Einleitung
Zu Beginn möchte ich darauf hinweisen, dass wir bei diesem Thema unausgesprochen eine andere Kosmogonie voraussetzen, als wir sie bisher kennen, oder sagen wir es in verständlicherer Sprache: Unser Weltbild wird sich verändern
Ich setze voraus, dass es mindestens ein anderes (fast deckungsgleiches) Universum gibt. Also außer unserer eigenen, materiellen Welt noch mindestens eine weitere, die manche von uns erahnen können, eine immaterielle Welt, eine Welt des Geistes Gottes.
Vielleicht hilft uns hier zum Verständnis die Vorstellung einer manipulierten elektromagnetischen Welle. Sie kann Musik und/oder Bilder transportieren, je nachdem ob wir nur Radio hören oder uns einen Film im Fernsehen anschauen Unsere Antenne empfängt hunderte solcher Wellen auf einem Punkt, ohne dass sie sich gegenseitig behindern (jedenfalls ist das unsere Wahrnehmung). Nun brauchen wir nur noch ein Gerät, das uns die Informationen aus dieser „anderen Welt“ decodiert, eben ein Radio oder einen Fernseher.
Könnten Sie sich vorstellen, dass wir ursprünglich von Gott auch so gedacht waren? Schnittstellen zwischen zwei Welten? Der Allmächtige erfüllt uns mit seinem Odem, mit seinem Geist (1 Mose 1,27 und 2,7), und so werden wir fähig, die Welt Gottes in uns wahrzunehmen Je sensibler wir für diese Entdeckung werden, umso aufregender wird unser Leben werden! Jetzt werden wir nicht mehr nur sehen, was vor Augen ist, sondern unsichtbare Dinge mit dem Herzen wahrnehmen Wir werden mit unseren Ohren nicht nur akustische Signale aufnehmen, sondern hören, was der Geist uns zu sagen hat (vgl. Offb 2,7). Wir werden auch erleben, dass der Zeitfaktor bei Gott überhaupt keine Rolle mehr spielt, denn die Zeit ist nur eine Eigenschaft der Materie, also unserer Welt.
Genau diese Zusammenhänge sind die Voraussetzungen für prophetisches Reden. Menschen mit besonderen Begabungen der Wahrnehmung des Geistes Gottes teilen uns mit, was sie aus der „anderen“ Welt empfangen haben und werden dadurch zu Propheten
Prophetische Eindrücke betreffen aber nicht nur die Zukunft, sondern häufig auch die Gegenwart oder manchmal auch die Vergangenheit. Ich vergleiche Prophetie gern mit einem genetischen Code, der sich in unserer Welt entwickeln will. Nehmen wir zum Beispiel einen Apfelkern: Man steckt ihn in einen Blumentopf und wartet gespannt darauf, was passiert. Erst wenn die Botschaft Gottes, die in der DNA eincodiert ist, sich entwickelt und wachsen kann, weiß man, was sich Gott ursprünglich gedacht hat. Die „Botschaft“ ist im Laufe des Wachstumsprozesses immer dieselbe geblieben, aber das äußerliche Bild änderte sich ständig: Vom Keimling zum Baum, von der Blüte zur Frucht.
Übersetzen wir diesen irdischen Vorgang einmal auf unser geistliches Leben: Das Wort Gottes fällt in unser Herz und findet dort mehr oder weniger gute Wachstumsbedingungen vor (siehe Gleichnis vom vierfachen Acker in Mt 13,1-9 und 18-23). Unter optimalen Voraussetzungen wird es sich gut entwickeln, wird zielorientiert wachsen und genau das Ergebnis hervorbringen, das vom Wort intendiert war. Das Wort ist sozusagen ein geistlicher Code, der unser Leben steuern will Aber nicht immer kann man schon zu Anfang auch das Ende sehen.
Das mag auch ein Grund dafür sein, dass Prophetie häufig in Bildern dargestellt wird, Bilder, die man nicht versteht, wenn man seine Bibel nicht kennt oder diesen beschriebenen Wachstumsprozess nicht einplant Das macht es auch manchmal nicht leicht, prophetische Botschaften zu erklären oder Irrtümer zu korrigieren, wenn man auf falsche Deutungen stößt.
