396213

Page 1


MATTHIAS KUMMER

Die

Tür zum Leben gehtinnennachauf

Was passiert, wenn wir Lasten über Bord werfen, Ja sagen zu Go es Liebe und mutige Schri e gehen

Das verlorene Herz

Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht.

Albert Schweitzer 3

In einer brisanten Mischung aus Wut und Hoffnungslosigkeit machte ein Klient, der später zu mir in die Beratung kam, vor einigen Jahren aus seiner Stereoanlage Kleinholz. Ich habe ihn bereits erwähnt:

Sein Name ist Ben. Eigentlich ist er überhaupt nicht der Typ dazu, alles kurz und klein zu schlagen. Im Gegenteil. Er ist nett, zuvorkommend, barmherzig. Ben wusste damals nicht, was mit ihm passierte. In jener Zeit konnte er wegen jeder Kleinigkeit außer sich geraten. Ben hatte das Gefühl, die viele Arbeit sei schuld an seiner Stimmung. Er war frustriert, enttäuscht, verletzt. Fast zwanzig Jahre lang hatte er sich in einem taffen Job behauptet. Und jetzt dieser Ausraster. Es musste sich etwas ändern. Höchste Eisenbahn für eine Auszeit. Also heckte Ben einen hastig ausgedachten Notfallplan aus. Der Plan lautete: So rasch wie möglich die Beine in die Hand nehmen und eine

Auszeit nehmen – weit weg von zu Hause. Ruhe finden. Das Leben überdenken. Die Batterien aufladen.

Einige Wochen später flogen Ben und seine Freundin nach L. A., mieteten sich einen SUV und reisten fünf Wochen quer durch Kalifornien und Nevada. Nach ein paar Tagen Wellenreiten am Venice Beach und einem Abstecher nach San Francisco ging die Reise wieder nach Süden, ins Landesinnere. Irgendwann breitete sich das Death Valley vor ihnen aus. Das heißt übrigens so, weil es dort nie regnet – ich meine wirklich nie. Keinen Tropfen. Es wird nicht umsonst das »Tal des Todes« genannt. An dieser Stelle könnte ich Ihnen den Psalm 23 zitieren.

Weit und breit nur Sand, Steine und ein paar Kakteen. Das Death Valley liegt in der Mojave-Wüste und ist der trockenste und heißeste Nationalpark der USA. Er liegt südöstlich der Sierra Nevada, und die Region ist ein regelrechter Hitzepol. Deshalb hatten Ben und seine Freundin den Wagen runtergekühlt und schlürften den ganzen Tag an eisgekühlten Koffeinbomben mit extra Schlagsahne. Große Koffeinbomben, versteht sich. In den USA war alles groß. Groß und kalt.

Weil die Amerikaner jedes Café, jedes Hotel und jedes Shoppingcenter auf gefühlte zehn Grad kühlten, holten sich Ben und seine Freundin einen Schnupfen – mitten im Sommer, mitten in Kalifornien, mitten in der Wüste.

»Hey Schatz, reich mir bitte mal ein Taschentuch.« Prima.

Aber natürlich – Kalifornien und die Nationalparks waren großartig. Es war beeindruckend. Es war einmalig und unvergesslich. Sie fuhren am Titus Canyon vorbei, einer Geisterstadt, und der Salzpfanne des Badwater Basin, dem tiefsten Punkt Nordamerikas. Der tiefste Punkt … Ben konnte sich auf urkomische Weise mit dem »Tal des Todes« identifizieren, von dem schon der Psalmist David geschrieben hatte. Ironischerweise fühlte sich Ben dort in der Wüste selbst

so ausgetrocknet wie das Death Valley. Wenn wir hier eine Brücke zum Volk Israel schlagen, das, wie es im 2. Buch Mose beschrieben wird, viele Jahre in der Wüste umherirrte und nicht vom Fleck kam, dann beschreibt das die Situation von Ben ziemlich genau. Frei, aber immer noch gefangen. Keine Sklavinnen und Sklaven mehr, aber trotzdem noch nicht am Ziel.

Um es vorwegzunehmen: Ben hatte so ziemlich alles, was man sich wünschen konnte. Eine Freundin, Familie, gute Freundinnen und Freunde, einen anständigen Job. Er konnte sich sogar eine Reise nach Übersee leisten. Und was noch wichtiger war: Er konnte jeden Tag ein halbes Dutzend eisgekühlte Koffeinbomben trinken, wenn er Lust dazu hatte. Eisgekühlte Koffeinbomben waren in aller Regel die perfekte Lösung, um glücklich zu sein. Nichtsdestotrotz fehlte etwas. Ben war zwar am Leben, aber er war an einem Tiefpunkt angelangt. Er schaute aus dem Fenster und fragte sich im Stillen: War’s das wirklich schon? Ich hoffe nicht.

Lina, die gerade Mitte dreißig war, als ich sie als Coach begleiten durfte, verriet mir ein ähnliches Geheimnis. Sie war enttäuscht vom Leben – ähnlich wie vom Wetterbericht, der ihr für das Wochenende in den Bergen tolles Wetter versprochen hatte.

»Das Leben ist verflixt anstrengend«, sagte sie müde. »Falls ich je nochmals auf die Welt kommen sollte – was Gott verhüten möge –, dann möchte ich nicht als Frau geboren werden. Na gut, als Mann eigentlich auch nicht. Wenn ich doch zurückkommen müsste, dann höchstens als kleine Olive.«

»Ach, ja?«, fragte ich erstaunt.

