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Rebecca McLaughlin

Wie Frauen Jesus sahen

Wie die ersten Jüngerinnen uns helfen, den Herrn kennen und lieben zu lernen

1. Auflage 2024

ISBN 978-3-9825009-2-8 ( cvmd )

ISBN 978-3-86353-860-6 ( CV )

Alle Rechte vorbehalten

© 2024 Christlicher Veranstaltungs- und Mediendienst, Neuried b. München

Originaltitel : Jesus through the Eyes of Women: How the First Female Disciples Help Us Know and Love the Lord

© Rebecca McLaughlin, 2022

Original erschienen bei : The Gospel Coalition

P.O. Box 170346

Austin, Texas 78717 ( USA )

All rights reserved.

Übersetzung : Isabel Hess

Lektorat : Robert Booker

Gesamtgestaltung : Velimir Milenković, cvmd

Gesetzt aus : FF Tisa Pro und Baskerville Neo

Druck : ARKA, Cieszyn ( Polen )

Printed in the EU 2024

Folgende Bibelübersetzung wurde verwendet : bibel.heute, Neue evangelistische Übersetzung

© 2010 Karl-Heinz Vanheiden und Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg ( NeÜ )

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung 7

Prophetie 21

Jüngerschaft 43

Speise 63

Heilung 83

Vergebung 101

Leben 119

Zusammenfassung :

Die Evangelien der Marias 139

Danksagungen 145

Für Grace, die Jesus bald sehen wird

EINLEITUNG

1896 verkaufte ein Handschriftenhändler auf einem Kairoer Antiquitätenmarkt einen antiken Papyrus. Der Käufer war ein deutscher Wissenschaftler namens Carl Reinhardt. Der Händler erzählte Reinhardt, ein Bauer habe die Handschrift in einer Mauernische entdeckt. Nur leider ist es zweifelhaft, ob diese rührselige Erzählung wahr ist. Der Papyrus stammt aus dem fünften Jahrhundert und war so gut erhalten, dass er unmöglich 1500 Jahre im Freien gelegen hat. Als Reinhardt das Manuskript untersuchte, fiel ihm auf, dass es vier bisher unbekannte antike Texte enthielt, darunter Teile einer Abschrift von einem Buch, das heute als das Evangelium der Maria bekannt ist.

Seitdem wurden zwei weitere Fragmente dieses Marienevangeliums gefunden, und Experten sind der Ansicht, dass es ursprünglich im zweiten Jahrhundert verfasst wurde. In jeder der Abschriften fehlen wesentliche Textabschnitte. Doch der Rest handelt von einer Begegnung zwischen Jesus und seinen Jüngern nach seiner Auferstehung. Eine Jüngerin, Maria, hat von Jesus eine besondere Offenbarung empfangen. Doch als Maria das mitteilt, was Jesus ihr gezeigt hat, bezichtigt Petrus sie einer Lüge. Er glaubt nicht, dass Jesus einer Frau diese Offenbarung zuteilwerden lassen hat. Auf diese Beschuldigung hin weint Maria.

Marias Erfahrung klingt in den Geschichten unzähliger Frauen der letzten 2000 Jahre nach, die von ihren Brüdern in Christus abgewertet und nicht ernst genommen wurden. Manche meinen sogar, das

Christentum sei zutiefst frauenfeindlich – es mache Frauen mundtot, schiebe sie beiseite und trete sie mit Füßen. In meiner Zeit am Mädchen-Gymnasium, das ich besuchte, und nachher an der Cambridge University habe ich viele Unterhaltungen mit Frauen und Männern geführt, die dachten, Frauenrechte und das Christentum stünden im Widerspruch zueinander – wenigstens jene Formen des Christentums, die sich auf die Bibel als ihre Wahrheitsquelle berufen. Heute lebe ich in Cambridge, Massachusetts. Doch die Ansicht der meisten Menschen in meinem Alter ist dieselbe : Der Kokon des Christentums muss abgelegt werden, damit der Schmetterling der Frauenrechte emporsteigen kann. Einige Wissenschaftler sind der Ansicht, das Marienevangelium und andere sogenannte gnostische Evangelien stellten für das Christentum ein Rettungsboot dar, wenn es um Frauen geht. Manche meinen sogar, dass frühe Gemeindeleiter eine frauenorientiertere Version des Christentums unterdrückt haben, die durch Texte wie das Marienevangelium erhalten geblieben ist. Aber in diesem Buch möchte ich Argumente dafür vorbringen, dass die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes aus dem ersten Jahrhundert alles andere als frauenfeindlich sind. Anstatt die Stimmen von Frauen leise zu drehen und ihr Leben herabzuwürdigen, verbinden sie uns mit dem Zeugnis der Frauen, die Jesus vor 2000 Jahren leibhaftig begegnet sind, und zeigen uns Jesus durch deren Brille als schöner, historisch korrekter und Frauen gegenüber wertschätzender, als ihn das Marienevangelium bieten könnte.

