1. Der Zenit ist uberschritten
Es lässt sich nicht leugnen: Mit 76 Jahren habe ich eindeutig meinen Zenit überschritten und bin schon lange in der zweiten Hälfte (eigentlich im letzten Viertel) meines Lebens angekommen. Deshalb nehme ich mir auch das Recht heraus, einen Augenblick stillzustehen und zurückzuschauen; und ich behaupte, zu den Themen „Zenit“ und „Lebensmitte“ aus eigener Erfahrung einiges sagen zu können.
Allerdings muss ich vorsichtig sein: Ich darf nicht meine eigenen Erlebnisse und Gefühle zum Maßstab für alle machen.
Eine Vorbemerkung ist mir daher sehr wichtig:
Jeder Mensch ist ein einzigartiges, individuelles Exemplar aus der Schöpfungswerkstatt Gottes, und genauso individuell und einmalig erlebt jeder seine eigenen Lebensphasen.
Trotzdem gibt es gewisse Phänomene, die bei fast allen Menschen in ähnlicher Form zu beobachten sind. Die Lebensuhr tickt schließlich für jeden von uns gleich schnell – wir empfinden es nur unterschiedlich.
Zunächst müssen wir klären, was in diesem Zusammenhang der „Zenit des Lebens“ ist. Der Begriff Zenit kommt ursprünglich aus dem Arabischen und bezeichnet den Scheitelpunkt (höchsten Punkt) des Himmelsgewölbes; im übertragenen Sinn ist es also die Lebensphase mit der größten Schaffenskraft, den meisten
Erfolgen, der höchsten Leistungsfähigkeit. Ob damit auch ein Höhepunkt des Lebens erreicht ist, mag dahingestellt bleiben. Und dieser Zeitpunkt ist bei jedem Menschen – je nach Tätigkeit – sehr unterschiedlich: Der Fußballprofi hat seinen „Zenit“ im Allgemeinen zwischen 25 und 30 Jahren, der Geisteswissenschaftler oft erst mit 60 oder 70. Wenn man nun rein biologische Alterungsprozesse betrachtet, dann landen wir für die meisten Menschen bei einem Lebensalter zwischen 40 und 50 Jahren. Um diese Zeit herum beginnt im Allgemeinen die sogenannte zweite Lebenshälfte, und darum geht es in diesem Buch.
Eine weitere Vorbemerkung: Den Zenit des Lebens spürt man nicht! Da gibt es keine rote LED und keinen Klingelton, der den Gipfelpunkt meines Lebens einläutet. Ich merke erst viel später, oft zehn, manchmal erst 15 Jahre danach, dass irgendwann in der Vergangenheit die Leistungskurve einen Knick nach unten bekommen hat. Wenn ich mich also auf die zweite Lebenshälfte einstellen und dafür vorbeugen will, muss ich schon mal in den Kalender schauen oder mich von meinen Enkeln oder anderen sympathischen Menschen nach meinem Alter fragen lassen. Dann wird mir vielleicht bewusst, wo der Zeiger meiner Lebensuhr steht. Diesen Fehler habe ich nämlich selbst gemacht, habe nicht danach gefragt und mit Volldampf weitergearbeitet, bis mein himmlischer Vater nach meinem 60. Geburtstag die Notbremse gezogen und mich für einige Zeit ins Abseits gestellt hat. Als mir vor einigen Jahren meine alten, „analogen“ Terminkalender in die Hände fielen, sagte ich voll Erstaunen zu meiner lieben Frau: „Ich weiß gar nicht, wie ich das damals alles geschafft habe!“ Die Antwort meiner Frau war: „Ich habe dir ja schon immer gesagt, du machst zu viel!“ Ich fürchte, sie hatte recht. Meinen Zenit hatte ich unbemerkt überschritten.
