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ROBERTS LIARDON

Gottes Generäle II

Die großen Reformatoren

RUACH

Für die Originalausgabe

Copyright © 2003 by Roberts Liardon

Originally published in English under the title: God‘s Generals II: e Roaring Reformers published by Whitaker House, 1030 Hunt Valley Circle, New Kensington, PA 15068, USA

All rights reserved.

Für die deutschsprachige Ausgabe

Copyright ©2022, bei:

Ruach Verlag

Koch & Sohn GbR Musikantenstr. 11 D – 31737 Rinteln

Alle Rechte vorbehalten

Satz: Daniel Koch

Cover: Daniel Koch

unter Verwendung der Daten des Originals

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck 1. Au age, November 2023

ISBN 978-3-98590-036-7 (Buch)

ISBN 978-3-98590-038-1 (E-Book)

Die Bibelzitate wurden, wenn nicht anders angegeben, der Revidierten Elberfelder Bibel, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal, 9. Au age 2003 , entnommen. Hervorhebung durch den Autor.

info@ruach-verlag.de www.ruach-verlag.de

Stimmen zum Buch

Mit dem zweiten Band seines wunderbaren Buches Gottes Generäle hat Roberts Liardon uns einen weiteren großen Dienst erwiesen. Er gibt uns ausführliche und authentische Informationen über das Leben einiger herausragender Persönlichkeiten, die Gott erwählte, fordert uns damit heraus und weckt in uns den Glauben, dass Gott das anscheinend Unmögliche tun wird. Die Männer, von denen Roberts Liardon schreibt, haben ein Fundament gescha en, auf dem wir aufbauen können. Die großen Reformatoren ist der passende Untertitel für ein Buch über Männer, die diese Bezeichnung wahrhaftig verdienen. Sie waren normale Männer, die auf den Ruf Gottes reagierten, ihr Umfeld und die Menschen ihrer Zeit zu verändern. Wenn wir ihre Geschichten lesen, werden wir vor die Frage gestellt: Erwartet Gott von uns weniger als von diesen Männern?

Ist es wirklich wichtig, sich mit den Erweckungen der Vergangenheit zu beschäftigen und mit den Menschen, durch die Gott diese Bewegungen hervorbrachte? Wenn du von ihren Erfolgen und Niederlagen, ihren Stärken und Schwächen liest, wenn du erfährst, dass sie wegen des übernatürlichen Eingreifens Gottes in ihrem Leben und durch ihren Dienst von manchen begeistert angenommen und von anderen schro abgelehnt wurden, wirst du zu dem Schluss kommen, dass es sich lohnt, das Leben dieser Männer kennen zu lernen. Dein Glaube wird wachsen, weil du erkennst, dass Gott jeden Menschen so gebraucht, wie er möchte. Du wirst neues Erbarmen mit den Verlorenen emp nden und ein neues Verlangen verspüren, in der Kraft des Geistes als Zeuge Jesu Christi aufzutreten.

Pastorin Iverna Tompkins

Roberts Liardon ist ein bahnbrechender junger Prediger, der in seinem Leben schon manchen Kampf mit den Mächten der Finsternis zu bestehen hatte, dabei auch einige Niederlagen erlitten hat, aber immer wieder aufgestanden und weiter gegangen ist. Er hat sein Leben lang gespürt, dass er sich eines Tages den Geist und Glauben von Männern Gottes wie Wycli e, Hus, Luther, Knox, Calvin und Fox zu Eigen machen würde, die den religiösen Strukturen des nsteren Mittelalters das Rückgrat brachen und uns das Evangelium Jesu von Nazareth in reinster Form brachten: Der Mensch wird allein aus Gnade errettet, nicht durch Werke, damit niemand sich rühme.

Ein monumentales Werk, das jeden Menschen tief im Herzen berühren wird.

Dr. Oral Roberts

Roberts Liardon besitzt umfangreiche Kenntnisse über die Kirchengeschichte und ist ein hervorragender Autor auf diesem Gebiet. Sein Buch über die Reformatoren führt uns deutlich vor Augen, welche Menschen Gott gebraucht hat und wie hoch der Preis war, den sie für die Freiheit bezahlten, in der wir heute leben können.

Widmung

Ich widme dieses Buch vier Gruppen von Menschen, die mir bedingungslose Liebe und Unterstützung entgegengebracht und ihr ganzes Leben investiert haben, um die himmlische Vision zu erfüllen.

