
Petra Schwarzkopf
Der Donnerfelsen: Die Flucht
Band 3
Best.-Nr. 271897
ISBN 978-3-86353-897-2
Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg
1. Auflage
© 2024 Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg www.cv-dillenburg.de
Alle Bibelverse wurden zitiert nach:
Lutherbibel, revidierter Text 1984
© 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
Schlachter-Übersetzung – Version 2000
© 2000 Genfer Bibelgesellschaft
Schlachter-Übersetzung – Version 1951, gedruckt 1990
© 2000 Genfer Bibelgesellschaft
Satz und Umschlaggestaltung: Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg
Umschlagmotive:
Landschaftsfoto: © Frank Schwarzkopf, Holzschild: © Freepik.com/brgfx
Schuhe: @ Canva/olhasaiuk
Druck: CPI Books GmbH, Leck
Printed in Germany
Wenn Sie Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler entdeckt haben, können Sie uns gern kontaktieren: info@cv-dillenburg.de
22 Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen
23 Meine Hilfe kommt von dem Herrn
24 Ich bin die Tür.
25 Denn leben wir, so leben wir dem Herrn
26 Wie ein Hirsch lechzt nach
27 Meine Seele dürstet nach Gott
28 Und wenn ich auch wanderte durchs Tal
29 Denn der Feind verfolgt meine Seele
30 Wenn euch nun der Sohn
31 Und mein Geist ist
32 Du bereitest vor mir einen Tisch
33 Fürchte dich nicht, denn ich habe
34 Wenn wir aber unsere Sünden bekennen,
35 Die Sonne soll verwandelt werden
36 Und ein Rauch stieg empor aus dem
37 Und die Stadt bedarf nicht der Sonne
Epilog: Und wen da dürstet, der komme
Prolog




„Alles hat seine bestimmte Stunde, hat seine bestimmte und jedes Vorhaben unter dem und Vorhaben unter dem Himmel hat seine Zeit.“
Prediger, Kapitel 3, Vers 1
Ich sage es euch am besten gleich, damit ihr am Ende des Buches nicht so traurig seid: Alles hat seine Zeit, und für alles im Leben, das man zum ersten Mal tut, gibt es auch ein letztes Mal. Manchmal ist das erste Mal zugleich schon das letzte Mal. Das kann entweder sehr schade oder auch sehr gut sein. Zum Beispiel, wenn man die Weisheitszähne herausoperiert bekommt. Da ist es gut, wenn man es mit einem Mal für alle Zeiten hinter sich hat, das kann ich euch versichern! Doch egal, ob schade oder gut, jedenfalls hat es keinen Zweck, so zu tun, als gäbe es kein Ende. Es ist besser, ihr stellt euch jetzt schon darauf ein, dass ihr in naher Zukunft von Johanna und Jan Abschied nehmen müsst. Dann seid ihr nicht so überrascht, wenn es so weit ist, sondern könnt euch gelassen darauf vorbereiten. Also, dies ist der letzte Band vom Donnerfelsen! Die Geschichte ist dann auserzählt, und es gibt nichts mehr, das ich hinzufügen könnte. Deshalb endet alles auf der letzten Seite. Teilt euch das Buch gut ein und fliegt nicht nur mit euren Augen über die Seiten. Das mache ich




leider oft. Tatsächlich bin ich eine schreckliche Schnell-Leserin.
Vielleicht schreibe ich deshalb so gerne. Dann gehe ich quasi zu Fuß durch die Geschichten, anstatt mit einem Düsenjet darüber zu donnern. Sagt also nicht, ich hätte euch nicht gewarnt! Lest langsam und gründlich, ihr seid jetzt alt genug. Übrigens ... das Buch vom Donnerfelsen gibt es immer noch. Davon müsst ihr euch nicht verabschieden. Eure eigene Geschichte mit ihm kann jederzeit beginnen. Vielleicht steckt ihr schon mittendrin – wer weiß? Dann öffnet es euch auf seine ganz eigene Art das Tor in eine andere Welt. Aber ihr müsst sie finden wollen, diese Welt. Was nichts anderes bedeutet, als dass ihr suchen müsst und zwar von ganzem Herzen. Wenn dieser Wunsch da ist, wenn er aufrichtig und echt ist, werdet ihr die Tür zum Land des Felsens finden. Es kann durchaus sein, dass es euch eines Tages wie Schuppen von den Augen fällt und ihr euch fragt, warum um alles in der Welt ihr den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen habt!? So klar liegt diese Tür dann vor euch, und ihr braucht nur einen Schritt hindurchzugehen. Dieser aber muss getan werden, sonst bleibt ihr draußen. So ist das.
Johanna jedenfalls hat diesen Schritt gewagt, kurz nachdem Jan zum Donnerfelsen zurückgekehrt ist, und sie hat ihn bis heute nicht bereut. Laura und Simon sind immer noch an ihrer Seite, und Johanna ist im Moment so ruhig und zuversichtlich, dass sie sich über sich selbst wundern muss. Ihre Mutter Julia dagegen benimmt sich in letzter Zeit seltsam. Und das hat ganz offensichtlich ebenfalls mit diesem Simon und seinem Buch zu tun ...