JESU WIRKUNG AUF FRAUEN

Die vier neutestamentlichen Evangelien erzählen viele Geschichten, in denen Jesus auf Frauen trifft. Arme Frauen und reiche Frauen. Kranke Frauen und trauernde Frauen. Alte Frauen und junge Mädchen. Jüdische Frauen und nicht jüdische Frauen. Für ihre Sünden berüchtigte Frauen und tugendhafte Frauen. Jungfrauen und Witwen. Prostituierte und Prophetinnen. Wenn wir durch ihre Augen auf Jesus schauen, sehen wir einen Mann, der die unterschiedlichsten Frauen wertschätzte – insbesondere die, auf die andere herabsahen. Die Art und Weise, wie Jesus Frauen behandelte, räumte mit der damaligen Vorstellung auf, dass Frauen Männern von Geburt aus unterlegen seien – eine Vor-

stellung, die in der Antike weitverbreitet war. Daher sollte es uns nicht überraschen, dass Frauen seitdem in Scharen zu Jesus kamen und noch heute kommen.

In seinen ersten Jahrhunderten war das Christentum für seine Attraktivität für Frauen und Sklaven bekannt. Der römische Statthalter Plinius der Jüngere schrieb im frühen zweiten Jahrhundert an den Kaiser Trajan und fragte ihn um Rat, wie er mit den Christen umgehen solle. Um mehr über diesen seltsamen neuen Glauben herauszufinden, der sich in seinem Herrschaftsgebiet ausbreitete, veranlasste er die Folter » zweier Sklavinnen, die Diakoninnen genannt wurden «. Diese Innenansicht der Gemeinde war repräsentativ für ihre Mitgliederstruktur. Während Frauen und Sklaven in der griechisch-römischen Kultur enteignet wurden, konnten sie in der Gemeinde bedeutende Leitungsrollen übernehmen, etwa wie die zwei Sklavinnen, die als Diakoninnen bezeichnet wurden. Als der griechische Philosoph Celsus, der im späten zweiten Jahrhundert lebte, scherzte, dass Christen » nur die Törichten, Ehrlosen und Dummen, nur Sklaven, Frauen und kleine Kinder überzeugen wollen und können «, zeichnete er zwar eine Karikatur, deren Basis allerdings in der Wirklichkeit lag.1 Sogar von den frühesten und zuverlässigsten Belegen über die Zusammensetzung der Gemeinde, die wir haben, bis hin zu den besten Daten heute spricht vieles dafür, dass Jesus für Frauen immer anziehender war als für Männer.

Aufzeichnungen einer nordafrikanischen Gemeinde, die während der Großen Verfolgung von 303 bis 313 n. Chr. überfallen wurde, dokumentieren die Beschlagnahme von überwiegend weiblicher Kleidung : 13 Paar Männerschuhe gegenüber 47 Paar Frauenschuhen ; 16 Männergewänder gegenüber 82 Frauengewändern sowie 38 Frauenkopfbedeckungen.2 Diese Kleidung war vermutlich für die Armen gedacht. Doch selbst unter wohlhabenden Christen waren Frauen anscheinend in der Überzahl gegenüber Männern. Aus der Zeit vor der Bekehrung des römischen Kaisers Konstantinus im Jahr 337 kennen wir die Namen von

1 Siehe Michael J. Kruger, Christianity at the Crossroads : How the Second Century Shaped the Future of the Church ( Downers Grove, IL : ivp Academic, 2018 ), 34–35.