Den Missionaren von Operation 500 und den Studenten und Absolventen des Spirit Life Bible College: Danke, dass ihr die Dinge hinter euch gelassen habt, die die Welt zu bieten hat, um stattdessen das zu tun, was Gott auf dem Herzen hat. Behaltet immer im Gedächtnis, dass die in diesem Buch beschriebenen Männer schweren Verfolgungen ausgesetzt waren und manche ermordet wurden, weil sie die schlichten, klaren Wahrheiten entdeckt hatten, die ihr in die Welt hinaustragen werdet.

Der Gemeinde Embassy Christian Center, die für mich wie eine Familie ist: Ihr habt nicht nur voller Liebe in unserer Stadt gearbeitet, sondern seid zum Zentrum eines international arbeitenden Dienstes geworden. Danke, dass ihr die vielen Tausend Menschen, die hier im Laufe der Zeit von Gott gesegnet wurden, so großartig unterstützt habt.

Den Gemeinden und Pastoren der Embassy Ministerial Association: Danke für eure Liebe zur Wahrheit. Danke, dass ihr euch nicht gebeugt habt vor den territorialen Mächten, die versucht haben, Menschen und ganze Städte zu kontrollieren. Mögen die Berichte dieses Buches euch darin bestärken, dass ihr mit eurer Arbeit für das Reich Gottes auf dem richtigen Weg seid.

Meinen Partnern und Freunden in der ganzen Welt: Ich glaube, dass ich unter allen Diensten und Organisationen die treusten und erprobtesten Partner und Freunde besitze. Danke, dass ihr mit unerschütterlicher Treue zu mir und meiner Familie steht. Ich bin auf ewig dankbar für jedes ermutigende Wort, jedes Gebet, jede E-Mail, jede Karte, jeden Brief und jede Spende.

Freunde, ich bin dankbar, dass es euch alle gibt.

Danksagung

Ich möchte allen Mitarbeitern von Roberts Liardon Ministries und allen freiwilligen Helfern persönlich dafür danken, dass die Vision für dieses Buch die ganze Zeit über in ihnen lebendig war und sie das Projekt auf seinem langen Weg bis zur Vollendung begleitet haben.

Meine Mutter Carol verdient besondere Anerkennung für ihre unglaubliche Charakterstärke und Liebe. Wo wären wir heute ohne dich? Priscilla, meiner Schwester, einer wahren Frau Gottes, gebührt Dank für ihren starken Glauben und ihre Fähigkeit zu stehen, wo andere dazu nicht in der Lage waren. Und meiner Großmutter, Oma Gladolyene Moore, sei gesagt: „Deine Gebete haben all dies, auch dieses Buch, erst möglich gemacht.“ Ihr drei seid für mich die mutigsten Frauen auf dieser Erde.

Einleitung

Alsich beinahe zwölf Jahre alt war, erschien mir der Herr in einer Vision und befahl mir, das Leben der großen Prediger zu studieren und so die Gründe für ihre Erfolge und ihr Scheitern zu entdecken. Während ich dies tat, wurde mir klar, wie wichtig Geschichte ist. Die Geschichte ist ein Abbild unserer Vergangenheit, in dem wir von früheren Fehlern und Erfolgen erfahren. Was die Geschichtsbücher berichten, wiederholt sich in fast jeder Generation unter neuen Vorzeichen, in abgewandelter Form, zu einem anderen Zeitpunkt und an anderen Orten.

Ich habe diesen zweiten Band der Reihe der Generäle Gottes mit dem Untertitel Die großen Reformatoren versehen. Ich bin davon überzeugt, dass es sehr wichtig ist, die Geschichte der Reformation zu kennen und Einblick zu besitzen in den Charakter der Personen, die sie ins Rollen brachten. Jede Generation benötigt eine Reformation. Warum? Wenn wir unsere Geschichte oder den eigentlichen Grund unserer Existenz aus dem Blick verlieren, dann verlassen wir uns immer weniger auf den Heiligen Geist, der Himmel verschließt sich und wir verlieren den Kontakt mit Gott.

Dieses zweite Buch geht stärker ins Detail als das erste, weil das vorliegende Material umfangreicher war. Es enthält Denkansätze und Lehren, die uns womöglich fremd erscheinen. Das liegt hauptsächlich daran, dass wir heute wie selbstverständlich in den Dingen leben, die diese großen Männer erst erreichen mussten. Wir sind Nutznießer der Errungenschaften dieser Männer, für die einige sogar ihr Leben lassen mussten. Sie benötigten viele, viele Jahre, um zu den Schlussfolgerungen und Erkenntnissen zu gelangen, die wir heute in einem einzigen Gottesdienst hören können.