Immer schneller
In meiner Jugend wurde oft das 120 Jahre alte Lied gesungen: „Es eilt die Zeit, die Stunden flieh’n, und niemand hält sie auf. Auch deine Jahre geh’n dahin, wie schneller Wogen Lauf.“ Dieser Text ist mir in den letzten zehn Jahren mehrmals eingefallen, weil ich zusammen mit meinen Altersgenossen immer stärker dieses allgemein bekannte Phänomen gespürt habe, dass die Zeit schneller und schneller rast. Die ablaufende Zeit scheint ein recht eigenwilliges Gebilde zu sein. Wenn ich meine Armbanduhr betrachte, läuft der Sekundenzeiger offenbar immer mit derselben Geschwindigkeit. Das hat mir auch der Uhrmacher bestätigt, und der muss es schließlich wissen. Aber meine Gefühle rebellieren jedes Jahr mehr dagegen. Es gibt zwar Augenblicke, wie z. B. im Behandlungsstuhl des Zahnarztes, da scheint der Zeiger aufreizend langsam zu schleichen (als wolle er mich provozieren). Aber ansonsten jagen die Wochen von Jahr zu Jahr schneller voran. Und in den schönen Stunden, im Freundeskreis oder bei einem spannenden Buch, da wird das Gaspedal der Zeit meist bis zum Anschlag durchgedrückt.
Wir müssen uns also darauf einstellen, dass in der zweiten Lebenshälfte alles noch schneller vergeht als im Alter von 20 oder 30 Jahren. Dafür scheint es unterschiedliche Gründe zu geben. Meine Theorie: Wir empfinden die Zeitspanne jedes ablaufenden Jahres auf dem Hintergrund der bisherigen bewusst erlebten Jahre; für einen 25-Jährigen bedeutet ein Jahr noch ein Zwanzigstel seiner bisherigen bewussten Lebenszeit, für einen 55-Jährigen aber nur noch ein Fünfzigstel, was natürlich erheblich weniger ist; seine Zeit vergeht also mindestens doppelt so schnell.
Außerdem spielt es offensichtlich eine Rolle, wie viel Neues wir zu verarbeiten haben: Mit 25 Jahren gibt es viel mehr Neues (z. B. im Beruf) als mit 55 Jahren – und dadurch erscheint die ablaufende Zeitspanne im Alter deutlich kürzer. Aber alle Theorien helfen mir nicht weiter: Ich muss mich darauf einstellen, dass ich jenseits meines Zenits schneller am Lebensende angekommen bin, als ich mir vorgestellt habe. Vor über 2000 Jahren hat der römische Dichter Horaz angesichts der eilenden Zeit den Menschen geraten: „Carpe diem!“ – das heißt: „Nutze den Tag!“ oder „Genieße den Tag!“ Leider hatte er damals wahrscheinlich keine Gelegenheit, die jüdischen Schriften zu studieren. Sonst hätte er nämlich bei dem Propheten Amos nachlesen können: „Mach dich bereit, deinem Gott zu begegnen!“ (Am 4,12b). Das ist zweifellos die viel wichtigere Aktion in meinem Leben, als nur den Tag zu genießen. Wenn ich die Frage meiner Gottesbeziehung geklärt habe, dann kann ich mich getrost den übrigen Herausforderungen der zweiten Lebenshälfte stellen, jeden Tag mit gut genutzten Augenblicken füllen und vieles genießen, was mir mein Vater im Himmel schenkt.
Alterungsprozesse
Trotzdem werde ich Jahr für Jahr älter, das ist „so sicher wie das Amen in der Kirche“. Genau genommen fängt das Altern schon bei der Geburt an. Aber warum ist das so? Was spielt sich da in meinem Inneren ab? Rein äußerlich ist es im Laufe der Jahre deutlich erkennbar: Die Haare ergrauen oder fallen aus, die Haut wird runzelig und fleckig, der Rücken krumm, die Kraft lässt nach. Da helfen auch kosmetische Operationen, kiloweise
Make-up oder Powerdrinks für Senioren nicht viel. Trotzdem haben Menschen von alters her den Traum des langen oder sogar ewigen Lebens auf der Erde gehabt. Schon zur Zeit von Alexander dem Großen (ca. 300 v. Chr.) gab es das Gerücht eines Jungbrunnens, in dem man baden oder aus dem man trinken konnte, um wieder jung und frisch zu werden. Vom Altertum über das Mittelalter bis heute hat sich diese Illusion erhalten; passende Produkte mit dem Namen „Jungbrunnen“ sind auch heutzutage noch überall im Internet erhältlich. Sie helfen wirklich, aber in erster Linie dem Hersteller. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Trotz teuerster Mittel und größter Anstrengungen ist irgendwann der letzte Tag des Lebens gekommen. Das gilt für alle Geschöpfe auf der Welt.