2 Siehe Helen Rhee, Loving the Poor, Saving the Rich : Wealth, Poverty, and Early Christian Formation ( Grand Rapids, MI : Baker Academic, 2012 ), 154.

40 Christen aus der Senatorenschicht. Zwei Drittel davon sind Frauennamen.3 Warum also wurden Frauen vom Christentum so angezogen ?

In The Triumph of Christianity : How a Forbidden Religion Swept the World erklärt der Neutestamentler und Skeptiker Bart Ehrman, dass, auch wenn das Römische Reich extrem divers war, dessen Bewohner einige grundlegende Annahmen teilten. » Wenn es ein Wort gibt, das die gemeinsame soziale, politische und persönliche Ethik der Zeit umfassen könnte «, schreibt Ehrman, » dann ist es › Dominanz ‹. « Er fährt fort :

In einer Kultur der Dominanz erwartet man von den Mächtigen, dass sie ihren Willen gegenüber den Schwachen durchsetzen. Machthaber müssen über ihre Untertanen herrschen, Patrone über ihre Klienten, Herren über ihre Sklaven und Männer über ihre Frauen.4

Doch das Christentum stellte diese Vorstellung auf den Kopf. Wie Ehrman es formuliert :

Die Anführer der christlichen Gemeinde predigten eine Ethik der Liebe und des Dienens und hielten auch die Gemeindeglieder dazu an. Der eine war nicht wichtiger als der andere. Alle hatten vor Gott denselben Stand : Der Herr war nicht wichtiger als der Sklave, der Patron als der Klient, der Ehemann als die Ehefrau, der Starke als der Schwache oder der Gesunde als der Kranke.5

Diese ethische Umkehrung, die auf Jesu Worten und Taten beruhte, machte das Christentum vor allem für Frauen in der antiken Welt anziehend und bildete die Basis für die moderne Vorstellung, dass Frauen grundsätzlich Männern gleichgestellt sind. Das Christentum

3 Siehe Peter Lampe, From Paul to Valentinus : Christians at Rome in the First Two Centuries ( Minneapolis : Fortress Press, 2003 ), 119.

4 Bart Ehrman, The Triumph of Christianity : How a Forbidden Religion Swept the World ( New York : Simon & Schuster, 2018 ), 5.

5 Ehrman, Triumph of Christianity, 5–6.

stand Frauenrechten also nicht entgegen, es war deren erste und beste Grundlage.

In den letzten beiden Jahrtausenden wurde aus dem Christentum als dem Glauben einer kleinen Minderheit das verbreitetste sowie das ethnisch und kulturell diverseste Glaubenssystem der Welt. Und Jesu Anziehungswirkung auf Frauen ist ungeschmälert. Ein Bericht aus dem Jahr 2015 zeigte, dass weltweit 33,7 % der erwachsenen Frauen sich als Christen bezeichnen, aber nur 29,9 % der Männer. Und die Zahlen werden vermutlich weiter auseinandergehen. Die Gemeinde in China ist eine der am schnellsten wachsenden christlichen Bewegungen der Welt und wird in fünf Jahren voraussichtlich mehr Christen zählen als die USA – und darunter überproportional viele Frauen. Darüber hinaus ist die Wahrscheinlichkeit, dass christliche Frauen wöchentlich ihre Gemeinde besuchen6 und täglich beten,7 weltweit deutlich höher als bei Männern. Sie lesen auch mit höherer Wahrscheinlichkeit allein in der Bibel – selbst wenn es mit großer Anstrengung verbunden ist.8 Vor einigen Jahren erzählte mir eine chinesische Freundin, dass ihre Großmutter, die Analphabetin war, nachdem sie zum Glauben gefunden hatte, anfing, Leute in ihrem Häuserblock anzusprechen und sie zu bitten, ihr beim Lesen von nur ein paar Bibelversen zu helfen. Doch nützt ihr ganzes Zuströmen zum Christentum den Frauen überhaupt ? Oder ist Jesus eher wie ein schrecklicher Partner, den die Frauen einfach nicht verlassen können, selbst wenn es ihnen so schadet ?