Ich habe dieses Buch auch deshalb geschrieben, weil ich möchte, dass du den Verlauf der Reformation kennen lernst und den Geist, der darin zum Ausdruck kommt. Reformation erzeugt in einer nsteren Situation zunächst ein großes Durcheinander, scha t aber dann durch große physische und geistliche Kraft eine Atmosphäre der Freiheit, in der die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk erneuert wird. Im Verlauf des Buches wirst du erleben, wie jeder Reformator auf der Arbeit seines Vorgängers aufgebaut hat, um in seiner Generation eine Reformation hervorzubringen.

Das 16. Jahrhundert wird unter Historikern als das Jahrhundert der Reformation betrachtet, erste Anzeichen und Vorläufer gab es allerdings schon einige Generationen davor – aus diesem Grund habe ich John Wycli e und Jan Hus in

dieses Buch mit aufgenommen. Die sechs von mir ausgewählten Männer waren sehr unterschiedliche Charaktere, auch in ihrem Vorgehen unterschieden sie sich – aber sie verfolgten dieselben Ziele. Jeder hatte eine bestimmte Aufgabe von Gott erhalten. Sie investierten ihr Leben in der Ho nung, ihre Aufgabe erfüllen zu können – einige starben als Märtyrer. Und alle (mit Ausnahme von Fox) mussten das heuchlerische Wesen und die Gotteslästerungen der mittelalterlichen katholischen Kirche überwinden.

Die in den Kapiteln 1–5 beschriebenen Vorgänge ereigneten sich unter denselben religiösen Rahmenbedingungen. Ich möchte die Situation kurz beschreiben. Bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts war es nur im Rahmen der katholischen Kirche möglich, Christ zu sein. Man war entweder Heide oder Katholik. Bereits im 14. Jahrhundert war die katholische Kirche von Machtbesessenheit geprägt und missbrauchte ihren Ein uss durch extreme Heuchelei und Gotteslästerung. Sie hatte sich selbst als Stimme Gottes eingesetzt und war der Meinung, allein sie verkünde den Ratschluss Gottes in der gesamten bekannten Welt. Sie kontrollierte weltliche Regierungen und Königshäuser und war jederzeit in der Lage, Personen, die sie als unerwünscht betrachtete, abzusetzen. Sie tat dies besonders dann, wenn sie ihren eigenen Ein uss und ihren Reichtum bedroht sah. Einige Könige, die den ron geerbt hatten, wurden vom Papst mit einer „Pachtabgabe“ belegt, um ihre Krone behalten zu dürfen – sie mussten zahlen oder bei Weigerung die entsprechenden Konsequenzen tragen.

Die katholische Kirche achtete sorgfältig darauf, dass die Bibel nur ins Lateinische übersetzt wurde, um ihre diktatorische Position zu erhalten. Das einfache Volk konnte Latein weder lesen noch verstehen, sodass es hil os allem ausgesetzt war, was die Kirche lehrte. Dem einfachen Mann war es nicht gestattet, eine Bibel zu besitzen, weil man davon ausging, dass ausschließlich den Priestern diese Ehre zuteil werden durfte. Aber auch der Klerus las die Bibel entweder nur sehr selten oder gar nicht und viele Priester hatten keine Ahnung, was darin stand. Sie erfanden zahlreiche Geschichten und Fabeln, von denen die meisten mystische Elemente enthielten. Ihr scheinbares Wissen über geheimnisvolle Dinge verlieh ihnen eine hervorgehobene Position. Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass der gemeine Mann Gott nicht kennen und ihm schon gar nicht gefallen könne. Die Menschen mussten sich daher jeder lächerlichen Regel unterwerfen, die die religiöse Obrigkeit erdachte. Sie erfanden das Fegefeuer und die Unfehlbarkeit des Papstes. Sie brachten Ablassbriefe heraus und verkauften sie, um von dem Erlös den riesigen Schuldenberg abzutragen, den ein Papst angehäuft hatte. Den Menschen wurde eingeredet, der Klerus könne ihnen Einlass in den Himmel gewähren, wenn sie nur genügend Geld für Ablassbriefe ausgäben. Durch Legenden wurde verbreitet, dass

ein Kind dazu verurteilt sei, entweder als Glühwürmchen, als ein anderes Insekt oder als wildes Tier ruhelos auf Erden umherzustreifen, wenn das Kind stürbe, bevor die Eltern seine Taufe bezahlen könnten.

