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Cameron Almas

No Church in the Wilderness Gott in der Wüste begegnen

Copyright @ 2025 by Cameron Almas Alle Rechte vorbehalten.

Pferdemarkt 1

D – 31737 Rinteln

Fon (05751) 7019 229 info@king2come.de www.king2come.de

1. Auflage, Juni 2025

ISBN 978-3-98602-085-9

Folgende weiteren Bibelübersetzungen kamen zum Einsatz (im Text jeweils mit den Kürzeln in den Klammern gekennzeichnet):

• Schlachter 2000 (SLT): Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft

• Luther Bibel, 2017 (LU): Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, revidierte Fassung, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2016.

• Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 2016 (EÜ): Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart

• Hoffnung für alle® (HfA): Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®, Brunnen Verlag, Basel, Gießen.

Widmung

Ich widme dieses Buch meiner Erstgeborenen, Zoe.

Sie hat mich gelehrt, wie viel Liebe Gott für mich hat – ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Inhalt

Teil I: Gott in der Wüste begegnen

1. Ein Mann namens Mose 11

2. Ein Mann namens Jakob 25

3. Ein Mann namens Salomo 37

Teil II: Sich mit 26 Jahren wie ein Kind fühlen

4. Hallo Gott, bist Du noch da? 51

5. Wie erzieht Gott Seine Kinder? 67

6. Was ist mit der Kirche los? 79

Teil III: Der Messias in Quarantäne

7. Die Wahrheit 91

8. Der Teufel 103

9. Die Bibel 113

Teil IV: Set Apart

10. Das Christentum ist kein Leseclub 129

11. Gott will dich nicht im Himmel haben 141

12. Mehr Glauben brauchst du nicht 155

Über den Autor 171

Teil I

Gott in der Wüste begegnen

1 Ein Mann namens Mose

2 Ein Mann namens Jakob

3 Ein Mann namens Salomon

1

Ein Mann namens Mose

1.1 Alle an Bord

Lassmich der Erste sein, der dich in der Wüste willkommen heißt. Ich garantiere dir, dein Aufenthalt wird nicht angenehm sein, aber hoffentlich kurz, und ich werde dich hier nie wiedersehen – in deinem Interesse. Die gute Nachricht ist, wer die Wüste betritt, wird verändert wieder herauskommen.

Die weniger gute Nachricht lautet, nicht jeder schafft es lebendig heraus. Und selbst wenn man es schafft, scheint die Reise nicht immer im Triumph zu enden. Manchmal endet sie in einer Tragödie, die den Menschen für den Rest seines Lebens humpeln lässt. Eine weitere schlechte Nachricht lautet, dass du nie selber entscheiden kannst, wann du die Wüste betrittst oder wie lange du darin bleibst. Das Leben scheint dies für dich zu entscheiden oder Gott – das hängt von deiner Sicht ab. Wenn es nach den Menschen ginge, wäre die Wüste verständlicherweise ein dringend zu meidender Ort. Ihre Umgebung scheint unserer angeborenen hedonistischen Natur nicht gerade förderlich zu sein.

Dennoch hat wohl niemand sie je vermeiden können, nicht einmal Christus, der Messias. Das bringt mich zu der Überzeugung, dass die Wildnis ein notwendiger Teil des menschlichen Lebens ist. Denn wenn Gott Selbst Seinen eigenen Sohn nicht vor der Wüste verschont hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Er auch dich dorthin schickt (wenn Er es nicht schon getan hat). Wie wir noch sehen werden, hat Gott

der Bibel zufolge eine lange Liste von Menschen in die Wüste geschickt. Und warum? Nun, auch darauf werden wir im Verlauf dieses Buches eingehen. Um uns mit der Wüstensituation vertraut zu machen, werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die Zeit, in der Gott ein ganzes Volk in die Wüste schickte.