Aber lassen Sie sich nicht entmutigen, auch Irrtümer sind Teil unserer Entwicklung!
Es gibt natürlich für die prophetische Bildersprache der Offenbarung auch noch andere Gründe: Ein Bild muss man interpretieren, das erlaubt geistliche Freiheit und gebietet Abhängigkeit vom Heiligen Geist. Ein Bild predigt und wir erinnern uns dabei an die Gleichnisse Jesu, die über Jahrhunderte hinweg viele der bekanntesten Evangelisten und Prediger in aller Welt immer wieder neu inspiriert haben.
Ein prophetisches Bild übersteht auch eine falsche Auslegung und das sollte man nicht unterschätzen! Zweitausend Jahre Kirchengeschichte haben da einigen Unrat angehäuft.
Prophetische Bilder lassen keine Zeitrechnung zu und insofern sind sie nicht wirklich mit dem der Zeit unterworfenem menschlichen Denken kompatibel.
Manchmal entsteht auch der Eindruck, dass sich prophetische Bilder irgendwie einer göttlich gewollten Unschärfe unterordnen, sodass selbst Satan, dem die Leitung durch den Heiligen Geist nicht zur Verfügung steht, sie nicht wirklich einordnen kann. Das erinnert an die Quantenphysik, in der Raum und Zeit offensichtlich keine Rolle mehr spielen. Oder sollten wir eher den Wahrscheinlichkeitsbegriff einführen, der Näherungsprinzipien zukünftiger Ereignisse vorstellt? Jedenfalls kommen wir mit unseren gängigen Zeitvorstellungen im Bereich göttlicher Prophetie nicht zurecht. Jeder, der versucht, Zukunftsereignissen, die die Bibel voraussagt, eine Jahreszahl zuzuordnen, wird kläglich Schiffbruch erleiden. Beginnen wir eine spannende Reise hinein in das prophetische Denken der Heiligen Schrift und verfolgen die Entwicklung des einfachen Fischers Johannes zu einem der bekanntesten Propheten der Christenheit!
Kapitel 1 Der Auferstandene
offenbart sich Johannes
(1,1) Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll; und er hat sie durch seinen Engel gesandt und seinem Knecht Johannes kundgetan …
Es gibt in der griechischen Sprache – damals Weltsprache und auch die Sprache des Neuen Testaments – drei Worte, die in etwa das Gleiche bezeichnen: Parusie, Epiphanie und Apokalypse.
Parusie bedeutet Gegenwart, Anwesenheit, Ankunft und Wiederkunft Christi.
Epiphanie wird im Allgemeinen mit Erscheinung und auch mit Wiederkunft Christi übersetzt.
Apokalypse dagegen legt die Betonung mehr auf die Enthüllung und Offenbarung. Das heißt, es geht bei diesen drei sehr ähnlichen Begriffen schwerpunktmäßig um die Person Jesu Dieses letzte Buch des Neuen Testaments beschreibt also nicht in erster Linie sogenannte apokalyptische Ereignisse oder Zustände (schon das ist eine falsche Interpretation des Wortes Apokalypse), sondern
1. es geht um Jesus Christus;
2 es geht um eine Offenbarung Jesu für uns, seine Gemeinde;
3. es geht um Ereignisse der Zukunft im Zusammenhang mit seiner Apokalypse: „Was in Kürze geschehen soll“ kann man auch anders übersetzen, z. B. „was sich plötzlich ereignen soll“, und
4 es geht um eine Offenbarung, die übernatürlich vermittelt wird.
Das heißt zuerst: Diese Offenbarung ist nicht für die (ungläubige) Welt gedacht (siehe Jesus zu Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ –Joh 18,36). Mit anderen Worten: Das, was die Schrift uns hier vermitteln will, kann nur durch den Geist Gottes in uns richtig verstanden werden.
Es ist kein Zufall, dass Jesus in seinen Botschaften an die sieben Gemeinden jedes Mal wiederholt: „Wer Ohren hat der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“ – das sagt er auch den Gemeinden, die er gar nicht tadeln muss (Smyrna und Philadelphia).
