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Vom Bibeltext zur lebendigen Predigt

Haddon W. Robinson

Predige das Wort Vom Bibeltext zur lebendigen Predigt

Bestell-Nr. 271839

ISBN 978-3-86353-839-2

Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg

Best.-Nr. 180227

ISBN 978-3-85810-609-4

Verlag Mitternachtsruf, www.mnr.ch

5. Auflage 2023

Titel des amerikanischen Originals: Biblical Preaching © der Originalausgabe: 1980 by Baker Book House Comp. U.S.A., Translated by permission.

© der deutschsprachigen Ausgabe 1992, 2001 (überarbeitet), 2013 und 2023: Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg und BAO, Österreich © der deutschen Übersetzung: 1990 BEE International, Wien Überarbeitete Neuauflage 2001 (John Mark Fankhauser, Österreich) Satz und Umschlaggestaltung: Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg Bildquelle: © Jannis Nöbauer/unsplash.com

Druck: CPI Books GmbH, Leck

Printed in Germany

Wenn Sie Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler entdeckt haben, können Sie uns gerne kontaktieren: info@cv-dillenburg.de

Kapitel 1

Die Notwendigkeit von bibelauslegendem Predigen

Viele, die den Titel und den Inhalt dieses Buches werden es für halten. Predigen – in welcher Weise auch immer – scheint kein dringendes, wichtiges Bedürfnis der christlichen Welt zu sein. Das Predigen, so ist aus manchen Kreisen zu hören, sei nicht mehr zeitgemäß und könne eigentlich abgeschafft werden. Es gebe andere Methoden und Formen der Verkündigung, die »effektiver« seien und die Menschen unserer Zeit stärker ansprächen.

Die Abwertung des Predigens

Eine Erklärungsmöglichkeit für den niedrigen Stellenwert, denlichen Wandel. Das Image des Predigers hat sich offensichtlich geändert. Man nimmt den meisten Pastoren nicht mehr ab, dass sie etwas Wesentliches zu sagen haben, sie gehören nicht mehr zu den geistigen Führern der Gesellschaft. Für viele Gemeindeglieder ist der Pastor heutzutage alles in allem »sympathisch, hilfsbereit, Animateur der Jugend, Liebling alter Damen, zurückhaltend gegenüber jungen Damen, ein Unterhalter einsamer Menschen, Vateridol für junge Leute und leutseliger Repräsentant der Gemeinde bei Festveranstaltungen und Empfängen« (Kyle Haselden1). Aber dass er darüber hinaus auch etwas zu sagen habe, nimmt man ihm nicht mehr ab.

Hinzu kommt, dass der Prediger in eine Gesellschaft hineinsprechen muss, die mit Kommunikation überschwemmt ist. Die Massenmedien überschütten uns täglich mit einer Fülle verschiedenartiger Botschaften. Radio und Fernsehen senden Werbungen, die wie ein Evangelium verkündet werden. Vor diesem

Die Notwendigkeit von bibelauslegendem Predigen

Hintergrund erscheint der Prediger nur als ein weiterer Reklamemacher, der etwas Effekt in die Lehre von Leben und Tod bringen will.

Schlimmer noch: Mancher Prediger sieht sich einer vollmächtigen Botschaft beraubt. Die moderne Theologie vermittelt ihm oft nur äußerst verschwommene Vorstellungen von der biblischen Wahrheit. Zudem sind viele verunsichert dadurch, dass ihre aufgeklärten Zuhörer den Wissenschaften mehr glauben als der Bibel. Das ist auch der Grund, weshalb sich manche Pastoren mehr um Kommunikationsformen als um ihre Botschaft kümmern.

verdrängen immer mehr die Predigt. Natürlich kann moderne Technik die Kommunikation unterstützen und verbessern, aber sie kann auch nur zu leicht zum Ersatz für den fehlenden Inhalt werden.