Die eigentliche Motivation hinter diesen Dingen war der Wunsch nach politischer Ein ussnahme durch religiöse Macht. Die katholischen Amtsinhaber waren weniger auf das Wohl des Volkes bedacht, als auf persönliche Bereicherung und Pro lierung. Die katholische Kirche und der Klerus lebten im Über uss, während der einfache Mann Mangel litt. Hinter jedem Dogma und jeder Form der Anbetung stand die Gier nach mehr Geld und Reichtümern.

Sie erließen Gesetze nach Belieben, um sich mehr Geld, größeren Landbesitz und stärkeren Ein uss zu sichern. Im 15. Jahrhundert gri en die Päpste immer wieder zu Mord als politischer Wa e: Wer versuchte, an die Macht zu kommen, musste damit rechnen, eines „plötzlichen Todes“ zu sterben. Unzucht war weit verbreitet. Viele Priester besaßen zahlreiche Mätressen oder lebten in homosexuellen oder ehebrecherischen Beziehungen.

Die Priester lasen nicht in der Bibel, daher hatten sie keinerlei O enbarung über ihren Inhalt. Das Blut Jesu schien ihnen nicht auszureichen, daher erfanden sie die Lehre von der versöhnenden Kraft von verstorbenen Heiligen wie Anna (die Mutter Marias), Josef, Maria und zahllosen anderen. Wer im 16. Jahrhundert dieses System anzweifelte, wurde vor Gericht gestellt, es wurden frei erfundene Anklagen erhoben und die Person wurde entweder exkommuniziert oder hingerichtet.

Mitten in diesen nsteren Zeiten erhoben Männer wie John Wycli e, Jan Hus, Martin Luther, John Knox und Johannes Calvin ihre Stimmen. Im 17. Jahrhundert war die Reformation in Schwung gekommen. George Fox stellte sich in anderer Weise gegen die kalte, religiöse Lethargie und die Diskriminierungen im Alltag. Er blieb in der katholischen Kirche und brachte neues Leben hinein, indem er in der Kraft des Heiligen Geistes diente. Jeder dieser sechs Männer stand auf, um das zu tun, was die Stimme Gottes zu seinem Herzen gesagt hatte. Sie waren Vertreter der Wahrheit und wurden Reformatoren für Gott, weil sie sich durch einen unerschrockenen Geist und unbeirrbare Entschlossenheit auszeichneten. Jeder begann auf seine Weise, die ihn umgebende Finsternis mit der Wahrheit Jesu Christi und der Gewissheit des Wortes Gottes zu durchdringen und zu überwinden. Nun sind wir an der Reihe. Es wird auch heute noch Geschichte geschrieben und die Augen Gottes sind auf uns gerichtet. Nehmt eure Position ein. Steht auf für eure Generation und eure Nationen und lasst uns damit fortfahren, der Welt das Licht und die Wahrheit zu bringen, die nur in Jesus Christus zu nden sind. Lasse dich nicht durch Angst oder Bedrängnis davon abhalten, an der Vision festzuhalten, die du von Gott bekommen hast. Lasse dich nicht einschüchtern, lasse nicht zu, dass

das Böse die Stimme Gottes zum Schweigen bringt, die durch dich reden möchte. Möge auch in unserer Generation einmal mehr eine Reformation kommen – möge sie durch dich kommen.

Kapitel 1

John Wycliffe

(ca.1330 – 1384)

„Der Bibelübersetzer“

„ DER BIBELÜBERSETZER “

Ichbekenne und behaupte, durch die Gnade Gottes ein vernünftiger [das heißt ein wahrhaftiger und orthodoxer (rechtgläubiger)] Christ zu sein. Solange ich lebe, werde ich meine Stimme erheben und Gottes Gesetz verteidigen. Ich bin bereit, meine Überzeugungen zu verteidigen, und zwar selbst dann, wenn dies meinen Tod bedeuten sollte.1

Ich bezeichne John Wycli e gern als Reformator vor der Reformation. Er lebte nicht in dem Zeitraum, der von Historikern als das Zeitalter der Reformation bezeichnet wird. Der Verlauf seines Lebens, seine Ziele und seine eologie besitzen jedoch starke Ähnlichkeit mit denen der anderen Reformatoren.