Es ist für Frauen keineswegs schlecht, aktiv ihre Religion auszuüben ( was für die meisten im Westen den regelmäßigen Gemeindebesuch einschließt ). Vielmehr scheint es mit mehr Freude und einer

6 In einer Analyse von 53 Ländern fand man heraus, dass 53 % der Frauen, die sich selbst als Christinnen bezeichnen, sagten, dass sie mindestens einmal wöchentlich eine Gemeinde besuchen, von den Männern waren es nur 46 %. Siehe » The Gender Gap in Religion Around the World «, Pew Research Center, 22. März 2016, https ://www.pewforum.org/2016/03/22/womenmore-likely-than-men-to-affiliate-with-a-religion/.

7 In den 54 untersuchten Ländern geben 61 % der christlichen Frauen an, dass sie täglich beten, von den christlichen Männern geben dies 51 % an. Siehe » The Gender Gap in Religion Around the World «, https ://www.pewforum.org/2016/03/22/women-report-praying-daily-at-higher-rates-than-men/.

8 Die » State of the Bible Survey « von 2020, die von der American Bible Society beauftragt war, fand heraus, dass » Frauen sich mehr mit der Bibel beschäftigen als Männer «. Darin wird berichtet, dass mehr als die Hälfte der amerikanischen Frauen ( 52 % ) » der Bibel positiv gegenübersteht «, » sich mit der Bibel beschäftigt « oder » bibelorientiert « ist ; von den männlichen Amerikanern sind es 47 %.

besseren psychischen Gesundheit einherzugehen. Zum Beispiel fand man in einer großflächigen wissenschaftlichen und im Jahr 2016 veröffentlichten Studie der Harvard School of Public Health heraus, dass es bei US-Amerikanerinnen, die mindestens einmal pro Woche religiöse Veranstaltungen besuchen, fünfmal unwahrscheinlicher ist, dass sie Selbstmord begehen, als bei solchen, die das nie taten.9 Ebenso erkannte man in einer 2020 veröffentlichten Studie, dass es bei US-Amerikanerinnen, die wöchentlich religiöse Veranstaltungen besuchen, 68 % unwahrscheinlicher ist, dass sie an Selbstmord, einer Überdosis Drogen oder Alkohol sterben, als bei denen, die dies nie tun, während es bei Männern, die wöchentlich in religiöse Veranstaltungen gehen, 33 % unwahrscheinlicher ist, dass sie an solchen Ursachen sterben.10 Auffallenderweise bezeichnet sich in den USA mehr als ein Drittel der Erwachsenen, die aktiv ihren Glauben ausleben ( 36 % ), selbst als » sehr glücklich « im Vergleich zu nur einem Viertel ( 25 % ) derer, die inaktiv religiös sind ( z. B. sich entweder als Christen bezeichnen, aber keine Gemeinde besuchen ), oder derer, die keiner Religion anhängen.11

Während die biblische Beschränkung von Sex auf eine lebenslange Ehe oft als ungesunde Zwangsjacke beschrieben wurde, die Frauen ( und Männern ) die sexuelle Freiheit versagt, die für den Weg zum Glück gehalten wird, sprechen die Zahlen für das Gegenteil. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass – insbesondere für Frauen – mehrere Sexualpartner zu haben mit einem niedrigeren Maß an psychischer Gesundheit und

9 Siehe Tyler J. VanderWeele et al., » Association Between Religious Service Attendance and Lower Suicide Rates Among US Women «, JAMA Psychiatry 73, Ausgabe 8 ( 2016 ), https ://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/article-abstract/2529152.

10 Siehe Ying Chen et al., » Religious Service Attendance and Deaths Related to Drugs, Alcohol, and Suicide Among US Health Care Professionals «, JAMA Psychiatry 77, Ausgabe 7 ( 2020 ), https :// jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/article-abstract/2765488 ?mc_cid=469f806293&mc_ eid=796e84b78.

11 Siehe » Religion’s Relationship to Happiness, Civic Engagement and Health Around the World «, Pew Research Center, 31. Januar 2019, https ://www.pewforum.org/2019/01/31/religionsrelationship-to-happiness-civic-engagement-and-health-around-the-world/.