„Ziehet nicht am gleichen Joch ... “ „Ziehet nicht am Joch ... “
2. Korintherbrief, Kapitel 6, Vers 14

Johanna wusste sofort, dass etwas mit ihrer Mutter nicht in Ordnung war. Die Stimme, die von oben kam, hatte die Temperatur eines Eiszapfens, und selbst hier unten im Flur, ein Stockwerk entfernt, ließ sie Johanna frösteln. Vorsichtig stellte die Vierzehnjährige ihre Schultasche auf der untersten Treppenstufe ab. Dann hängte sie langsam ihre Jacke an den Garderobenhaken und suchte nach ihren Hausschuhen.
„Johanna?“, kam es schneidend scharf von oben. „Beeil dich ein bisschen, ich muss gleich los!“
Wow, nicht einmal bitte hatte ihre Mutter gesagt.
„Ja, Mama, ich komme“, rief sie zurück, lief schnell die Treppe hinauf und betrat die Küche, in der schon der Tisch gedeckt war. Ihre Mutter hantierte am Herd und drehte sich nicht wie sonst zu ihr um.
„Setz dich schon mal und gieß dir Saft ein“, murmelte sie stattdessen nur.
Johanna gehorchte wortlos. Aus Angst vor der Antwort wagte sie es nicht, Fragen zu stellen. Bestimmt war etwas Schlimmes passiert! Mit Oma und Opa oder mit Mama selbst? War sie vielleicht krank? Johannas Magen war weniger rücksichtsvoll und meldete sich ungefragt zu Wort: Er knurrte vor Hunger. Das Knurren war ziemlich laut. Endlich drehte sich die Frau am Herd




um, und Johanna erschrak. Mama hatte rote und geschwollene Augen! Ihr sonst so nettes Gesicht war bleich, die Lippen hatte sie entschlossen aufeinandergepresst. Jetzt verzog sich der Mund zu einem angestrengten Lächeln. Doch Johanna kannte ihre Mutter zu gut, um darauf hereinzufallen.
„Mama, ist etwas passiert?“, platzte sie heraus.
„Nein, warum?“, fragte Julia und klatschte ihrer Tochter den Kartoffelbrei auf den Teller. Etwas von der heißen Masse spritzte auf den Tisch und auf Johannas T-Shirt. „Tschuldigung“, nuschelte die Köchin mit den roten Augen und griff nach der Pfanne mit den Bratwürsten. Johanna hob eine Augenbraue, als ihre Mutter keinerlei Anstalten machte, die Breispritzer vom Tisch zu entfernen. Stumm nahm sie selbst das feuchte Spültuch in die Hand und beseitigte die Kartoffelspuren. Auch als Julia die heiße Pfanne auf den Untersetzer knallte, sagte sie nichts, sondern zog nur hörbar die Luft ein. Dann wühlte ihre Mutter in der Küchenschublade.
„Wo steckt denn diese dämliche Würstchenzange?“, schimpfte sie vor sich hin.
Endlich begriff Johanna: Natürlich, das war die Erklärung! Erleichtert atmete sie aus. Mama ist nur wütend, dachte sie.
„Ha, hab ich dich“, triumphierte Julia und riss die ungehorsame Zange an sich. Sie stieß die Schublade zu, dass es rumste. Allerdings ist sie sehr wütend. Ein zerquetschtes Würstchen landete unsanft auf Johannas Teller. Außerordentlich wütend.
„So“, stieß die Köchin hervor und zerrte ihren Stuhl vom Tisch, um auch Platz zu nehmen. Das Quietschen der Stuhlbeine, die über den Küchenboden schrappten, schien ihr zu gefallen, dabei achtete sie sonst immer darauf, dass man den Stuhl anhob. Ratlos sah Johanna ihre Mutter an. Zwei kampflustige
Augen funkelten zurück. Oh Mann, so wütend hatte sie Mama noch nie erlebt!
„Hab ich etwas falsch gemacht?“, fragte sie vorsichtig.
„Nein, du nicht. Iss!“, befahl ihre Mutter.
Johanna senkte den Blick und versuchte, ihre wirbelnden Gedanken zu einer Art Dankgebet zusammenzukehren. Dann hob sie mechanisch ihre Gabel und stocherte im Gemüse herum. Was war nur los? Auf wen war Mama denn so wütend? Ihr Gehirn kreiste mit so viel Energie um diese Frage, dass für die Geschmacksnerven keine Impulse mehr übrig blieben. Johanna kaute zwar, schmeckte aber nicht, was sie aß. Sie hätte auch an einem Stück Gummi lutschen können. Nach einigen stummen Minuten, die sich in die Länge zogen wie die Wurstpelle, an der Johanna herumsäbelte, stöhnte ihre Mutter auf. Langsam und plötzlich behutsam legte Julia Messer und Gabel auf den Tellerrand. Dann berührte sie vorsichtig die Hand ihrer Tochter.
„Hey, es tut mir leid, Süße!“
Johannas Schultern sanken herab. Sie entspannte sich etwas und saugte langsam den Kartoffelbrei von ihrer Gabel.
„Was ist denn los, Mama?“, fragte sie leise.
„Ach, ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist.“
Seufzend griff Julia wieder nach ihrem Besteck. Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schob sich eine aufgespießte Wurstscheibe in den Mund. Heftiger als nötig kaute sie darauf herum. Wie sollte sie das ihrer vierzehnjährigen Tochter auch erklären? Dass sie sich mehr erhofft hatte? Dass sie gedacht hatte, sie und Simon Isken, ihr netter und hilfsbereiter Nachbar, könnten mehr als nur Freunde werden? Dass sie in Simons Gegenwart endlich wieder glücklich war? Nein, das konnte sie Johanna nicht erzählen. Wie sollte sie ihr erklären, wie verletzt sie war, dass