Wycli e war Vorbote einer umfassenden Revolution, die sich auf religiösem Gebiet ereignen sollte. Es ist allerdings interessant, dass mit Ausnahme von Jan Hus keiner der anderen Reformatoren die Leistungen Wycli es würdigte, der trotz erbitterter Widerstände den Weg für die weiteren Entwicklungen ebnete, in denen sie eine wichtige Rolle spielen würden. Ich bin der Ansicht, dass dies hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass die Druckerpresse erst nach Wycli es Tod entwickelt wurde und viele seiner Schriften von der katholischen Kirche verbrannt wurden. Ich betrachte ihn jedoch als einen Menschen, der die Saat der Wahrheit der Reformation ausgestreut hat. Die auf ihn folgenden Generationen bewässerten die von Wycli e ausgestreute Saat und ernteten dort, wo er gesät hatte. Wycli e war eine geachtete Persönlichkeit. Er hatte sehr gute Verbindungen zu den Reichen und Ein ussreichen seiner Zeit, aber er kämpfte auch unerschütterlich für das einfache Volk und machte sich zum Fürsprecher für das Recht jedes Menschen, Gott persönlich zu kennen und eine innige Beziehung zu ihm aufzubauen. Zu Wycli es Lebzeiten war es undenkbar, dass ein einfacher Mann Gott persönlich kennen könnte, sodass seine esen auf heftigsten Widerstand stießen. Es ist gut verständlich, dass er auch als „Morgenstern der Reformation“ bezeichnet wurde –durch seine Bemühungen wurde ein Anfang gesetzt, die geistliche Unmündigkeit des einfachen Volkes zu beenden, sodass durch ihn ein neues Zeitalter der Kirche eingeleitet wurde.

Er wurde auch als „gelehrtester Mann ganz Englands zu seiner Zeit“2 bezeichnet, allerdings sind darüber nur wenige Details bekannt, außer dass er einen sehr

einfachen Lebensstil p egte, der geprägt war von unermüdlichen Studien, Vorträgen und reicher schriftstellerischer Tätigkeit. Ich denke, dass durch sein Leben ein Prinzip Gottes deutlich wird: Wo einer sät, begießt ein anderer und ein weiterer erntet (siehe Joh. 4, 37). Wenn du die Lebensgeschichte Wycli es liest, wirst du erkennen, dass nicht zu unterschätzen ist, welchen Ein uss du dadurch ausüben kannst, dass du eine Saat oder eine gute Tat in das Leben anderer Menschen säst. Wenn dein heutiges Handeln im Glauben erfolgt und von Gott inspiriert ist, kann es große Auswirkungen in der Zukunft haben. Viele von uns werden zu Lebzeiten niemals erfahren, welch starke Auswirkungen die von uns gesäten Samen im Leben anderer Menschen hatten, sondern dies erst im Himmel erkennen.

WYCLIFFES ERSTE LEBENSJAHRE

John Wycli e wurde um das Jahr 1330 in Yorkshire in England geboren. Über seine Kindheit und seine Jugend wissen wir kaum etwas. 1360 wurde er Student am Balliol College in Oxford. Von diesem Zeitpunkt an ist wesentlich mehr über sein Leben bekannt. Im Alter von 30 Jahren begann sein Wirken als Reformator vor der eigentlichen Reformation.

Über das Leben Wycli es vor 1360 kann nur spekuliert werden. Ich halte es für wahrscheinlich, dass er in einer einfachen Landarbeiter-Familie in einer abgelegenen Gegend aufwuchs und in der Schule von dem Priester des Dorfes unterrichtet wurde. In jener Zeit hatte die katholische Kirche sowohl die weltlichen als auch die kirchlichen Angelegenheiten unter Kontrolle. Es wurde in jedem Dorf ein Priester eingesetzt, der fast jeden Lebensbereich überwachte, vom religiösen Leben bis zum Handel auf dem Markt, von der Schulausbildung bis hin zu rechtlichen und verwaltungstechnischen Angelegenheiten.

Es ist wichtig zu wissen, dass Johann von Gent (John of Gaunt, der dritte Sohn von König Eduard III.) der Feudalherr der Gegend war, in der Wycli e aufwuchs. Dies bedeutet, dass Johann von Gent das Land besaß und die Menschen, die dieses Land bebauten, unter seinem Schutz standen und bestimmte Privilegien genossen. Die Tatsache, dass Johann von Gent der Schutzherr der Bewohner dieser Region war, sollte sich zu einem späteren Zeitpunkt in Wycli es Leben als wichtig erweisen. Wycli e wurde Priester, aber das Datum seiner Ordination ist unbekannt. Er verließ sein Heimatdorf um 1346 im Alter von 16 Jahren, dem damals üblichen Alter zum Eintritt in eine Universität.