»Ja, zuerst wachse ich an einem netten Baum irgendwo im sonnigen Italien. Ich genieße den Tag, hänge ein bisschen ab und lege mich dann wieder schlafen. Eine großartige Vorstellung, nicht? Eines Tages werde ich dann gepflückt und erst einmal ordentlich in Öl eingelegt, damit die Bitterstoffe verschwinden und meine Haut schön

zart wird. Und später werde ich dann irgendwo auf einer schicken

Party serviert und hoffentlich von einem anständigen Kerl aufgegabelt. Perfektes Happy End. Und das ganze Tamtam dauert höchstens ein Jahr.«

Wir mussten beide lachen.

»Nein, im Ernst«, meinte Lina weiter. »Ich fühle mich einfach angeschlagen und müde von der ganzen Hetzerei, vom Job, der mir nicht wirklich liegt, und all den Forderungen, die sonst noch gestellt werden.«

Am liebsten wäre ich eine kleine Olive. Ende der Story. Ihre Erwartungen an das Leben waren nicht wie erhofft in Erfüllung gegangen, ihre Gebete, so schien es ihr, nicht erhört worden. Ihr Leben war nicht völlig aus den Fugen geraten. Sie hatte nur jahrelang versucht, es besser auf die Reihe zu kriegen, ihre Träume zu leben, etwas Neues zu machen – vergebens. Lina hatte auf Veränderung gehofft, geglaubt und gebetet – und jetzt? Jetzt wollte sie nur noch eine Olive sein. Ich konnte sie allzu gut verstehen.

Sie und Ben, beide hatten über die Jahre etwas verloren, dieses Etwas, das Douglas Herz nannte. Das Herz, das eigentlich für Freude, Liebe und Schönheit geschaffen wurde, aber eben auch getrübt, verletzt, kraftlos oder verstockt sein kann.

So oder ähnlich geht es uns allen irgendwann. Bestimmt hat jede und jeder von uns schon mal das volle Leben gespürt und richtig tolle Zeiten erlebt. Aber das Leben kann auch anders.

Wir stecken in der Wüste fest

Manchmal klingt die Bibel wie ein Märchen. In der Bibel ist die Rede von dieser Vollkommenheit, von unaufhörlicher Liebe und unaussprechlicher Freude, von Fülle und nie endender Kraft. Dann und

wann hört es sich zu gut an, um wahr zu sein, denn manchmal spielt das Leben eine andere Melodie.

Ich bin mir sicher, auch Sie haben schon an der einen oder anderen biblischen Verheißung gezweifelt. Gottes Zusagen tun uns gut. Richtig gut sogar. Sie wirken wie Balsam für Herz und Seele. Sie geben uns Halt, Sicherheit und Trost. Gottes Wort schenkt so viel Kraft. Doch wenn das Leben mit all seinen Herausforderungen über uns hereinbricht, wenn sich die lang ersehnte Gebetserhörung nicht erfüllt, wenn man nach vielen Jahren immer noch mit den gleichen Geistern kämpft – dann scheinen Gottes Wahrheiten nach und nach in Vergessenheit zu geraten. Das »echte Leben« ist kompliziert und gepflastert mit schwierigen Situationen. Manchmal wird jede Hoffnung zugeschüttet. Der Glaube an eine großartige Zukunft kann schon mal auf die Größe einer Olive schrumpfen. Ist es nicht so? Die Oliven-Vision von Lina passt manchmal viel eher zu unserer Situation als die Vorstellung von »In mir sprudeln Quellen von lebendigem Wasser, die niemals aufhören zu fließen« (vgl. Johannes 4,14).

Lina meinte mal zu mir: »Ich glaube zwar an Jesus, aber in meinem Leben passiert eigentlich nicht viel. Nichts ändert sich. Alles bleibt, wie es ist, obwohl ich so viel gebetet und getan habe. Langsam, aber sicher habe ich – Entschuldigung – die Nase gestrichen voll. Ich möchte eine Olive sein, mich in die Sonne legen und der Welt Adieu sagen. Ende der Durchsage.«

Wir haben unser Herz verloren.

Ich kenne viele Leute, die vom Leben als Christin beziehungsweise Christ enttäuscht wurden – mich eingeschlossen. Wir haben uns mehr darunter vorgestellt. Mehr als nur zu funktionieren. Wir atmen zwar, aber mit Leben hat das nicht viel zu tun. Diese sprudelnde Quelle, von der Jesus gesprochen hat, scheint manchmal Lichtjahre entfernt zu sein. Mittlerweile hat uns das Leben ausgelaugt. An jenen seltenen Tagen, an denen klare Sicht herrscht, erkennen wir

ansatzweise, was wir wirklich wollen. Wir erkennen Bruchstücke von dem, was Gott mit unserem Leben anstellen möchte. Aber dann geht es wieder zurück auf Anfang. Zurück in den Alltag. Und dann merken wir: Wir sind doch nicht die, die wir sein möchten. Bildlich gesprochen stecken wir irgendwo in unserer eigenen Wüste fest. Doch eigentlich sehnen wir uns – um es biblisch auszudrücken –nach »unserem verheißenen Land«, nach »unserem Kanaan«, nach einem Ort, an dem im übertragenen Sinne Milch und Honig fließen. Einem Ort, an dem das Leben gut ist und man Freiheit erleben kann. Einem Ort, an dem ebendiese Fülle und Kraft existiert, von der uns der Wanderprediger namens Jesus erzählt hat.

Manchmal verlieren wir unser Herz, obwohl wir uns als Christinnen und Christen bezeichnen. Und dieses Herz müssen wir wiederfinden.

Geht es Ihnen auch so?

