Mit der Bibel durch das Jahr 2020
Ökumenische Bibelauslegungen
Ökumenische Bibelauslegungen
Herausgegeben von Nikolaus Schneider
Herausgegeben von Franz-Josef Bode
Jochen Cornelius-Bundschuh
unter Mitwirkung von Franz-Josef Bode
Jochen Cornelius-Bundschuh
Maria Jepsen
K R E U Z
Paul-Werner Scheele †
Maria Jepsen
Rosemarie Wenner
Joachim Wanke
Heiner Wilmer
Rosemarie Wenner

Redaktion
Dr. h.c. Nikolaus Schneider, Präses a.D. und Ratsvorsitzender der EKD a.D.
© Verlag Kreuz in der Verlag Herder GmbH, Freiburg 2021 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-kreuz.de
Koproduktion mit dem Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart www.bibelwerkverlag.de
Umschlagkonzeption: wunderlichundweigand, Schwäbisch Hall Umschlaggestaltung: Verlag Herder Umschlagmotiv: Ekely/iStock – getty images
Satz und Herstellung: Arnold & Domnick GbR, Leipzig
Printed in Germany
ISBN 978-3-451-60106-4 (Verlag Kreuz)
ISBN 978-3-460-20225-2 (Verlag Katholisches Bibelwerk)
Liebe Leserinnen und Leser!
Ein neues Jahr liegt vor uns. Wir blicken voraus auf 365 Tage –erwartungsvoll. »Du schufst weiten Raum meinen Schritten« (Ps 18,37), diesen verheißungsvollen Worten des Psalmisten dürfen wir uns anschließen. Wir erhoffen uns ein freudiges Jahr. Aber wir ahnen auch, dass dieses Jahr nicht nur Freude und Glück für uns bereithalten wird. Höhen und Tiefen gehören zum Leben nun mal dazu; Freud und Leid werden sich vermutlich die Hand geben – wie in jedem Jahr.
Wie in jedem Jahr haben wir vielleicht die ein oder andere Ahnung, was das Jahr bringen wird. Pläne, Wünsche, Hoffnungen oder auch Sorgen und Nöte mögen uns in dieses Jahr hinein begleiten. Wir ahnen, planen, hoffen – wir wissen indes noch nichts über dieses neue Jahr. Wenn uns Corona etwas gelehrt hat, dann dies: Ein Jahr kann ganz schnell ganz anders aussehen, sich anfühlen – als vorher gedacht oder erwartet. Von heute auf morgen kann unser Leben völlig unvermutet die Richtung wechseln oder alle Planungen können über den Haufen geworfen werden – im Großen wie im Kleinen.
Da ist es gut, ja manchmal überlebensnotwendig, treue Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter an meiner Seite zu wissen. Das können Menschen sein, die mich tragen und auffangen, wenn das Schicksal mich heftig beutelt. Und die mit mir jubeln und lachen, wenn das Glück mich küsst. Es ist ein großes Geschenk, auf verlässliche Weggefährtinnen und Weggefährten zählen zu können.
Eine Wegbegleiterin, die alle Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens kennt und die Zeugnis von den vielfältigen Wegen Gottes mit den Menschen ablegt, ist die Heilige Schrift. Die Bibel ist randvoll mit Begegnungsgeschichten: Begegnungen von Menschen miteinander sowie von Menschen mit Gott. Und sie nimmt uns mit auf vielfältige Wege, z. B. mit Josua und dem Volk Israel hinein ins Gelobte Land oder mit Rut und Noomi, die als Frauen solidarisch ums Überleben kämpfen.
Wenn wir heute in der Bibel lesen, dann werden wir in diese Beziehungsgeschehen mit hineingenommen, das Wort Gottes kann direkt in unser Leben sprechen und uns zur Wegbegleitung in den Höhen und Tiefen unseres ganz persönlichen Lebens werden. Kein anderes Buch hat so viel Inspirationspotenzial, kein anderes Buch eignet sich so hervorragend, um mit ihm durch das Jahr zu gehen.