Jede Tierart hat ihr genetisch festgelegtes Höchstalter. Hunde und Katzen können zwölf bis 15 Jahre alt werden, Riesenschildkröten über 200, der Grönlandhai sogar 400 und die Islandmuschel angeblich 500 Jahre. Für den Menschen haben verschiedene Forschergruppen festgestellt, dass er maximal 120 bis 130 Jahre alt werden kann. Die Wissenschaftler hätten sich eigentlich ihre aufwendigen Untersuchungen sparen können, wenn sie mal in der Bibel nachgesehen hätten. Unmittelbar nach der Schöpfung erreichten die Menschen nämlich eine unglaubliche Zahl an Lebensjahren: Bis zu 969 waren es bei einem sprichwörtlichen Herrn namens Methusalem. Aber später, als die Menschen immer aufsässiger und unvernünftiger wurden, kam die Sintflut, und danach war Schluss mit dem hohen Alter, und zwar weil Gott es so bestimmt hatte. „Da sprach der Herr: ‚Die Menschen sollen von nun an nicht mehr so lange leben, denn sie sind sündig. In Zukunft sollen sie nicht länger als 120 Jahre leben‘ “ (1Mo 6,3; NLB). Möglicherweise hat der Schöpfer
kurzerhand die genetischen Strukturen des Menschen verändert. So wurde das Lebensalter deutlich reduziert: Noah lebte noch insgesamt 950 Jahre, Abraham nur 175 und Mose 120 Jahre. Die späteren Könige in Israel und Juda brachten es lediglich auf 50 bis 60 Jahre oder weniger (z. B. wenn man sie nach damaliger Sitte einfach umbrachte, falls sie versagten oder unbeliebt waren).
Heutzutage sucht die Wissenschaft nach Möglichkeiten und Mitteln, die das Altern aufhalten können. Dazu gehen Forscher zunächst der oben erwähnten Frage nach, warum oder wodurch wir älter werden. Offensichtlich gibt es dafür mehrere Ursachen:
• Da ist einmal die Lebensweise: Nikotin, Stress, viel Fett und Zucker lassen die Blutgefäße und damit auch die inneren Organe altern; UV-Strahlen (Sonne) und Zigaretten machen die Haut runzelig und spröde.
• Außerdem spielt die Erbanlage eine Rolle; meine Gene, die ich von Vater und Mutter geerbt habe, regulieren meinen Stoffwechsel und ebenso die Alterung meiner Zellen. So gibt es Familien mit mehreren 100-Jährigen, während in anderen Familien die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich kürzer ist.
• Auch der Hormonhaushalt hat einen Einfluss. Ein hoher Testosteron-Spiegel verkürzt das Leben; vielleicht sterben Männer deshalb statistisch gesehen etwas früher als Frauen.
An meinen Genen und an meinem Hormonhaushalt kann ich nichts ändern, aber meine Lebensweise kann ich durchaus beeinflussen: gesunde und abwechslungsreiche Ernährung, Verzicht
auf Genussgifte wie Nikotin, ausreichend Bewegung und vor allem geordnete Beziehungen zu Gott und den Menschen – das sind die Möglichkeiten, die ich selbst in der Hand habe, um ein möglichst langes, gesundes Leben zu führen. Das sagen sogar Wissenschaftler, die nicht an Gott glauben. Alles Weitere liegt in der Zuständigkeit meines Schöpfers.
