BIBLISCHE ÄLTESTENSCHAFT
Handbuch für schriftgemäße
Gemeindeleitung
ÜBERARBEITETE UND ERWEITERTE NEUAUSGABE
Alexander Strauch
Biblische Ältestenschaft Handbuch für schriftgemäße Gemeindeleitung Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe
Best.-Nr. 271904
ISBN 978-3-86353-904-7
Titel des amerikanischen Originals: Biblical Eldership
Restoring the Eldership to its Rightful Place in the Local Church © 2023 by Alexander Strauch. All rights reserved. Published by Lewis and Roth Publishers Colorado Springs, Colorado 80909
Wenn nicht anders angegeben, wurde folgende Bibelübersetzung verwendet: Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.
Außerdem wurden verwendet: EU – Einheitsübersetzung (Ausgabe 2016), LUT – Lutherbibel (Ausgabe 2017), MENG – Menge Bibel (Ausgabe 2020), NeÜ – Neue evangelistische Übersetzung, NGÜ – Neue Genfer Übersetzung, NLB – Neues Leben. Die Bibel, SLT – Schlachter Bibel (Ausgabe 2000), ZB – Zürcher Bibel.
5. Auflage 2025 © 1999–2025 Christliche Verlagsgesellschaft mbH Am Güterbahnhof 26 | 35683 Dillenburg info@cv-dillenburg.de
Übersetzung: Svenja Troeps Satz und Umschlaggestaltung: Christliche Verlagsgesellschaft mbH Umschlagmotiv: © IStock.com/UfimtsevaV
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany
Wenn Sie Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler entdeckt haben, können Sie uns gern kontaktieren: info@cv-dillenburg.de
Inhalt
Wiederherstellung der neutestamentlichen Ältestenschaft . . .
1. Neue Leitungsprinzipien ...............................
2. Pastorale Leitung als Hirten ............................
3. Gemeinsame Leitung ..................................
4. Qualifizierte Leitung ..................................
5. Leitung durch Männer ................................
Die ersten christlichen Ältesten laut Lukas
6. Die ersten Ältesten mit jüdisch-christlichem Hintergrund .. 131
7. In jeder Gemeinde Älteste einsetzen 146
Ein letzter Auftrag
8. Paulus’ letzte Aufforderung an die Ältesten von Ephesus: Folgt meinem Vorbild! ................................ 161
9. Hütet die Gemeinde Gottes! ............................
10. Gott, Finanzen und die Versorgung der Schwachen .......
Wer sind die Aufseher in Philippi?
11. Aufseher und Diakone in der Gemeinde in Philippi .......
Biblische Qualifikationen für Aufseher
12. Untadelig und Mann einer Frau ........................
13. Nüchtern, … nicht geldliebend .........................
14. Dem eigenen Haus gut vorstehen, … ein gutes Zeugnis von Außenstehenden haben ............................
15. Erprobung der Kandidaten –Handauflegung durch die Ältesten ...................... 265
Doppelter Ehre würdig
16. Älteste, die gut vorstehen
17. Älteste, die in Wort und Lehre arbeiten ..................
Älteste schützen und zurechtweisen
18. Die Unschuldigen schützen; die Schuldigen zurechtweisen ... 313
19. Aufruf zum mutigen Gehorsam und Hilfe zur Ernennung qualifizierter Ältester .......................
Biblische Qualifikationen für Älteste
20. Älteste einsetzen, wie ich dir geboten hatte ...............