Glück einhergeht.12 Im Gegenteil : Ehefrauen sind alles andere als in ihrem Elend gefangen : Die glücklichsten Ehefrauen in Amerika sind tiefgläubige Frauen, die mit tiefgläubigen Männern verheiratet sind.13 Bei Paaren, die gemeinsam beten, zu Hause in der Bibel lesen, eine Gemeinde besuchen usw., ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie angeben, mit ihrem Sexualleben zufrieden zu sein, zweimal höher als bei nicht gläubigen Paaren.14 Man könnte meinen, die christliche Ehe nehme Frauen ihre sexuelle Freiheit. Doch die Datenlage spricht dafür, dass sie Frauen ( und Männer ) vor den Verheerungen des unverbindlichen Sex bewahrt.

Bedeutet das, dass das Christentum nur etwas für Jungfrauen und glücklich verheiratete Mütter mit vier Kindern ist ? Nein. Denn wenn wir Jesus in den Evangelien betrachten, begegnen wir einem Mann, der sexuell berüchtigte Frauen willkommen heißt, während er sich sexuell selbstgerechten Männern entgegenstellt. Wir begegnen einem Mann, der in einen sexuellen Skandal hineingeboren wird und unter seinen Mitjuden für weitere Empörung sorgte, indem er auch solche Frauen schätzte, die für ihre Sünden im sexuellen Bereich bekannt waren. Wir begegnen einem Mann, der nie eine sexuelle Beziehung hatte, aber Frauen so viel Liebe entgegenbrachte, dass sie bereit waren, alles zu verlassen, um ihm nachzufolgen. Wir begegnen einem Mann, der die einflussreichen religiösen Anführer seiner Zeit links liegen ließ und sein längstes überliefertes privates Gespräch mit einer religiös verachteten Frau führte. Dieses ganze Buch hindurch werden wir Jesus durch

12 Siehe z. B. Tyree Oredein and Cristine Delnevo, «The Relationship between Multiple Sexual Partners and Mental Health in Adolescent Females «, Journal of Community Medicine & Health Education 3, Ausgabe 7 ( Dezember 2013 ), worin festgestellt wird : » Die Häufigkeit von Traurigkeit, Selbstmordgedanken, Selbstmordplänen und Selbstmordversuchen steigt in allen ethnischen Gruppen mit der Anzahl der Sexualpartner « ; und Sandhya Ramrakha et al., » The Relationship between Multiple Sex Partners and Anxiety, Depression, and Substance Dependence Disorders : A Cohort Study «, Archives of Sexual Behavior 42, Ausgabe 5 ( Februar 2013 ), https ://www.ncbi.nlm. nih.gov/pmc/articles/PMC3752789, worin festgestellt wird, dass » insbesondere bei Frauen ein starker Zusammenhang zwischen der Anzahl der Sexualpartner und späteren Suchterkrankungen besteht «.

13 Siehe W. Bradford Wilcox, Jason S. Carroll und Laurie DeRose, » Religious Men Can Be Devoted Dads, Too «, New York Times, 18. Mai 2019, https ://www.nytimes.com/2019/05/18/opinion/ sunday/happy-marriages.html.

14 Siehe Matthew Saxey und Hal Boyd, » Do › Church Ladies ‹ Really Have Better Sex Lives ? «, Institute for Family Studies, 16. November 2020, https ://ifstudies.org/blog/do-church-ladies-reallyhave-better-sex-lives.

die Augen dieser Frauen betrachten. Aber können wir überhaupt darauf vertrauen, dass das, was wir in den Berichten der vier Evangelien des Neuen Testaments lesen, zutreffend ist und dass Texte wie das Marienevangelium uns kein authentischeres Bild vermitteln ?

SIND DIE EVANGELIEN ZUVERLÄSSIG ?

In seinem bahnbrechenden Buch Jesus and the Eyewitnesses argumentiert der britische Neutestamentler Richard Bauckham überzeugend, dass die Texte von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes nicht die Ergebnisse jahrzehntelanger mündlicher Überlieferungen über Generationen hinweg sind – wie es viele Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts annahmen –, sondern dass sie Augenzeugenberichte von Menschen, die Jesus persönlich kannten, für uns bewahrt haben. Dieses Buch wird sich stark an Bauckhams Arbeit anlehnen, insbesondere auch an sein hervorragendes Buch Gospel Women, und wird Argumente dafür aufzeigen, dass besonders das Zeugnis von Frauen wesentlich für die Geschichte ist, die uns in den Evangelien erzählt wird.15