Doch ist die Bibel umfänglich. Und vielfältig. Das kann abschrecken, das macht die Wahl manchmal zur Qual. Da ist ein
wenig Hilfestellung oftmals gut und nötig – auch bei der Auswahl. Zugleich gilt auch mit Blick auf das Bibellesen die Weisheit: Alleine bin ich oft schneller, aber gemeinsam kommt man meist weiter. Von daher freue ich mich, dass ich Ihnen auch in diesem Jahr das Buch »Mit der Bibel durch das Jahr« ans Herz legen kann. Hier finden Sie zum einen eine gute Auswahl an biblischen Inspirationen für Ihr Jahr: Neutestamentlich dürfen Sie viel »Johannes« kosten (Evangelium, Briefe, Offenbarung), alttestamentlich sich mit Josua, Rut, Ester und Jona auf den Weg machen. Besonderes Highlight: Mit dem Hohelied begegnet uns in diesem Jahr ein sehr eindrücklich poetischer Text. Zum anderen bauen die Auslegungen und Gebete aus der Feder unterschiedlicher Autorinnen und Autoren hoffentlich die ein oder andere Brücke ins eigene Leben.
Wenn Sie sich mit der Heiligen Schrift und mit »Mit der Bibel durch das Jahr« auf den Weg durch die kommenden zwölf Monate machen, dann werden bzw. sind Sie Teil einer großen ökumenischen Lesegemeinschaft. Einer »virtuellen Gemeinschaft«, einer interkonfessionellen Gemeinschaft, einer Gemeinschaft, die im biblischen Geist und im Gebet verbunden ist. Das kann tragen, das kann stützen, das kann stärken. Vielleicht finden Sie auch ein paar bibellesende Weggefährtinnen und Weggefährten ganz konkret vor Ort.
Die Heilige Schrift ist prall gefüllt: In ihr steckt ganz viel Gott und ganz viel Leben. Und es lohnt sich, genau zu lesen. Aufmerksam hinzuhören und achtsam hinzuspüren, was die Worte der Schrift mir sagen wollen – für den konkreten Tag, für mein Leben. Manche Bibelstelle mag sich für mich sperrig anfühlen und anstrengend daherkommen. Da heißt es: Fleißig »kauen«! Manches Wort wird dann für mich süß, anderes bleibt bitter. Manchmal kann eine Auslegung mir zusätzlich eine Tür öffnen, manchmal ein Gebet mein Herz aufschließen. Doch immer ist mir das Wort Gottes für den Tag geschenkt – und Sie dürfen sich gewiss sein: In der großen ökumenischen Lesegemeinschaft wird es zahlreichen Mitleserinnen und Mitlesern ähnlich ergehen wie Ihnen.
Und aus meiner eigenen Erfahrung mit dem Wort Gottes kann ich Sie nur ermutigen: Bürsten Sie das Wort Gottes auch mal gegen den Strich, ringen Sie mit dem Wort Gottes – denn mancher Segen will »erkämpft« sein. Das erfährt schon der Stammvater Jakob am Jabbok (Gen 32): »Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest.« (Gen 32,27)
VII
Ich wünsche Ihnen immer wieder die Erfahrung, dass Sie die Begegnung mit dem Wort Gottes verändert – dass Sie als eine Andere/ein Anderer weitergehen. Dann wird Ihnen die Bibel zur wahren Wegbegleiterin durch dieses Jahr!
Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ
Hinweise zum Gebrauch dieses Buches
Die Lesungen des Tages folgen dem Bibelleseplan der »Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen«, den wir in diesem Band abdrucken (ab Seite 448) und worin auch die Zeiten des Kirchenjahres berücksichtigt werden. Ziel des Bibelleseplans ist es, im Laufe der Jahre die wichtigsten Texte der Bibel kennenzulernen. Am besten beginnen Sie mit der Lektüre des Bibeltextes selber und legen dazu die Lutherbibel oder die Einheitsübersetzung (in möglichst aktuellen Übersetzungen) an einen festen Platz in Ihrer Wohnung. So vorbereitet, greifen Sie zu den Auslegungen im vorliegenden Band, denen ein Gebetstext beigegeben ist.
Wir haben die Jahreslosung an den Beginn des Bandes gestellt. Dort finden Sie auch die Monatssprüche (Seite X). Die Gebete (Morgen- und Abendgebete) für jeden Tag der Woche wurden von Pater Anselm Grün verfasst (ab Seite 431). Die Gebete auf dem Lesezeichen haben meine Frau Anne Schneider und ich formuliert.