SCHWIERIGE ZEITEN

TREIBEN IHN ZUM WORT GOTTES

1349 geriet England in die tödlichen Krallen einer Seuche. Als der Schwarze Tod, die Pest, sich 1353 wieder aus dem Land zurückzog, hatte England fast die Hälfte seiner Bevölkerung verloren. Wegen des durch die Pest ausgelösten Chaos’ ergaben sich einige Unterbrechungen in Wycli es Ausbildung, außerdem musste er verzweifelt mit ansehen, wie viele seiner Freunde und Studienkollegen der tödlichen Krankheit zum Opfer elen.

Während einige Geistliche nach menschlichen Erklärungen suchten, forschte Wycli e in der Bibel und suchte nach Trost und nach Antworten, um damit gegen die Verzwei ung und Angst ankämpfen zu können, die sich in ihm ausbreiten wollten. In dieser Zeit des inneren Aufgewühltseins hielt sich Wycli e sehr eng an das Wort Gottes. Dadurch entstand ein festes Fundament in ihm, das sich als unerschütterlich erweisen sollte – nichts und niemand war fortan in der Lage, Wycli e die Dinge zu rauben, die er als göttliche Wahrheiten in der Schrift erkannt hatte. Es spielte keine Rolle, wie hoch ein Mensch in der religiösen oder politischen Hierarchie über Wycli e stand – für ihn hatte Gott in jeder Angelegenheit stets das letzte Wort.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass zu diesem Zeitpunkt keine englischen Bibeln existierten. Es waren nur lateinische Bibeln zugänglich, sodass die Bibel nur von den gut ausgebildeten Männern der römisch-katholischen Kirche gelesen werden konnte. Das Volk war auf Gedeih und Verderb den häu g heidnischmystischen Erzählungen der Priester in den Dörfern ausgeliefert – und viele der Priester hatten niemals selbst in der Bibel gelesen.

Das Denken der Priester war von dem Wunsch nach Reichtum und Wohlstand geprägt, sodass sie sich in ihren Aussagen daran orientierten, wie viel Geld ihr jeweiliges Gegenüber besaß. Jeder Dienst der Kirche musste in bar bezahlt werden – von der Taufe der Babys bis hin zur Vergebung der Sünden.

Die Kirche erfand „Ablassbriefe“. Mit ihrer Hilfe konnte man durch Zahlung bestimmter Geldbeträge den Erlass der eigenen Schuld und Sünde bewirken. Diebe und Mörder waren der Ansicht, sie könnten alles tun, was sie wollten, und sich danach selbst erlösen, indem sie sich den Weg in den Himmel erkauften. Wenn Eltern so arm waren, dass sie vor dem Tod ihres Kindes dessen Taufe nicht bezahlen konnten, wurde der Familie gesagt, dass ihr Kind nicht in den Himmel kommen könne und wahrscheinlich als Tier oder Insekt auf der Erde leben müsse. Es klingt zwar unglaublich, aber Lehren wie diese waren zur Zeit Wycli es weit verbreitet –

aber Gott war dabei, einen Mann darauf vorzubereiten, sich gegen den Status quo zu erheben und es zu wagen, Veränderungen im Sinne Gottes herbeizuführen.

DER HERAUSRAGENDSTE

GELEHRTE OXFORDS

Wycli e besaß eine sehr hohe Meinung von den Schriften des Augustinus (ca. 354 – ca. 430), eines der ein ussreichsten Menschen aus der Anfangszeit der katholischen Kirche. Die Lehre des Augustinus über das Individuum diente Wycli e als Basis für seine eigene Lehre, die er durch eigene Forschungsarbeiten und besonders durch intensives Bibelstudium entwickelte. Er war sehr bald bekannt für seine hervorragenden intellektuellen Fähigkeiten, wurde Mitglied des Balliol College und war 1360 – 1361 dessen Rektor.

Zu Wycli es Zeiten besaßen die Studenten nicht die Möglichkeit, auf dem Campus zu wohnen, daher mussten sie sich selbst um eine Unterkunft kümmern, was für die meisten von ihnen eine erhebliche Schwierigkeit darstellte. Es gab zwar eine gewisse Anzahl an Häusern, in denen Mönche und Geistliche während ihrer Universitätsausbildung leben konnten, aber es gab weit mehr Studenten, als aufgenommen werden konnten, daher war die Warteliste lang und es galt als besonderes Privileg, wenn man in eines dieser Häuser aufgenommen wurde.