Auf dem Weg ins Gelobte Land, das heute als Israel bekannt ist, saß das hebräische Volk gemäß der Bibel 40 Jahre lang in der Wüste fest. Es befand sich 430 Jahre lang in ägyptischer Gefangenschaft, bis das ganze Volk schließlich eines Nachts aufbrach, das Land zu verlassen. Dies geschah mit der Hilfe eines bestimmten Mannes namens Mose. Die meisten Gelehrten glauben, dies geschah um 1.446 v. Chr., während einige andere Forscher diesen Zeitpunkt auf 1.225 v. Chr. datieren1.

Als das hebräische Volk in jener Nacht Ägypten verließ und davon träumte, in ein Land zu kommen, in dem Milch und Honig fließen, war ihnen vielleicht nicht einmal klar, dass sie dafür durch eine Wüste gehen mussten. Auf jeden Fall ahnten sie nicht, wie lange ihre Reise dauern würde. Tatsächlich wanderten die Hebräer so lange durch die Wüste, dass jene Generation, die in der Nacht des Exodus aufbrach, das Gelobte Land nie zu Gesicht bekam – mit Ausnahme von zwei Männern, nämlich Josua und Kaleb. Obwohl alle Israeliten es aus Ägypten herausschafften, starben sie doch bedauerlicherweise in der Wüste auf dem Weg zum Gelobten Land. Grundsätzlich kann die Wüste gefährlich sein. Wenn du nicht aufpasst, kannst du da draußen sterben und vom Angesicht der Erde ausgelöscht werden. Ich möchte dir sagen, bildlich gesprochen schickt Gott auch heute noch Menschen (und vielleicht sogar Völker) in die Wüste.

Viele von uns befinden sich zwar nicht buchstäblich in einer unfruchtbaren Einöde. Geistlich oder psychologisch gesehen haben wir es aber mit denselben Merkmalen zu tun, als würden

1 Got Questions. URL: https://www.gotquestions.org/date-of-the-Exodus.html.

Ein Mann namens Mose

wir (physisch) in der Wüste festsitzen. Erlaube mir, näher darauf einzugehen, wie es ist, in der Wildnis zu sein. Einige mögen dies vielleicht schon kennen.Die Wüste ist ein lebensfeindlicher Ort, an dem kaum Leben existiert. Kein Mensch ist jemals dorthin gegangen und hat gesagt: „Ich denke, ich werde ein Haus bauen und hier draußen leben.“ Niemals! In der Wildnis lebt man nicht, man überlebt nur. Denn in der Wüste herrscht Mangel. Dies musst du dir als Erstes über die Wildnis merken: Sie ist ein Ort des Mangels. Es mangelt an Nahrung, an Wasser, an Komfort. Und bildlich gesprochen herrscht ein Mangel an Ruhe, an Frieden, an Fortschritt, an Sinn.

Zusammengenommen führt dies zu einem Mangel an Leben. Das macht den Aufenthalt dort zu einer äußerst unangenehmen Zeit. Die Israeliten wanderten ziellos durch die Wüste, wie Sandkörner, die der Wind über die Oberfläche weht. Sie wurden sowohl tagsüber von der brütenden Sonne als auch nachts von den eisigen Temperaturen gequält. Doch schließlich gab Gott Ihnen eine Wolkensäule für den Tag und eine Feuersäule für die Nacht. Es war nicht gerade ein Wochenendspaziergang im Park, denn die Wüste ist ein Ort ständigen Kampfes. Die Art von Kampf, bei der es weder tags noch nachts eine Pause gibt. Hattest du schon einmal das Gefühl, einfach keinen Frieden finden zu können, egal wie sehr du dich anstrengst, wie lange du mit deinen Umständen ringst und welche neue Strategie du in deinen Alltag einbaust? Ganz gleich wie sehr du versuchst, deine Seele mit stiller Meditation zur Ruhe zu bringen, dein Geist scheint nie stillzustehen. Es ist ein erdrückendes Gefühl. Du empfindest, körperlich vollkommen ruhig zu sein und trotzdem rennt dein Geist weiter. Du läufst mit Überschallgeschwindigkeit, wie sie nur jamaikanische Läufer erreichen. Nach einer Weile wird dir schwindelig und du wirst müde, obwohl du keinen Muskel bewegt hast. Dein Körper beginnt zu schmerzen und jetzt fragst du dich: „Kann mein emotionaler Stress körperliche Schmerzen verursachen?“ Selbst beim Einschlafen

in einem schönen warmen Bett wird es nicht leichter. Du hoffst, dass es morgen anders sein wird und du auf wundersame Weise erfrischt aufwachst und hoffentlich ein neuer Mensch bist oder zumindest ein Mensch mit neuem Lebenseifer.