Meine Herausforderungen
Ich besitze keine biblische Zusage, dass mein Leben als Christ auf Rosen gebettet ist; manchmal sind mehr Dornen als Rosen im Spiel. Und die können in jeder Lebensphase auftauchen. Mein himmlischer Vater prüft meinen Glauben. Der Übergang in die zweite Lebenshälfte bietet besonders viele Herausforderungen, die ich manchmal gar nicht bewusst registriere, weil ich so beschäftigt bin. Da ist in erster Linie der Beruf, der im Allgemeinen den allergrößten Teil der Zeit, der Energie und der Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, oft sehr zum Leidwesen des Ehepartners. Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen. Auch die Hausfrau und Mutter von vier oder fünf Kindern wird von ihren vielfältigen Aufgaben vollkommen in Anspruch genommen, und zwar sieben Tage in der Woche (sie hat übrigens den wichtigsten Beruf der Welt, weil durch sie die nächste Generation entscheidend geprägt wird!). Nahezu jeder ist im Laufe der Jahre so stark eingebunden in seine Tätigkeit, dass er sich wie in einem Hamsterrad mit Endlosschleife fühlt. Und plötzlich (oder auch allmählich) läuft dieses Rad nicht mehr richtig rund: Es quietscht, schlingert und bleibt manchmal ganz stehen. Der Lebensrhythmus gerät aus den Fugen: Ich komme
mit dem neuen Computerprogramm nicht zurecht, die Umstrukturierung im Betrieb stellt mich vor ungewohnte Aufgaben, der Personalchef redet von betriebsbedingten Kündigungen –das alles kann mich aus der Bahn werfen, weil mir einfach die Kraft fehlt, mich auf etwas Neues einzulassen.
Gleichzeitig gibt es Probleme in der Familie: Die jüngste Tochter sucht vergeblich einen Studienplatz, der Sohn will die Schule abbrechen, unsere Älteste erwartet ihr erstes Kind, und der Schwiegervater wird nach einem Schlaganfall pflegebedürftig usw. Wie soll ich das alles nur bewältigen? Muss ich mich eigentlich um alles kümmern?
Mein Ehepartner schafft es auch nicht mehr. Überhaupt haben wir uns bei dem übervollen Terminkalender etwas auseinandergelebt. Jeder konzentriert sich eben vollkommen auf seine eigenen Aufgaben. Für romantische Abende bleibt schon lange keine Zeit mehr. Wenn ich etwas genauer in mich hineinhorche, ist von der romantischen Liebe der ersten Ehejahre nichts mehr übrig geblieben – eigentlich sehr schade! Jetzt verstehe ich auch, warum die meisten Ehen im Alter von 45 bis 50 Jahren geschieden werden. Na ja, so weit wird es bei uns hoffentlich nicht kommen ... Und wenn ich meinen gleichaltrigen Nachbarn sehe, der vor zwei Jahren seine Frau durch eine Krebserkrankung verloren hat, dann möchte ich mit ihm und seiner Einsamkeit auch nicht tauschen. Single zu sein im Alter, das ist wirklich nicht einfach!
Die Ehrenämter im Verein und in der christlichen Gemeinde nehmen mich immer stärker in Anspruch. Alle möchten von meinen Fähigkeiten und Erfahrungen profitieren, und für mich ist es eine Sache der Ehre. Trotz der vielen Arbeit machen mir diese Aufgaben Freude. Ich bekomme Lob und Anerkennung! So schnell gebe ich nicht auf, ich kämpfe weiter; schließlich geht es
hier um den Auftrag Gottes. Und nebenbei verlangt mein Körper nach sportlichem Ausgleich und Zeiten der Entspannung. Da kommt leider das persönliche Glaubensleben mit Gebet und Bibelstudium oft genug zu kurz. Na ja, in der Bibel kenne ich mich ganz gut aus, besser als mancher Jüngere; aber geistlich gesehen kann man nicht nur vom Eingemachten leben.
