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Liane Vedder-Proksch (Hg.)

GOTT befreit von Süchten

Erlebnisberichte

Liane Vedder-Proksch (Hg.)

Gott befreit von Süchten Erlebnisberichte

Best.-Nr. 271933

ISBN 978-3-86353-933-7

Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg

Es wurde folgende Bibelübersetzungen verwendet: Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen. Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Schlachter-Übersetzung – Version 2000, © 2000 Genfer Bibelgesellschaft.

1. Auflage

© 2024 Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg www.cv-dillenburg.de

Satz und Umschlaggestaltung: Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg Umschlagmotiv: © Shutterstock.com/Khanthachai_C.

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany

Wenn Sie Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler entdeckt haben, können Sie uns gern kontaktieren: info@cv-dillenburg.de

Dieses Buch ist allen betenden Müttern gewidmet

Vorwort

Warum schreibe ich ein Buch über Sucht? Das Thema Sucht liegt mir schon seit Jahrzehnten auf dem Herzen. Leider ist es auch ein markanter Punkt meiner Biografie. In meinem persönlichen familiären Umfeld gab und gibt es viele Suchtprobleme, die mich nachhaltig geprägt haben. Ich musste erleben, wie Menschen durch die Sucht zu fremdgesteuerten, hohläugigen Wesen wurden, wie sie ihre Abhängigkeit leugneten, obwohl diese sie fest in ihren grausamen, quälenden Krallen hielt. Ich beobachtete, wie aus ruhigen, liebenswerten Menschen gewaltbereite und enthemmte Personen wurden, wie die Sucht tiefe Wunden in die Herzen der Angehörigen trieb, wie Familien zerbrachen und wie der Teufel die durch die Sucht Gefesselten mit eiserner Faust umklammerte. Ich musste mitansehen, wie die Sucht zu psychischen Erkrankungen führte, zu Wahnvorstellungen und quälenden Zuständen, zu Lebensüberdruss und tiefer Depression. Die Sucht führt in desolate soziale Umstände – durch den Druck, immer wieder Geld beschaffen zu müssen, werden viele Betroffene kriminell, verspielen ihr Geld und

türmen hohe finanzielle Schulden auf, verlieren den Führerschein und ihre Arbeitsstellen. Beziehungen zerbrechen.

Für meinen Vater, der zeitlebens viel Alkohol getrunken hat, habe ich jahrelang gebetet*1. Dennoch musste er – einige Monate vor seinem Tod, nachdem ich ihm wiederholt von der Liebe Gottes* erzählt und ihn gefragt hatte, ob er nicht auch Frieden mit Gott schließen möchte – zugeben, dass es ihm nicht mehr möglich war, zu Gott zu kommen, da ihn nach eigener Aussage eine dunkle Macht zurückhielt.

Ich habe erlebt, wie selbst Christen, die nur halbherzig aus der Sucht herausgefunden hatten, dieser wieder nachgaben und in tiefe Finsternis stürzten, aus der sie nicht wieder herausfanden. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Sucht zu einer Einladung dämonischer Kräfte führte, wie der Satan die gebundenen Menschen mit unbändiger Kraft dazu brachte, zerstörerisch und haltlos zu werden, Möbel zu zerschlagen, Fenster und Türen zu zertrümmern, handgreiflich zu werden, um letztendlich in tiefe Depression zu fallen.

Und immer noch erlebe ich, wie die Sucht und ihre furchtbaren Auswirkungen, ihre teuflische Macht und ihre Zerstörungswut geleugnet und verharmlost werden. Es wird mit ihr

1 Christliche Begriffe sind bei der ersten Erwähnung mit * gekennzeichnet und werden im Glossar ab Seite 89 erläutert.

geliebäugelt, sie wird zu einem niedlichen Bierchen oder einem unschädlichen Pfeifchen heruntergestreichelt, sie war und ist immer noch ein Phänomen aller gesellschaftlichen Schichten, eine gesellige Angelegenheit, bei der man offen wird und sich gehen lässt, bei der man sich in scheinbar freundschaftlicher, lockerer Runde akzeptiert und selbstsicher fühlt. Doch letztendlich verdammt die Sucht zu totaler Einsamkeit, zu Orientierungslosigkeit, zu Leere im Herzen und zu tiefer Verzweiflung.