Aber leider weißt du aus eigener Erfahrung nur zu gut, dies ist nur ein Traum. Du wachst am nächsten Tag müde, frustriert und sogar verärgert auf. Die überwältigende Präsenz der allzu vertrauten Gefühle zwingt dich, noch ein wenig länger im Bett zu bleiben. Du nimmst allen Mut zusammen, die Bettdecke wegzuziehen und aus dem Bett aufzustehen. Sobald deine Füße den Boden berühren, denkst du: „Ich kann das nicht mehr tun. Ich will das nicht mehr tun.“ Du stützt dich ein letztes Mal ab, zumindest für diesen Morgen, und schaltest dann auf Überlebensmodus. Das heißt, du wählst eine Maske, die du trägst, um dein Unbehagen zu verbergen und stattdessen ein einigermaßen „normales Leben“ zu führen – was auch immer das bedeuten mag. Wenn dir das bekannt vorkommt, befindest du dich vielleicht in der Wüste.

Infolge dieser unangenehmen Bedingungen wird die Wüste oft zu einem beunruhigend einsamen Ort. Und das ist der zweitwichtigste Aspekt, den man darüber lernen muss. Sie ist nicht nur ein Ort des Mangels, sondern auch ein Ort der Isolation. Manche sagen, in der Wüste gäbe es keine Kirchen. Dennoch triffst du während dieser Zeit oft auf andere Menschen. Schließlich waren die Hebräer während ihrer Zeit in der Wüste auch nicht gerade wenige. Obwohl sie ihre Wüstenzeit nicht physisch allein verbrachten, waren sie psychisch völlig allein. Diejenigen, denen du in der Wüste begegnest, können dir jedoch nicht helfen, weil ihr sozusagen im selben Boot sitzt. Genau dieser Aspekt der Wüste macht die Reise zu einem stillen Killer.

Es ist für die Gesellschaft schwer zu begreifen, dass man psychologisch allein, aber paradoxerweise von Freunden und Familie, Kollegen und Mitarbeitern umgeben ist. Manchmal

können sensible Menschen um uns herum erkennen, dass etwas nicht stimmt und wir vielleicht etwas durchmachen. Aber leider können sie nicht viel tun, um zu helfen. Sicher, sie können uns unterstützen und unseren Kampf anerkennen. Aber wenn du Krebs im dritten Stadium hast und um 3 Uhr morgens in deinem Krankenhausbett an die Decke starrst, weil du dich zu Tode fürchtest ... nun ja, in diesem Bett liegt nur einer. Oder wenn dein Mann dich und deine 2 Kinder nach 12 Jahren Ehe verlassen hat, hast du zwar deine Gemeindefamilie, die dich unterstützt. Doch wenn du weinend ins Bett gehst und dich fragst, wie du es den Kindern sagen sollst und warum Gott so etwas Schlimmes zulässt, auch dann liegt nur einer in diesem Bett.

In diesen Momenten gibt es nur dich und Gott. Niemand sonst. Das Zusammensein mit Gott kann sich oft einsam anfühlen, auch wenn dies ein neuer Gedanke für dich sein mag. Vielleicht bist du anderer Meinung und hältst das für Blasphemie, aber der Menschensohn ist damit nur allzu vertraut. Denke zurück an Seine letzten Stunden vor dem Kreuz. Christus schien eine Menge durchzumachen: Er schwitzte buchstäblich Blut. Wenn man einen Menschen Blut schwitzen sähe, ließe sich leicht sagen, derjenige macht wohl etwas durch.