Für manche andere ist das soziale Engagement der Gemeinde wichtiger als das Predigen. Um heute ein Zeugnis für Gott zu sein, muss man handeln, nicht reden, meinen sie. Sie glauben, dass die Apostel sich irrten, als sie zu dem Schluss kamen: »Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen« (Apg 6,2). In der Zeit des Aktivismus ist es stattdessen moderner zu sagen: »Wir sollten nicht den Dienst an bedürftigen Menschen versäumen, um das Wort Gottes zu predigen.«

Die Notwendigkeit des Predigens

Trotz der allgemeinen Abwertung des Predigens und des Predigers aus den genannten Gründen wird niemand, der die Bibel ernst nimmt, das Predigen generell ablehnen. Schon Paulus, der viele wichtige Briefe des Neuen Testaments geschrieben hat, die gehören, bekannte: »Denn mich verlangt danach, euch zu sehen, damit ich euch etwas mitteile an geistlicher Gabe, um euch zu stärken; das heißt, dass ich zusammen mit euch getröstet werde durch euren und meinen Glauben, den wir miteinander haben« (Röm 1,11-12). Paulus war sich offenbar klar darüber, dass einige Dienste einfach seine persönliche Anwesenheit erforderten.

Sogar das Vorlesen eines inspirierten Briefes war kein Ersatz dafür. »Darum, so viel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen« (Röm 1,15). Das gesprochene Wort hat eine Macht, die auch durch das unfehlbare Wort der Schrift nicht wird.

Für die Schreiber des Neuen Testaments war die Predigt das Ereignis schlechthin, durch das Gott wirksam wurde. Petrus erinnerte seine Leser daran, dass sie wiedergeboren sind »nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da bleibt« (1Petr 1,23). Wie

Gottes kam durch die Verkündigung zustande: »Das ist aber das Wort, welches unter euch als Evangelium verkündigt worden ist« (1Petr 1,25). Die Predigt des Evangeliums war der Same ihrer Neugeburt.

Hinzu kommt, was Paulus über die geistliche Entwicklung der Thessalonicher feststellte, die sich bekehrt hatten »zu Gott von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel« (1Thes 1,9-10). Das geschah, erklärte der Apostel, weil »ihr das Wort der göttlichen Predigt, das ihr von uns empfangen habt, nicht als Menschenwort aufgenommen habt, sondern als das, was es in Wahrheit ist, als Gottes Wort, das in euch wirkt, die ihr glaubt« (1Thes 2,13). Paulus dachte bei einer Predigt nicht an eine Diskussion über theologische Fragen. Er war sich bewusst, dass Gott durch ihn sprach, um Menschen mit der Wahrheit zu konfrontieren und zu sich zu ziehen.

Das erklärt, warum Paulus seinen jungen Mitarbeiter Timotheus ermutigte: »Predige das Wort« (2Tim 4,2). Predigen bedeutet hinausschreien, verkündigen oder ermahnen. Der Prediger sollte so tief von seiner Predigt ergriffen sein, dass er leidenschaftlich spricht. Wenn ein Prediger als Verkündiger spricht, muss er »das Wort« hinausrufen. Das ist das Mindeste, was man von einer guten, christlichen Predigt verlangen kann.

Die Wichtigkeit der bibelauslegenden Predigt

Ein Prediger ist oft versucht, über etwas anderes als über die Heilige Schrift zu reden. Politik, Wirtschaftstheorien, neue religiöse

Die Notwendigkeit von bibelauslegendem Predigen

Philosophien oder psychologische Trends bieten sich als Themen an. In der Dreiviertelstunde am Sonntagmorgen hat der Prediger die Möglichkeit, seinen Zuhörern in religiösen Tönen zu erzählen, was er will. Wenn er es aber verfehlt, Gottes Wort zu verkündigen, gibt er seine Autorität preis. Er verkündigt dann nicht mehr göttliche Wahrheit, sondern eine von vielen menschlichen Meinungen. Weil Gott nicht dahintersteht, rufen die meisten »modernen« Predigten nur noch ein müdes Gähnen hervor.

