

David Jaffin
Die geheimnisvolle Gegenwart Gottes
BILDMEDITATIONEN ZU GEMÄLDEN
VON
CASPAR DAVID FRIEDRICH
Herzlichen Dank meiner Frau und Ute Langefeld für die Bearbeitung des Manuskriptes, ebenso Prof. Dr. Michael Butler, University of Birmingham, »for some constructive suggestions«.
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar Bibelzitate entstammen der Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
Umschlaggestaltung: spoon design, Olaf Johannson Satz und Herstellung: Edition Wortschatz
© 1990, 2024 Dr. David Jaffin
Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Autors
Eine erste Auflage dieses Buches erschien 1990 im Verlag der St. Johannis-Druckerei, Lahr
Edition Wortschatz Neudorf bei Luhe
ISBN 978-3-910955-08-0, Bestell-Nummer 588 908
www.edition-wortschatz.de
Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.
Psalm 139,5.6
Wer die Gemälde Caspar David Friedrichs kennt, weiß, was für eine Rolle das Kreuz und die Kirche in seinen Werken spielen. Schon im Titel erkennbar: »Kreuz im Gebirge«, »Flußlandschaften mit Kreuz«, »Kreuz im Walde« oder vom Kreuz beherrschte Bilder wie »Morgennebel im Gebirge«, »Morgen im Riesengebirge«.
Ebenso bekommen auch Kirchen eine zentrale Rolle in seinen Gemälden, wie etwa »Abtei im Eichenwald«, »Die Kathedrale«, »Klosterfriedhof im Schnee«, »Vision der christlichen Kirche«, »Winterlandschaft mit Kirche«. Friedrich selbst schrieb um 1835: »Ich meinesteils fordere von einem Kunstwerk Erhebung des Geistes und – wenn nicht allein und ausschließlich – religiösen Aufschwung.« Luther sagte einmal, dass unser ganzes Leben ein Gottesdienst sein sollte.
Interessanterweise trifft gerade diese Aussage bei großen christlichen Malern wie Grünewald, Bellini oder Rembrandt den Geist ihres gesamten Schaffens, auch wenn der Gegenstand selbst nicht religiös ist. Rembrandt malt immer Geist, nicht nur Fleisch. In seinen Selbstbildnissen zum Beispiel nimmt er sich wirklich den Balken
aus seinem eigenen Auge und entblößt sich, aber zugleich schimmert sein Glaube durch, im Lichte, welches seine Dunkelheit erhellt. Gerade umgekehrt ist Rubens, der große »Maler des Fleisches«. Wenn dieser religiöse Szenen malt, auch Kreuzigungen, so ist sein Interesse vor allem »fleischlich«. Er malt Fleisch, vielleicht schöner als jeder andere, aber so bleibt sein Blick immer dem »Fleischlichen« verhaftet.
Doch wie kann ein Bild religiöse, sogar christliche Aussagekraft gewinnen, ohne christliche, biblische Darstellung? In Bezug auf Rembrandt und seine Selbstporträts ist die fleischliche Entblößung zugleich mit dem tiefen Interesse an Licht, an innerer Schau, der Schüssel dazu.
Caspar David Friedrich war und bleibt immer ein religiöser, ja, ein christlicher Maler. Diese Tatsache wird in seinen Darstellungen nicht nur durch die Rolle von Kreuz und Kirche bezeugt, sondern noch durch manches andere:
C. D. Friedrichs Blick geht immer, oder fast immer, durch das Abgebildete auf das Jenseits. Wenn nicht Kreuz oder Kirche die geheimnisvolle Art seiner Darstellung einfangen, so ist dieses Jenseits, dieser unendliche Sinn von Raum, oder anders gesagt, der unsichtbare, aber gegenwärtige Herr, Zielsetzung seiner Gemälde.
Der Mensch wird bei Caspar David Friedrich fast immer klein geschrieben, aber was er sieht, ist groß, unendlich groß. Mittelpunkt von Friedrichs Malerei ist das christliche Staunen über die Größe und Tiefe dessen, was der Herr geschaffen hat. Wer mit Gefühl, mit wahrer Anteilnahme seine Gemälde auf sich wirken lässt, kann spüren, dass alles, was er malte, von einer Atmosphäre des Geheimnisvollen umgeben ist, im Sinne der Verse 5 und 6 des vorher zitierten 139. Psalmes.