Aber was würdest du tun, wenn du dies sähest? Wie könntest du helfen? Kannst du überhaupt helfen? Tatsächlich können wir nicht die Kämpfe der anderen ausfechten. Auch können wir Gott nicht bitten, uns eine Prüfung zu geben, die für jemand anderen geschrieben wurde. Alles, was wir tun können, ist zu hoffen und zu beten, dass die Person in der Wüste, egal ob es sich um einen geliebten Menschen oder einen Fremden handelt, auf ihrer Wanderung zu Gott findet. Und warum Gott? Weil Gott der Einzige ist, der uns sowohl in die Wüste führt als auch aus der Wüste heraushilft.

1.2

Beginnen wir bei Gott

Die Vorstellung von Gott hat die Menschen seit Beginn der Zivilisation gespalten. Jahrhundertelang haben sie sich gefragt, ob es einen Gott oder zumindest eine höhere Gottheit gibt, die für das Universum verantwortlich ist. Hat dieser Gott oder haben diese Götter das Universum erschaffen? Wenn ja, warum? Und zu welchem Zweck? Und wer hat Gott und die Götter erschaffen? Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Solche Fragen sind vielleicht die wichtigsten in diesem „Spiel“, das wir „Leben auf der Erde“ nennen. In einem sind wir uns hoffentlich einig: Das Universum gehört nicht uns. Die „Shotgun“-Regeln gelten hier leider nicht. Du kannst nicht einfach behaupten, das Universum gehöre dir, auch wenn du es zuerst gesagt hast. Wie könnte das Universum dem Menschen gehören, wenn es doch schon lange vor der Entstehung der Menschheit existierte? Auch wenn unsere Tage auf diesem Planeten, den wir „Erde“ nennen, gezählt sind, überlebt das Universum uns. Unsere Rolle scheint bestenfalls für ein paar kurze Jahre die eines Pächters oder Verwalters zu sein, bevor wir diese Verantwortung an die zukünftigen Generationen weitergeben. Wir kommen auf diese Erde und verlassen sie – und über beides können wir (auch in Zukunft) nicht bestimmen. So suchen wir natürlich nach Antworten und grübeln über den Ursprung des Lebens und die Existenz eines Lebens nach dem Tod nach. Solche Gedanken können einen Menschen, besonders mich, bis in alle Ewigkeit beschäftigen.

Einer der Gründe, warum Gott nach wie vor ein umstrittenes Thema in der Gesellschaft ist, liegt vor allem darin, dass Seine Existenz nicht mit empirischen Beweisen nachgewiesen werden kann. Und selbst wenn man es könnte, wäre es absurd und ein wenig arrogant zu glauben, ausgerechnet wir wären in der Lage, die Existenz Gottes zu beweisen. Ich meine, angesichts des Himmels und der Erde, angesichts des beobachtbaren

Universums, sind wir wie ein Baby, das versucht, den Mount Everest zu besteigen. Mit anderen Worten: Die Aufgabe liegt jenseits unserer Fähigkeiten und unseres Verständnisses. Wir sind nicht in der Lage (und haben auch kein Recht dazu), den Allmächtigen in eine Petrischale zu legen und ihn unter einem Mikroskop zu untersuchen.

Und doch sind wir trotz unserer offensichtlichen Grenzen und Einschränkungen auf dem Mond gelandet. Offenbar besitzen wir ein höheres Bewusstsein als jedes andere Lebewesen.

Deshalb können wir Straßen, Häuser und Städte bauen, aber auch Autos, Flugzeuge und Züge. Dank dieses Bewusstseins haben wir unseren Platz im Universum erkannt, Theorien entwickelt und die Gesellschaft geschaffen, in der wir heute leben. Dem Augenschein nach haben wir doch eine Menge erreicht. Vielleicht hat es das Baby, wie durch ein Wunder, doch auf den Everest geschafft.

