Kapitel 1 Schau in den Spiegel
Morgens gehen die Augen auf
Wir alle sehen in Christus mit unverhülltem Gesicht die Herrlichkeit Gottes wie in einem Spiegel. Dabei werden wir selbst in das Spiegelbild verwandelt und bekommen mehr und mehr Anteil an der göttlichen Herrlichkeit. Das bewirkt der Herr durch seinen Geist (2. Korinther 3,18 GNB).
Wie weit ist es zur nächsten Station?
Die Strecke zu Fuß zurückzulegen, ist möglich.
Doch wer läuft schon gerne unzählige Kilometer bei diesem Wetter? Tropfen an Tropfen
Gibt es eine Stelle, an der die Himmelsflut ihre Spuren nicht hinterlassen hat?
Alles steht
Keine Busse, keinerlei Bahnen, Taxis ausgebucht.
Fahrrad?
Nein, wie kommt der Koffer mit?
Der ist zu groß für den Gepäckträger. Oder hat jemand schon gesehen, wie man einen Kleiderschrank balanciert?
Hin und her wälzend, durchgeschwitzt wache ich auf.
An das Fenster klopfen die warmen Tropfen des Tropensturms
Geschützt hinter den Scheiben, kehrt Ruhe in meine Gedanken ein.
Die in der Luft wirbelnden Puzzleteilchen schweben zu Boden und fügen sich zu einem Ganzen
Ich schaue aufmerksamer hin, wie ein Teil das andere magnetisch anzieht, berührt und sich mit ihm verbindet.
Jedes tritt bewusst und gezielt in eine ausgewählte Partnerschaft.
Ergänzung ist ein unbändiges Verlangen.
Im Spiegel betrachtet sieht die Welt weit ausgewogener aus als in den wilden Träumen der vergangenen Nacht.
Der Himmel zieht den roten Morgenmantel aus und kleidet sich in strahlendem Blau.
Die letzten Tropfen ziehen an der Scheibe ihre Bahn und berühren sanft den Fensterrahmen
Das Glas weiß sich in dem es umgebenden Holz geborgen und gehalten.
Wer fällt schon gerne aus dem Rahmen?
Palmenblätter schwingen in der lauen Morgenluft sachte auf und ab.
Die Meereswellen küssen den nahen Strand sanft wach
Was hat mich letzte Nacht so intensiv mitgenommen?
Jesus, wo warst Du in diesem Traum?
Beim genauen Hinschauen bemerke ich Ihn, wie Er übergroß neben mir steht.
Liebevoll berührt Sein Blick mein Innerstes.
Meine Unsicherheit begegnet Seiner Kraft.
Welche Richtung empfiehlst Du für die Weiterreise?
Wohin mit dem Koffer?
Vermagst Du den Sturm zu stillen?
Er nimmt meine Hand und legt sie in Seine Rechte.
Haltgeben hat einen Namen
Jesus streckt Seinen Arm aus und weist den Sturm an, sich zu legen.
Wie über eine unsichtbare Treppe steigen wir dem Himmel entgegen.
Ballast ist hier überflüssig
Aus dem Augenwinkel heraus verabschiede ich mich von der Vergangenheit, die im Koffer schlummert.
Sie verliert an Kraft, je weiter wir nach oben kommen
Hand in Hand, untrennbar miteinander verbunden, gelangen wir in für mich unentdeckte Dimensionen
Des Tages geführt, getragen, geliebt
Sie hatten mich umringt wie Bienen
Sie sind erloschen wie Dornenfeuer.
Im Namen des HERRN – ja, ich wehrte sie ab (Psalm 118,12)
Unendliche Weite.
Meine Blicke gleiten durch die Umgebung
Überall liebkost grenzenlose Weiträumigkeit den Horizont
Leuchtende Farbtöne musizieren in harmonischen Klängen miteinander zu einem Gesamtkunstwerk.
Grün, heißt es, belebt
Doch diese Farben hier haben alle Leben in sich
Die ganze Luft vibriert im Einklang der Farbkompositionen.