Das Thema Sucht hat in mir eine tiefe und brennende Liebe entzündet zu all denjenigen, die Opfer der Sucht wurden und sind, die ein Leben der Sinnlosigkeit führen, die ihre innere Leere immer weiter zu betäuben versuchen oder die bereits so weit gesunken sind, dass sie gesellschaftlich im Abseits stehen. Sie sind mir ans Herz gewachsen – all die unter der Sucht leidenden Menschen, die sich selbst tief verachten oder die absolut gleichgültig gegenüber sich selbst geworden sind.

Durch meine Arbeit in einer vollstationären Pflegeeinrichtung mit dem Schwerpunkt Suchtkranke und psychisch Kranke habe ich gesehen, wohin die Sucht führen kann: Verlust des Arbeitsplatzes, Auseinanderbrechen von Familien, Obdachlosigkeit, Verlust der Würde und Selbstachtung, Einsamkeit, finanzieller Ruin, unheilbare Krankheiten wie Hepatitis, Aids, Leberzirrhose, Krebs, Alkoholdemenz und Weiteres.

Seit über zehn Jahren bin ich Mitglied einer Kontaktgruppe2, die sich wöchentlich mit Häftlingen in der geschlossenen Abteilung einer Justizvollzugsanstalt trifft. Auch dort rede ich regelmäßig mit vorwiegend jungen Männern, von denen die meisten suchtkrank sind. Ich höre immer wieder, wozu die Sucht geführt hat: zu Haltlosigkeit, Gewaltbereitschaft, (Beschaffungs-)Kriminalität. Die allermeisten Inhaftierten haben keine echte Chance, ihrem traurigen Dasein zu entkommen. Häufig sind sie zwar voller guter Vorsätze, nach der Haftentlassung ein Leben ohne die Droge zu führen, doch zurück im gewohnten Umfeld schwinden die optimistischen Pläne schnell auf einen flüchtigen Gedanken zusammen. Zu stark ist der Sog, wieder ins alte Leben zurückzukehren; zu mager sind die Alternativen zum bisherigen Leben.

Zum Beispiel denke ich an meinen guten Freund Michael, einen verurteilten Gewalttäter, der mehr Jahre in diversen JVAs als außerhalb zugebracht hat. Wir haben in den sieben Jahren, die er mit Unterbrechung in der JVA, in der ich

2 Die Kontaktgruppenarbeit gibt es mittlerweile in den meisten Justizvollzugsanstalten. Eine Gruppe Christen aus unterschiedlichen Gemeinden* trifft sich regelmäßig mit Inhaftierten. In diesem geschützten Rahmen werden kurze evangelistische Andachten gehalten, Lieder gesungen, Gespräche geführt und Beziehungen geknüpft. Daraus ergeben sich oftmals Freundschaften, die häufig im Anschluss an die Entlassung der Inhaftierten weitergeführt werden. So mancher Gefangene hat dadurch zum Glauben an Jesus Christus gefunden.

ihn kennenlernte, einsaß, so viele Gespräche über sein Leben geführt, über die Möglichkeit, frei zu werden von Heroin und Alkohol. Auch er hat immer wieder die rettende Botschaft von Jesus Christus* gehört. Auch er wollte nur halbherzig ein „christliches Leben“ führen. Doch nach seiner Entlassung fiel er immer wieder in das alte Lebenzurück zog nach Hamburg und lebte dort die letzten Jahre, gefangen in seiner Alkohol- und Heroinsucht, in St. Pauli auf der Straße. Immer wieder rief er mich an, erzählte von seiner Situation, erhielt den Rat, sein Leben Jesus Christus zu übergeben, sich einer christlichen Gemeinde anzuschließen. Doch leider war er nicht konsequent genug. Vor zwei Jahren wurde er tot auf dem Kiez gefunden, einfach so auf der Straße gestorben. Gerade einmal 50 Jahre war er auf der Erde. Die Sucht hat sein Leben bestimmt und zerstört. Die Hand, die ihm dargereicht wurde, hat er nicht ergriffen.

Sind Christen vor Suchterkrankungen geschützt?

Schön wäre es! Doch auch Menschen, die sich einmal für ein Leben mit Jesus Christus entschieden, danach aber nicht konsequent genug als Christ gelebt und das schädliche Umfeld gemieden haben, sind nicht vor Rückfällen gefeit.