Gott redet durch die Bibel. Sie ist für ihn auch heute noch das wichtigste Mittel, um Menschen anzusprechen. Darum darf eine bibelorientierte Predigt auch nicht gleichgesetzt werden mit der »uralten Story von Jesus und seiner Liebe zu den Menschen», als wenn es nur eine Geschichte aus alter Zeit wäre, als Gott noch lebte und es ihm gut ging. Auch sollte eine Predigt nicht einfach christliches Gedankengut aufwärmen, das zwar als richtig anerkannt werden mag, aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Gott will durch die Predigt Menschen erlösen (2Tim 3,15) und ihnen helfen, zu erfüllten und reifen Christen heranzuwachsen (2Tim 3,16-17). Es ist ein ehrfurchtsvoller Moment, wenn Gott einen Menschen durch die Predigt konfrontiert und seine Seele trifft.

Die beste Art, um die Kraft und göttliche Autorität des Wortes Gottes zu vermitteln, ist bibelauslegendes Predigen. Es wäre jedoch naiv anzunehmen, dass alle Leute mit dieser Ansicht übereinstimmen. Zu viele Leute, die gelangweilt worden sind mit Predigten, die angeblich bibelauslegend waren, die aber sonung nicht teilen. Obwohl die meisten Prediger in der Theorie mit der Wichtigkeit der bibelauslegenden Predigt übereinstimmen, werden in der Praxis, die oft ganz anders aussieht, viele dieser Ansicht nicht zustimmen.

Ich muss zugeben, dass viele, die vorgaben bibelorientiert zu predigen, dem Ruf dieser Predigtart eher geschadet haben. Manches, was als bibelauslegende Predigt angesehen wird, kann weder als »bibelorientiert« noch als »predigen« Bedauerlicherweise gibt es keine verbindlichen Richtlinien für bibelorientierte Predigten. Infolgedessen kann jeder das Etikett »bibelauslegend« für seine Predigt verwenden, ohne dass irgendeine Instanz ihn korrigiert. Doch obwohl durch Hochstapler

viel Schaden angerichtet worden ist, hat echte bibelauslegende Verkündigung die Kraft des lebendigen Gottes hinter sich. Was ist nun wirklich echte bibelauslegende Predigt? Was sind die Kriterien dafür? Wie vergleicht oder unterscheidet man sie von anderen Predigtarten?

bibelauslegendem Predigen

Gegenstand eingeengt und einer Entwicklung beraubt werden kann. Ein kleiner Junge, der einen Frosch zerlegt, um herauszuein lebendiger Vorgang, der Gott, den Prediger und die Zuhörerspiel aller Beteiligten vollständig erfassen. Trotzdem sollten wir

»Eine bibelauslegende Predigt will eine biblische Botschaft vermitteln. Diese wird durch eine historische und sprachliche Analyse sowie durch eine gründliche Auslegung des Bibeltextes erarbeitet. Durch den Heiligen Geist wirkt das Wort zunächst am Prediger selbst (in dessen Persönlichkeit und Erleben) und durch ihn schließlich auch an seinen Zuhörern.«

Der Bibeltext bestimmt die Predigt

Was ist also der Kern dieser sorgfältig formulierten und eher Zuerst und vor allem soll der Grundgedanke des biblischen Schreibers das Wesentliche der bibelauslegenden Predigt sein. Das Lesen des Bibeltextes sollte nicht nur ein Vorspann sein, wie das Spielen der Nationalhymne vor einem Fußball-Länderspiel. »Der Text sollte so präsentiert werden, als würde aus dem neuesten Bestseller des Büchermarkts vorgelesen. Der Prediger muss die Botschaft des Wortes Gottes an den Mann bringen« (nach R. H. Montgomery).