Welche Themen werden uns in der Zukunft am meisten beschäftigen?
Seine Wiederkunft? Der Tag des Herrn? Das Endgericht? Die Wiederherstellung aller Dinge? Israel? Wenn die Zeit Gottes dafür gekommen ist, wird es der Heilige Geist offenbaren und uns die Verbindung zum prophetischen Wort aufzeigen.
(1,2) … der bezeugt hat das Wort Gottes und das Zeugnis von Jesus Christus, alles, was er gesehen hat.
Man liest meist sehr schnell über diesen Satzteil hinweg. Aber unser Zeugnis ist in den Augen Gottes immens wichtig, denn Leben muss bezeugt werden!1
(1,3) Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist, denn die Zeit ist nahe.
Dies ist die erste Seligpreisung der Offenbarung. Es gibt insgesamt sieben. Im Griechischen, der Sprache des Neuen Testaments, wird es noch viel emphatischer ausgedrückt: Makarios ho – „Glückselig welcher …!“ Dieses griechische Adjektiv makarios könnten wir auch etwas umgangssprachlicher mit „glücklich“ übersetzen. Dies ist uns doch viel verständlicher als das für unser Vorstellungsvermögen eher unzugängliche „selig“. Das heißt: Die Worte, die wir in der Offenbarung mit geöffneten Augen lesen, können uns begeistern!
„Die Zeit ist nahe“ – da hat sich Johannes doch wohl geirrt, oder? Aber man muss dazu Folgendes wissen: Es gibt zwei Begriffe für Zeit – Kairos und Chronos. Kairos, meist auch nur als Zeitpunkt verstanden, ist die Zeit
1 Der griechische Ausdruck für bezeugen (martyreo) erinnert an einen Märtyrer, einen „Blutzeugen“, der in seinem Eifer für Gott nicht zu stoppen ist und bis aufs Blut für seine Erkenntnis streitet. Das ist viel mehr, als etwas nur zu „bezeugen“, so wie es in der deutschen Übersetzung zum Ausdruck kommt.
Gottes Chronos, meist im Sinn von Zeitablauf, ist die Zeit des Menschen
Hier in Offenbarung 1,3 steht im Griechischen das Wort Kairos. Mit anderen Worten: Die Zeit Gottes wird kommen und dann werden die Dinge unaufhaltsam über uns hereinbrechen (Jesus spricht in Matthäus 24,8 von Wehen).
(1,4) Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asien: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind …
Wer sendet uns diesen Gruß, der Sohn oder der Vater? Ich würde zunächst denken der Sohn (weil es heißt „ der da kommt“) Aber im nächsten Vers wird Jesus Christus ausdrücklich erwähnt und in Offenbarung 4,8 sprechen die vier Gestalten am Thron: „Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt.“ Außerdem gibt es da noch zwei weitere Verse (Offb 11,17 und 16,5), bei denen aber die Formulierung „der da kommt“ fehlt. Haben wir ein Problem? Wie stellen wir uns Elohim, den dreieinigen Gott, vor? Ich glaube, dieses Thema wird uns noch beschäftigen!
Und die sieben Geister vor dem Thron? Wer sind denn diese? Noch nie von ihnen gehört! Aber jetzt treten sie in unser geistliches Blickfeld.
(1,5) … und von Jesus Christus, welcher ist der treue Zeuge, der Erstgeborene von den Toten und Herr über die Könige auf Erden! Ihm, der uns liebt und uns erlöst hat von unseren Sünden mit seinem Blut …
Jesus konnte unsere irdische Welt nur durch eine Geburt betreten. Sie machte ihn zum Menschensohn. Und er konnte diese Welt nur durch den Tod verlassen. So wurde er in die Lage versetzt, zwischen beiden Welten zu pendeln. Das beschreiben die Evangelien jeweils am Schluss sehr eindrucksvoll
Jesus, der Sohn, sollte nach dem Willen des Vaters immer und überall der Erste sein. Jesus Christus, der Anfänger und Vollender unseres Glaubens, gemacht von Gott zum Erstling der Auferstandenen, zum Erstgeborenen von den Toten und zugleich zum treuen Zeugen dessen, was der Vater ihm gegen hat (siehe Vers 1).