Da ist meine langjährige Freundin M. Als Kind sexuell missbraucht, früh heroinabhängig geworden, traditionelles christliches Elternhaus, Bekehrung*

zu Jesus Christus, Erwachsenentaufe – nahezu zehn Jahre haben wir jede Woche gemeinsam in der Bibel* gelesen und auch sonst häufig Zeit miteinander verbracht. Vielen Menschen erzählte sie von Jesus, doch letztlich wurde sie nach vielen drogenfreien Jahren wieder rückfällig. Sie entwickelte böse Kräfte, zertrümmerte ihr Mobiliar, löste mehrere Polizeieinsätze aus, brach den Kontakt zu mir ab und landet seitdem immer wieder in der Psychiatrie, krank an Leib und Seele, ohne Unterstützung lebensunfähig – mit gerade einmal 38 Jahren.

Da ist A., ein Schulfreund meines jüngsten Sohnes, christliches Elternhaus, der, gezeichnet von der Drogensucht und einer sich daraus entwickelten schweren psychischen Erkrankung, in seinem Leben keinen Sinn mehr sah und sich nach unzähligen Psychiatrie- und Gefängnisaufenthalten im Jahr 2021 in einem psychiatrischen Krankenhaus mit 27 Jahren das Leben nahm, obwohl er einst sein Leben Jesus Christus gegeben hatte. Oft denke ich an ihn und wie er früher mit meinen Söhnen gespielt, wie er noch vor ein paar Jahren mit uns Weihnachten gefeiert hat, schon da unaufhaltsam auf dem Weg nach unten.

Und dann noch T., der ebenfalls aus einer christlichen Familie stammt. Drogen- und Spielsucht haben sein Leben zerstört. Die Abhängigkeit von Amphetamin und Spielautomaten brachte ihn dazu, seine Eltern zu betrügen und zu bestehlen, deren Schmuck und Auto zu verkaufen, da er enorme finanzielle Mittel benötigte. Etliche Therapien hat er

durchlaufen, und dennoch hat er bislang nicht aus seiner Sucht herausgefunden.

Und die anderen, die ohne Gott lebten und leben? Davon gibt es noch viel mehr – solche, die noch nicht einmal erwogen haben, sich Jesus Christus anzuschließen.

Ich denke dabei an J. und M., ehemalige Schulfreunde meiner Söhne, die durch ihren jahrelangen Drogenkonsum psychisch schwer erkrankt sind. Gerade Amphetamine führen nach einer gewissen Zeit zu Wahnvorstellungen. Diese brachten J. dazu, seine Möbel vom Balkon zu werfen und seine Mutter das Fürchten zu lehren, die, gepackt von Angst und Entsetzen, aus der Wohnung floh. Durch diese Aktion löste J. einen Polizeieinsatz aus.

Oder mein ehemaliger Schulkamerad A., der schon früh alkoholabhängig wurde. In betrunkenem Zustand verursachte er als junger Mann einen schlimmen Verkehrsunfall. Dabei kam ein Mensch zu Tode. Letztlich konnte er mit dieser Schuld nicht leben und stürzte sich aus dem Fenster eines Krankenhauses. Durch viele komplizierte Brüche der Beine und der Hüfte ist er heute Rollstuhlfahrer und kann nur mühsam laufen – für immer gezeichnet.

Auch mein hochgeschätzter und lieber Onkel F., jahrzehntelang alkoholabhängig, doch hinter einer bürgerlichen Fassade gut versteckt, konnte seine Sucht nicht überwinden. Ebenso wie I., ein naher

Verwandter, der mit gerade einmal 47 Jahren elendig an einer Leberzirrhose als Folge seines Heroinund Alkoholkonsums zugrunde ging.

So könnte ich eine Geschichte nach der anderen erzählen.

Gibt es denn Hoffnung für den Ausstieg aus der Sucht?

Die Antwort ist schlicht: Ja – die gibt es! Die Zeugnisse in diesem Buch ermutigen. Es gibt einen Retter, der auch mit der stärksten Sucht kein Problem hat: Jesus Christus! Er ist auf die Erde gekommen, um die Verlorenen zu retten, diejenigen, für die andere keinen Pfifferling mehr geben würden. Er möchte auch heute noch alle Menschen frei machen, die gebunden sind in Süchten und den daraus folgenden Erkrankungen und Problemen. Und warum? Weil er sie unendlich liebt, gerade diejenigen, die von der Welt als Aussätzige, als Abschaum, als asozial betrachtet werden. Jesus Christus sagt in seinem Wort, der Bibel, in Markus 2,17: „Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.“* 3

Was für eine Hoffnung!