Im Anhang finden Sie:
– ein Bibelstellenregister (ab Seite 454), welches das Auffinden der Auslegungen erleichtert,
– ein Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (ab Seite 459),
– ein Abkürzungsverzeichnis der biblischen Bücher (Seite 463),
– und ein Quellenverzeichnis (Seite 464), in dem vermerkt ist, woher jene Gebetstexte am Ende einer jeden Auslegung stammen, die nicht von den Autorinnen und Autoren selbst verfasst wurden.
Die Schreibweise der biblischen Namen folgt dem »Ökumenischen Verzeichnis der biblischen Eigennamen« nach den Loccumer Richtlinien.
Für Rückmeldungen zu den Bibelauslegungen sind wir dankbar. Am besten erfolgen diese Rückmeldungen an die Redaktion, die sie an die betreffenden Autorinnen und Autoren weiterleitet. Hinweise zur Verbesserung unserer Ökumenischen Bibellesehilfe können ebenfalls an die Redaktion erfolgen (redaktion@ kreuz-verlag.de).
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!
Ihr
Nikolaus Schneider
Jahreslosung und Monatssprüche
Jahreslosung 2022
Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Joh 6,37 (E)
Monatssprüche 2022
Januar
Jesus Christus spricht: Kommt und seht! Joh 1,39 (L=E)
Februar
Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. Eph 4,26 (L)
März
Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus und bittet für alle Heiligen. Eph 6,18 (E)
April
Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte. Joh 20,18 (E)
Mai
Ich wünsche dir in jeder Hinsicht Wohlergehen und Gesundheit, so wie es deiner Seele wohlergeht. 3 Joh 2 (E)
Juni
Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod. Hld 8,6 (L)
Juli
Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Ps 42,3 (L=E)
August
Jubeln sollen die Bäume des Waldes vor dem HERRN, denn er kommt, um die Erde zu richten. 1 Chr 16,33 (E)
September
Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit. Sir 1,10 (L)
Oktober
Groß und wunderbar sind deine Taten, Herr und Gott, du Herrscher über die ganze Schöpfung. Gerecht und zuverlässig sind deine Wege, du König der Völker. Offb 15,3 (E)
November
Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen!
Jes 5,20 (L)
Dezember
Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. Jes 11,6 (E)
Mit der Bibel durch das Jahr
2022
Zweimal des Tags – ein Neujahrsvorsatz
Keiner von uns kann 24 Stunden des Tags an Gott denken; jeder hat verantwortungsvollen Aufgaben nachzugehen, die seinen ganzen Einsatz erfordern. Wie könnte man da auch nur annähernd der Aufforderung des 1. Thessalonicherbriefes (5,17) gerecht werden und »ohne Unterlass«, sprich Tag und Nacht, beten? Doch wie kann man dann 24 Stunden des Tages in Gott versunken sein?
Psalm 92 gibt uns sowohl eine Antwort auf diese Frage als auch einen praktischen Tipp. Des Morgens mögen wir in einem kurzen Gebet die Huld des Herrn preisen und in den Nächten seine Treue (V. 3) loben. Diese Worte ermutigen uns, zweimal des Tages unsere Gedanken bewusst zu Gott zu erheben, ihm den Tag sowie die Nacht und somit unser Leben anzuvertrauen und ebenso die Menschen, die uns nahestehen, die wir schätzen und lieben.
Die frühe Kirche pflegte dies in zwei besonderen Gebetsformen: dem Morgenlob, der Laudes, und der Vesper, dem Abendlob. Beide Gebetszeiten – gleichsam auf dem Weg zur und von der Arbeit – waren speziell von den Psalmen, von biblischen Hymnen und kurzen Lesungen geprägt und noch heute übt sich die Kirche mit dem sogenannten Stundengebet darin.
Abend- und Morgenlob sind zwei Angelpunkte an den Schaltstellen des Tages. Sie heben eine Grundeinstellung ins Wort, die der Beter längst getroffen hat: in Gott verankert zu sein, mit ihm durchs Leben zu gehen, ihn immer besser und intensiver kennenzulernen. Von dieser Basis aus erhebt sich der Christenmensch und schwingt sich im Gebet zu Gott auf. Und weil dies nur allzu menschlich ist, nimmt dieses Gebet mal die Form des Lobpreises, ein andermal jene der Bitte und Fürbitte an, stets im Bewusstsein, dass Gott den Beter hört. Ob er ihn erhört, ist damit noch nicht gesagt. Aber gewiss ist: Wie ein Fels ist Gott immer, auch für uns.