21. Untadelig als Ehemann und Vater .......................
22. Die biblischen Qualifikationen für Gottes Hausverwalter ... 372
23. Mit der gesunden Lehre ermahnen und Widersprechende überführen .......................... 385
Gottes Herde auf Gottes Weise hüten
24. Petrus ermahnt und ermutigt die Ältesten ................
Für die Kranken beten
25. Ist jemand krank? Er rufe die Gemeindeältesten ..........
Die Ältesten lieben, ehren und ihnen gehorchen
26. Die Ältesten ganz besonders achten .....................
27. Sie wachen über eure Seelen ........................... 460
28. Die Beziehung zwischen den Ältesten und der Gemeinde verstehen ...............................
29. Wie die Hirten-Ältestenschaft funktionieren kann ........
30. Das Wichtigste in Kürze ...............................
Einführung
„Damit du … in jeder Stadt Älteste einsetzen solltest.“
Titus 1,5
Als ich ein Konzert in einer Gemeinde besuchte, bekam ich eine aufschlussreiche Lektion in Sachen Ekklesiologie. Im Foyer dort bemerkte ich eine auffällige Präsentation mit den Porträts und Namen des leitenden Pastors und seiner Assistenzpastoren. Die Bilder waren in einer Pyramide angeordnet, mit dem Pastor an der Spitze. Seine drei Assistenzpastoren befanden sich in der zweiten Reihe, und darunter bildeten die übrigen Mitarbeiter der Gemeinde die Basis der Pyramide. Weiter hinten im Gebäude, in einem angrenzenden Flur, sah ich eine weitere Glasverkleidung mit den Bildern und Namen der Ältesten der Gemeinde. Ich dachte: Was für ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie die Ältesten verdrängt wurden und in der Gemeinde kaum noch sichtbar sind! Die Leitungsstruktur dieser Gemeinde entspricht nicht der neutestamentlichen Vorstellung von Gemeindeleitung.
Wiederherstellung und Klarstellung
Tausende von Gemeinden auf der ganzen Welt werden durch irgendeine Form von Ältestenschaft geleitet, weil man der Meinung ist, dass dies der biblischen Lehre entspricht. Man hat das richtig erkannt. Leider haben viele dieser Gemeinden eine falsche oder unzureichende Auffassung von der biblischen Lehre über Älteste. Sie haben Leiter,
Einführung
die sie Älteste nennen, aber im Vergleich mit den biblischen Texten muss man feststellen, dass sie nicht wie biblische Älteste handeln.
Vorstandsälteste gegenüber Hirtenältesten
Wenn viele Christen den Begriff „Gemeindeältester“ hören, denken sie an einen offiziell gewählten Vorstand, ehrenamtliche Verantwortungsträger oder einflussreiche Personen innerhalb der Ortsgemeinde. Sie denken an Älteste als Funktionsträger, Spendenbeschaffer, Entscheidungsbefugte oder Berater des Pastors. Ich nenne sie „Vorstandsälteste“. Viele Christen erwarten von ihren Gemeindeältesten gar nicht, dass sie die Heilige Schrift lehren oder sich wie Hirten um einzelne Geschwister kümmern, obwohl ihre eigenen Bibeln genau das lehren.
Man muss nicht Griechisch können oder einen theologischen Abschluss haben, um zu verstehen, dass das Konzept von Vorstandsältesten unvereinbar ist mit der neutestamentlichen Lehre von der Ältestenschaft.
Biblische Älteste
Nach dem Neuen Testament tragen die Ältesten gemeinsam die Verantwortung für die gesamte Gemeinde. Sie lehren das Wort, schützen die Gemeinde vor Irrlehrern, ermahnen und ermutigen die Gläubigen mit gesunder Lehre, beten mit den Kranken und beurteilen Lehrfragen. In biblischen Begriffen ausgedrückt heißt das, dass Älteste die Gemeinde hüten, beaufsichtigen, leiten, verwalten und für sie sorgen. Ich nenne sie deswegen auch gern Hirtenälteste oder Älteste als Gemeindeleiter.3
Biblische Ältestenschaft ist für die örtliche Gemeinde zu wichtig, um sich in solch verwirrenden und unbiblischen Gemeindetraditionen zu verheddern. Dieses Buch soll dazu beitragen, die biblische Lehre von der Ältestenschaft als gemeinsam Verantwortliche für die gesamte Gemeinde wiederherzustellen und präzise zu beschreiben – eine Leitung durch ein Team von biblisch qualifizierten und durch den Geist berufenen Ältesten.
Einführung
In den folgenden Kapiteln könnten Sie Lehren und Prinzipien entdecken, die Ihnen vielleicht nicht so vertraut sind und die Sie daher womöglich als radikal empfinden mögen. Vielleicht lernen Sie neue Begriffe kennen und vermissen gleichzeitig vertrautes Vokabular und gängige Traditionen Ihrer Denomination. Das ist beabsichtigt, denn ich möchte, durch Gottes Gnade, die Worte und Lehren von Jesus, Paulus, Petrus, Jakobus und Lukas, wie sie im Neuen Testament aufgezeichnet sind, möglichst präzise beschreiben. Wir wollen das Wesen und die Praxis der neutestamentlichen Ältestenschaft verstehen –deshalb trägt das Buch den Titel Biblische Ältestenschaft. Wenn wir gemeinsam die Heilige Schrift erforschen, sollten wir auf die Stimme des Heiligen Geistes hören, der durch den Text zu uns spricht. Wenn wir an die göttliche Inspiration der Schrift glauben (2Tim 3,16-17; 2Petr 1,20-214), dann muss die Schrift das letzte Wort haben und die Autorität dafür sein, wie unsere Kirchen und Gemeinden funktionieren und geleitet werden sollen.