Zu allem Überfluss machen sich jetzt trotz regelmäßigem Joggen auch noch Herzbeschwerden bemerkbar und erinnern mich daran, dass mein Vater mit 52 seinen ersten Herzinfarkt hatte. Plötzlich werde ich mit einem bisher unbekannten Gedanken konfrontiert: Irgendwann geht mein Leben auf der Erde zu Ende, und jeder Tag bringt mich diesem Zeitpunkt einen Schritt näher! Fragen tauchen auf: Wie wird wohl die letzte Wegstrecke für mich aussehen? Was hat mein Vater im Himmel mit mir vor? Kann ich mich darauf vorbereiten? Was ist jetzt wichtig? Sollte ich schon mal etwas für meine Beerdigung vorbereiten? Das ist einer dieser Momente, in denen ich mich trotz aller Sorgen an die Chance erinnere, meinen nächsten Lebensabschnitt aktiv zu gestalten. Gerade weil die Mitte des Lebens eine krisenanfällige Zeit ist, sollte ich mit Gottes Hilfe versuchen, den kritischen Punkten früh genug zu begegnen.
Was sagt die Bibel?
Auch die Menschen der Bibel haben da oft versagt, mit ganz unterschiedlichen Turbulenzen im Alter. Und wenn es einigen trotz der Probleme gelungen ist, ihre zweite Lebenshälfte optimal zu gestalten, dann war es immer die besondere Gnade Gottes. Hier sind ein paar Beispiele:
Noah wurde (wie oben erwähnt) 950 Jahre alt, unter heutigen Verhältnissen unvorstellbar. In seine zweite Lebenshälfte fiel der Auftrag zum Bau der Arche, dann kam die Sintflut und danach der Bund Gottes mit ihm und dem Rest der Menschheit. Seine Altersweisheit verhinderte allerdings nicht, dass Noah – wahrscheinlich unbewusst – zuletzt noch eine große Dummheit beging: Er pflanzte sich Weinberge und genoss eine recht hohe Dosis von dem köstlichen Getränk, sodass er betrunken und nicht mehr ansprechbar in seinem Zelt lag. Ein Sohn machte sich über ihn lustig; die beiden anderen versuchten, den Schaden zu begrenzen. Und das Ganze endete mit einem generationsübergreifenden Fluch, der noch heute die Feindschaft unter den Volksgruppen im Vorderen Orient begründet.
Abraham hatte die Höhepunkte seines Lebens ausschließlich in der zweiten Hälfte: Mit 75 Jahren wanderte er in das gelobte Land Kanaan aus, erst danach erhielt er von Gott mehrfach Verheißungen und Segen; und als er 100 war, wurde sein Sohn Isaak geboren. Mit 160 konnte er sich über die ersten Enkel Esau und Jakob freuen. Gottes Zusagen (Nachkommen so zahlreich wie die Sterne am Himmel) hinderten ihn aber nach dem Tod seiner Frau Sara nicht daran, im Alter von etwa 145 Jahren noch einmal zu heiraten und Söhne zu zeugen. Die Konkurrenz unter den Kindern war trotz Abrahams Vorsichtsmaßnahmen vorprogrammiert. Kein Wunder, dass es später unter seinen Nachkommen Krieg zwischen den Völkern gab (z. B. zwischen Israel und Midian).
Dagegen erlebte etwa 700 Jahre später die Jüdin Noomi Gottes ganz besonderen Segen in ihrer zweiten Lebenshälfte. Nachdem
sie in jungen Jahren wegen einer Hungersnot in das Land Moab geflüchtet war und dann noch ihren Ehemann und die beiden Söhne verloren hatte, schenkte ihr später die treue Schwiegertochter Rut nach der Rückkehr in die Heimat den ersehnten Enkel, der ihr Leben bereicherte und sie wieder zu einer glücklichen Großmutter machte. Zu ihren Nachkommen gehörten König David und unser HERR Jesus Christus.