Es entspricht dem wissenschaftlichen Konsens, dass das Markusevangelium als erstes der Evangelien niedergeschrieben wurde, etwa 35 bis 45 Jahre nach den Ereignissen, über die es berichtet. Bauckham merkt an, dass das Markusevangelium so datiert wird, dass diese Datierung durchaus » noch zu Lebenszeiten vieler Augenzeugen « liegt, und argumentiert, dass die Evangelien nach Matthäus, Lukas und Johannes » in der Zeit verfasst wurden, als die Augenzeugen nach und nach starben, also gerade in einer Zeit, zu der ihre Zeugnisse verloren gegangen wären, wären sie nicht schriftlich festgehalten worden «16. Vergleicht man die Art und Weise, wie Namen in den Evangelien verwendet werden, damit, wie die Augenzeugen in anderen Texten aus derselben Zeit zitiert werden, wird klar, dass die Verfasser der Evangelien ihre Leser auf die Quellen für ihre Berichte hinweisen, wie Bauckham überzeu-

15 Siehe Richard Bauckham, Jesus and the Eyewitnesses : The Gospels as Eyewitness Testimony ( Grand Rapids, MI : Wm. B. Eerdmans, 2006 ) ; Bauckham, Gospel Women : Studies of the Named Women in the Gospels ( Grand Rapids, MI : Wm. B. Eerdmans, 2002 ). Eine zweite Auflage von Jesus and the Eyewitnesses wurde 2017 herausgegeben, ich zitiere jedoch nach der ersten Auflage.

16 Bauckham, Jesus and the Eyewitnesses, 7.

gend feststellt. Doch hätten sich die Augenzeugen wirklich nach so langer Zeit an diese Ereignisse erinnern können ?

Ich bin noch zu jung, um mich an Dinge zu erinnern, die vor 35 bis 45 Jahren geschehen sind – geschweige denn vor 60 Jahren, was dem wahrscheinlichen Abstand entspricht zwischen der Zeit, als der Evangelist Johannes mit Jesus unterwegs war, und der Zeit, in der er sein Evangelium niedergeschrieben hat. Wenn du jünger bist als 50, kommen dir diese Zeitabschnitte wahrscheinlich unvorstellbar lang vor. Wir vergessen ja schon das meiste, was wir letzte Woche erlebt haben ! Doch meine Eltern, die Mitte 60 sind, und meine Großeltern, die Mitte 80 sind, erinnern sich noch gut an die wichtigsten Momente und Gespräche aus der Zeit, als sie Jugendliche und junge Erwachsene waren – insbesondere an die, die sie ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln immer und immer wieder erzählt haben. Mein Großvater erinnert sich z. B. noch an den Tag, als meine Mutter als kleines Kind darauf bestand, allein zur Schule zu gehen. Mein Großvater ließ sie gehen, folgte ihr jedoch in einigem Abstand. Es stellte sich heraus, dass sie geplant hatte, zu einem Jungen zu gehen, der ihre kleine Schwester geärgert hatte, um mit ihm zu kämpfen ! Das ist vor fast 60 Jahren passiert, und obwohl es kein lebensveränderndes Ereignis war, blieb es meinem Großvater in Erinnerung, und er hat die Geschichte über die Jahrzehnte immer wieder amüsiert erzählt. Jesu Jünger hatten sich vorgenommen, zu beobachten, was er tat, und zu lernen, was er lehrte. Das war ein Vollzeit-Job – nicht nur für die zwölf ausgewählten Apostel, sondern auch für die Dutzenden Menschen ( darunter viele Frauen ), die mit Jesus reisten. Nach Jesu Tod und Auferstehung zogen sie von Ort zu Ort und verkündeten, was sie gesehen und gehört hatten. Als die Autoren der Evangelien schließlich ihre Berichte über das Leben Jesu aufschrieben, konnten sie auf eine Fülle von Zeugnisberichten zurückgreifen – nicht zuletzt auf die der Jüngerinnen Jesu.