Wycli e galt als anerkannter Gelehrter, daher wurde ihm eines der besten Häuser Oxfords als Domizil angeboten. Es lag in Fillingham, einem Dorf der Grafschaft Lincolnshire, wo er gleichzeitig die Position des Rektors, also die des Leiters der Gemeinde zu bekleiden hatte. Einen Großteil seiner Zeit musste er auf die Leitung der katholischen Gemeinde verwenden, eine Tätigkeit, bei der er sich den Ruf als hervorragender Diplomat erwarb. Er besaß daneben große organisatorische Fähigkeiten, die in Verbindung mit seiner außergewöhnlichen intellektuellen Begabung dazu führten, dass er hohe innerkirchliche Auszeichnungen erhielt. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit verlagerte sich immer mehr in den Bereich des Colleges. Von den fünf in Epheser 4, 11 erwähnten Gaben (Apostel, Prophet, Hirte, Lehrer, Evangelist) besaß Wycli e insbesondere die Gabe des Lehrens, sodass seine Arbeit als Dozent an der Universität, die er neben seiner Arbeit als Priester ausübte, ihm besonders große Freude bereitete. Zu diesem Zeitpunkt war die katholische Kirche sehr erfreut darüber, dass ein Mann vom Format Wycli es sich innerhalb der kirchlichen Strukturen so rasant entwickelte.

1369 erwarb Wycli e den akademischen Grad „Bachelor of Divinity“ (Gelehrter der eologie). 1371 galt er als führender eologe und Philosoph seiner Zeit und Oxford war als die Hochburg der Wissenschaften in ganz Europa bekannt. Oxford hatte die damals berühmte Universität von Paris über ügelt und galt als beste Ausbildungsstätte in der gesamten bekannten Welt. 1372 erhielt Wycli e nach 16 Jahren intensiven Studiums und ausführlicher Forschungstätigkeit den hochgeachteten Doktortitel.3

Wycli e am Schreibtisch. North Wind Pictures Archives

KORRUPTION UND MACHTGIER WERDEN OFFENSICHTLICH

Das Jahr 1374 markiert den Beginn eines Veränderungsprozesses. Wycli e erlangte größere Bekanntheit und es wurde deutlich, dass er dabei war, neue, eigene Wege zu beschreiten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich zwar aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten einen guten Ruf als eologe erworben, aber als Priester war er immer noch unbekannt und diente als Hirte in verschiedenen Gemeinden. In Europa waren neue Entwicklungen in Gang gekommen, es entbrannte eine hitzige Kontroverse zwischen der Kirche und der Regierung. Die Regierungen Europas wollten sich in gesellschaftlichen und zivilrechtlichen Angelegenheiten die vollständige Oberhoheit sichern und stritten mit dem Papst und seinen Vertretern um diese Rechte. Auch in England waren diese Tendenzen zu beobachten. In diesem Jahr sprach sich Wycli e (in Übereinstimmung mit den eologen der Spätantike) erstmals ö entlich dagegen aus, dass die Kirche in politischen und gesellschaftlichen Fragen tonangebend war. Er hielt es sogar für notwendig, dass in jeder Nation weltliche Kräfte die politischen Geschicke lenkten.

Nach ausführlichen Forschungsarbeiten, in denen er neben der Bibel besonders die Vorstellungen von Augustinus studierte, kam Wycli e zu dem Schluss, dass die Kirche ihren Ein uss auf die ihr eigenen Angelegenheiten beschränken sollte. Er glaubte, dass geistliche Dinge im Zentrum des Handelns der Kirche stehen sollten und nicht die Politik. Im Zuge dieser Erwägungen entwickelte Wycli e seine umstrittene Idee von der „Herrschaft durch Gnade“.