Die Notwendigkeit von bibelauslegendem Predigen

Bibelauslegendes Predigen ist in seinem Kern mehr ein Prinzip als eine Methode. Um zu prüfen, ob man ein bibelauslegender Prediger ist, muss man sich fragen: »Lasse ich meine Gedanken von der Heiligen Schrift bestimmen oder benutze ich die Bibel, um meine eigenen Gedanken zu beweisen?« Das ist etwas anderes, als wenn ich frage: »Ist das, was ich predige, orthodox oder evangelikal?« Es ist auch nicht dasselbe wie: »Habe ich nur eine große Achtung vor der Bibel oder glaube ich, dass sie das unfehlbare Wort Gottes ist?« Diese Fragen mögen in anderen Zusammenhängen wichtig sein. Wenn man aber beurteilen will, ob jemand bibelauslegend predigt, ist nur die erste der genannten Fragen ausschlaggebend. Das Studium der systematischen Theologie befähigt den Menschen nicht automatisch zum Auslegen der Bibel. Theologie kann uns zwar vor Fehlern schützen, die durch einseitige und aus dem Zusammenhang gerissene Interpretationen entstehen können. Aber sie kann auch blind und unsensibel machen für den Text. Der Interpret muss bereit sein, seine eigenen Überzeugungen und auch die Lehrmeinungen der angesehensten Theologen infrage stellen zu lassen. Er muss sein persönliches Textverständnis revidieren, wenn dieses nicht der Absicht des biblischen Schreibers entspricht.

Diese Einstellung zur Bibel setzt Einfalt und Klugheit zugleich voraus. Auf der einen Seite nähert sich der Ausleger der Bibel wie ein Kind einer Geschichte, die es wieder hören möchte. Er liest sie nicht, um über den Inhalt zu streiten, ihn zu überprüfen oder eine Predigt daraus zu machen, sondern er liest sie, um zu verstehen und zu erleben, was er verstanden hat. Gleichzeitig ist er sich bewusst, kein Kind mehr zu sein, sondern ein Erwachsener, der nur allzu oft gefangen ist in seinem Verständnis und seiner Sicht der Dinge. Dies erschwert ein neutrales Verstehen des Textes. Dabei ist die Bibel kein Kinderbuch. Sie ist bedeutende Literatur, die eine ernsthafte und durchdachte Stellungnahme erfordert.werden.

Der Prediger vermittelt eine Botschaft

In vergangener Zeit wurden einige Prediger durch ein mangelhaftes Verständnis der Wirkung von Sprache in die Irre geleitet. Obwohl der Prediger die Worte des Textes untersucht und manchmal in der Predigt selbst einige Worte behandelt, sollen Wörter und Redensarten nie Selbstzweck werden. Sie sind vielmehr Mittel zum Zweck, nämlich Gedanken und Botschaften zu vermitteln.

Francis Schaeffer betont in seinem Buch »Geistliches Leben –was ist das?«, dass die heftigsten Kämpfe für uns Menschen im Bereich der Gedanken auszufechten sind. Diese so umkämpfte Welt der Gedanken soll von Gottes Gedanken, wie wir sie in unse-auslegenden Predigen vor allem der gedankliche Inhalt bzw. die Botschaft eines Textes vermittelt.

Die Botschaft wird aus dem Text gewonnen

Auch wenn der Schwerpunkt einer bibelauslegenden Predigt auf dem gedanklichen Inhalt liegt, dürfen Wortwahl und Gramma-

besagt, dass die Botschaft »durch eine historische und sprachliche Analyse sowie durch eine gründliche Auslegung des Bibeltextes erarbeitet« wird. Das beinhaltet eine Untersuchung des Textes (der Grammatik und der literarischen Formen) sowie der geschichtlichen Zusammenhänge. Der Ausleger versucht dabei, möglichst objektiv die Bedeutung des Textes zu erfassen. Er teilt seinen Zuhörern in der Predigt dann so viel davon mit, dass sie die Interpretation selbst prüfen können.