Was ist mit den anderen sogenannten Evangelien wie dem Marienevangelium ? Während die vier neutestamentlichen Evangelien alle innerhalb der Lebzeiten der Augenzeugen von Jesu Leben geschrieben wurden, meint man, dass das Marienevangelium erst zu Anfang bis zur

Mitte des zweiten Jahrhunderts geschrieben wurde, also deutlich nachdem die letzten Augenzeugen gestorben waren.17

Das Marienevangelium wurzelt, wie andere sogenannte gnostische Evangelien auch, eher in der griechischen Philosophie als in den hebräischen Schriften. Es vertritt auch eine andere Weltanschauung, nämlich dass Materie schlecht ist und Rettung die Flucht aus dem Physischen beinhaltet. Das unterscheidet sich grundlegend von der jüdisch-christlichen Vorstellung, nämlich dass Gott die Welt ursprünglich gut geschaffen hat, sowie von der christlichen Verheißung der leibhaftigen Auferstehung und einem körperlichen Leben für alle, die auf Jesus vertrauen. Anders als die Evangelien in unseren Bibeln bietet uns das Marienevangelium auch keinen Bericht über das Leben Jesu auf der Erde. Es konzentriert sich ausschließlich auf angebliche Gespräche Jesu nach seiner Auferstehung. Wenn wir nur diesen Text und nicht die Texte der biblischen Evangelien hätten, wüssten wir beinahe nichts über das Leben, den Tod und die Auferstehung des Jesus von Nazareth und hätten nur einen winzigen Anteil seiner schriftlich überlieferten Lehren – Lehren, die die Welt verändert haben.

Man könnte meinen, das Marienevangelium sei niedergehalten worden, weil Petrus darin schlecht wegkommt. Schließlich war Petrus einer der Hauptanführer der frühen Gemeinde. Doch die biblischen Evangelien retuschieren die Fehler von Jesu männlichen Nachfolgern nicht weg, sie zeichnen zumeist sogar ein unvorteilhaftes Bild von den Aposteln ( vor allem von Petrus ) – so auch das Markusevangelium, das, wie angenommen wird, auf Petrus’ Zeugnis beruht. Zum Beispiel wurde in allen vier Evangelien festgehalten, dass Petrus in der Nacht von Jesu Gefangennahme dreimal leugnete, Jesus überhaupt zu kennen.

Im Gegensatz dazu sind die Frauen im Kreis der Jünger Jesu bekannt für ihre Treue, und jeder der vier Evangelisten stützt sich an entscheidenden Stellen in seinen Erzählungen auf die Berichte von Frauen. Ja wenn wir die Evangelien in unseren Bibeln durcharbeiten und dabei alle Szenen ausklammern würden, die nicht von Frauen bezeugt wurden, würde nur ein kleiner Teil wegfallen. Würden wir hingegen die

17 Siehe Karen L. King, The Gospel of Mary of Magdala : Jesus and the First Woman Apostle ( Santa Rosa, CA : Polebridge Press, 2003 ), 3.

Dinge ausklammern, die nur von Frauen bezeugt wurden, würden wir unseren ersten Blick auf Jesus verlieren, als er seinen menschlichen Körper annahm, sowie unseren ersten Blick auf Jesus in seinem Auferstehungskörper. In den vier Evangelien werden die Berichte von Augenzeuginnen aufbewahrt. Die zentrale Frage dieses Buches lautet : Wie sahen sie Jesus ?

FRAUEN IN DIESEM BUCH

Wenn Luke, mein dreijähriger Sohn, etwas gemacht hat, auf das er stolz ist, fragt er mich : » Mama, hast du einen Blick auf mich bekommen ? « Seine Formulierung klingt irgendwie kindlich unbeholfen, aber gleichzeitig auch tiefgründig. Selbst als seine Mutter werde ich immer nur einen Blick auf ihn erhaschen. Sein Vater, seine Schwestern, Lehrer und Freunde sehen ihn alle aus anderen Perspektiven. Wie bei einem 3-D-Bild könnten wir dann alle diese Schnappschüsse zusammensetzen und dadurch ein besseres Gefühl dafür bekommen, wer er ist. Aber selbst dann würden wir nur einen Blick auf ihn erhaschen. In Bezug auf Jesus trifft diese Wahrheit umso mehr zu. Wir können ihn niemals ganz begreifen. Aber laut den Evangelien ist er gekommen, um uns zu ergreifen : nicht um uns unserer Rechte zu berauben und uns einzusperren, sondern um uns in unseren rechtmäßigen Lebensraum zurückzubringen, nämlich bei ihm.