(1,6) … und uns zu Königen und Priestern gemacht hat vor Gott, seinem Vater, ihm sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Dieser Gesalbte, von Gott selbst zum Herrn über die Könige auf Erden erhoben, nimmt uns mit hinein in seine Berufung und macht uns – nachdem er uns erlöst hat – zu seinen Teilhabern!
Das ist der Sinn unseres Lebens, Ziel und Absicht aller Pläne Gottes mit dieser Welt und mit uns persönlich. Alles, was uns hier widerfährt und begegnet, ist nur aus einem Grund von oben her zugelassen: Es soll unseren Charakter formen und uns zurüsten, dieser ewigen Aufgabe gewachsen zu sein. Es ist wohl offensichtlich so, dass Jesus das Minus in unserem Leben auch nur hier auf Erden korrigieren kann!
(1,7) Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinetwillen alle Geschlechter der Erde. Ja. Amen.
Johannes bestätigt hier noch einmal die Erwartung der Urgemeinde. Jesus selbst hatte sie ihnen ans Herz gelegt, als er noch bei ihnen war:
Und dann (nach der „großen Trübsal“ und den sogenannten eschatologischen Zeichen in Mt 24,29) wird erscheinen das Zeichen des Menschensohnes am Himmel. Und dann werden wehklagen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen den Menschensohn kommen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit … (Mt 24,30).
Die Erfüllung wird nur wenige Kapitel weiter im sechsten Siegel beschrieben.
(1,8) Ich bin das A und das O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.
Es ist, als wenn der Allmächtige, der Pantokrator aller Universen, dem Apostel beim Schreiben über die Schulter schaut und es ihm sozusagen persönlich noch einmal direkt bestätigt: Ego eimi… – Ich bin das Alpha und das Omega (erster und letzter Buchstabe des griechischen Alphabets) Hatte nicht Johannes sein eigenes Evangelium ganz ähnlich begonnen: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort“ (Joh1,1)?
Mehr Autorität geht nicht!
(1,9) Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus.
Johannes, unser Bruder in der Angst, der Bedrückung und der Drangsal, aber auch in der Erwartung auf Jesus und seine Königsherrschaft, wurde auf die Insel Patmos verbannt, weil er nicht schweigen konnte von dem, was er gesehen und gehört hatte!
(1,10) Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune …
Hier wird im Griechischen eine Wendung benutzt, die ungewöhnlich ist und auch als eine Verzückung durch den Geist hinein in die Zeit des Tages des Herrn ausgelegt werden könnte. Jedenfalls halte ich die Erklärung mancher Theologen, dass es sich hier um den Sonntag handelt, für historisch falsch und insgesamt für nicht sehr zielführend.
Grundsätzlich gilt: Unter dem Begriff „Tag des Herrn“ versteht die Bibel entweder den Schabbat oder die Endzeit. Die Vorstellung, den Sonntag (den nach biblischem Verständnis ersten Tag der Woche) „Tag des Herrn“ zu nennen, ist für einen Juden wie Johannes unvorstellbar und für die Zeit der Niederschrift der Apokalypse (etwa im Jahr 90 n. Chr.) reiner Anachronismus. Die heutigen messianischen Juden feiern immer noch den Schabbat Der Sonntag hat für sie keine Relevanz
Übrigens, die zwei griechischen Worte, die hier für „große Stimme“ stehen, hat man später benutzt, um den Begriff Megaphon zu bilden –das macht uns die Geschichte doch sehr bildhaft und vorstellbar!
(1,11) … die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodicea.
Sieben Gemeinden, die ausgewählt wurden, um eine wichtige Symbolik auszudrücken, auf die wir noch zu sprechen kommen werden Aber zunächst fällt auf, welche Gemeinden fehlen:
Zuerst Jerusalem. Offensichtlich war diese Gemeinde schon im jüdisch-römischen Krieg 70/71 aus der Stadt in Richtung Jordanien (sie werden später Ebjoniten genannt) geflohen. Lukas beschreibt diese Zeit in Apostelgeschichte 21,20-24 Der letzte Satzteil in diesem Abschnitt ist sehr wichtig im Rahmen der Auslegung der Apokalypse und er wird uns noch beschäftigen!