Doch es ist wichtig, dass sich die Betroffenen Hilfe holen. Dass sie engmaschige Unterstützung

3 Siehe auch Seite 87 (Aufbau der Bibel). Um die Sätze aus der Bibel nachzulesen, siehe https://www.bibleserver.com/

erhalten durch einen strukturierten Tagesablauf und durch Menschen, die sie lehren, als Christ zu leben. Sie brauchen jemanden, der die ihnen Instrumente an die Hand gibt, wie sie der Sucht den Rücken kehren können, wie sie mit Suchtdruck umgehen, wie sie die Leere, die das Fehlen von Alkohol oder Drogen plötzlich hervorruft, umgehen und diese sinnvoll füllen können. Sie benötigen Menschen, die ihnen zuhören, wenn sie ihr Herz ausschütten, die sie lehren, sich selbst wieder anzunehmen und zu lieben, so wie Jesus uns das auch in seinem Wort sagt.

In diesem Buch haben jedoch die Mütter der Betroffenen einen großen Stellenwert, denn meist sind sie es, die für die verlorenen Söhne gebetet haben. Die liebenden Mütter sind es, die auf Knien flehen, die in den Nächten wach liegen voller Sorgen um ihre gefährdeten Kinder. Sie haben Unmengen von Tränen geweint. Sie sind es, die immer wieder ihre Hilfe anbieten, die ihre Kinder auch in schweren, hoffnungslosen, düsteren Zeiten lieben, annehmen, für sie da sind.

Deshalb soll dieses Buch in erster Linie ihnen gewidmet sein.

Jakobus 5,16: „Das Gebet eines Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist.“

Gott schafft Neues

René, im August 2013 bist du zu uns in die Gefährdetenhilfe Kurswechsel in Wuppertal zu einer Probewoche eingezogen, weil du Hilfe gesucht hast. Du warst damals 29 Jahre alt und –ich glaube, so kann man das sagen – am Ende. Viele Jahre lang hatten Drogen dein Leben bestimmt. Wie hat dein Weg in die Drogenwelt angefangen?

Ich war 15 Jahre alt, als ich aus Neugier anfing zu rauchen und Alkohol zu trinken. Es hat nicht lange gedauert, da kam auch der Drogenkonsum dazu. Erst das Kiffen, aber kurze Zeit später auch härtere Drogen: Crystal und Ecstasy.

Wie sahen die Folgen deines Lebens mit Drogen und Kriminalität aus?

Als ich anfing, Crystal zu schnupfen, hat sich mein Leben stark verändert. Ich jagte dieser Droge und dem Gefühl regelrecht hinterher. Mein ganzes Leben richtete sich danach aus, mein ganzes Geld ging für „Partymachen“ und Drogen drauf. Als mein Geld nicht mehr ausreichte, wurde ich kriminell. Ich beklaute Leute, beging Einbrüche und

dealte mit Drogen. Es wurde alles immer krasser. Irgendwann fing ich an, am helllichten Tag Leute niederzuprügeln und auszurauben. Die Drogen hatten mich fest im Griff, ich war wirklich sehr süchtig. Ich war auch nicht mehr wirklich fähig zu arbeiten und brach immer wieder Arbeitsstellen ab. Durch meine kriminellen Machenschaften kam ich auch immer öfter mit dem Gesetz in Konflikt und stand mehrere Male vor Gericht. Die Richter waren immer wieder gnädig mit mir und gaben mir oft Sozialstunden.

Als ich 19 Jahre alt war, war es dann so weit –es kam, wie es kommen musste. Ich hatte einen Mann niedergeprügelt und ausgeraubt. Am nächsten Tag hatte ich einen weiteren Überfall begangen und wurde noch am selben Tag festgenommen. Ich saß bis zur Verhandlung in U-Haft. Bei der späteren Verhandlung bekam ich eine Jugendgefängnisstrafe von vier Jahren und musste eine Drogentherapie machen.

Als ich mit 22 Jahren wieder auf freiem Fuß war, hatte ich gute Vorsätze für mein Leben, aber die Sucht war stärker. Ich fing wieder an, Alkohol zu trinken und zu kiffen. Anfangs nur am Wochenende, aber nach kurzer Zeit jeden Tag. Nach zwei bis drei Jahren kamen auch wieder andere Drogen wie psychoaktive Pilze, Ecstasy und Crystal dazu. Ich wurde erneut kriminell und fing an zu dealen; die Drogen hatten mich wieder voll im Griff. Die Drogen veränderten auch meine Persönlichkeit, vor allem das Crystal. Eigentlich war ich ein

eher ruhiger und umgänglicher Typ, aber durch die Drogen und den Alkohol wurde ich oft aggressiv und hatte immer wieder Auseinandersetzungen mit Leuten – Beziehungen haben darunter gelitten.