Die Autorität einer Predigt ergibt sich nicht durch die Person des Predigers, sondern durch den Bibeltext. Eine bibelauslegende Predigt muss sich deshalb so ausgiebig mit der Erklärung des Textes befassen, damit die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf die Bibel gelenkt wird. Aber auch wenn ein Ausleger große Fähigkeiten in der Analyse und Auslegung besitzt und sich sorgfältig vorbereitet hat, heißt das noch lange nicht, dass er wie ein protestantischer Papst ex cathedra (mit absoluter Unfehlbarkeit) sprechen kann. So schrieb Henry David Thoreau: »Zwei sind nötig,

Die Notwendigkeit von bibelauslegendem Predigen

um die Wahrheit zu sprechen – der eine zum Sprechen, der andere zum Hören.« Keine lebenswichtige Wahrheit wird ohne Kampf angenommen werden. Wenn also eine Gemeinde wachsen will, muss sie an diesem Kampf Anteil haben. »Um berühmte Dichter zu haben, bedarf es einer großen Zuhörerschaft«, meinte Walt Whitman. Wirkungsvolle, lebendige Predigten setzen Zuhörer voraus, die gut zuhören können. Weil ihr Heil davon abhängig ist,

zu vermitteln, dass sie entscheiden können, ob das, was sie hören, wirklich der Aussage der Bibel entspricht.

Wenn es die Aufgabe der Zuhörer ist, den Prediger zu verstehen, so ist es die Aufgabe des Predigers, die Schreiber der Bibel zu verstehen. Damit die Botschaft durch den Prediger schließlich den Hörer erreicht, müssen die Sachverhalte erklärt werden. Dabei muss die Sprache des Hörers, seine Kultur und sein Vorverständnis berücksichtigt werden. Doch zunächst muss sich ein Ausleger in den Autor des biblischen Textes hineinversetzen. Wenn er auch nicht ein Meister in all den Sprachen, in Geschichte und den literarischen Formen sein muss, so sollte ein Bibelausleger doch Kenntnisse auf diesen Gebieten besitzen. Dazu hat er eine große Auswahl an Auslegungshilfen für sein Studium zur Verfügung. So viel ihm möglich ist, sucht der Prediger mit den Schreibern und den Gedanken des Bibeltextes bekannt zu werden.

Die biblische Botschaft richtet sich zuerst an den Prediger selbst

Gottes am Prediger wird nun zum Mittelpunkt des Prozesses. Der Prediger als Person kann nicht vom Inhalt der Botschaft getrennt werden, so gerne wir das auch hätten. Wer kennt nicht solche Gebete vor einer Predigt: »Verbirg unseren Pastor hinter deinem Kreuz, sodass wir nicht ihn sehen, sondern nur dich, Jesus!« Wir loben den Geist solcher Gebete. Alle Zuhörer, Männer wie Frauen, müssen am Prediger vorbei zu Jesus gelangen (oder Jesus muss vielleicht umgekehrt am Prediger vorbei zu den Leuten kommen)! Wie auch immer, es gibt keinen Platz, an dem sich der Prediger verstecken könnte. Selbst ein noch so großes Predigtpult kann ihn nicht vor den Blicken seines Publikums verbergen.

Phillips Brooks umschreibt das Predigen treffend mit »die Wahrheit durch die Persönlichkeit schleusen«. Die Persönlichkeit des Predigers prägt seine Botschaft sehr. Mag sein, dass er eine biblische Botschaft auf den Lippen hat, dabei aber trotzdem unper-

Werbetexter oder dünkelhafter als ein Hochstapler ist. Doch fest steht, dass die Versammlung nicht eine Predigt hört, sondern eine Person.