Außerdem fehlt die damals wohl größte Gemeinde: Antiochien in Syrien. Sie hatte Barnabas und Paulus auf ihre Missionsreisen ausgesandt (vgl. Apg 13,2).
(1,12) Und ich wandte mich um, um zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter (1,13) und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich …
Der Eindruck für Johannes muss überwältigend gewesen sein, denn er hält es nicht lange aus, er kann diese himmlische Herrlichkeit seines Meisters nicht ertragen Johannes wird gern als Lieblingsjünger Jesu bezeichnet. Er hat uns auch ein ganz besonderes Evangelium übermittelt, nur wenige Wunder, dafür aber umso mehr die Reden Jesu, seine Lehren, seine Botschaft. Man hat das Gefühl, das er wirklich gut verstanden hat, was Jesus zu sagen hatte.
Er, der seinem Herrn immer besonders nahe war, bekommt hier aber ein Gefühl des Abstandes, ja von Welten die sich da zwischen ihm und Jesus auftaten, die er nicht verarbeiten konnte. Jetzt geht es nicht mehr darum, dass sich der Herr klein macht für uns Menschen, um uns auf unserer Ebene zu begegnen, sondern umgekehrt: Johannes musste seine Perspektive verändern und so sagt ihm Jesus in der nächsten Vision auch deutlich: Komm herauf zu mir! – Aber noch sind wir nicht so weit
Schließen wir einmal unsere Augen und lassen das Bild des göttlichen Menschensohnes auf uns wirken:
(1,13) …angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel.
(1,14) Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme
(1,15) und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen;
(1,16) und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Mund ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.
(1,17) Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte …
„Fürchte dich nicht!“ Wie oft sagen das Engel Gottes zu Menschen, die eine Begegnung mit der unsichtbaren Welt haben und damit nicht zurechtkommen! Aber mir klingt das in diesem Moment viel zu förmlich. Die Formulierung „Hab‘ keine Angst!“ würde hier wohl besser passen. Denn zwischen beiden gab es ein inniges, persönliches Verhältnis.
Ich möchte Sie einladen, an dieser Stelle einmal das erste Kapitel des Hebräerbriefes zu lesen. Hier wird die Bedeutung und Berufung Jesu noch viel ausführlicher beschrieben und das ist wichtig, denn wenn wir die Bedeutung der Offenbarung verstehen wollen, müssen wir wissen, wer dahintersteht und in welcher Autorität er spricht: Jesus, der Erste und Einzige, den der Vater geboren hat und dem er alle Herrschaft übertragen hat, damit er „König aller Könige und Herr aller Herren“ sei (Offb 19,16).
(1,18) … und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.
Wie muss der Teufel da zittern! Seine Tage sind gezählt. Ich weiß, dass es für viele Christen der Gegenwart eine Zumutung ist, an einen persönlichen Satan zu glauben Aber das ist mit Sicherheit eine tragische Dummheit und ignoriert zudem viele Erfahrungen, die Menschen gemacht haben, die in der Welt des Okkultismus leben bzw. gelebt haben.
Jedenfalls sollte uns immer bewusst sein, dass Jesus der Menschensohn, auch Autorität und Vollmacht über Tod und Hölle hat (im Griechischen hier: Thanatos und Hades) (1,19) Schreibe, was du gesehen hast und was ist und was geschehen soll danach.
