavier und Gitarre begleiten, außerdem mit einer geübten Sprecherin des deutschsprachigen Radios ZP 30, die Bibeltexte liest. Anlage, Leinwand, Beamer, alles ist zügig in dem geräumigen Gemeindehaus aufgebaut. Ein kurzer Soundcheck noch, dann heißt es warten. Ich gestehe:
Dabei werden meine Zweifel an der Aktion von Minute zu Minute größer.
Noch 15 Minuten vor dem Gottesdienst hat sich kaum ein Besucher eingefunden. Aber dann strömen sie plötzlich wie auf Kommando herbei. Wolken von Sand und Staub fliegen gen Himmel und kündigen jedes einzelne Fahrzeug an. Die Kirche füllt sich in Windeseile. Und dann geht es los, mit deutscher Pünktlichkeit und keineswegs mit lateinamerikanischer „Lockerheit“. Während des Vorspiels der beiden Musiker sehe ich mich um und kann es kaum glauben: Etliche Hundert Menschen feiern mit uns einen musikalischen Passionsgottesdienst. Festtäglich gekleidete Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder sitzen dicht gedrängt.
Ob sie etwas anfangen können mit meiner Art zu formulieren, zu moderieren, geistliche Inhalte in Musik umzusetzen? Ich gestehe, dass ich unsicher bin. Ein Sprachproblem gibt es nicht. Muttersprache der Menschen hier ist eine spezielle Form von „Plattdeutsch“, das sie aus der norddeutschen Heimat ihrer Vorvorfahren mitgebracht haben. Ihr „Hochdeutsch“ fürs Gespräch mit Menschen wie mir klingt für meine Ohren etwas eingerostet, mit osteuropäisch anmutender Sprachmelodie und gelegentlichen spanischen Brocken. Aber wir verstehen einander bestens. Die Zuhörerinnen und Zuhörer jedenfalls hören konzentriert zu. Sie wirken dabei auf mich ernst, fast verschlossen. Ich sehe in die wettergegerbten Gesichter von Landwirten, Viehzüchtern, Handwerkern und
ihren Familien, die hier ein hartes Leben unter extremen Bedingungen führen. Und mit denen mich zumindest auf den ersten Blick nicht viel mehr als eine ähnliche Sprache und der Glaube verbinden.
Dann die absolute Überraschung für mich, als wir das Lied „Unser Vater“ anstimmen: 1994 haben wir dieses Lied veröffentlicht (den Text habe ich zum „Vaterunser“-Gebet geschrieben, die Melodie stammt von Hans-Werner Scharnowski). Jetzt möchte ich versuchen, den Menschen hier in Blumental den eingängigen Refrain beizubringen. Doch das ist nicht nötig. Zu meiner großen Verblüffung steht die versammelte Gemeinde auf und singt das Lied lautstark mit: „Vater, unser Vater, alle Ehre deinem Namen. Vater, unser Vater, bis ans Ende der Zeiten. Amen!“ – mehrstimmig, überwiegend auswendig, voller Inbrunst. Ich begreife: Mein Lied ist längst vor mir angekommen in Blumental. Hier, ziemlich nahe am (gefühlten) Ende der Welt. Unglaublich.
Mir steigen beim Singen Tränen in die Augen. Gedanken und Gefühle überrollen mich. Ich entsinne mich an manche Stunde auf einem der Hügel am See Genezareth. Dort, wo irgendwo auf einer Anhöhe Jesus den Menschen nicht nur die gewaltige Botschaft der Bergpredigt mitgab, sondern ihnen speziell auch das wertvolle persönliche Gebet anvertraute, das für die Menschen damals und für uns heute als Einstieg ins Gespräch mit unserem himmlischen Vater dienen kann. Von dieser abgelegenen Gegend im alten Israel aus hat dieses
Gebet eine unfassbar weite Verbreitung gefunden, bis hierher nach Blumental und weit darüber hinaus. In unzähligen Sprachen und in vielen Formen hat sich die wichtige Nachricht verbreitet: Wir dürfen Vater sagen zu Gott, dürfen ihm unsere Sorgen um Nahrung und Versorgung hinlegen, dürfen um Vergebung bitten, uns dankbar an seine Macht und seinen Einfluss erinnern und ihm gemeinsam die Ehre erweisen, die ihm zusteht.
Und das genau tun wir jetzt, hier in Blumental, die Gemeinde und wir Gäste. Das Gebet, das wir gemeinsam singen, hat hier die gleiche tiefe Bedeutung wie einst am See Genezareth. Mein kleines Lied ist ein Vehikel für die große Botschaft des Gebets. Es erinnert mich und andere an die tiefen Wahrheiten des Vaterunsers. Und hat erstaunlich schnell seinen Weg aus Deutschland bis hierher geschafft.
Diese Erfahrung in Blumental werde ich nie vergessen. Auch wenn es zwischen mir und den Geschwistern aus den Mennonitenkolonien dort einiges an Unterschieden geben mag, auch wenn wir sicher unterschiedlich denken über manchen Musikstil, manche theologische und ethische Frage, selbst über Kleidung und manche Umgangsform. Doch wenn wir miteinander singen, feiern und beten, spüren wir etwas von der Einheit, die Gottes Geist möglich macht.
Wenn ich mich recht entsinne, verließ ich Blumental tief dankbar und zugleich ausgesprochen nachdenklich. Und
wenn ich seitdem davon höre, dass die gute Botschaft Jesu auch „die Enden der Erde“ erreicht und „bis ans Ende aller Zeiten“ gelten wird, dann erinnere ich mich gerne an die Überraschung in Blumental. Beinahe am „Ende der Welt“.
Christoph Zehendner (61), Journalist und Liedermacher, Kloster Triefenstein bei Würzburg, www.christoph-zehendner.de