Eine durch und durch biblische Lehre
Dass mehrere biblisch qualifizierte Älteste die Verantwortung für die gesamte Gemeinde tragen, ist eine durch und durch biblische Lehre. Das wird in dem Teil des Buches, der sich mit Auslegungsfragen beschäftigt (Kapitel 6–28), mehr als deutlich. Ich bin sicher, dass Sie die sorgfältige Exegese der Heiligen Schrift sehr aufschluss- und lehrreich finden werden. Jemand, der die Bibel ernst nimmt, sollte sich immer über eine treue Auslegung der Heiligen Schrift freuen.
Da die Gesamtleitung durch qualifizierte Älteste eine durch und durch biblische Lehre ist, sollte sie nicht ignoriert oder durch geschickte Neuinterpretation aufgehoben werden. Die Ältestenschaft ist nicht, wie manche behaupten, „ein neues und subversives Konzept, das das Leben der Gemeinde bedroht“5 oder gar eine Irrlehre, die man tunlichst vermeiden sollte. Diejenigen, die so etwas behaupten, haben sich nie ernsthaft damit auseinandergesetzt, was die Bibel über den Ältestendienst zu
Einführung
sagen hat (Älteste werden im Alten Testament über 100-mal erwähnt), oder sie lassen sich durch ihre konfessionellen Traditionen blenden (die viel zu oft Vorrang vor der Heiligen Schrift haben).
Offenkundig biblisch
Die Hauptmerkmale der Ältestenschaft werden von den Autoren des Neuen Testaments klar dargelegt. J. Alec Motyer, ehemaliger Rektor des Trinity College in Bristol, England, beschreibt das wahre Wesen des Neuen Testaments und stellt fest:
Ganz anfänglich, in den Zeiten der Apostel, war es üblich, in jeder Gemeinde Älteste einzusetzen. Im Neuen Testament findet man noch nicht einmal eine Andeutung, dass die Gemeinde jemals eine andere örtliche Leitung als die der Ältestenschaft bräuchte – oder auch nur wollen oder dulden sollte.6
Aus der Heiligen Schrift erfahren wir, dass das Neue Testament (1) die Existenz von Ältesten in zahlreichen Gemeinden dokumentiert, (2) Anweisungen bezüglich der Ältesten gibt und (3) den Ältesten persönlich Anweisungen gibt. Tatsächlich enthält das Neue Testament mehr Anweisungen zum Thema Ältestenschaft als zu anderen wichtigen Gemeindethemen wie dem Abendmahl, dem Sonntag, der Taufe oder den Geistesgaben.
Mehrere Ältesten als festes Prinzip in den ersten Gemeinden
Ein kurzer Überblick über die neutestamentlichen Aussagen zu diesem Thema ist hilfreich. Im Neuen Testament wird in fast allen neu gegründeten Gemeinden eine Leitungsverantwortung durch ein Ältestengremium erwähnt. Diese lokalen Gemeinden waren über ein weites geografisches Gebiet mit großer kultureller Vielfalt verteilt. Man beachte das durchgängige Muster von Gemeindeleitung durch mehrere Älteste, wie es im Neuen Testament dokumentiert ist.
Einführung
• Älteste gab es in den Gemeinden in Judäa und Umgebung (Apg 11,30; Jak 5,14-15).
• Älteste leiteten die Gemeinde in Jerusalem (Apg 15,1-29; 21,17-26).
• Bei den von Paulus gegründeten Gemeinden findet man eine Leitung durch mehrere Älteste in den Gemeinden von Derbe, Lystra, Ikonium und Antiochia (Apg 14,23), in der Gemeinde in Ephesus (Apg 20,17; 1Tim 3,1-7; 5,17-25), in der Gemeinde in Philippi (Phil 1,1) und in den Gemeinden auf der Insel Kreta (Tit 1,5).
• Laut dem 1. Petrusbrief, der einen geografisch weit verzweigten Empfängerkreis vorweist, gab es in den Gemeinden im gesamten nordwestlichen Kleinasien Älteste: Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien (1Petr 1,1; 5,1-5).
• Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass es in den Gemeinden in Thessalonich (1Thes 5,12) und Rom Älteste gab (Hebr 13,17).
Anweisungen an die Gemeinden in Bezug auf Älteste
Das Neue Testament enthält nicht nur Beispiele von Gemeinden, die von Ältesten geleitet wurden, sondern auch ausdrückliche Anweisungen an diese Gemeinden, wie sie für die Ältesten sorgen, sie schützen, sie zurechtweisen, einsetzen, wiederherstellen, ihnen gehorchen und sie berufen sollen. Die Apostel wollten, dass diese Anweisungen ernst genommen und befolgt werden.
• Jakobus weist die Kranken an, die Ältesten der Gemeinde zu rufen (Jak 5,14).
• Paulus weist die Gemeinde in Ephesus an, besonders die Ältesten finanziell zu unterstützen, die „in Wort und Lehre arbeiten“ (1Tim 5,17-18).
• Paulus gebietet der Ortsgemeinde, Älteste vor falschen Anschuldigungen zu schützen, in Sünde gefallene Älteste öffentlich zurechtzuweisen und gefallene Älteste zu rehabilitieren (1Tim 5,19-22).
Einführung
• Paulus belehrt die Gemeinde über die richtigen Qualifikationen für den Ältestendienst (1Tim 3,1-7; Tit 1,5-9).
• Der Gemeinde in Ephesus sagt Paulus, dass jemand, der den Wunsch hat, Ältester zu werden, ein schönes Werk begehre (1Tim 3,1).
• Paulus weist die Gemeinde an, die Qualifikationen der Ältestenkandidaten zu prüfen (1Tim 3,10; 5,22-25).
• Petrus weist die jungen Männer der Gemeinde an, sich den Ältesten der Gemeinde unterzuordnen (1Petr 5,5).
• Der Schreiber des Hebräerbriefs weist seine Leser an, den Anführern/Ältesten zu gehorchen und sich ihnen unterzuordnen (Hebr 13,17).
• Paulus lehrt, dass die Ältesten der Ortsgemeinde als Verwalter, Leiter, Ausbilder und Lehrer dienen (Tit 1,7; 1Thes 5,12; Tit 1,9).
• Paulus weist die Gemeinde an, ihre Ältesten anzuerkennen, zu lieben und mit ihnen in Frieden zu leben (1Thes 5,12-13).
Direkt an die Ältesten gerichtete Anweisungen und Ermahnungen
Paulus, Petrus und Jakobus geben auch den Ältesten unmittelbare Anweisungen:
• Jakobus fordert die Ältesten auf, für Kranke zu beten und sie mit Öl zu salben (Jak 5,14).
• Petrus beauftragt die Ältesten unmittelbar mit der Aufgabe, sich um die Geschwister der Ortsgemeinde zu kümmern und sie zu leiten (1Petr 5,1-2).
• Petrus warnt die Ältesten davor, herrschsüchtig aufzutreten (1Petr 5,3).
• Petrus verspricht den Ältesten, dass sie bei der Wiederkunft des Herrn Jesus „den unverwelklichen Siegeskranz der Herrlichkeit empfangen“ werden (1Petr 5,4).
• Petrus ermahnt die Ältesten, sich in Demut zu kleiden (1Petr 5,5).
• Paulus erinnert die Ältesten in Ephesus daran, dass der Heilige Geist sie in der Gemeinde als Aufseher eingesetzt hat, um die Gemeinde Gottes zu hüten (Apg 20,28).
Einführung
• Paulus ermahnt die Ältesten, die Gemeinde vor falschen Lehrern zu schützen (Apg 20,28) und auf die ständige Bedrohung durch deren falsche Lehren zu achten (V. 31).
• Paulus erinnert die Ältesten daran, fleißig zu arbeiten, den Schwachen zu helfen und wie der Herr Jesus Christus großzügig zu sein (Apg 20,35).
• Paulus ermahnt die Ältesten, in Frieden mit der Gemeinde zu leben (1Thes 5,13).