er sie auf einmal zurückgewiesen hatte? Dass sie es nicht fassen konnte, dass er sie mit einer Kuh verglich! Das ging zu weit. Das war nichts für Kinderohren. Das mussten die Erwachsenen unter sich klären.
„Wer hat dich mit einer Kuh verglichen?“, fragte Johanna. Julia starrte ihre Tochter erschrocken an. Hatte sie etwa laut gesprochen?
„Äh, niemand, ich habe nur laut gedacht“, behauptete sie.
„Klar.“ Johanna hatte nicht vor, sich mit der Antwort zufriedenzugeben. „Du kannst mir ruhig sagen, worum es geht. Ich bin kein Baby mehr.“
Julia riss die Augen auf und sah ihre Tochter an, als sähe sie sie zum ersten Mal. Du meine Güte, das Kind ist schneller in die Höhe geschossen als der märchenhafte Stängel der Zauberbohne, dachte sie.
„Nein, mein Schatz. Das bist du wirklich nicht mehr“, gab sie zu.
Schon seit ihrer Geburt war Johanna leidenschaftlich neugierig. Wenn Simon plötzlich wegblieb, würde sie nach ihm fragen. Also konnte sie genauso gut gleich mit der Neuigkeit herausrücken. Aber ihre Tochter würde nur eine gekürzte Version der Ereignisse zu hören bekommen, eine kindgerechte. Entschuldigung – eine teenagergerechte.
„Also gut, ich glaube, ich bin wütend auf Simon“, erklärte Julia.
Johanna schmunzelte.
„Mama, du bist nicht wütend, du magst ihn nur!“
Wann war ihr Baby erwachsen geworden? Julia merkte, wie ihr Gesicht heiß wurde.
„Ist das so offensichtlich?“, fragte sie.
„Ja, das sieht ein Blinder – wie Opa immer sagt!“
„Ach, du meine Güte!“ Julia versteckte ihr rotes Gesicht hinter den Händen. Dann spreizte sie zwei Finger und blinzelte hindurch. „Wie peinlich“, stöhnte sie.
„Quatsch! Das muss dir doch nicht peinlich sein. Ich mag ihn auch“, gab Johanna leise zu, „sehr sogar.“
„Das ist ja das Schlimme.“
Frau Müller nahm die Hände vom Gesicht. „Er sagt, ich soll mir keine Hoffnung machen. Es hätte ... es täte ihm leid, dass ... äh, dass er nicht b... besser aufgepasst hätte, aber ... es hä... hätte keinen Sinn ... mit ... mit uns“, stotterte sie und sah ihre Tochter nicken. „Sag bloß, du verstehst das?“
„Ja, ich glaube schon“, sagte Johanna nachdenklich.
„Auch, warum er mich nicht mehr mag?“
Johanna lachte.
„Quatsch“, sagte sie noch einmal. „Natürlich mag er dich auch.“
Julia war sprachlos. Wie konnte sich das Kind da so sicher sein?
„Aber was meintest du mit der Kuh?“, hakte ihre Tochter noch einmal nach.
„Na ja, das hat er nicht direkt gesagt“, gab Julia zögernd zu und kratzte sich verlegen am Kopf. „Aber er hat gemeint, da ich seinen Glauben nicht teile, wäre eine ... ähm ... eine Beziehung mit mir so etwas wie ein ungleiches Joch.“ Julia seufzte leise. Johanna runzelte die Stirn.
„Was ist denn ein Joch?“
„Ein Joch ist ein Holzstück, das zwei Tiere – meistens Rinder –verbindet, die gemeinsam einen Pflug aus Holz oder Eisen ziehen. Früher, als es noch keine Traktoren gab, hat man auf diese Weise