„Was ist“ – das ist die Zeit der sieben Gemeinden, der Ekklesia (die Herausgerufenen aus der Welt), „und was geschehen soll danach“ – das ist die Zeit des Tages des Herrn (vgl. 1 Thess 5,1-11). Hier geht es nicht um einen 24-Stunden-Tag, sondern um eine Epoche, eben die Zeit Gottes (Kairos), die Johannes ab Kapitel 4 beschreibt
Aber wir sollten vielleicht etwas weiter ausholen, um die Bedeutung dieses kurzen Satzes noch besser zu verstehen Die Zeit der Niederschrift der Apokalypse Jesu war der Beginn einer großen Diaspora, einer Zerstreuung des jüdischen Volkes in alle Welt. Siehe dazu folgende Gliederung der Geschichte Israels:
Die Urzeit: von der Schöpfung bis zu Abraham
Die Zeit Israels: von Abraham bis zu Jesu erstem Kommen
Die Zeit der Diaspora bzw. die Zeit der Nationen nach Lukas 24,21: vom jüdisch-römischen Krieg 70/71 bis zu Jesu Wiederkunft
Die Zeit der Wiederherstellung Israels
Die Zeiten der Nationen gehen zu Ende, denn Jerusalem ist heute wieder in der Hand Israels Ebenso geht auch die Zeit der großen Diaspora ihrem Ende entgegen, denn immer mehr Juden kehren in das Land der Väter zurück. Beide Entwicklungen überlappen sich natürlich.
Paulus erklärt in Römer 11,25 die Bedeutung dieser Phasen: Eine Vollzahl gläubiger Menschen aus jedem Volk wird für Gott gewonnen werden. Die Zeiten der Nationen sind die Zeiten für die Nationen mit vielen Erweckungsbewegungen. Es ist die Zeit der zweitausendjährigen Kirchengeschichte, die bis heute gilt. Eine Zeit, die Jesus mit nur wenigen Worten beschreibt: „Schreibe was ist.“
Israel verschwindet derweilen von der Landkarte und existiert nur noch in der Verbannung mit vielen Plagen und Pogromen. Es ist die Zeit der Verstockung für das auserwählte Volk des ersten Bundes Und so endet auch das erste Kapitel mit einem deutlichen Fokus auf die Zeit des kommenden Christentums Die unausgesprochene Tragik dabei ist (und zugleich bildet dies auch eine wichtige Frage, die man erst heute zu beantworten vermag): Verliert der jüdische Messias hier seine Identität? Darauf werden wir noch antworten müssen!
(1,20) Das Geheimnis der sieben Sterne, die du gesehen hast in meiner rechten Hand, und der sieben goldenen Leuchter ist dies: Die sieben Sterne sind Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind sieben Gemeinden.
Der siebenarmige Leuchter im Tempel (dem Tempel, der schon zerstört ist, als Johannes die Offenbarung empfängt) wird nun zum Symbol der neutestamentlichen Gemeinden und die sieben Gemeinden selbst sind über Boten Gottes (aggelos = Bote/Engel) mit dem Himmel verbunden, eigentlich mit dem Thron Gottes selbst. Denn das ist jetzt der Platz Jesu bis zu seiner Wiederkunft (vgl. Apg 7,55 und Hebr 9,24).
Kapitel 2
Die Sendschreiben an Ephesus, Smyrna, Pergamon und Thyatira
An sieben Gemeinden – häufig verstanden als sieben kirchengeschichtliche Epochen mit deutlichem Abwärtstrend und wenigen Ausnahmen dazwischen. Wahr ist aber auch, dass diese Gemeinden damals zu gleicher Zeit im sogenannten Kleinasien, dem Gebiet der heutigen Türkei, existierten, also nicht zeitlich hintereinander, sondern nebeneinander.
Deshalb glaube ich, dass eine zeitliche Einordnung gar nicht so wichtig ist, sondern dass es vielmehr um eine geistliche Auslegung geht. Nicht nur aus Gründen der Übersichtlichkeit beschränke ich mich deshalb hier auf die charakteristischen Merkmale dieser sieben Gemeindesituationen und verzichte auf die Erklärungen der natürlich auch vorhandenen zeitgeschichtlichen Komponenten.
Das erste Sendschreiben
Die erste Nachricht richtet der Herr an seine Gemeinde in Ephesus:
(2,1) Dem Engel der Gemeinde in Ephesus schreibe: Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern:
(2,2) Ich kenne deine Werke und deine Mühsal und deine Geduld und weiß, dass du die Bösen nicht ertragen kannst; und du hast geprüft, die da sagen, sie seien Apostel und sind’s nicht, und hast sie als Lügner befunden,
(2,3) und hast Geduld und hast um meines Namens willen die Last getragen und bist nicht müde geworden.