Apropos »Christsein«: Falls Sie sich als nicht besonders gläubig bezeichnen und mit alldem nicht viel am Hut haben – herzliche Gratulation. Vergessen Sie für einen Moment, was Sie über Gott und Kirche gehört haben. Eines darf ich Ihnen verraten: Entgegen landläufigen Meinungen geht es nicht darum, nach einer besonders moralischen Weltanschauung zu leben, sich an Regeln zu halten oder mit frommen Floskeln um sich zu werfen – und auch nicht um den Weltfrieden. Es geht in erster Linie nicht um Kirchenbesuche, Bibeltreffen und Suppenküchen – obwohl das wunderbare Dinge sind. Es ist geradezu lächerlich, wenn es nicht zum Weinen wäre. Natürlich braucht es mehr denn je erweckte Kirchen, die in der Gesellschaft einen Unterschied machen. Meiner Meinung nach braucht es auch viel mehr Suppenküchen und freiwillige Helferinnen und Helfer (anstatt luxuriöser Kirchengebäude). Das soziale Engagement ist wichtig, aber es ist eben nicht alles. Es ist nicht die zentrale Botschaft des Christentums. Es geht um mehr, um viel

mehr. Es geht um uns, um Sie und mich, und um einen Gott, der mit seiner unerschütterlichen Liebe um uns wirbt. Das Christentum ist schließlich die Religion der Liebe! Gott möchte uns an seinem Leben teilhaben lassen. Er ist kein Langweiler, kein Aufpasser, kein Spielverderber, der mit erhobenem Zeigefinger Befehle erteilt. Später werden wir viel über diesen guten Gott erfahren …

Lina war wahrlich nicht die Einzige, die manchmal mit ihrem Glauben haderte. Ich denke, wir alle kennen solche »Wüstenzeiten«. Mein Klient Ben war inzwischen auch wieder zurück von seiner Reise nach Kalifornien, zurück aus der Wüste und seinem »Tal des Todes«. Er ist etwa im selben Alter wie ich, die vierzig hat er also bereits überschritten. Den SUV hatte er unterdessen wieder gegen ein normal dimensioniertes Auto eingetauscht und trank wieder aus gewöhnlich portionierten Kaffeebechern.

Auch er haderte mit dem Leben, mit dem Glauben, mit dem Vertrauen auf einen guten Gott. Ben erzählte mir bei einem Treffen noch vor seiner USA-Reise, dass er seit langer Zeit einfach nur noch funktioniere. Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat. Die Auszeit hatte ihm gutgetan. Doch zurück in der Schweiz war alles wieder beim Alten, denn hastig ausgearbeitete Notfallpläne halten in der Regel nicht, was sie versprechen.

Nachdem Ben damals vor seiner Auszeit in dieser deftigen Mischung aus Wut und Hoffnungslosigkeit seine Stereoanlage kurz und klein geschlagen hatte, stand er verschwitzt im Wohnzimmer und ließ die Arme hängen. Ihm war klar geworden: Eine Auszeit war das eine, aber es war auch höchste Zeit, die emotionale Wetterlage genauer unter die Lupe zu nehmen. Nebenbei bemerkt: Gerade Männer müssen lernen, über ihre Gefühle zu sprechen. Gefühle sollten zugelassen, gefühlt und durchlebt werden, anstatt sie zu unterdrücken oder wegzusperren, bevor das Fass überläuft wie bei Ben. Wut ist nichts Ungewöhnliches, nichts Schlimmes, sie meldet sich

einfach und sagt: »Hey, mir ist etwas Ungerechtes geschehen, das mich verletzt hat.«

»Ich bin kurz davor, alles hinzuschmeißen und ans andere Ende der Welt zu verschwinden«, meinte Ben. »Nicht nur für ein paar Wochen – für immer. Ich wünsche mir endlich ein Leben, das zu mir passt«, fuhr er fort. »Eine Veränderung, die … verstehst du, ich möchte nicht einfach nur … ich möchte einen Unterschied machen.«

Ben schaute vor sich hin auf sein Glas und sagte etwas leiser: »Ich möchte etwas tun, das irgendeine Bedeutung hat.«

Ich nickte. Ich hatte das schon viele Male gehört. Ich kannte es von meinem eigenen Leben.

Wir glauben an Gott, pilgern zur Kirche, wir glauben, hoffen und beten, wir wünschen uns dieses satte Leben, von dem wir gehört haben, aber die Welt um uns herum ist verflixt chaotisch geworden. Wir spulen nur noch unser Programm ab, rennen unseren To-do-

Listen hinterher, versuchen uns während des Alltags einigermaßen über Wasser zu halten und hoffen dann auf ein Wochenende, an dem nicht viel los ist.

Lina und Ben wünschten sich nichts anderes, als endlich »ihre Wüste« zu verlassen. Beide sehnten sich nach »ihrem verheißenen Land«, nach »ihrem Kanaan«, nach echtem Leben. Für beide, Lina und Ben, war es eine schwierige Zeit. Ich möchte mich in aller Form entschuldigen, denn man sollte diese Schicksale nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber im Grunde war ich hell begeistert von beiden Geschichten. Der Leidensdruck war ihnen nämlich über beide Ohren gewachsen. Nun war er groß genug, damit Lina und Ben bereit waren, einen neuen Weg einzuschlagen. Einen guten Weg. Einen göttlichen Weg. Einen heilsamen Weg.

Und dieser Gedanke begeistert mich immer wieder, wenn ich zerbrochenen Menschen begegne. Denn jetzt endlich kann etwas Neues entstehen.

Die Tür zum Leben geht

nach innen auf

Vielleicht geht es Ihnen ähnlich. Vielleicht wünschen Sie sich auch mehr vom Leben. Nicht mehr Materielles oder noch mehr Optimierung, sondern mehr von Gottes Leben in uns. Mehr von dem, was uns in der Bibel zugesprochen wird. Im besten Fall ist der Wunsch nach Veränderung ähnlich stark wie bei Lina und Ben. Prima, mir geht es genauso (ich möchte Ihnen die Einzelheiten ersparen). Natürlich kommt die Veränderung nicht über Nacht. Sie geschieht nicht von heute auf morgen. Alles hat seine Zeit. Aber wir können heute damit anfangen. Wir können heute einen ersten Schritt Richtung »Kanaan« machen.