Wenn man bedenkt, dass eines der Merkmale des Neuen Testaments (im Vergleich zum Alten Testament) darin besteht, dass man detaillierte Vorschriften und Regeln für die Abläufe des Gemeindelebens vergeblich sucht, überrascht es umso mehr, wie viel Aufmerksamkeit den Ältesten gewidmet wird. „Deshalb“, schreibt der Theologe Jon Zens, „müssen wir uns ernsthaft mit der Lehre von der Ältestenschaft befassen; sie springt uns aus den Seiten des Neuen Testaments förmlich entgegen, und doch ist sie in Verruf geraten und wird insgesamt in den Gemeinden nicht praktiziert“7.
Drei Kernelemente biblischer Ältestenschaft
Zu Beginn unserer Analyse stechen aus den Seiten des Neuen Testaments drei Merkmale einer biblisch definierten Ältestenschaft deutlich hervor: (1) verantwortliche pastorale Leitung, (2) gemeinsame Leitung (Pluralität) und (3) qualifizierte Leitung. Ich werde hier nur kurz auf diese Punkte eingehen. In den Kapiteln 2 bis 5 wird jedes dieser drei Themen ausführlicher behandelt.
Pastorale Leitung durch Älteste
Ein wesentliches Merkmal biblischer Ältestenschaft ist, dass sie die Verantwortung für die Gemeinde trägt. In einem letzten persönlichen Treffen von Paulus und den Ältesten von Ephesus erinnerte Paulus die Ältesten daran, dass der Heilige Geist sie als „Aufseher“
Einführung
eingesetzt hatte, mit dem ausdrücklichen Ziel, die Gemeinde Gottes zu hüten/leiten.
Habt Acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in welcher der Heilige Geist euch als Aufseher eingesetzt hat, die Gemeinde Gottes zu hüten, die er sich erworben hat durch das Blut seines eigenen Sohnes. (Apg 20,28)
In seinem Brief befiehlt Petrus den Ältesten der Gemeinden in Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien, die Herde Gottes zu hüten:
Die Ältesten, die unter euch sind, ermahne ich als Mitältester …
Hütet die Herde Gottes bei euch, indem ihr nicht gezwungen, sondern freiwillig Aufsicht übt. (1Petr 5,1-2; SLT)
Da die beiden bedeutendsten Apostel die Ältesten – und keine andere Person oder Gruppe – beauftragt haben, die Herde Gottes zu hüten, kann man daraus schließen, dass die Ältesten nach biblischen Maßstäben für die Aufsicht über die einzelne Herde verantwortlich sind, die Gott ihnen zugewiesen hat (vgl. 1Petr 5,3).
Darüber hinaus sollen die Ältesten in ihrer Arbeit von einer Gruppe qualifizierter Diakone, also von „qualifizierten Assistenten“, unterstützt werden (Phil 1,1; 1Tim 3,8-13; siehe Kapitel 11).
Als Hirte leiten
Für die Apostel bedeutet Leitung, dass man wie ein Hirte leitet. Anders als man Leitung aus der Wirtschaft oder im Geschäftsleben kennt, bedeutet dies, dass man die Heilige Schrift lehrt, vor Irrlehrern schützt, evangelisiert, seelsorgerlich tätig ist, sich um die vielen praktischen Bedürfnisse der Herde kümmert und den Menschen ein Leben in Christus vorlebt.
Die Leitung als Hirte verbindet auf wunderbare Weise die Konzepte von Autorität und Leitung mit Opferbereitschaft, liebevoller Fürsorge
Einführung
und sehr persönlichen Beziehungen. Mehr noch, sie orientiert sich am Leben des „Guten Hirten“, der bereitwillig sein Leben für die Schafe gab (vgl. Joh 10,11).
Timothy Witmer, Autor des Buches The Shepherd Leader (dt. etwa: Der Leiter als Hirte), traf den Nagel auf den Kopf, als er schrieb: „Sie werden sehen, dass das Konzept ‚Hirtendienst‘ das Herzstück des biblischen Bildes von Leiterschaft ist.“8
Gemeinsam ausgeübte Leitung durch Älteste
Die gemeinsame Leitung, auch Pluralität der Leiterschaft genannt, sollte für einen Christen, der die Bibel kennt, kein neues Konzept sein. Während der gesamten alttestamentlichen Geschichte des Volkes Israel war dies eine grundlegende Leitungsstruktur.