Ephesus galt als Hauptstadt Asiens und war eine berühmte Handelsmetropole. Über die Gemeinde erfahren wir schon aus Apostelgeschichte 19 einiges. Es war eine Gemeinde, die zu Beginn durch eine starke Erweckungsbewegung geprägt wurde. Ihr Markenzeichen war die Liebe Jesu. Deshalb gab es auch sehr viel Positives: Geduld beim Ertragen von Belastungen, Entlarvung falscher Apostel und Lügner. In dieser Gemeinde hatte das Böse keinen Platz und man konnte von vielen guten Werken berichten.
Paulus schreibt dieser Gemeinde einen ganz besonderen Brief, seinen berühmten Epheserbrief, eine Botschaft voll geistlicher Tiefe und Erkenntnis, die man nur solchen Leuten zumuten kann, die dafür die geistliche Reife besitzen. Jetzt haben wir in Ephesus die zweite oder vielleicht sogar die dritte Generation nach Paulus vor uns Was hat Jesus jetzt zu sagen?
Übrigens, zuvor noch etwas Wichtiges: Für jede dieser sieben Gemeinden gibt es eine Reihenfolge, die immer wiederkehrt:
Jesus stellt sich vor, immer im Blick auf die Not dieser Gemeinde.
Als guter Psychologe hebt er zuerst das Positive hervor
Danach folgen die Diagnose und die Aufforderung zur Umkehr.
Und schließlich zuletzt eine wunderbare Verheißung für die Überwinder
Für Ephesus ein trauriges Urteil:
(2,4) Aber ich habe gegen dich, dass du die erste Liebe verlässt.
(2,5) So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke! Wenn aber nicht, werde ich über dich kommen und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte – wenn du nicht Buße tust.
(2,6) Aber das hast du für dich, dass du die Werke der Nikolaïten hassest, die auch ich hasse.
Würde Paulus noch einmal einen Brief an die Gemeinde in Ephesus schreiben, würde dieser vielleicht so klingen:
Meine lieben Geschwister,
nehmt das Wort Jesu ernst! Erinnert euch an die Anfänge! Lebt mit Jesus wieder so wie früher, als eure Eltern noch lebten und ich noch bei euch war! Wenn ich daran denke, was ihr verloren habt, blutet mir das Herz So kann und so darf es nicht weitergehen! Ohne Liebe ist euer Glaube nur noch eine kalte
Theorie, ohne Leben und ohne die Kraft des Geistes! Sie macht euch herzlos, mitleidlos und gesetzlich, auch selbstgerecht und überheblich. Nur warmherzige Menschen kennen das Herz Jesu und werden seine Gemeinschaft genießen können!
Falls nichts passiert, wird und muss es leider Konsequenzen geben: Ephesus wird aus der Gemeinschaft der anderen Gemeinden entfernt. Aber es gibt auch Hoffnung für jene, die diese Botschaft als Reden des Heiligen Geistes für sich selbst annehmen können Sie werden innerlich zerbrechen und den Geist Jesu einladen, diese Liebe in voller Kraft wieder neu in ihren Herzen auszugießen (vgl. Röm 5,5). So werden sie zu Überwindern und Teilhabern einer wunderbaren Verheißung, einer Erfahrung, die sie verloren haben:
(2,7) Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.
Das heißt: Göttliches Leben aus der Hand Jesu im Überfluss!
Übrigens: Auf dem Konzil von Ephesus im Jahr 431 n Chr wurde Maria, die Mutter Jesu, zur „Gottesgebärerin“ erklärt. Das war ein wichtiger Schritt in Richtung katholischer Marienverehrung. Die Bevölkerung von Ephesus nahm die Verkündigung dieses Dogmas mit ungeheurem Jubel auf. Das heidnische Ephesus hatte ursprünglich Artemis, eine vorderasiatische Muttergottheit, verehrt (vgl. Apg 19,21 ff.). Nun belebte man unter christlichem Vorzeichen wieder, was Paulus so sehr bekämpft hatte. – So viel zum Thema „die erste Liebe verlassen“!