Wie hat es Douglas, der alte Professor, so schön gesagt? »Das Wichtigste im Leben ist nicht das, was du tust, sondern dass dein Herz gesund bleibt.«

Unser Herz muss heilen.

Douglas verriet Ben noch etwas, als sie damals nach dem Essen auf der Holzbank vor seinem Haus saßen. »Die Tür zum Glück geht immer nach innen auf. Damit du dein Herz und damit dein Leben wiederfindest, musst du durch diese Türe gehen und schauen, was du dort drinnen findest.«

Lange Pause.

Douglas fuhr fort: »Obwohl die heutige Gesellschaft ständig und krampfhaft nach Optimierung und Veränderung sucht, schaffen es die wenigsten, dieses Ziel zu erreichen – zumindest werden die meisten dabei nicht glücklicher.« Er meinte auch zu wissen, weshalb: »Mit Veränderung ist nicht gemeint, aus einem Menschen jemand anderen zu machen, sondern nach innen zu schauen und man selbst zu werden.«

Genau dazu kommen wir auch in diesem Buch noch. Genau darum geht es. Wir selbst werden. So, wie uns Gott einst geschaffen hat. Wunderbar und einzigartig.

»Die Tür zum Glück«, sagte Douglas, »die Tür zum Leben, zur Liebe und Freude geht immer nach innen auf.«

Nach innen, dachte Ben.

Wieder lange Pause.

Sich mit dem Leben anfreunden –wenigstens ein bisschen

Für Lina und Ben musste fürs Erste eine praktische Lösung her. Sie standen mit beiden Beinen im Leben. Sie konnten es sich nicht leisten, »einfach mal zu verschwinden«, die Welt komplett hinter sich zu lassen, um sich am Ende der Welt »selbst zu finden«. Also musste eine alltagstaugliche Lösung her. Eine Lösung, mit der wahrscheinlich alle gut beraten sind. Douglas hatte Ben damals vor seiner Hütte Folgendes ans Herz gelegt: das Jetzt akzeptieren. Loslassen. Kraft tanken. Frieden finden. Gott vertrauen.

Als es bereits Abend wurde, saßen Douglas und Ben immer noch draußen vor der Hütte und schauten hinüber zu den Bergen, die auf der gegenüberliegenden Seite des Tals noch zu sehen waren. Wie jeder anständige Engländer trank Douglas seinen Tee. Absolut nichts konnte ihn davon abhalten. Wahrscheinlich ist es den Angestellten von englischen Teehäusern per Gesetz verboten, am späten Nachmittag zu streiken, denn wenn sie die Arbeit niederlegen würden, bräche ohne jede Frage ein Bürgerkrieg aus.

Ben hingegen hielt eine dampfende Kaffeetasse in der Hand, während Douglas ihm ungefähr Folgendes sagte: Vor der ganz großen

Veränderung solle Ben sich vor Augen führen, dass er – selbst wenn er es nicht so empfinde – jetzt schon einen Unterschied mache. Und deshalb dürfe es nicht falsch sein, wenn er sich mit der jetzigen Situation anfreunden würde – wenigstens ein bisschen.

Eigentlich hatte Ben etwas anderes von ihm erwartet. So in etwa: »Los, gib dir mal einen ordentlichen Tritt in den Hintern und mach endlich, was du willst!« Mit der Situation anfreunden?

Ben schaute ihn an und dachte: Douglas, deine Brillengläser … Sie sahen aus wie zwei kleine, verschmierte Windschutzscheiben.

»In schwierigen Situationen neigen wir dazu, alles gleich hinzuschmeißen«, sagte der Professor weiter. »Am liebsten würden wir uns verdrücken, alles auf einen Schlag verändern, nach den Sternen greifen, nur um dann wieder auf die Nase zu fallen. Sei dankbar für das, was ist. Komm zur Ruhe. Verbringe viel Zeit mit Gott. Lauf erst los, wenn du bereit bist.«

Lange Pause.

Er hat recht, dachte Ben.

Als Lina und Ben später zu mir ins Coaching kamen, zeigte sich ein klares Bild davon, wie sie sich, unter anderem, oft an den Meinungen anderer Menschen orientierten und sich auf deren Basis bewerteten. Irgendwann waren bei beiden die Batterien leer. Ben fühlte sich nur noch als Rädchen im Getriebe oder im besten Fall als eine Zahl auf einer langen Lohnliste. Und Lina hatte eine bittere Enttäuschung nach der anderen erlitten. Sie war ausgebrannt und konnte nicht mehr.

Beide wollten nun eine Veränderung, die wirklich nachhaltig wirken würde. Wie Douglas es damals Ben empfohlen hatte, arbeiteten wir in der Beratung erst einmal daran, sich mit der aktuellen Situation anzufreunden. Ben konzentrierte sich auf all das Gute, das er bereits sehen konnte. Wir beschäftigten uns mit den sogenannten »archetypischen Bildern«. Das sind gute Vorstellungen, die unser Herz beflügeln und uns neuen Mut schenken und von denen auch

schon der Schweizer Psychoanalytiker Professor C. G. Jung schrieb.4

Jeder Mensch braucht diese inneren Bilder vom Heute und einer guten Zukunft, die unsere Seele beflügeln.

Jeder Beruf hat eine Bedeutung. Übrigens hat auch Martin Luther den Begriff »Beruf« geprägt. Er hat damit das lateinische Wort vocatio übersetzt, das in der Bibel den Ruf Gottes an den Menschen meint. Die Wurzel des Berufs ist also die Berufung, die von Gott ergeht. Aber für Luther war klar: Es bedeutet auch die ganz alltägliche Tätigkeit des Menschen in der Welt. Das, was jede und jeder Einzelne für andere Menschen tut. Wie könnte es anders sein? Jeder Beruf hat letztlich die Aufgabe, irgendeine Form der Hoffnung zu vermitteln.