Jesus gab uns eine gemeinsam ausgeübte Leitung
Aber noch bedeutender ist, dass unser Herr selbst das erste Führungsteam ernannte. Eine immens wichtige und oft übersehene Tatsache ist, dass unser Herr nicht einen einzelnen Mann zum Leiter seiner Gemeinde ausgebildet und ernannt hat. Jesus gab uns mit den zwölf Aposteln eine plurale Leitung – nicht einen leitenden Apostel, der von elf Assistenten begleitet wird, sondern zwölf Apostel, die alle gleichermaßen Apostel sind und als Einheit zusammenarbeiten, um die erste christliche Gemeinschaft zu leiten und zu lehren. Jesus Christus gab der Gemeinde eine gemeinsam ausgeübte Leitung.
Die Apostel gaben uns eine gemeinsam ausgeübte Leitung
Das Neue Testament zeigt, dass die Aufsicht über die ersten Gemeinden einem Ältestenrat übertragen wurde. Wie die zwölf Apostel bildeten auch die Ältesten ein kollektives Leitungsgremium.
Sowohl zu Beginn als auch am Ende des Dienstes von Paulus ernannte er ein Team von qualifizierten Ältesten (oder wies andere dazu an), um die von ihm gegründeten Gemeinden zu leiten (Apg 14,23; Tit 1,5). Auf der Ebene der Ortsgemeinden zeigt das Neue Testament
Einführung
eindeutig ein einheitliches Muster gemeinsam ausgeübter pastoraler Leitung. Daher ist die Leitung durch ein Team von Ältesten eine biblisch begründete Praxis.
John Murray, einer der Gründungsprofessoren des Westminster Theological Seminary, der außerdem ein angesehener Theologe und Bibelkommentator war, formulierte es so: „Pluralität wird auf den Seiten des Neuen Testaments ganz großgeschrieben, und Singularität trägt das Siegel der Missachtung dessen, was Christus eingesetzt hat.“9 Mit anderen Worten: Die Führung der Gemeinde durch eine Einzelperson („Singularität“) zeigt, dass man die von Christus eingesetzte Leitung durch ein Ältestengremium, d. h. durch mehrere Hirten, missachtet.
Gleichheit und funktionale Vielfalt innerhalb der Ältestenschaft Obwohl alle Ältesten denselben Dienst10, denselben Titel und dieselbe Hirtenaufgabe haben, gibt es zugleich eine große Vielfalt an geistlichen Begabungen, Lebenserfahrungen und der individuellen Führung durch den Herrn bei jedem einzelnen Ältesten. Nicht alle Ältesten einer Ältestenschaft sind in gleichem Maße zeitlich verfügbar oder besitzen die gleichen rhetorischen Fähigkeiten, Führungsqualitäten, biblischen Kenntnisse oder die gleiche Lehrbegabung.
Die Schrift offenbart, dass es Unterschiede zwischen den Ältesten gibt, ohne dass eine formelle Hierarchie oder ein weiterer Dienst geschaffen wird:
Die Ältesten, die gut vorstehen, sollen doppelter Ehre gewürdigt werden, besonders die in Wort und Lehre arbeiten. Denn die Schrift sagt: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden“, und: „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert“.
(1Tim 5,17-18)
Älteste, die gut leiten, und besonders diejenigen, die viel Fleiß und Mühe in Predigt und Lehre investieren, verdienen „doppelte Ehre“, was auch eine finanzielle Entschädigung einschließen kann. Die
Einführung
Schrift ermöglicht eine funktionale, auf Gaben basierende Vielfalt innerhalb der Ältestenschaft, ohne ein offizielles Amt zu schaffen, das den anderen Ältesten übergeordnet ist.
Somit findet man beim Ältesten-Konzept sowohl die Gleichheit der Positionen (Parität) als auch die funktionale Vielfalt der Begabungen. So können Älteste einer Gemeinde und dem Ältestenteam in Teilzeit dienen, manche vielleicht auch in Vollzeit. Die Gleichheit des Dienstes und die funktionale Verschiedenheit der Begabungen zeigt sich ganz deutlich bei den zwölf Aposteln (Petrus, Jakobus und Johannes heben sich als die führenden Köpfe unter ihren Mitaposteln ab, und von diesen dreien insbesondere Petrus). In Kapitel 3 werden Gleichheit und funktionale Vielfalt innerhalb der Ältestenschaft und des Apostelamtes ausführlicher erläutert.
Qualifizierte Leitung durch Älteste
Eine biblische Ältestenschaft erfordert nach biblischen Kriterien qualifizierte Älteste. Das Neue Testament lässt in diesem Punkt keine Missverstände aufkommen. Tatsächlich enthält das Neue Testament viel mehr Anweisungen, die die Qualifikationen für Ältestenschaft betreffen, als zu jedem anderen Aspekt der Ältestenschaft.