Selbst wenn wir uns einig sind, dass es eine höhere Macht gibt, stellen wir uns weitere Fragen zu ihrem Zweck oder ihrer Natur. Wir fragen uns: „Was hat dieser Gott oder was haben diese Götter vor? Und was will Er oder was wollen sie von uns?“ Je nachdem, in welcher Zeit und in welchem Teil der Welt du lebst, wirst du Gott unterschiedlich benennen und mit Ihm umgehen. In der Antike scheint die Vorstellung von Gott viel zentraler gewesen zu sein. Bei der heutigen Gesellschaft hingegen sieht es so aus, als ob sie sich des chronologischen Snobismus schuldig gemacht hätte – von C.S. Lewis definiert als „die unkritische Akzeptanz des intellektuellen Klimas unseres eigenen Zeitalters und die Annahme, alles Veraltete sei deshalb diskreditiert“2. Mit anderen Worten: Eine Gesellschaft wie die unsere nimmt arroganterweise an, ihr Denken habe mehr Wert und Bedeutung als jenes vergangener Denker und Ideologien.

2 C. S. Lewis Institute. URL: https://www.cslewisinstitute.org/resources/c-s-lewis-onchronological-snobbery/.

Was Gott betrifft, scheinen wir die Idee von Gott in den Mainstream-Medien und der Popkultur absichtlich abgetötet zu haben. Ironischerweise sieht unser Verhalten so aus, wie es Aleister Crowley in seiner Theorie über das Gesetz von Thelema aus dem Jahr 1900 schreibt: „Tu, was du willst.“ Besonders in den westlichen Gesellschaften wird die Vorstellung von Gott immer unpopulärer. Man könnte meinen, Gott sei veraltet. Eine Sache der Vergangenheit. Etwas, an das die Menschen früher geglaubt haben, weil sie es nicht besser wussten oder weil sie es im Leben schwer hatten. In einer Gesellschaft wie der heutigen, in der wir praktisch tun können, was wir wollen, gibt es anscheinend keinen Bedarf für Gott. „Warum an Gott glauben? Welchen Wert hat Er für mein Leben?“, denken sich die weltlichen Menschen. Gott wird als Hindernis gesehen, als Spaßbremse und als jemand, der dich gerne bestraft, wenn du einen Fehler machst.

Trotzdem hört man hin und wieder Geschichten von Menschen, die Gott angeblich wirklich begegnet sind oder Ihn erlebt haben. Wenn jemand beispielsweise jahrelang eine unheilbare Krankheit hatte, nun aber bezeugt, der Krebs sei plötzlich über Nacht verschwunden. Die Ärzte sind verblüfft und haben keine Ahnung, wie oder warum das passiert ist. Jemand anderes bezeugt, er habe durch seinen Schmerz zu Gott gefunden und erklärt, wie er sich in seinen dunkelsten Momenten an Gott gewandt und dieser ihm geholfen hätte. Ein anderer bezeugt, eines Tages während eines Gottesdienstbesuches auf geheimnisvolle Weise eine greifbare Präsenz gespürt zu haben, die er nie zuvor empfunden hätte. Diese Gegenwart wird vielleicht als ein unbegreiflicher Frieden beschrieben. Wieder andere sagen: „Ich habe Gott in der Wüste gefunden. Eines Tages sah ich einen brennenden Busch – was in der Wüste nicht ungewöhnlich ist. Aber was mich auf dieses besondere Feuer aufmerksam machte, war die Tatsache, dass der Busch zwar brannte, seine Zweige dabei aber nicht verbrannten. Ich

war erstaunt – also ging ich hin, um mir das genauer anzusehen, denn ich wollte meinen Augen nicht trauen. Da hörte ich Seine Stimme …”