Wycli es Empörung über die Gier nach Reichtum, die die katholische Kirche beherrschte, wurde immer größer. In seiner Lehre über „Herrschaft durch Gnade“ stellte Wycli e die ese auf, dass Gott Eigentümer aller Dinge sei und der Mensch nur dann berechtigt sei, sie zu besitzen, wenn er ohne Sünde sei und sich nichts zuschulden kommen ließe. Er glaubte, dass die katholische Kirche tief in Sünde lebte, und stellte sich entschieden gegen jeden Anspruch der päpstlich kontrollierten Kirche, englisches Land zu besitzen. Er war davon überzeugt, dass die eigentliche Aufgabe der Kirche darin bestand, den geistlichen Nöten der Menschen zu begegnen und sich so um die Herde der Gläubigen zu kümmern, dass sie sich Jesus Christus zuwenden könnten. Wycli e begann, ö entlich darauf hinzuweisen, dass die Kirche verweltlicht sei und niemandem mehr etwas nütze, weil sie große Ländereien besäße und auf Kosten des Volkes in großem Reichtum lebe.

Der Papst und sein Gefolge waren empört über Wycli es Position, sie fürchteten um den Ein uss, den Reichtum und den ausgedehnten Landbesitz der Kirche. Zu dieser Zeit legten der Papst und die Kirche die Höhe der Steuern fest, die Könige und ganze Nationen an die Kirche zu zahlen hatten – und Wycli e, einer ihrer besten eologen, stellte sich gegen ihre eigenen Bestrebungen.

WYCLIFFE STELLT SICH GEGEN DEN

WELTLICHEN HERRSCHAFTSANSPRUCH

DES PAPSTES

England besaß schon damals eine lange Geschichte von Di erenzen mit dem Papst. Wir sollten die Hauptstreitpunkte kennen, um Wycli es Position verstehen zu können.

König Johann von England (ca. 1215) war zunächst exkommuniziert und dann gezwungen worden, sich dem Papst bedingungslos zu unterwerfen. Er musste eine hohe Summe zahlen, um sich das Recht auf Fortführung der ronfolge zu sichern.

Auch nach dem Tode König Johanns forderte der Papst regelmäßige Zahlungen von den Königen – also eine Steuer, durch die sie das Recht erhielten, in England zu regieren.

Die Engländer widersetzten sich aus verschiedenen Gründen den Zahlungen an den Papst, besonders waren sie empört darüber, dass ein nicht geringer Anteil den Armeen von Ländern zur Verfügung gestellt wurde, die mit England verfeindet waren. Die englische Regierung war auch darüber ungehalten, dass die Kirche die wirtschaftliche Entwicklung des Landes kontrollierte und reglementierte. Wenn zum Beispiel ein Engländer starb und in seinem Testament der Kirche keinen Anteil seines Vermögens vererbt hatte, nahm sich die Kirche das Recht, seinen gesamten Besitz zu kon szieren.

Dieser demütigende Zustand herrschte nun schon seit über 100 Jahren und England sehnte die Möglichkeit herbei, sich von der Kontrolle des Papstes zu befreien. Als die Gesandtschaft des Papstes wieder einmal vorsprach, um die jährliche „Miete“ für den ron zu erheben, war der entscheidende Moment gekommen: Wycli e stellte sich an die Spitze derer, die im Namen der englischen Obrigkeit intervenierten.

„Es kann in einem Land nicht zwei Herrscher in weltlichen Dingen geben. Entweder Eduard ist König … oder [der Papst] ist König. Wir fällen eine Entscheidung. Wir akzeptieren Eduard von England und lehnen … Rom ab“, schrieb Wycli e.4

Wycli es politisches Eintreten für die englische Krone sicherte ihm die Gunst Eduards III. Der König setzte Wycli e als leitender Priester von Lutterworth ein – eine Position, die ihm einen gehobenen Lebensstandard ermöglichte – und ernannte ihn zum Repräsentanten der Krone in den Verhandlungen zwischen dem König und dem Papst.

Die Verhandlungen wurden niemals zu einem wirklichen Abschluss gebracht, aber durch die Ereignisse war Wycli e in der Kirche als potenzieller Störenfried aufgefallen. Er wurde nun mit der antiklerikalen Partei in Verbindung gebracht – der Gruppe, die sich für das Recht der Regierung einsetzte, das eigene Land zu regieren – wodurch sich Wycli e die Gunst von Johann von Gent, dem dritten Sohn des Königs, erwarb.

Die antiklerikale Partei stellte sich hinter Wycli e, weil sie erkannte, dass er die intellektuellen Fähigkeiten besaß, die erforderlich waren, um die katholische Kirche anzugreifen und den Sieg für die englische Regierung zu erringen. Wycli e erwies sich als nützlicher Verbündeter der Regierung während dieser Zeit der Unruhen. Durch den Schutz des Königs blieb Wycli e von körperlichen Übergri en verschont, die ihm vonseiten zorniger Katholiken durchaus drohten.

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