Vielleicht sind wir noch nicht angekommen. Vielleicht wünschen wir uns mehr vom Leben. Vielleicht haben wir das Gefühl, in den »falschen Schuhen« unterwegs zu sein. Wunderbar, dann möchte Gott uns etwas zeigen. Doch bevor wir Hals über Kopf losrennen, dürfen wir lernen, die heutige Situation dankbar anzunehmen. Dürfen dankbar sein für alles, was wir heute schon haben. Gott sieht uns, er kennt unsere Träume und Sehnsüchte – und sie werden sich noch erfüllen.

In Krisen kann sich das Heute oft sinnlos und leer anfühlen. Wer bin ich schon? Was habe ich schon zu bieten? Was ist Gottes Plan für mein Leben?

Eines solle Ben aber nie vergessen, meinte der alte Douglas: »Jeder Job ist von Bedeutung, in jeder Tätigkeit findet man irgendeinen Wert und Sinn. Jeder Beruf hat seine Berechtigung, ob wir es glauben oder nicht. Wir alle sind ein Leben lang voneinander abhängig und aufeinander angewiesen.« Und weiter sagte Douglas: »Menschen neigen dazu, das, was sie tun, zu bewerten. Die Kriterien, nach denen bewertet wird, lernen wir einerseits in unseren Familien, andererseits spiegeln sie das gesellschaftliche Wertesystem wider.«

Putzen wird dann zum Beispiel niedriger bewertet als die Tätigkeit eines Arztes oder einer Ärztin. Deshalb wird einer Reinigungs -

kraft ein niedrigerer sozialer Rang zugeschrieben und sie verdient auch nur einen Bruchteil von einem Medizinergehalt, kann von ihrer Rente kaum leben, obwohl sie ihr Leben lang genauso hart gearbeitet hat wie der Arzt oder die Ärztin. Auch wenn Medizinerinnen und Mediziner durch ihre lange Ausbildung und die hohe Verantwortung ruhig mehr verdienen dürfen, ist ihre Tätigkeit nicht besser als die einer Reinigungskraft.

Natürlich sollen wir uns nach Neuem ausstrecken, wenn der Schuh drückt. Und doch: Jeder Job ist wichtig. Denn Leben heißt in einem elementaren Sinn: helfen und auf Hilfe angewiesen sein – ganz egal, ob Sie nun in den Augen der Menschen erfolgreich oder einfach nur ein Rädchen im System sind. Die Veränderung wird noch kommen, ja. Doch ein erster Schritt aus der eigenen »Wüste« bedeutet in den meisten Fällen zunächst einmal, die Dinge aus der richtigen Perspektive zu betrachten.

Weil wir in einem gewissen Sinne alle voneinander abhängig sind, arbeiten wir eigentlich nicht für unseren Chef oder unsere Chefin, sondern für die ganze Gemeinschaft, und letztlich dienen wir damit Gott selbst, wie es der Apostel Paulus schrieb (vgl. Epheser 6,7).

Egal, was wir heute tun, es ist bereits von Bedeutung. Versuchen Sie sich klarzumachen: Wir sind Teil dieser Welt. Für irgendjemanden tun Sie bereits etwas Sinnvolles. Sie sind wichtig. Wir alle sind voneinander abhängig. Lassen Sie sich nichts anderes erzählen.

Douglas nahm einen letzten Schluck von seinem heiligen Tee und legte Ben zum Schluss noch Folgendes ans Herz: »Versöhne dich mit dem Heute. Male dir gute Bilder der Zukunft vor Augen. Glaube, hoffe und vertraue auf Gott. Er hat zur rechten Zeit einen guten Plan mit deinem Leben.« Und nach einer kurzen Pause: »Mit Sicherheit.«

Schritt für Schritt freundeten sich Lina und Ben mit ihrer Situation an. Sie verstanden, dass sie bereits ein wichtiger Teil des Ganzen waren. Ihnen wurde klar, dass nicht nur die ganz großen Persön -

lichkeiten einen Unterschied machen, sondern wir alle voneinander abhängig sind. Jede noch so kleine Geschichte trägt zur ganz großen Geschichte bei, die Gott mit der Welt schreibt. In seinen Augen ist klein nicht gleich klein und groß nicht gleich groß. Lina und Ben konnten Dinge wie Familie, Freundschaft und Beruf plötzlich aus einer anderen Perspektive wahrnehmen.

Das Jetzt akzeptieren. Loslassen. Kraft tanken. Frieden finden.

Doch das eigentliche Problem war freilich noch nicht aus der Welt geschafft. Ben und Lina wünschten sich nach ein paar Monaten immer noch mehr … mehr von sich, mehr von Gott, mehr von diesem Leben, das von der Kanzel gepredigt wurde. Mehr Freude, Freiheit, Fülle und Weite.

»Ströme von lebendigem Wasser …«

Wahrscheinlich geht es Ihnen genauso. Offenbar sitzen wir alle im selben Boot.

Lina und Ben sind bei Weitem nicht die Einzigen, die mit ihrer »inneren Wüste« zu kämpfen haben. Die Megachurch Willow Creek aus Chicago befragte in einer mehrjährigen Studie über zweihundertachtzigtausend Mitglieder von eintausendzweihundert amerikanischen Gemeinden im Rahmen der REVEAL-Studie.5 Man wollte wissen, wie viele sich durch das Leben in einer christlichen Gemeinschaft angespornt fühlen und auch tatsächlich eine Veränderung oder nachhaltiges Wachstum erfahren haben. Man zog Bilanz – und jetzt halten Sie sich fest. Die Antwort lautete: gerade mal 11 Prozent. 11 Prozent. Anders ausgedrückt: Neun von zehn Christinnen und Christen veröden irgendwo da draußen in ihrer persönlichen »inneren Wüste«, in ihrem eigenen »Tal des Todes.« Neun von zehn Christinnen und Christen fühlen sich in den »falschen Schuhen«. Neun von zehn Christinnen und Christen haben ein bisschen mehr vom »Christsein« erwartet. Meinetwegen sollen es in Europa sieben oder acht von zehn sein – die Zahl bleibt dennoch unheimlich groß.