Die Listen der Qualifikationen
1 . Timotheus 3,1-7
1. untadelig
Titus 1,6-9
1. untadelig
2. Mann einer Frau 2. Mann einer Frau
3. nüchtern
4. besonnen
5. anständig
6. gastfrei
3. Kinder sind gläubig [oder treu, vgl. SLT]
1 . Petrus 5,1-5
1. nicht aus Zwang
2. freiwillig
3. nicht aus schändlicher Gewinnsucht
4. nicht eigenmächtig 4. bereitwillig
5. nicht jähzornig 5. nicht herrschend
6. nicht dem Wein ergeben
6. als Vorbild der Herde
Einführung
7. lehrfähig
8. kein Trinker
7. nicht ein Schläger
8. nicht schändlichem Gewinn nachgehend
9. kein Schläger 9. gastfrei
10. milde 10. das Gute liebend
11. nicht streitsüchtig 11. besonnen
12. nicht geldliebend 12. gerecht
13. steht dem eigenen Haus gut vor … hält Kinder in Unterordnung
14. nicht ein Neubekehrter
15. ein gutes Zeugnis von Außenstehenden
13. heilig
14. enthaltsam
15. hält an dem der Lehre gemäßen zuverlässigen Wort fest
• ist fähig, mit der gesunden Lehre zu ermahnen
• ist fähig, Widersprechende zu überführen
Die Dienste in Gottes Gemeinde sind keine Ehrenämter, die an Personen vergeben werden, die die Gemeindeveranstaltungen treu besucht haben oder die schon im Seniorenalter sind. Es sind auch keine Sitze in einem Vorstand, die von einem bestimmten Freundeskreis, wohlhabenden Spendern oder charismatischen Persönlichkeiten besetzt werden. Es sind auch keine Dienste, die nur mit Bibelschulabsolventen besetzt werden könnten. Der Dienst des Gemeindeältesten steht grundsätzlich allen Männern offen, die die biblischen Qualifikationen erfüllen. In Kapitel 5 werden wir uns mit der biblischen Lehre über die durch Männer ausgeübte Leitung im eigenen Haus und in der Gemeinde befassen.
Gemeinden, die gern den Ältestendienst einführen wollen, begehen oft den Fehler, dass sie Männer einsetzen, die nach biblischen Maßstäben nicht dazu qualifiziert sind. Da es oft einen großen Mangel an Hirten und Leitern gibt, besteht die Versuchung, unqualifizierte und unvorbereitete Männer mit in die Gemeindeleitung hineinzunehmen. Aber das ist eine altbekannte Strategie für Misserfolg und zieht langfristige Probleme nach sich.
Eine Einordung
Im Folgenden werde ich kurz fünf bekannte Sichtweisen über Gemeindeleitung auflisten (auch als Kirchenordnung, Kirchenstruktur oder Kirchenrecht bezeichnet). Dies soll darstellen, wie sich das Konzept einer Gemeindeleitung durch mehrere Älteste im Gesamtgefüge des weltweiten Leibes Christi einordnen lässt und wie es zu anderen Ansichten über Gemeindeleitung passt. Dabei orientiere ich mich an der ausgezeichneten Gliederung aus dem Buch Perspectives on Church Government: Five Views of Church Polity, herausgegeben von Chad O. Brand und R. Stanton Norman.11 Die fünf Ansichten lauten:
1. „Die nur von einem einzelnen Ältesten geleitete Gemeinde: Das biblische Zeugnis für eine kongregationale/Ein-ÄltesterGemeindeordnung“
2. „Die presbyterianisch geleitete Gemeinde: Presbyterianische Leitung“
3. „Die von den Mitgliedern geleitete Gemeinde: Kongregationale Leitung“
4. „Die von einem Bischof geleitete Gemeinde: Die bischöfliche oder anglikanische Leitung – bekräftigt, abgewogen und verteidigt“
5. „Die von mehreren Ältesten geleitete Gemeinde: Die Pluralität der Ältesten als das von Christus eingesetzte Mittel der Gemeindeleitung“
Einführung
Wie aus dem Titel hervorgeht, wird in Biblische Ältestenschaft die Sicht vertreten, dass die Gemeinde von mehreren Ältesten geleitet werden soll. Von den oben genannten fünf Positionen ist diese Sicht der Gemeindeleitung die am wenigsten bekannte oder praktizierte. Obwohl sie vielen unbekannt ist und von einigen als zu radikal abgelehnt wird, ist diese Sichtweise mehr als jede andere tief in den Worten und der Theologie der Heiligen Schrift verankert. Das wird im Laufe des Auslegungsteils dieses Buches (Kapitel 6–28) mehr als deutlich werden.