Gab es Momente, in denen du gedacht hast: „Jetzt muss ich mein Leben ändern!“?

Solche Momente gab es in den 14 Jahren meines Konsums immer mal wieder, doch meistens habe ich es vor mir hergeschoben. Ich habe mir dann immer wieder eingeredet: Bald höre ich auf. Außer in der Knast- und Therapiezeit, in der ich selten konsumiert habe, verging eigentlich kaum ein Tag, an dem ich nüchtern war.

Es hat lange gedauert, bis du dich dann tatsächlich auf den Weg gemacht hast, Hilfe zu suchen. Du warst damals 29 Jahre alt. Was war der Auslöser?

Ich war ungefähr 25 Jahre alt, als meine damalige Freundin mich verließ. Das war sehr schwer für mich. Ich hatte keine Freude mehr am Leben, und mir ging es sehr schlecht. Selbst das Konsumieren machte keinen Spaß mehr.

Meine Mutter machte mich im Lauf meines Drogenlebens immer wieder auf den Glauben an Jesus Christus aufmerksam. Meistens wollte ich nichts davon wissen und reagierte teilweise sogar aggressiv darauf. Aber in dieser Zeit ging es mir so schlecht, dass ich doch irgendwann die Bibel aufgeschlagen habe. Ich fing an, darin zu lesen, und

das tat mir richtig gut. Ich erkannte, dass sich mein Leben ändern musste. Ich hatte viel Schuld* auf mich geladen und wusste: Ich brauche Vergebung*. Ich wusste von anderen Menschen in meinem Leben, dass Jesus von Süchten frei machen und Menschenleben verändern kann. Die Bibel sagt in 1. Johannes 1,9: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von jeder Ungerechtigkeit.“ Ich betete zu Jesus um Vergebung für all meine Schuld und bat ihn, auch mein Leben zu verändern. Und das tat er auch – nach und nach.

Ab und zu ging ich mit in die Gemeinde, las in der Bibel und betete, aber meine Sucht war immer noch da. Ich schaffte es einfach nicht, die Finger vom Alkohol und den Drogen zu lassen.

Irgendwann gab mir meine Mutter einen Rundbrief der Gefährdetenhilfe Kurswechsel aus Wuppertal. Ich las ihn und dachte, das könnte was für mich sein.

In der darauffolgenden Zeit passierten einige krasse Dinge. Zwei enge Bekannte starben an den Folgen ihres Konsums, Freunde von mir wurden von der Polizei hochgenommen, und in meiner Wohnung spielten sich übernatürliche Dinge ab, wonach mir klar wurde: Es muss sich was ändern. Allerdings schaffe ich es nicht alleine. Ich nahm Kontakt zu einem Mitarbeiter der Gefährdetenhilfe Wuppertal auf.

Nach ein paar Monaten Wartezeit wurde ein Platz in der WG frei, und ich konnte im August 2013

eine Probewoche machen. Das gefiel mir sehr gut, und im September 2013 zog ich dann nach Wuppertal.

Du bist ja in eine Wohngemeinschaft gezogen, in der der christliche Glaube eine große Bedeutung hat. Welchen Bezug hattest du damals zu Gott und zum Glauben?

Ich komme aus Bayern und bin katholisch aufgewachsen. Ich glaubte schon als Kind, dass es Gott gibt, und redete auch oft mit ihm.

In meinem katholischen Umfeld beobachtete ich aber, dass viele Menschen in die Kirche gingen, der Glaube in ihrem Alltag jedoch keine Bedeutung hatte. Das fand ich nicht gut.

Durch die Eltern meines Stiefvaters lernte ich mit ca. neun Jahren Menschen kennen, die so richtig mit Jesus lebten und ihr Leben nach der Bibel ausrichteten. Ich wusste, dass das der richtige Glaube ist.

Ich bekehrte mich zu Jesus. Es war für mich allerdings schwierig, den christlichen Glauben zu leben, denn wir gingen als Familie damals zu keiner Gemeinde, und ich hatte keine christlichen Freunde.