1.3 Noch vor dem brennenden Busch

Wenn du mit der Geschichte vertraut bist, erkennst du, das letzte Beispiel handelt von Moses Begegnung mit Gott. Dessen Berufungsgeschichte ist im zweiten Buch Mose zu finden (vgl. 2. Mose 3:3+4). Ein Mann, der scheinbar kein Verlangen hatte, von Gott gebraucht zu werden, wurde auf unvergleichliche Weise als Sein auserwähltes Werkzeug eingesetzt. Die Erfahrungen, die dieser einfache Sterbliche mit Gott machte, wird kein anderer Mensch je machen können. Mose galt als Freund Gottes. Einer, mit dem Gott allein von Angesicht zu Angesicht sprach. Einer, von dem Gott sagte, er sei ein Gott für den Pharao, den damals mächtigsten Mann der Welt (vgl. 2. Mose 4:16). Als Mose mit den zehn Geboten vom Berg Sinai herabkam, strahlte sein Angesicht so hell von der Herrlichkeit Gottes, dass er sich in der Gegenwart des Volkes verhüllen musste. Doch all das hatte sich Mose nicht einmal erträumt. Es ist einfach passiert. Er war schlicht von Geburt an dazu auserwählt, derjenige zu sein, der von Gott auf eine einzigartige Art und Weise benutzt werden würde. Und alles begann mit einer Begegnung mit einem Gott, den er zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht kannte.

Moses Vermächtnis besteht in erster Linie aus seinem Leben nach dem „brennenden Dornbusch“, denn darüber spricht die Bibel überwiegend, um unsere Aufmerksamkeit auf das Ende seines Lebens zu lenken. Der Bibel zufolge erlebte Mose mit 80 Jahren den „brennenden Dornbusch“ und starb mit 120 Jahren. Daher betrifft vieles von dem, was wir bewundern und analysieren, nur das letzte Drittel seines Lebens. Die Bibel

gibt uns einige Details über das Leben von Mose vor seiner Begegnung mit Gott, aber ein Großteil des ersten und zweiten Drittels seines Lebens bleibt in Legenden verpackt, die hauptsächlich aus der rabbinischen Literatur wie dem „Midrasch Schemot“ stammen („Schemot“: hebräisch für Exodus). Midrasch bezeichnet eine rabbinische Auslegung. Oft erweitert er die biblischen Texte und füllt die Lücken in der Bibel aus. Natürlich sollte man solche Auslegungen mit Vorsicht genießen und sie nicht als das Evangelium schlechthin betrachten. Dennoch möchte ich dir einen interessanten Midrasch über Moses Mund erzählen, der seine angebliche Sprachbehinderung erklären könnte. Erinnern wir uns aber zunächst daran, was der Anfang des Exodus oder, wie die religiösen jüdischen Führer ihn nennen, „Parascha Schemot“ (wörtlich übersetzt: der erste Teil des Exodus) über Mose erzählt3: Mose wurde zwar als Baby von der Tochter des Pharaos am Flussufer gefunden, dann aber von seiner richtigen Mutter zu Hause gestillt. Seine Mutter gab das Baby dann an die Tochter des Pharaos zurück, die es als Kind adoptierte. Die Adoptivmutter und nicht seine leibliche Mutter gab dem Kind den Namen Mose. Er wuchs von Kindheit an mit Privilegien im Palast des Pharaos auf. Er wurde in die ägyptische Kultur eingeführt, einschließlich ihrer Götter. Er sprach ihre Sprache und lernte, was die anderen Kinder aus der Oberschicht lernten. Später in der Exodus-Geschichte erfahren wir, wie Mose zweifelt und glaubt, Gott mache mit seiner Berufung einen Fehler. Mose glaubte wohl, er sei nicht der richtige Mann für diese Aufgabe. Diese bestand darin, ein Anführer zu sein, ein Lehrer und im Grunde genommen der Retter des hebräischen Volkes. Mose offenbart, dass er einen Sprachfehler hat, der ihn höchstwahrscheinlich an der Erfüllung seiner Aufgabe hindern

3 Vgl. Parsons, John J.: „Midrash of Moses’ Mouth“. Hebrew for Christians. URL: https://hebrew4christians.com/Scripture/Parashah/Summaries/Shemot/Mouth/ mouth.html.