Ein tiefes Verlangen steigt in mir empor, einzutauchen in das Farbenmeer, zu baden in dieser warmen Vielfalt
Hüpfe, renne und schrei die Freude der Freiheit aus deinem Leib. Kinder geben gerne ihrem inneren Antrieb nach.
Sie lassen ihren Gefühlen freien Lauf.
Niemand ist da, der den Sturm der Emotionen gefangen nimmt.
Tanzend, schwebend, segelnd, abgehoben und eingetaucht als ein Teil der ganzen Schöpfung.
Die Schönheit ringsum durchdringt jeden Atemzug.
Tief einatmen
Durchatmen.
Trotz unbändiger Freude und unendlicher Dankbarkeit kehrt eine friedvoll gesättigte Ruhe immer mehr in meine Seele ein
Nicht weit weg von mir, vorne rechts auf einer Hügelkuppe steht ein Mann in einem langen Gewand.
Seine Augen winken einladend zu mir herüber.
Die bunten Klänge finden ihre Kadenz.
Davon getragen lande ich mit der letzten Note zu seinen Füßen
Güte fließt über seine Lider und tropft auf mein Gesicht
Ein ganzer Ozean voll Liebe spiegelt sich in seinen strahlenden Augen wider.
Wiedersehensfreude?
Wer ist der Mann?
„Maleachi, Bote Gottes“, bekomme ich in meinem Inneren zu hören.
Sein Mund bleibt stumm
Seine Augen sind es, die zu mir sprechen.
Solange hat er auf die Sammlung der Getreuen des HERRN gewartet. Die Zeit ist reif.
Überall im Land kommen sie zusammen, um wahrhaftig Gott zu suchen
Alle Kostbarkeiten in Jesus stehen zur Austeilung an den heiligen Überrest bereit.
Erwartungsvoll schaue ich den Boten Gottes an
War es uns nicht jederzeit möglich, auf Jesu verborgene Schätze zuzugreifen?
Jesus wird denen Autorität und tieferen Zugang zu Seiner Schatzkammer schenken, die bei Ihm wohnen, die Sein Herz in Liebe erforschen.
Wen verlangt es nicht danach, sich von Ihm in Seiner Gegenwart transformieren zu lassen?
Maleachi beugt sich vertrauensvoll zu mir:
„Für die neuen Aufgaben braucht es mehr Tatkraft als zuvor. Vereinte Kräfte.
Kein Feind wird gegen die siegreiche Liebe Gottes bestehen
Die dunklen Mächte und Gewalten, die sich wie ein finsterer Bienenschwarm zum Angriff sammeln, werden gefangen und im Triumphzug des HERRN fortgeführt.
Finsternis flieht in panischer Angst vor dem Licht Reinheit und Transparenz lassen keine Anklage des Feindes an der Kleidung der Treuen haften.“
Wie ein Schwamm frisches Quellwasser aufsaugt, so nehme ich jedes seiner richtungsweisenden Worte tief in mich auf Der Bote Gottes hält kurz inne
Erwartungsvoll klebt mein Blick an seinen Lippen.
Maleachi schaut mir fest in die Augen und nimmt mich bei der Hand.
Er holt Luft und ruft mit donnernder Stimme:
„Werdet nicht müde, den HERRN in allem zu suchen “
Dieser Satz durchfährt schlagartig mein Innerstes.
Sein Ruf verstärkt sich durch mich wie durch ein Megafon
Die Schallwellen drängen in sämtliche Richtungen.
Die Botschaft dehnt sich aus und erreicht sehnsüchtig geöffnete Ohren.
Wie im Dschungel Nachrichten mittels Buschtrommeln unwegsames Gelände galant überwinden, so breitet sich dieser Satz über die Trommelfelle der Hörer aus.
Findet Resonanz.
Springt von einem Ohr zum nächsten
Erfasst das ganze Land
„Werdet nicht müde, den HERRN in allem zu suchen.“
Abends gebettet in Seiner Ruhe
Ich bin das Alpha und das Omega, spricht der Herr, Gott, der ist und der war und der kommt, der Allmächtige (Offenbarung 1,8)
„Sucht, und ihr werdet finden.“1
Dieser Gedanke bahnt sich in mir einen Weg
Eine der schier unzähligen Verheißungen Gottes.