Furchen in die Erde gezogen, in die dann die Kartoffeln oder Körner kamen. Heute ist das in ärmeren Ländern noch so“, erklärte Julia, als hätte sie es eben erst im Lexikon nachgelesen.
Bei der Vorstellung, Simon und ihre Mutter würden aneinandergekettet über einen Acker laufen und einen Eisenpflug hinter sich herziehen, prustete Johanna auf einmal laut los. Julia sah ihrer Tochter an, was sie dachte, und schmunzelte zum ersten Mal an diesem Tag. Entschlossen schob sie sich erst eine Portion Kartoffelbrei und dann eine Scheibe Bratwurst in den Mund.
„Na ja, und deschwegen kam isch auf die Kuh“, schloss sie schmatzend.
Johanna reagierte nicht. Sie hatte ihr Handy aus der Hosentasche gezogen, tippte und sah konzentriert auf das Display. Julia verzog den Mund, während sie einige Erbsen auf ihrer Gabel in Richtung Mund balancierte.
„Johanna? Was haben wir abgemacht?“, rügte sie, bekam jedoch keine Antwort. „Johanna?! Die Handynutzung während der Mahlzeiten ist nicht nur unhöflich, sondern auch ungesund“, mahnte sie mit ihrer Krankenschwesterstimme.
Die Gabel wackelte. Einige Erbsen verloren das Gleichgewicht und kullerten über den Tisch. Johanna guckte gehorsam hoch, aber sie konnte das Handy auch unter der Tischplatte blitzschnell bedienen, was ihre Mutter sehr wohl wusste. Julia versuchte, die Erbsen wieder einzufangen. Dann sah sie zu Johanna, die auf das Handy auf ihrem Schoß starrte, und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen wie zwei Gewitterwolken. Doch ihre Tochter kam einer weiteren Ermahnung zuvor.
„Mama, ich glaube, ich weiß, was Simon meint. Tiere, die in einem Joch gehen, ziehen über eine einzige Deichsel dasselbe Gewicht oder einen Wagen hinter sich her.“
„Hast du das jetzt eben so schnell nachgelesen?“, meinte Julia wider Willen beeindruckt.
„Nicht alles gelesen, aber es gibt auch Bilder“, antwortete Johanna grinsend. „Da sieht man es sofort. Also, wenn zwei Tiere so eine Last ziehen, dann ist es wichtig, dass beide dasselbe Ziel haben und dasselbe Tempo, sonst funktioniert es nicht“, folgerte sie. „Sonst kommen sie entweder nicht vom Fleck oder laufen kreuz und quer. Ist doch logisch!“
Ihre Mutter guckte nachdenklich. Sie atmete tief ein und aus und nahm einen Schluck Wasser.
„Ja, du hast wahrscheinlich recht“, sagte sie. „Früher oder später führt es zu Ärger, wenn jeder in eine andere Richtung will. Irgendwie habe ich das ohnehin geahnt.“ Sie kniff den Mund zusammen und schwieg. Doch dann haute sie plötzlich mit der Hand auf den Tisch und schlug eine übersehene Erbse zu Brei. Johanna zuckte erschrocken zusammen. „Das entschuldigt aber nicht, dass er das nicht gleich gesagt hat! Das hätte er wirklich eher wissen können, wenn er seine heilige Bibel so gut kennt“, schimpfte sie schon wieder wütend. Johanna guckte betroffen. „Entschuldige“, sagte ihre Mutter diesmal sofort. „Du kannst nichts dafür, und es ist auch nicht dein Problem. Tut mir leid.“
Sie leckte sorgfältig die Erbsenreste von ihrer Hand, als gäbe es nichts Wichtigeres auf dieser Welt. Dann widmete sich Julia konzentriert dem Essen und wechselte ohne Vorwarnung das Thema.
„Wie war es in der Schule?“
Johanna antwortete nicht sofort. Glaubte Mama wirklich, dass das nur ihr Problem war?!