würde. Die Bibel berichtet jedoch nichts Näheres über die Art oder die Gründe einer solchen Behinderung. Hier kommt der Midrasch von Moses‘ Mund ins Spiel und hilft uns möglicherweise, die Lücken in der Bibel zu füllen, indem er eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung dieser Behinderung gibt4: Der Legende entsprechend habe Mose einmal als Kleinkind die goldene Krone des Pharaos auf den Boden geworfen. Als der Pharao davon hörte, wollte er testen, ob der kleine Mose wusste, was er getan hatte oder sich der Tragweite seines Verhaltens nicht bewusst war. Deshalb stellten sie zwei Teller vor das Kind: einen mit einem Stück Gold und den anderen mit einem Stück glänzender Kohle. Sie wollten sehen, zu welchem Gegenstand sich das Kind hingezogen fühlte. War sich der kleine Mose des Goldes bewusst, dass er zu Boden geworfen hatte oder war er einfach nur von glänzenden Gegenständen fasziniert, wie die meisten Kinder? Sollte Mose nach dem Gold greifen, würde der Pharao den Jungen töten, weil er es vermutlich als einen Akt der Auflehnung gegen seinen Thron angesehen hätte. Sollte Mose aber nach dem glänzenden Stück Kohle greifen, bedeutete dies, der Junge wüsste nichts von seinem Verhalten und würde nicht für seine Taten verantwortlich gemacht werden. Die Legende besagt, der junge Mose habe nach dem Gold greifen wollen, aber ein Engel habe seine Hand gedrückt und ihn angewiesen, stattdessen die Kohle zu berühren. Da die glänzende Kohle heiß war, steckte Mose danach seine Hand in den Mund und verbrannte sich Lippen und Zunge.

Diese Geschichte bietet eine mögliche Erklärung, wie Mose zu seinem Sprachfehler kam. Obwohl es fast unmöglich ist, sie mit Sicherheit zu verifizieren, wirft die Geschichte ein Licht darauf, wie das Leben von Mose gewesen sein könnte, als er im Palast des Pharaos aufwuchs.

4 Vgl. ebd.

Das Leben der meisten großen Persönlichkeiten verläuft nicht ohne Tragödien. In unserer Gesellschaft haben wir die wenig hilfreiche Angewohnheit, unsere Helden als perfekt und fehlerlos zu glorifizieren. Dies ist nicht hilfreich, denn sie rücken dadurch außerhalb unserer Reichweite. Indem wir sie auf ein Podest stellen, bewundern wir sie aus der Ferne, als wären sie eine Art Gott im Vergleich zu uns einfachen Bauern. Wenn wir jedoch ein wenig tiefer in ihre Vergangenheit blicken, werden wir mit Sicherheit Tragödien, Enttäuschungen und Misserfolge finden. Solche Erfahrungen scheinen uns zu vereinen und können unseren Glauben stärken. Denn wenn wir von jemandem erfahren, der inmitten von Widrigkeiten triumphiert hat, sind wir motiviert weiterzumachen. Dann glauben wir, auch unsere momentanen Kämpfe überwinden zu können.

Selbst wenn viele von uns vielleicht nicht die Höhen unseres Lieblingsschauspielers, -musikers oder -sportlers erreicht haben, ist uns allen Folgendes gemeinsam: Egal, ob es in den sozialen Medien so aussieht oder nicht, wir alle kämpfen weitgehend mit den gleichen Problemen. Das Leben nimmt keine Rücksicht auf den Status und der Tod nicht auf Reichtum. Die Angst schaut nicht darauf, was du im Leben erreicht hast; wenn sie auftaucht, verlangt sie deine Aufmerksamkeit. Das Gleiche gilt für Trauer, Schmerz und Stress. Wer auch immer du bist und was auch immer du in deinem Kalender geplant hast, wenn diese unsterblichen Feinde des Menschen anklopfen, bleibt uns keine andere Wahl, als sie zu bewältigen. Und für wie lange? Nun, das ist unsere Entscheidung.