Den HERRN in allem zu suchen, ist wie eine nie endende Herausforderung
In allem – das scheint mir ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein
Grenzenlose Suchmöglichkeiten sammeln sich vor meinem inneren Auge. Wo fange ich am besten an, Jesus?
1 Matthäus 7,7b.
Vor mir erscheint eine hölzerne Tür, die einem altertümlichen Portal gleicht
Hinter Akazienholz mit eisernen Beschlägen, Riegeln aus glänzendem Metall, liegt eine andere Welt verborgen.
Dieser Zugang wird von großen Steinblöcken gehalten
Mein Blick schweift entlang der Felswände nach oben.
Kein Erdbeben könnte jemals dieses Gemäuer erschüttern und zum Einstürzen bringen
Hinter diesen Steinen ist vollkommene Sicherheit zu finden.
Wenn alles wankt, ist hier ein wahrer Zufluchtsort vor jeglichen Widrigkeiten, die dem Leben trotzen.
Wärmende Lichtstrahlen wandern über mein Gesicht und landen auf der Felswand.
Sie bilden ein Spotlight, das entlang der Steine bis zum Portal gleitet. Es verweilt oberhalb des rustikalen Eingangs
Dort, im Schlussstein, lese ich eine unvergänglich eingravierte Inschrift:
„Wenn der HERR das Haus nicht baut, arbeiten seine Erbauer vergebens daran.
Wenn der HERR die Stadt nicht bewacht, wacht der Wächter vergebens.“2
Mein Herz verlangt nach Einlass in diesen vertrauensvollen Ort.
Vorsichtig lehne ich mich mit der Schulter gegen das alte Holz.
Dem kaum wahrnehmbaren Druck gibt der Portalflügel augenblicklich nach.
Das Portal gewährt mir Eintritt in eine spürbare, nie gekannte Geborgenheit.
Ein wohlig warmer Wind streichelt mir übers Gesicht, gleitet durch die Kleidung.
Liebkosungen von allen Seiten erneuern mein Äußeres, diffundieren in mein Innerstes
Unmerklich wird der Schmutz der Straße abgewaschen
2 Psalm 127,1.
Durch jede Pore bahnen sich reine weiße Lichtstrahlen den Weg nach draußen
Leise säuseln Stimmen hörbar vom Licht der Welt, einer Stadt auf dem Berge, die nicht verborgen sein kann.3
Bei näherer Betrachtung erkenne ich, dass die Worte von den Felsblöcken ausgehen. Sie tragen Leben in sich und sprechen mit Erfahrung von alters her.
Mittlerweile wirkt der Wind auf meinen Rücken ein, schiebt mich weiter, weg vom Portal, hinein in diesen Ort.
Wie getragen, komme ich an farbig schillernden Häusern vorbei zu einer Stelle mit frischem Quellwasser.
Wie in einem Spiegel sehe ich meine Augen flüchtig auf dessen Oberfläche. Auf der einen Seite fühle ich mich durch das Licht erneuert
Andererseits benötige ich Zeit, um all diese Eindrücke zu verarbeiten.
Links von mir gerät ein Brunnen in mein Blickfeld
Sein breiter Rand lädt zum Ausruhen ein.
Zuerst sitzend, dann liegend, genieße ich die Stille des erfrischenden Wassers.
Ein Ort der Versöhnung lässt mich nach meiner Reise bei sich ankommen
Immer mehr im Einklang mit der Atmosphäre übertragen sich Ruhe und Frieden auf mich, werden eins mit mir, füllen alle Gedanken
Es mangelt mir an nichts
Die Seele ist erquickt.
Mein Haupt erfährt die Berührung mit wohlduftenden Salbölen.
Zu meinen Füßen lagern sich zwei Lichtgestalten
Wie sich herausstellt, tragen sie die Namen Güte und Gnade
Ich bin angekommen im Haus des HERRN.4
3 Vgl. Matthäus 5,14.
4 Vgl. Psalm 23.