Von den ersten Momenten in seinem irdischen Leben an wurde Jesus von Frauen beobachtet. In diesem Buch werden wir die Geschichten dieser Frauen untersuchen und sehen, wie Jesus in ihren Augen aussah.

In Kapitel 1 werden wir uns Jesus durch die Brille der Prophetie ansehen und uns dabei auf die Zeugnisse von Jesu Mutter Maria, ihrer bereits betagten Cousine Elisabet und einer Prophetin namens Hanna ansehen, die über Jesus als Baby prophezeite, als er in den Tempel gebracht wurde. Wir werden sehen, wie Gott diesen Frauen prophetische Worte eingab, damit sie uns zeigen, wer Jesus ist und was er tun würde. In Kapitel 2 werden wir feststellen, dass sich unter Jesu Jüngern viele Frauen befanden. Manche von ihnen reisten mit ihm mit, andere blieben an ihrem jeweiligen Ort. Wir werden erkennen, was wir von den namentlich benannten Frauen lernen können, die als Jüngerinnen mit

Jesus umherzogen. Dann werden wir zwei von Jesu engsten Freundinnen in den Blick nehmen : Maria und Marta aus Betanien.

In Kapitel 3 geht es um Speise. Wir sehen Jesu erstes Wunder im Johannesevangelium, als er auf den Wunsch seiner Mutter hin krugweise Wasser in besten Wein verwandelte. Wir hören mit bei seinem längsten überlieferten Gespräch : als er mit einer Frau aus Samaria an einer Quelle redete und ihr lebendiges Wasser anbot. Wir werden betrachten, wie die Mutter zweier Apostel Jesu zuerst einen nicht unerheblichen Fehltritt beging und wie sie ihr Versagen später wettmacht. Außerdem werden wir eine schockierende Unterhaltung zwischen Jesus und einer Frau aus Syrophönizien in den Blick nehmen, die erkannte, dass Jesus der Geber des wahren Brotes ist.

In Kapitel 4 werden wir der Spur von Heilungen folgen, die Jesus an Frauen vollbrachte : von der fiebernden Schwiegermutter des Simon Petrus über eine Frau, die zwölf Jahre lang an Blutungen gelitten hatte, und ein zwölfjähriges Mädchen, das von Jesus von den Toten auferweckt wurde, bis hin zu einer verkrümmten Frau, die er am Sabbat heilte. Wir werden sehen, wie bei jeder dieser Frauen die Identität Jesu beleuchtet wird.

In Kapitel 5 wird es um Vergebung gehen. Wir werden sehen, wie Jesus eine bekannt sündige Frau willkommen hieß und sie als Vorbild der Liebe lobte und wie er eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war, in Schutz nahm und ihre Situation nutzte, um die Sünde der religiösen Anführer ans Licht zu bringen.

Zu guter Letzt werden wir in Kapitel 6 sehen, wie sehr die Evangelisten in Bezug auf Jesu Auferstehung auf die Augenzeugenberichte von Frauen angewiesen waren. Der auferstandene Sohn Gottes wurde zuerst durch die Augen von Frauen gesehen, und es waren auch Frauen, denen er zuerst die Nachricht anvertraute, dass er lebte.

Die Evangelien stellen Jesus als den einzig wahren, lebendigen Gott dar – den Gott, der das Universum geschaffen hat und den laut Bibel kein Mensch sehen kann, ohne zu sterben. Einen Blick auf Jesus zu bekommen, bedeutet, dein Leben zu riskieren. Aber laut Jesus bedeutet es auch, es zu finden. Weinende Frauen, deren Gesicht zu Boden schaute, sahen Jesus, während manche Männer ihm direkt gegenüberstanden ohne einen blassen Schimmer davon, wen sie da vor sich hatten. Wir

brauchen das Marienevangelium aus dem zweiten Jahrhundert nicht, um zu sehen, wer Jesus ist. Wir brauchen die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes aus dem ersten Jahrhundert, die von Anfang an ihr Material aus Augenzeugenberichten von Frauen beziehen.

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