Mose unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von allen anderen Menschen. Die Begegnung mit dem brennenden Dornbusch, die den Beginn des Vermächtnisses von Mose markiert, findet sogar zu einem Zeitpunkt statt, an dem er vielleicht am verwundbarsten ist. So wie die Nacht vor der Morgendämmerung am dunkelsten ist, scheint Gott ein

Händchen dafür zu haben, nach unserer Uhr in letzter Minute aufzutauchen und sich in unseren schwächsten Momenten bemerkbar zu machen. Es ist fast so, als würde Er auf unsere Erschöpfung warten, bevor Er eingreift und uns hilft, wieder auf den richtigen Weg zu kommen.

Als Mose den brennenden Dornbusch sah, lebte er in Midian (auf Hebräisch: Streit oder Ort des Gerichts5). Er war aus Ägypten geflohen, weil der Pharao ihn töten wollte, nachdem Mose einen ägyptischen Aufseher getötet hatte. Angewidert von der Ungerechtigkeit, die sein hebräisches Volk seit Generationen von den Ägyptern erdulden musste, hatte Mose versucht, eine alltägliche Situation im Leben eines Hebräers zu lösen. Dieser wurde von einem Ägypter vermutlich ohne ersichtlichen Grund verprügelt. Mose war so wütend, dass er den Ägypter schließlich tötete und damit seine Flucht heraufbeschwor. Am nächsten Tag versuchte Mose dann, einen Streit zwischen zwei Hebräern zu schlichten. Offenbar waren sie von Moses Einmischung alles andere als begeistert und fragten ihn, wer ihn denn zum Richter gemacht habe, und ob er sie wie den Ägypter töten wolle. Um sein Leben zu retten, musste Mose in das Land Midian fliehen.

Doch der gescheiterte Aktivist kann nicht anders, als die Außenseiter zu verteidigen, und so kam er schon bald einigen Mädchen zu Hilfe, die von einigen Hirten schikaniert wurden. Aber dieses Mal entwickelte sich sein heldenhafter Einsatz zu seinen Gunsten, denn er wusste nicht, dass die Mädchen, denen er geholfen hatte, die Töchter des Priesters von Midian waren. Dieser hieß Jitro und gab ihm schließlich einen Job und sogar eine seiner Töchter zur Frau.

Jetzt finden wir also Mose vor dem brennenden Busch. Ein Mann, der große Hoffnungen hatte, die Welt zu verändern, 5 Abarim Publications: „Midian meaning“. URL: https://www.abarim-publications. com/Meaning/Midian.html. Ein

aber auf die Nase fiel. Sein eigenes Volk, die Hebräer, wusste seine Hilfe nicht zu schätzen. Und nun ist Mose ein Familienvater, der mit seinem Schwiegervater in einem Land arbeitet, das bei weitem nicht so wohlhabend ist wie seine Heimat Ägypten. Er versucht, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zu überleben, im Leben zurechtzukommen. Vielleicht kannst du das nachvollziehen? Hättest du jemals gedacht, dass dein Leben anders aussehen würde als jetzt? Hast du dich jemals gefragt, warum sich all dein Talent, deine Bemühungen und deine harte Arbeit nicht so ausgezahlt haben, wie du dachtest? Hast du jemals erwartet, im Leben weiterzukommen als bisher? Und fragst du dich schon seit langem, ob sich die Dinge jemals ändern werden? Langsam schwindet dein einstiger Glaube an Gott. Eifer und Kraft deiner Jugend nehmen aufgrund der vielen gescheiterten Projekte und Enttäuschungen allmählich ab. Du magst die Umstände nicht, in denen du dich befindest. Sie sind unangenehm und irritierend wie ein nicht zu beseitigender Juckreiz. Egal, wie sehr und wie lange du dich kratzt, der Juckreiz kehrt unweigerlich zurück. Vielleicht bist du gerade in der Wüste und wartest auf deinen Moment am brennenden Busch.

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