Und deshalb ist es mehr als wahrscheinlich, dass auch Sie sich schon mal gefragt haben: Warum bin ich eigentlich noch hier? Was ist meine Bestimmung? Wo liegen meine wahren Stärken? Was möchte ich wirklich? Welchen Plan hat Gott mit meinem Leben? Und wie finde ich den Ausweg aus meiner Wüste?

Neun von zehn Christinnen und Christen. Und auch Lina und Ben wünschten sich auf ihre Weise mehr vom Leben. Beide hatten im Alltagstrott etwas verloren, und zwar ihr Herz, ihre Träume, ihre Sehnsüchte – ihr Innerstes. Genau um dieses Innere geht es in diesem Buch. Es ist Gottes größter Wunsch, dass wir unser Herz und damit das Leben wiederfinden. Das ist quasi Gottes Kernkompetenz, wenn Sie so wollen. Das ist sein größtes Anliegen: »Lass dich von mir heilen. Finde dein Herz wieder, lebe kühn, gib weiter, was in dir steckt, werde lebendig, mache einen Unterschied, erzähl von meiner Liebe – egal, was die anderen denken oder der Gesellschaftsdruck dir vorschreibt.« Dafür steht dieses Buch. Es soll Ihnen helfen, aus dieser »inneren Wüste«, in der Sie feststecken, auszubrechen, um das zu tun, was Ihnen wirklich am Herzen liegt. Wir werden uns noch eingehend damit beschäftigen, versprochen. Und ganz offensichtlich hatte Schweitzer recht: »Niemand wird zum Christen, weil er die Kirche besucht …« Herrje, neun von zehn … Die Studie von Willow Creek hat uns die Augen dafür mehr als deutlich geöffnet.

Die Wüste gehört zum Leben

Es wird Sie nicht wundern. Die Bibel ist voll von solchen Geschichten: nur ein Rädchen im Getriebe, immer im Kreis gehen, nichts Neues im Land, Gott liebt mich nicht mehr. Zweifel. Enttäuschung. Viele Jahre der Geduld.

Ähnlich wie die Geschichte von Ben, der sich in der Wüste von Kalifornien in einer Endlosschleife wiederfand, liest sich die Geschichte des Volkes Israel. Erinnern wir uns nur an die endlose Wüstenwanderung. Mose brach mit dem Volk Israel aus der Gefangenschaft auf und peilte ein neues Leben in Freiheit an. Ein Leben in Freiheit, Friede und Würde, irgendwo auf einem idyllischen Landstrich, wo es einen Flecken fruchtbares Land gab. Ein Ort, an dem man leben konnte.

Das Volk Israel, das nach vierhundert Jahren Sklaverei in Ägypten mit Mose in die Wüste zog – die Geschichte passt auch zu unserem Leben. Der Exodus war vorbei. Sie waren zwar keine Sklavinnen und Sklaven mehr, aber immer noch gefangen. Nicht in Ägypten, aber in der Einöde, irgendwo im Niemandsland auf der staubtrockenen Arabischen Halbinsel. Sie hatten das Alte hinter sich gelassen und sich in Richtung neuer Heimat aufgemacht: Kanaan. Sie wünschten sich ein neues Leben, volles Leben, freies Leben – ein gutes Leben. Doch sie gingen im Kreis – viele Jahre. Die Umstände sahen hoffnungslos aus (sie hatten ja nicht mal eine Klimaanlage oder eisgekühlte Koffeinbomben mit extra Schlagsahne).

Doch irgendwann – nach vielen Proben und (Glaubens-)Kämpfen kam die Veränderung.

Das Volk Israel war drauf und dran, ins fünfte Jahrzehnt ihrer Wüstenwanderung zu starten. Mose war mittlerweile gestorben.

Josua übernahm das Zepter (obwohl er es sich nicht zugetraut hatte) und – plötzlich löste sich der Knoten, die glorreichen Zeiten fingen an. Der Jordan teilte sich. Die Mauern von Jericho gingen in die Brüche. Die Sonne stand still. Die Könige von Kanaan wurden besiegt. Am Ende von vielen Kämpfen waren die heimatlosen Wandervögel zu Landbesitzern geworden. Sie hatten ihren Grund und Boden gefunden. Sie hatten das Leben gefunden, nach dem sie sich viele Jahre gesehnt hatten. So viele Jahre hatten sie in der Wüste gelitten,

sie waren erschöpft, fast hätten sie den Glauben verloren. Sie erlebten wie Lina und Ben Enttäuschungen. Sie hatten auf gut Deutsch gesagt »die Nase gestrichen voll« und ihre Hoffnung fast begraben. Doch dann nahm Josua das Drehbuch selbst in die Hand (von Gott geführt natürlich, aber er nahm es in die Hand). Und siehe da: Plötzlich änderte sich alles. Sie entdeckten einen Ausweg. Sie fanden ihr Land. Mehr noch: Sie fanden ihre Bestimmung. Aus der Eintönigkeit entstand fruchtbares Leben, aus Hoffnungslosigkeit wurde Mut, aus Gefangenschaft wurde Freiheit, aus Tod wurde Leben.