Häufig kann man in seinen Gemälden auch Symbole des Todes erkennen, so Bäume im Winter, zerfallene Kirchen oder Ruinen. Auch seine Werktitel »Landschaft mit Gräbern«, »Hünengrab im Herbst«, »Friedhof-Eingang«, »Höhle mit Grabmal« … drücken dies aus. – Christliche Malerei betont häufig die Eitelkeit und Vergänglichkeit dieser Welt: »Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss« (Psalm 39,5).
Ich halte große Kunst – ob Musik, Malerei, Lyrik oder Prosa – für eine überaus wichtige Möglichkeit der christlichen Verkündigung. Caspar David Friedrich ist somit sicherlich einer der zentralen christlichen Maler der neuen Zeit.
Pfarrer Dr. David Jaffin
Über den Autor:
Pfarrer Dr. David Jaffin studierte unter anderem bei Horst Jansson und Mary Costello Kunstgeschichte an der renommierten kunsthistorischen Fakultät der New Yorker Universität. Er verfasste zahlreiche Lyrikbände in englischer Sprache sowie Predigt- und biblische Vortragsbände.
Caspar David Friedrich steht ihm wegen der stillen, geheimnisvollen und christlichen Botschaft seiner Gemälde besonders nahe.
I n gewissem Sinn ist die Bibel ein Bilderbuch, denn Bilder wie Hirte und Herde, Sonne, Licht und Finsternis oder auch fließendes Wasser sind verbindende
Elemente im Wort Gottes. So kann auch die Beschäftigung mit der Malerei, vor allem der christlichen Malerei, unser Verständnis von Gottes Wort vertiefen.
Ein zentrales Bild der Bibel ist der Baum; zentraler Gegenstand von Caspar David
Friedrichs Malerei sind auch Bäume. Sicher kein Zufall. Wichtige Ereignisse der Bibel stehen oft im Zusammenhang mit Bäumen:
Zuerst die Bäume des Lebens und der Erkenntnis im Paradies, die dem Herrn gehören und nicht uns. Sie sind die Grenze unseres Wahrnehmens.
Der gut gepflanzte Baum in Psalm 1 steht als Sinnbild für den Gerechten.
Auch Jesu Kreuz ist ein Baum. Vor allem im Mittelalter wurde es mit Trieben als lebendiges Holz dargestellt.
Oder auch in Römer 11, wo das Geheimnis von Israels Erwählung, die immer noch gültig ist, durch das Bild von einem Ölbaum mit seinen natürlichen (Israel) und seinen aufgepfropften Zweigen (der neue Bund) dargestellt wird.
Diese Bäume in C. D. Friedrichs Bild ragen weit über den Felsen hinaus. Stein, Felsen, hat in der Bibel die Bedeutung von Tod. Auch über Jesu Grab wurde ein Stein gelegt, aber der Tod konnte ihn trotzdem nicht halten.
Dieses Bild zeigt Bäume als lebendige Elemente. Eine Lebenskraft, die zum Himmel emporstrebt, so dass auch die Felsen nicht leblos bleiben, sondern wie in Bewegung, in Licht- und Schattenspiel gestellt sind. So werden auch sie lebendige
Bestandteile dieses Bildes.

Wie fast immer bei Caspar David Friedrich wird auch im »Gedächtnisbild« bewusst biblische Symbolik verwendet. Hier die »Tür«, die dieses Bild zu unendlichem Raum öffnet. Im Alten Testament ist es der Herr selbst, der die Tür zu Noahs Arche schließt. Damit zeigt er, dass er der Steuermann ist, der über Leben und Tod bestimmt.
Auch der Türhüter zum Tempel spielt eine äußerst wichtige Rolle, denn wer durch die Tür zum Gotteshaus eingeht, geht aus der Welt in die geheimnisvolle Gegenwart Gottes. Jesus übernimmt dieses zentrale Bild häufig in seinen Reden. Nur der zu den Schafen durch die Tür eingeht, ist der rechte Hirte. Oder die fünf der zehn Jungfrauen, die die Tür verschlossen finden, weil sie auf die Ankunft ihres Herrn nicht vorbereitet waren. Oder auch indem Jesus Petrus den Schlüssel zur Tür des Himmelreiches gibt.