Als ich mit 15 Jahren anfing, Alkohol und Drogen zu konsumieren, meine erste Freundin hatte und total am „Partymachen“ war, verlor ich den Glauben völlig aus meinem Leben. Ich weiß noch, dass Gott mich oft abends vorm Schlafengehen erinnerte, noch mit ihm zu reden, aber ich wollte nicht mehr.

Ich konnte Gott schließlich nicht jeden Abend bitten, mir meine Schuld zu vergeben, mit dem Wissen, dass ich am nächsten Tag das Gleiche wieder tun würde. Ich spürte in mir eine Zerrissenheit: Zwar war Gott mir wichtig, aber viel wichtiger war mir zu der Zeit, meinen eigenen Wünschen und meinem Verlangen nachzugehen. Und so schickte ich Gott eines Tages aus meinem Leben und bat ihn, mich in Ruhe zu lassen. Ich bat ihn aber auch, „mich nicht ganz zu verlassen“. Es gab mir zwar innerlich einen Stich ins Herz, aber ich wollte einfach zu sehr meine eigenen Wege gehen. Und so zog sich Gott aus meinem Leben zurück und ließ mich in Ruhe. Die Gedanken an ihn verschwanden. Von da an lebte ich ein gottloses Leben. Dass er „mich nicht ganz verlassen“ und mich in all den Jahren vor Schlimmerem bewahrt hat, bezeugt mein jetziges Leben. Es gab immer Menschen, die für mich gebetet und mir gerade in den Jahren, bevor ich nach Wuppertal zog, Jesus nahegebracht haben.

Was war in der Anfangszeit der WG schwer für dich?

Ich hatte keine Probleme, mich an die WG-Regeln zu halten, und auch keine Drogen zu nehmen fiel mir, trotz meines massiven Konsums vorher, erstaunlicherweise nicht schwer. Aber manchmal, wenn ich einen schlechten Tag hatte und es mir nicht gut ging, fiel es mir schwer, diese Gefühle auszuhalten, ohne mich irgendwie zu betäuben. Im Zweckbetrieb der Gefährdetenhilfe hatte ich

so manche Probleme, und Kritik anzunehmen war auch nicht immer leicht für mich.

Als ich in die WG einzog, hatte ich auch noch eine Gerichtsverhandlung ausstehen. Mein damaliger Hasch-Dealer hatte mich verpfiffen. Es war in der ersten Zeit nicht sicher, ob ich in der WG bleiben durfte oder noch einmal ins Gefängnis musste. Bei der späteren Verhandlung gab ich alle meine Taten zu. In mein neues Leben mit Gott passten keine Lügen mehr. Die Richterin erkannte, welche positiven Veränderungen in dieser Zeit, seit ich in der WG lebte, in mir passiert waren, und ließ Gnade vor Recht ergehen. Ich bekam eine Bewährungsstrafe und durfte zurück in die WG. Letztendlich weiß ich, dass ich das nur Gott zu verdanken habe.

Was hat dir geholfen, dein Leben zu ordnen? Mir hat es sehr geholfen, eine geregelte Tagesstruktur zu haben – gemeinsame Essenszeiten in der WG, gemeinsamer Austausch über die Bibel, gemeinsames Gebet, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen und unter Menschen zu leben, die mir liebevoll und wertschätzend begegnet sind.

Es gab viele gemeinsame Unternehmungen, die mir gutgetan haben, und ich konnte neue Freundschaften schließen, die bis heute halten. Martin hatte immer ein offenes Ohr für mich, und ich konnte zu jeder Zeit mit meinen Problemen oder Fragen zu ihm kommen. Die Gespräche mit ihm halfen mir sehr. Auch der Kontakt zu den anderen WG-Mitarbeitern und-Mitbewohnern war sehr gut

und hilfreich für mich. Es war nicht immer konfliktfrei, aber ich durfte lernen, mit Konflikten anders umzugehen als bisher. Der Gemeindebesuch (Gottesdienst) gehörte zum festen Bestandteil meines Lebens in der WG und half mir, im Glauben fester zu werden. Das herzliche und liebevolle Miteinander in der Gemeinde tat und tut mir bis heute richtig gut.

Ich hatte in der Anfangszeit in der WG ein eindrückliches Erlebnis mit Gott, das mich sehr ermutigt hat und bis heute begleitet.