Wenn wir im übertragenen Sinne die Brücke von der biblischen Geschichte zu unserem Leben schlagen, heißt das nichts anderes, als dass wir alle irgendwann in unserem Leben eine »Wüste« erleben werden. Was ist mit Ihrem »verheißenen Land«, wo Milch und Honig fließen? Dieses »Land« hat heute keine geografische Bedeutung mehr. Vielmehr steht es für den Aufbruch aus unserer »inneren Wüste«, für die Suche nach Leben, für die Befreiung unserer Herzen. Aber unsere »Wüste« ist genauso Realität wie die Wüste, die das Volk Israel erlebt hat. Sie ist real, aber sie hat niemals das letzte Wort. Denn schließlich kam das Volk in Kanaan an. Sie hatten ihr Land gefunden, das Verlangen nach allem, was wahr, schön und gut war, war gestillt.

Welches »Neue« wünschen Sie sich? Wenn es nach Gott geht, dann gibt es dieses »neue und gute Land« auch heute noch. Wir können es finden. Aber wie es der alte Douglas schon sagte: »Es liegt nicht nur an Gott, sondern auch an uns, wie sich die Dinge ändern.«

So gab der Herr den Israeliten das ganze Land, wie er es ihren Vorfahren versprochen hatte. Sie nahmen es in Besitz und wohnten darin. Der Herr hielt sein Wort und sorgte dafür, dass sie in Ruhe und Frieden leben konnten. Mit sei-

ner Hilfe hatten die Israeliten alle Feinde besiegt. Kein Versprechen des Herrn blieb unerfüllt – alles war eingetroffen!

Josua 21,43-45; hfa

Alles war eingetroffen … Ja, das Leben hat so eine Art, auf uns herumzutrampeln. Es steckt voller Nüsse, die es zu knacken gilt. Wir bekommen es täglich zu spüren. Doch »unser Kanaan« ist keine Seifenblase. Es scheint weit weg, aber nicht Lichtjahre entfernt. Gott lädt uns ein, mit ihm dieses »Land« zu finden. Egal, ob wir uns nach ein bisschen mehr Lebensqualität sehnen, eine Neuorientierung ins Auge fassen oder das Potenzial freilegen möchten, das Gott in uns hineingelegt hat – dieses Buch soll Anstoß zu mehr Begeisterung geben. Anstoß, die eigene »Wüste« zu verlassen, um in das Leben einzutauchen, das Sie sich wünschen. Es geht einzig und allein darum: Docken Sie bei Gott an. Suchen Sie dieses Etwas, das Sie lebendig macht. Finden Sie »Ihr Kanaan«. Buddeln Sie Ihr Herz aus und fangen Sie an, entschlossen danach zu leben.

Noch einmal: Mit diesem Buch möchte ich keine Luftschlösser bauen, die sich nie erfüllen werden. Oft ist das Leben ein Kampf und bleibt eine Herausforderung. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass ohne Leid, Widerstand und Ringen dem Leben etwas fehlt – gerade, wenn Sie sich als gläubig bezeichnen. Ein Evangelium, bei dem alles in Butter ist, existiert nicht. Unser Leben ist und bleibt umkämpft (vgl. z. B. Matthäus 10,22; Hebräer 12,1; 1. Timotheus 6,12; 1. Petrus 4,1 u. v. a. Bibelstellen und Zeugnisse aus der Kirchengeschichte). Es gelingt uns nicht alles. Nicht jeder Traum wird Wirklichkeit werden. Lina und Ben haben »ihr fruchtbares Land« nicht über Nacht gefunden. Die Bibel ist voll von Geschichten, die ans Herz gehen. Tragischen Geschichten, schlimmen Schicksalen. Das gehört mit zu unserer Reise.

Und doch haben wir in diesen Herausforderungen die Gewissheit, Frieden zu finden. Gott kann viel mehr tun, als wir uns vorstellen können. Er flüstert uns zu: »In dir steckt mehr, als du denkst.« In jeder und jedem von uns verbergen sich Quellen, die wieder sprudeln möchten. Wenn wir nichts unternehmen, bleibt das Leben eng, begrenzt, langweilig und – vor allem ernüchternd. »Man kann sich das Leben halt nicht aussuchen« ist dann die oft gehörte Antwort.

Ich möchte eine Olive sein.

Stille Resignation. Es ist eben, wie es ist. So werden wir ernst, ohne uns ernst zu nehmen. Aber das ist glücklicherweise nicht das Ende der Story.

Mehr als auf alles andere …

Die Geschichte der vierzigjährigen Wüstenwanderung ist verblüffend ähnlich gestrickt wie die der meisten Leute, die ich kenne. Ben gestand mir, er habe oft den Eindruck, als ob er den passenden Schlüssel zum wahren geistlichen Leben nie gefunden hätte. Verstehen Sie mich nicht falsch, Ben glaubt an Gott, er hat sich taufen lassen, er geht sonntags in die Kirche, er hat das eine oder andere christliche Programm durchlaufen, aber die Freude am Leben hat er trotzdem verloren. Nach über fünfzehn Jahren als Christ kämpft er immer noch mit den gleichen Fragen wie damals.

Und Lina? Na ja, sie berichtete mir müde: »Im nächsten Leben möchte ich eine kleine Olive sein.« Das Leben empfand sie als furchtbar anstrengend. So machte es ihr keinen Spaß. Sie hatte das Gefühl: Bei allen anderen scheint es zu klappen, nur bei mir nicht. Und irgendwann gab sie sich selbst und ihren Mitmenschen die Schuld, und auch Gott, der im Grunde die Hauptverantwortung für alles trug.