Keine andere Ansicht wird von so vielen direkten Aussagen der Heiligen Schrift gestützt wie die Ansicht, dass es mehrere Älteste in einer Gemeinde geben soll. In der Tat gibt es acht Kernstellen, die sich direkt mit der Position, den Aufgaben und der Autorität der Gemeindeältesten befassen (Apg 14,23; 20,17-38; Phil 1,1; 1Tim 3,1-7; 5,17-25; Tit 1,5-9; Jak 5,14-15; 1Petr 5,1-5). Diese acht zentralen Lehrtexte sollten der Ausgangspunkt für das Verständnis der biblischen Lehre von der Gemeindeleitung sein.
Ich habe mich immer gewundert, wie leichtfertig die klaren, eindeutigen Aussagen der Schrift über Älteste mit den Worten beiseitegeschoben werden, sie seien für die heutige Zeit irrelevant. Oder sie werden auf geschickte Weise so uminterpretiert, dass etwas völlig anderes herauskommt, als die klaren Aussagen der Texte der Heiligen Schrift tatsächlich sagen.
Während meines Theologie-Studiums an einem Bibelseminar wurde mein wachsendes Interesse an diesem Thema energisch infrage gestellt. In einem Kurs über Gemeindeordnung wurde die Idee einer von Ältesten geleiteten Gemeinde hartnäckig abgelehnt, ja, sogar verhöhnt. In einer Vorlesung fragte ich den Professor: „Aber was machen Sie mit all den biblischen Texten, in denen von Ältesten im Plural die Rede ist?“
Zu meinem Erstaunen antwortete er prompt: „Dass es zahlreiche Texte über Ältestenschaft gibt, bedeutet nichts!“ Ich dachte mir (hatte aber nicht den Mut, es zu sagen): „Nun, wenn zahlreiche
Textpassagen über Älteste nichts bedeuten, was bedeutet dann eigentlich etwas? Vielleicht Ihre nicht vorhandenen Texte über einen ordinierten Klerus?“
Es wurde schnell deutlich, dass die Sicht einer brüderlichen Gesamtleitung durch ein Gremium qualifizierter Ältester an dem Bibelseminar rundweg als Irrlehre abgelehnt wurde, als zu radikal und nicht praktikabel.
Obwohl es sich eigentlich um ein konservatives theologisches Seminar handelte, hatten Dozenten und Studenten gleichermaßen die grundlegenden Prinzipien der Bibelauslegung (Hermeneutik) aufgegeben: Die klaren, zentralen Lehrtexte haben Vorrang vor sekundären, unklaren, nicht eindeutigen Passagen.12 Die acht zentralen Lehrtexte über die Gemeindeleitung durch qualifizierte Älteste wurden als irrelevant beiseitegeschoben. Dagegen wurde den nicht eindeutigen, unklaren, sekundären Passagen Vorrang vor den zentralen Lehrtexten eingeräumt. Das ist schlechte Hermeneutik.
Diese und ähnliche Erfahrungen bestärkten mich jedoch in meiner zunehmenden Überzeugung, dass Ältestenschaft eine biblisch fundierte Lehre ist, die von den meisten Gemeinden entweder ignoriert oder so uminterpretiert wird, dass sie in ihre eigenen vertrauten konfessionellen Traditionen passt.
Ich hoffe, dass dieses Buch uns helfen wird, die biblische Lehre von der Gemeindeleitung durch ein Gremium biblisch qualifizierter, vom Geist berufener Ältester präziser zu verstehen. Oder, wie Albert N. Martin es auf den Punkt brachte: „Der normale biblische Entwurf für Leitung sind mehrere biblisch qualifizierte Leiter, die in echter Parität und realistischer, harmonischer, funktionaler Vielfalt zusammenarbeiten.“13
Gott wird durch die Bemühungen seines Volkes geehrt, wenn biblische Lehren, die lange Zeit ver- oder missachtet wurden, wiederentdeckt und erneuert werden, um so im Gehorsam gegenüber seinem göttlich inspirierten Wort zu leben.