BERNHARD KIRCHGESSNER
Du, unser Gott, dich loben und preisen wir als Fundament unseres Lebens und danken für deine Liebe.
Gestreichelt, beflügelt
Der Bibel und Kultur affine Zeitgenosse kennt seit den Tagen des Religionsunterrichts Namen und Zahl der Evangelisten und deren im Buch Ezechiel und in der Offenbarung des Johannes erwähnte Symbole. Er weiß, dass diese in den Fresken der Kirchen, an den Kanzeln und in der mittelalterlichen Buchmalerei als geflügelte Wesen dargestellt werden. Das Symbol der Flügel verweist auf ihre besondere Macht und Kraft.
Psalm 57 greift diese Symbolik auf und spricht sie GOTT zu. Nach einem Anruf des Erbarmens beteuert der Beter, bei ihm Zuflucht »im Schatten seiner Flügel« zu suchen. Die GOTT zugesprochenen Flügel sind für den Beter Symbol für Schutz und Sicherheit, sie sind Ort der Zuflucht und Geborgenheit. Hier, im Schatten Gottes, lässt es sich gut sein, hier kann man in Sicherheit abwarten, bis bessere Zeiten anbrechen.
Wenngleich wir wissen, dass weder GOTT noch seine Engel geflügelte Wesen sind, wird im Bild der Flügel eine wichtige religiöse Botschaft transportiert: Was auch immer geschieht in meinem Leben, welchen Bedrohungen ich auch ausgesetzt sein mag, was auch immer aus dem Ruder laufen mag: GOTT ist für mich da. Immer. Bei ihm bin ich geborgen.
Wir wissen nicht, was dieses neue Jahr uns bringen wird, was Schreckliches, wie Erfreuliches und Aufbauendes uns widerfahren wird. Wir kennen zum Glück vorab jene dunklen Nächte nicht, die uns um den Schlaf bringen werden. Aber wir wissen mit dem Psalmisten: Wer glauben und beten, will heißen GOTT als seinem besten Freund im Gebet alles sagen kann, was ihn umtreibt, ihn auch mal laut und wortgewaltig anfahren kann, der weiß sich in Gottes unmittelbarer, Schutz gebender Nähe.
BERNHARD KIRCHGESSNER
Du, unser Gott, streichle mit der »Feder deiner Zuwendung« im neuen Jahr oft über unser Haupt und beflügle uns, nicht nur das Grau des Alltags, sondern auch das Gute und Schöne, vor allem deine Güte wahrzunehmen.
Einführung zum Johannesevangelium S. 410ff.
Lebensberufung: Wegbereiter
Das soll von Anfang an klar sein: Es geht im Evangelium um Jesus Christus, den von den Propheten verheißenen Messias! Seit Generationen wartet Israel auf ihn. Die Sehnsucht auf sein Kommen hat sich im Lauf der Jahre mit unterschiedlichen Bildern und Vorstellungen verknüpft. Das Warten macht anfällig für verwechselbare, attraktive Bewegungen und Phänomene.
Die Taufbewegung, die der Bußprediger Johannes mit seiner Verkündigung ausgelöst hat, verunsichert die Leitungsgremien in Jerusalem. Deswegen die Untersuchungskommission vor Ort, die den Täufer Johannes gleichsam einem Verhör unterzieht.
Wer bist du? Das ist die Kernfrage. Wer bist du wirklich? Wer hat dich autorisiert?
Sie scheinen auf alles gefasst zu sein. Erstaunlich, an wen sie denken!
Aber die Antwort klingt für sie fast enttäuschend: Ich bin die Stimme, mehr nicht, nur eine Stimme, aber die Stimme, die ihr eigentlich alle kennt und wiedererkennen müsstet.
Das habt ihr doch gelesen, die Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem kommenden Herrn den Weg, räumt alle Hindernisse und Blockaden weg. Seid bereit, ihn aufzunehmen.
Das hat Gott angekündigt und nun erfüllt. Der Verheißene ist jetzt da, er ist unter euch, auch wenn ihr ihn noch nicht erkennt.