Erinnern Sie sich an die Studie von Willow Creek? Die wenigsten Christinnen und Christen empfinden durch das neue Leben mit Gott tatsächlich eine spürbare Veränderung ihrer Lebensumstände und nachhaltiges Wachstum. Gerade mal 11 Prozent von mehreren Hunderttausend Befragten gaben an, sie hätten tatsächlich die Veränderung erlebt, die sie sich als Christinnen und Christen erhofft hatten.6

Ja, Gott liebt uns. Wir wurden gerettet. Die Sünden wurden uns vergeben. Den Himmel haben wir sicher. Das ist eine großartige Sache, ohne jede Frage. Doch wenn diese Studie nur ansatzweise recht hat, dann schleppen sich viel zu viele gerade mal so durchs Leben. Kein Wachstum, keine wirkliche Veränderung, plus/minus das gleiche Leben wie vorher. Wir fallen immer wieder in die gleichen Muster zurück. Eine neue Frisur, ein neues Auto, ein neuer Job oder eine inspirierende Konferenz mit dem alten Douglas – das alles kann uns für einige Wochen beflügeln, aber damit ist es dann auch getan.

Neun von zehn … Meine Güte, ich stelle mir ernsthaft die Frage: Wie kommt es, dass sich so wenige Menschen mit dem Leben anfreunden können? Lina und Ben waren ja nur zwei davon. Aus irgendwelchen Gründen sind wir am Leben vorbeigeschrammt. Endstation oder Endlosschleife.

Ja, wir mögen vielleicht irgendwo auf unserer Reise feststecken. Aber die gute Nachricht lautet: Wenn Sie Ihr Herz wiederfinden, können Sie die Lücke schließen zwischen dem Menschen, der Sie sind, und dem, der Sie sein möchten.

Erinnern Sie sich, was die Bibel dazu sagt? Das Herz ist wichtiger als alles andere (vgl. Sprüche 4,23). Nichts anderes sollten wir hüten wie unseren teuersten Schatz. Ich weiß, das Leben kann stürmisch sein. Aber wie konnten wir das vergessen? Unsere tiefsten Herzenswünsche sind offenbar wesentlich dafür, wer und was wir sind. Ihre

Bedeutung ist geradezu mystisch, sie machen uns empfänglich für die wirklich wichtigen Dinge im Leben.

Die alten Griechen haben es érōs genannt, im heutigen Sprachgebrauch Eros. Platon verstand Eros als menschliches Verlangen nach allem, was wahr, schön und gut ist.7 Diese Sehnsucht hat etwas Zeichenhaftes an sich. Wir verlangen danach – und das ist gut so.

Für was schlägt Ihr Herz? Was möchten Sie in der Welt verändern? Was möchten Sie wirklich? Nicht was Sie den anderen »zeigen« möchten oder was die anderen von Ihnen erwarten, sondern was Sie wirklich möchten. Gott hat uns ein Herz gegeben – und deshalb sollten wir darauf achtgeben und es behüten, wie ein Huhn seine Eier. Für alle, die einen himmlischen Beweis schwarz auf weiß fordern, bitte schön:

Mehr als auf alles gib acht auf dein Herz, denn aus ihm strömt das Leben.

Sprüche 4,23; zb

Mehr als auf alles andere! Das ist ziemlich viel. Es gibt nichts daran zu rütteln. Unmissverständlich dreht sich alles um die Heilung unseres Herzens, um unser Innerstes, damit »die Ströme von lebendigem Wasser« wieder fließen können. Das Herz, der Ort, an dem uns Gott aus dem Dornröschenschlaf wach rütteln möchte.

Die Untersuchung von Willow Creek zeigt eines deutlich: Zwischen all den alltäglichen und religiösen Verpflichtungen und Programmen haben wir etwas verloren, und zwar das Feuer für eine Sache, die uns eigentlich wichtig ist. Wir tun nicht, für was wir eigentlich geschaffen wurden. Mit anderen Worten: Wir haben uns selbst verloren. Wir haben vergessen, wer wir sind. Unser Herz wurde zugeschüttet. Unser Innerstes ist erloschen. Wir stecken in einer

Dürreperiode fest. Doch tief im Innern ahnen wir, dass es mehr geben muss. Wir sind auf der Suche nach unserer wahren Identität.

Auf geht’s

Wir werden den Umständen des Lebens wahrscheinlich nicht von heute auf morgen ein Schnippchen schlagen. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden Sie nicht in null Komma nichts von jetzt auf gleich alles ändern können. Sie werden Ihre »innere Wüste« nicht mit einem Paukenschlag verlassen. Um Himmels willen, das wäre unfair, würde ich so etwas in Aussicht stellen. Solche Bücher halten in der Regel nicht, was sie versprechen. Aber Sie werden im Laufe dieses Buches etwas wiederfinden – nämlich Ihr Herz. Sie werden dadurch neue Hoffnung verspüren, Lust auf Leben, Freude auf das Neue und Gute, das vor Ihnen liegt. Und dann können Sie Ihr Leben Schritt für Schritt nach Ihren Wünschen umkrempeln und Ihre Welt auf den Kopf stellen. Plötzlich scheint alles möglich, die Sicht wird klar, wie an einem schönen Wochenende in den Bergen.

Erinnern Sie sich: Gott ist Liebe. Gott ist Ihr Freund. Gott hat einen guten Plan mit Ihrem Leben. Sie können sich darauf verlassen. Er kann viel mehr tun als das, was wir uns vorstellen können (vgl. Epheser 3,20). Es klingt verrückt, aber wir sind auserwählt, Botschafterinnen und Botschafter seines Königreichs zu sein (vgl. 1. Petrus 2,9). Ich möchte mich in aller Form entschuldigen, aber das habe ich mir nicht selbst ausgedacht. So steht es in meiner Bibel. Und in Ihrer. Es haut mich vom Hocker. Das nenne ich mal einen gütigen Gott, der gleichzeitig unfassbar freigiebig ist. Ich frage Sie: Kann jemand großzügiger sein als ein Gott, der von sich behauptet, die Liebe selbst zu sein?

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
396213 by Fontis-Shop - Issuu