Der berühmte König Salomo hatte zwar von Gott gewaltigen Reichtum und sprichwörtliche Weisheit erhalten, aber die ganze Klugheit bewahrte ihn im Alter nicht vor sehr schlimmen Fehlentscheidungen: 700 vornehme Frauen, viele aus dem Ausland, und 300 Nebenfrauen füllten seinen Harem (wie kann man nur so vielen Frauen gerecht werden?); an ihnen hing er mit Liebe, wie die Bibel berichtet (1Kö 11,2) – aber rein menschlich gesehen ist es unmöglich, so viele Frauen mit Namen zu kennen und wahrhaft zu lieben. Sie waren für ihn offensichtlich – wie damals bei den Herrschern üblich – hauptsächlich PrestigeObjekte. Damit nicht genug, er ließ sich von ihnen leider auch zum Götzendienst verführen, eine Katastrophe für ihn und das ganze Volk Israel.
Meine Chancen
Wenn selbst berühmte und begabte Männer Gottes in ihrer zweiten Lebenshälfte versagt haben, gibt es dann für mich kleinen Menschen heute noch eine Chance, wenn meine Kräfte so langsam nachlassen und ich mein Alter spüre? Ist da nicht die Niederlage des Glaubens vorprogrammiert? Wie kann ich
mich vor solchen folgenschweren Dummheiten (wie bei Noah, Abraham und Salomo) schützen? Kann ich mich überhaupt selbst bewahren? Wenn ich die vielen Fehler, Sünden und Unvollkommenheiten betrachte, die mein bisheriges Leben geprägt haben, dann sehe ich wirklich schwarz für meinen bevorstehenden Lebensabend. Ein kleiner Hoffnungsschimmer kommt – wie immer – aus Gottes Wort. Einer der Psalmdichter kann mich mit seiner Zuversicht anstecken:
Gott, von frühester Kindheit an warst du mein Lehrer, und ich habe den anderen Menschen stets von deinen herrlichen Taten erzählt. Nun, da ich alt und grau bin, verlass mich nicht, o Gott. Lass mich von deiner Macht auch der kommenden Generation noch erzählen und von deiner Kraft allen, die nach mir kommen. ... Not und Leid hast du zwar zugelassen, doch du wirst mir das Leben neu schenken und mich auch aus der dunkelsten Tiefe wieder heraufholen. (Ps 71,17-18.20; NLB)
Diese Worte halten mir mehrere Tatsachen und Chancen deutlich vor Augen:
• Es ist hilfreich, wenn ich von Jugend an die Beziehung zu meinem himmlischen Vater pflege.
• Wenn die Kräfte nachlassen, treten auch bei Christen Angst, Sorgen und Unsicherheiten auf.
• Genau das darf ich meinem Vater im Himmel ungeschminkt sagen.
• Gott lässt im Leben seiner Kinder auch Not und Leid zu.
• Aber er gibt mir das Versprechen, mich aus dunklen Tälern wieder nach oben zu bringen.
• Mein Wunsch sollte es sein, meinen Nachkommen etwas von Gottes Größe weiterzugeben.
• Ich brauche also trotz früherer Niederlagen und neuer Herausforderungen auch in der zweiten Hälfte meines Lebens nicht mutlos zu werden.
Im Grunde genommen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, den letzten Lebensabschnitt aktiv zu gestalten:
• So kann ich auch mit grauen Haaren viel zur Verbesserung meiner Ehe beitragen, z. B. unter dem Motto „Gute Ehen besser machen“.
• Ich habe jetzt auch mehr Zeit, die Verbindung zu meinen Freunden und Verwandten aufrechtzuhalten; das bereichert mein Dasein!
• Meine Lebenserfahrung und meine berufliche Kompetenz kann ich ehrenamtlich in vielen Bereichen nutzbringend einsetzen.
• Und endlich gibt mir mein Tagesablauf auch die Möglichkeit, mehr für die Gesundheit und die körperliche Fitness zu tun.