Aber Jesus bezeichnet sich auch selbst als »die Tür«, denn nur durch seinen gekreuzigten Leib wird der Weg zum Himmel geöffnet.
Dieses Bild könnte also genauso »Die Tür« heißen, denn der Weg (des Lebens) führt zu dieser Tür im Mittelpunkt des Bildes. Auch wenn die Tür geschlossen ist, so weist doch Licht den Weg dorthin und lässt dann den Blick in die Unendlichkeit (den Himmel) schweifen. Wer könnte sich ein schöneres »Gedächtnisbild« wünschen, schön in jedem Sinne des Wortes, als dieses, welches Caspar David Friedrich nach dem Tod seines Freundes Johann Emanúel Bremer im Gedächtnis an ihn malte?

Malerisch gesehen ist das Bild eine Studie in hellen Tönen der Sonne im Gegensatz zur verdunkelten Erde.
Die Kirche selbst liegt in der Dunkelheit, aber über ihr schweben Vögel im letzten Sonnenlicht. Dies erinnert mich an Johann Sebastian Bachs helles »Ehre sei Gott in der Höhe« und dagegen das so dunkle, schwere »Und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen«.
Doch die Kirche hier strebt dem Licht entgegen, die Vögel werden vom Licht des Sonnenuntergangs beflügelt. Dies drückt die tiefe Sehnsucht des doch irdisch verhafteten Menschen aus, frei wie ein Vogel sein zu können, was der christliche Poet Eichendorff, ein Zeitgenosse Friedrichs, in so vielen Gedichten anklingen lässt:
»Ich wünsche, ich wäre ein Vögelein und zöge über das Meer, wohl über das Meer und weiter, bis dass ich im Himmel wär!«
(aus »Die Stille« von Joseph von Eichendorff)

Bildnachweis
Gemälde von Caspar David Friedrich (1774–1840)
Umschlag: Neubrandenburg, 1816/17 • Stiftung Pommern, Neues Schloss, Kiel
Seite 9: Ausblick ins Elbtal, um 1816/20 Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie, Neue Meister
Seite 11: Gedächtnisbild für Johann Emanuel Bremer • Schloss Charlottenburg, Berlin
Seite 13: Neubrandenburg, 1816/17 • Stiftung Pommern, Neues Schloss, Kiel
Seite 15: Landschaft mit Eichen und Jäger • Stiftung Oskar Reinhart, Winterthur
Seite 17: Der Morgen, um 1820/21 • Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover
Seite 19: Der Watzmann • Berliner Nationalgalerie, Berlin
Seite 21: Baum mit Krähen • Louvre, Paris
Seite 23: Gartenstraße, 1811/12 • Sanssouci, Staatliche Schlösser und Gärten, Potsdam
Seite 25: Die Abtei im Eichwald • Schloss Charlottenburg, Berlin
Seite 27: Ländlich ebene Gegend • Schloss Charlottenburg, Berlin
Seite 29: Ausblick, 1815 • Museum der bildenden Künste, Leipzig
Seite 31: Morgen im Riesengebirge • Schloss Charlottenburg, Berlin
Seite 33: Der Wanderer über dem Nebelmeer • Hamburger Kunsthalle, Hamburg
Seite 35: Küstenlandschaft im Abendlicht • Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, Lübeck
Seite 37: Der Mittag • Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover
Seite 39: Mondaufgang am Meer, 1822 • Berliner Nationalgalerie, Berlin
Seite 41: Riesengebirge mit aufsteigendem Nebel • Neue Pinakothek, München
Seite 43: Der Abend • Niedersächsisches Landesmuseum, Landesgalerie Hannover
Seite 45: Mann und Frau, den Mond betrachtend • Berliner Nationalgalerie, Berlin
Seite 47: Winterlandschaft mit Kirche Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, Schloss Cappenberg, Dortmund