Wegbereiter für den Kommenden, den verheißenen Christus zu sein, als Zeuge für den Anbruch der heilvollen Gottesherrschaft einzustehen – damit hat Gott Johannes einen Platz zugewiesen, der unübersehbar die Zeit der Verheißungen und Erwartungen mit der Zeit der Erfüllung und Erlösung verbindet. Die Größe dieses Wegbereiters ist seine Demut und die Bereitschaft zurückzutreten, wenn der Herr selber sein Offenbarungswort spricht und seine Sendung zu unserer Erlösung lebt und vollendet.
EDWIN BRANDT
Herr, ich bitte um die Gnade, für manche ein ermutigender Wegbereiter und Begleiter auf dem Weg ihres Suchens und Glaubens zu sein.
Das Lamm, das die Sünden der Welt hinwegträgt
So wenige Verse – und ein so dichtes, bedeutendes Zeugnis, das wir nur als Geheimnis der Offenbarung verstehen können. Äußerlich sieht man es Jesus von Nazareth nicht an, dass er der Sohn Gottes ist. Er war vor allem Anfang das ewige Wort, ganz Gott, und doch erkennt Johannes ihn in der Reihe derer, die sich taufen lassen wollen, als das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt. Ihm will er den Weg bereiten.
Es ist wohl klar, dass wir hier »heiligen Boden betreten«; nur wenn sie uns offenbart werden, werden wir die göttlichen Geheimnisse anbeten und als Betende verstehen.
Genau das sagt unser Text, wenn er die Erinnerung des Täufers an die Taufe Jesu erwähnt und das eindeutige Bekenntnis Gottes zu seinem Sohn bezeugt. Zugleich leuchtet hier das Geheimnis der Sendung Jesu auf, wenn Johannes ihn als das Lamm Gottes, als Opferlamm bezeichnet. Deswegen ist Gott Mensch geworden, weil er die Sünde der Welt sühnen will.
Es geht also um uns Menschen bei dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes: Um unseretwillen ist er Mensch geworden, um die Vergebung unserer Schuld, um unsere Erlösung geht es, wenn Jesus als das Opferlamm seinen Weg bis zum Kreuz auf Golgatha geht.
Diese Szene hat Matthias Grünewald in seinem berühmten Gemälde (Isenheimer Altar) festgehalten, wenn er den Täufer Johannes mit seinem überdimensionalen Zeigefinger auf den Gekreuzigten weisen lässt und unter dem Kreuz das Lamm mit der Wunde abbildet.
Die Offenbarung Gottes in seinem Sohn, dem Menschen Jesus, wird den Glaubenden unter dem Kreuz Jesu enthüllt. Diese Paradoxie mag vielen als Ärgernis, als Skandalon erscheinen (1 Kor 1,18ff.), aber für diesen Weg hat Gott sich entschieden. Und deswegen finden wir Menschen auf diesem Weg das Heil, unsere Rettung, das Leben.
EDWIN
BRANDT
Herr unser Gott, dass du dich in deinem Sohn so eindeutig für uns Menschen, für unser Heil entschieden hast, wollen wir gelten lassen – und dich darüber dankbar staunend preisen, auch wenn uns manchmal die dafür angemessenen Worte fehlen wollen.
Suchen, fragen, finden, gefunden werden, bleiben, schauen …
Wenn es sich hier um die Schilderung der Anfänge der christlichen Kirche handelt, ist sorgfältiges Lesen angesagt! So viele verschiedene Begegnungen unterschiedlicher Menschen – immer mit Jesus, dem vom Täufer bekannten Messias, dem Sohn Gottes. Wir haben gesucht und wir haben gefunden! Oder sind wir gefunden worden? Man spürt etwas von dem Zauber, der über diesen ersten Begegnungen liegt. Bleibt es bei flüchtigen Kontakten oder kommt es zu dauerhaften Beziehungen, wobei der Ausgang offen bleibt?
Kommt und seht (V. 39), komm und sieh (V. 46): Mit einer solchen Einladung, ohne Bedingungen und Forderungen soll der Weg des Glaubens, der Nachfolge beginnen. Vor ihnen liegt ein Freiraum, den sie mit ihren eigenen Fragen und Vorstellungen füllen sollen.