An einem Tag in dieser Zeit habe ich viel über mein altes Leben nachgedacht, und mir ging es nicht gut. Als ich unten durch den Flur des Hauses lief, fiel mein Blick auf ein Bild, das mir zuvor noch gar nicht aufgefallen war. Da standen folgende Worte aus der Bibel: „Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf“ (Jesaja 43,18-19).

Diese Worte schlugen richtig in mein Herz ein. Ich spürte Gottes Gegenwart und wusste in diesem Moment: Gott redet zu mir persönlich. Ich wusste: Er hat einen guten Plan für mein Leben. Das hat mich sehr ermutigt.

Du hast insgesamt knapp vier Jahre in der WG gelebt und bist dann in eine unserer Wohnungen ins Nachbarhaus gezogen. Was waren für dich die größten Herausforderungen, dann wieder ganz auf eigenen Füßen zu stehen? Es war schon eine große Umstellung, nach vier Jahren WG-Leben wieder in eine eigene Wohnung zu

ziehen. Das durchstrukturierte WG-Leben war vorbei, ich war wieder völlig auf mich allein gestellt und hatte ganz viel freie Zeit. Ich musste mein Leben wieder selbst gestalten. Das ist mir leider nicht so gut gelungen. Ich fing wieder an, Alkohol zu trinken und zu kiffen. Erst nur am Wochenende, dann auch unter der Woche. Irgendwann merkte ich, dass ich wieder in alten Strukturen zurück war, täglich Bier trank und es nicht schaffte, damit aufzuhören. Ich war einfach zu labil. Ich versuchte es Tag für Tag neu, schaffte es aber nicht. Ich war frustriert, weil ich vier Jahre in der WG gelebt, ein gutes Leben geführt hatte und nun wieder abgestürzt war. Ich wollte nicht noch einmal von vorne beginnen. Gleichzeitig begleitete mich aber immer wieder der Vers aus Jesaja 43,18, durch den Gott deutlich zu mir gesprochen hatte: Ich schaffe Neues. Ich glaubte fest, dass nur Gott allein mich frei machen konnte, und betete gemeinsam mit anderen immer wieder dafür. Und das tat er dann auch! Eines Morgens wachte ich auf und merkte, dass ich kein Verlangen mehr nach Alkohol und Drogen hatte. Das ist bis heute so geblieben. Gott hat mich befreit!

Sogar vom Rauchen bin ich durch Gottes Hilfe frei geworden. Halleluja!!!

Welche Bedeutung hat der Glaube an Jesus Christus heute für dich?

Ohne Jesus wäre ich heute vielleicht im Knast oder gar nicht mehr am Leben. Jesus hat mir ein neues Leben geschenkt, und das möchte ich für meinen

Herrn leben. Ich möchte es nach ihm ausrichten. Ich weiß: Jesus hat mir all meine Schuld vergeben, und ich werde einmal bei ihm im Himmel* sein. Diese Zuversicht ist einfach unbeschreiblich schön!

Wie sieht dein Alltag heute aus?

Mittlerweile lebe ich seit neun Jahren in Wuppertal und durfte mir mit Gottes Hilfe ein neues Leben aufbauen. Ich führe ein geregeltes Leben. Ich habe meinen MPU-Test für den Führerschein bestanden und den Führerschein gemacht. Ich gehe einer geregelten Arbeit in einer Industriefirma nach und lebe ein von Süchten befreites Leben. Ich habe solide Freundschaften und freue mich jeden Sonntag, in die Gemeinde zu gehen. Gott hat mir auch eine wunderbare Frau geschenkt, die mich trotz meiner Vergangenheit so liebt, wie ich bin, und mit mir gemeinsam Jesus nachfolgen möchte. Esther und ich haben vor einiger Zeit geheiratet. Wir sind offen für Gottes Wege und gespannt, welche Werke er für uns vorbereitet hat.

Viele Grüße, euer René Pabel

PS: Wenn du in einer ähnlichen Situation bist wie ich damals, möchte ich dir Mut machen. Jesus kann auch dein Leben verändern. Egal, wie tief du in der Sch... steckst oder wie lange du schon konsumierst: Jesus hat alle Macht, dein Leben zu verändern! Vielleicht passiert die Veränderung nicht von

heute auf morgen, aber wenn du ernsthaft dein Leben in die Hand des lebendigen Gottes legst, wird auf jeden Fall etwas Gutes daraus entstehen!

René Pabel

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