Ob es ihre bisherigen Glaubensprägungen und Messias-Bilder oder ihre von Vorurteilen begrenzten Ansichten sein mögen – sie sind eingeladen zu fragen, zu prüfen und zu bleiben. In der Gemeinschaft mit Jesus erfahren sie Korrektur und Erfüllung ihrer Sehnsucht nach Gott. Es ist wahr geworden: Die Verheißungen der neuen Welt Gottes, des Anbruchs der Gottesherrschaft sind in der Person, in der Verkündigung und im Leben des Jesus Christus erfüllt, und sie dürfen als seine Jünger dabei sein!
Befreiend teilt sich ihnen allen, mit welcher Vorgeschichte sie auch belastet sein mögen, dieser Freiraum der Liebe Gottes mit, der sie schon lange im Blick hat und der ihr Leben unter den Horizont der Hoffnung rufen will.
Mit der Erinnerung an die Jakobsgeschichte mit dem Bild des geöffneten Himmels (1 Mose 28, 10ff.) leuchtet die Verheißung auf, dass diese Gewissheit auf dem Weg des Glaubens auch uns ermutigen, inspirieren und unverlierbar begleiten wird: Wir werden bei ihm bleiben, weil er bei uns bleibt; und wir werden aus dem Staunen nicht herauskommen.
EDWIN BRANDT
Herr Jesus Christus, dass du uns gesucht und gefunden hast, bekennen wir mit großer Freude und Dankbarkeit! Wir bitten heute für die in unseren Familien und Freundeskreisen, die auf der Suche nach der Wahrheit, nach Erfüllung sind: Begegne du ihnen auch so, dass sie sich von deiner Liebe gewinnen lassen.
Und er offenbarte seine Herrlichkeit
»Am dritten Tag« – heißt es am Anfang. Lesen wir Johannes im Zusammenhang, dann ist das der dritte Tag des Auftretens Jesu: Am ersten Tag erscheint er vor Johannes dem Täufer und erhält seinen Namen: »Siehe, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt.« Am zweiten findet er seine ersten Jünger. Und am dritten geschieht sein »erstes Zeichen«. Aber das »am dritten Tage« erinnert natürlich auch an das Ostergeschehen: Am dritten Tage auferstanden von den Toten, sagen wir im Credo. Sein erstes Zeichen steht bereits im Licht des Ostersonntags. Hier handelt der vom Tode zum Leben Auferweckte. Deshalb ist es nicht nur ein Wunder, sondern ein »Zeichen« für die Herrlichkeit Gottes (Joh 2,11). »Wein« wird er mit uns trinken in seines Vaters Reich, sagt er uns beim Abendmahl.
Noch eine Bedeutung hat jenes »am dritten Tag«: Nach der Ordnung der Schöpfungsgeschichte ist das der Dienstag. Und nur an diesem dritten Schöpfungstag steht in der Bibel zweimal: »Und Gott sah, dass es gut war« (Gen 1,10+12). Deshalb ist dieser »dritte Tag« im Judentum bis heute ein beliebter Hochzeitstag, denn an diesem Tag wird das »und Gott sah, dass es gut war« zweimal gesagt, nämlich einmal für die Frau und einmal für den Mann! Nun sind wir mitten drin in dieser Hochzeitsgeschichte:
Die »Mutter Jesu« ist da. Ihr Name Maria wird im ganzen Johannesevangelium nie genannt. Als sie ihn anspricht, entgegnet er: »Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« Das sagt Jesus bei Johannes öfter und weist damit auf seinen Tod hin. Auch schon sein erstes Zeichen weist direkt auf Karfreitag und Ostern! Hier werden zwei Geschichten erzählt: die eine, in der Jesus bei einer Hochzeit dafür sorgt, dass der Wein nicht ausgeht. Die zweite handelt von einer anderen Hochzeit. Jesus selbst ist der Bräutigam, der seiner Braut, der christlichen Gemeinde, begegnet und Wein im Überfluss für sie hat, dafür da, des Menschen Herz zu erfreuen (Ps 104,15).
HANS-MICHAEL WÜNSCH
Gott, wir haben deine Zeichen und Wunder gesehen. Wir vertrauen darauf, dass du auch unsere Wege gehen wirst und uns durch unser Leben trägst.