Bischof Willigem A. Quayle widerlegte in diesem Zusammenhang die übliche »Soll Predigen nur die Ausarbeitung und das Vortragen einer Predigt sein? Da irren Sie sich! Predigen sollte das ›Ausarbeiten‹ des Predigers sein und das soll den Hörern vermittelt werden!« Lebendiges bibelauslegendes Predigen sollte aus dem Prediger selbst einen reifen Christen machen. Während er die Bibel studiert, erforscht ihn der Heilige Geist, und bei der Ausarbeitung der Predigt arbeitet Gott an ihm. »Die Bibel ist der beste Prediger jedes Predigers« (P. T. Forsyth).

Wir sollten keinen Unterschied machen, ob wir nun die Bibel lesen, um daraus eine Predigt zu entwickeln oder um persönlichen Gewinn zu bekommen. Als Theologe kann es einem noch passieren, dass man die Bibel nur als Beispiel für hebräische Poesie betrachtet oder um die Namen und Regierungszeiten von Königen des Alten Testaments zu erfahren, ohne mit der eigentlichen Wahrheit in Berührung zu kommen. Solches gilt es zu vermeiden, wenn man die Bibel als Wort Gottes sieht. Bevor ein Prediger eine biblische Botschaft weitergibt, sollte er diese auf sich selbst beziehen und mit ihr leben.

Leider versagen viele Prediger zuerst in ihrem Christenleben, bevor sie als Prediger versagen, weil sie selbst nicht von Gottes Wort geprägt sind und darum auch nicht biblisch denken. Manche von ihnen bereiten ihre Predigt vor, ohne dabei in die Bibel zu schauen, obwohl sie eine hohe Meinung von diesem Buch haben. Der Bibeltext wird – wenn überhaupt – als Appetitanreger zu Beginn der Predigt serviert oder als Garnierung, um die Botschaft auszuschmücken. Das »Hauptgericht« der Predigt aber besteht aus den eigenen Gedanken des Predigers (oder anderer Menschen), die zu diesem Zweck aufgewärmt werden.

Die Notwendigkeit von bibelauslegendem Predigen

Auch in einer bibelorientierten Predigt können Bibelverse missbraucht werden, nur um die eigene Meinung zu unterstützen. Ein bewährtes Rezept aus populären »Predigtkochbüchern« liest sich wie folgt: »Man nehme einige allgemeine theologische oder moralische Lehrsätze, mische sie zu gleichen Teilen mit ›Hingabe‹, ›Evangelisation‹ und ›Dienst‹, füge ab und zu ›Reich Gottes‹ oder ›Die Bibel sagt‹ hinzu, rühre einige Geschichten unter und würze das Ganze mit einer Prise ›Erlösung‹. Dies serviere man heiß auf einer mit Bibelversen dekorierten Platte.« Nicht nur die Zuhörer bleiben bei so einer Predigt hungrig, auch der Prediger selbst wird dabei verhungern. Er wird kaum wachsen, weil der Heilige Geist das Wort Gottes nicht zu seinem Wachstum verwenden kann. William Barclay diagnostizierte die Ursache der geistlichen Mangelernährung: »Je mehr der Prediger seinem Verstand erlaubt, träge, nachlässig und schlaff zu werden, desto weniger kann der Heilige Geist ihm etwas sagen. Eine gesegnete Predigt gelingt nur, wenn ein liebevolles Herz und ein disziplinierter Verstand dem Heiligen Geist zur Verfügung gestellt werden.«2 Letztlich ist Gott wohl ebenso am persönlichen Reifungsprozess des Predigers interessiert wie an der Übermittlung der Botschaft. Und da der Heilige Geist hauptsächlich durch die Bibel zu uns spricht, muss ein Prediger zuerst lernen, auf Gott zu hören, bevor er für Gott redet.

Die biblische Botschaft wendet sich an die Zuhörer

Der Heilige Geist wendet seine Wahrheit nicht nur auf die Persönlichkeit und die Erfahrung des Predigers an, sondern wie undurch den Prediger bei seinen Zuhörern an. Somit hat es der Prediger mit drei Arbeitsbereichen zu tun: Als Ausleger versucht er, die Aussagen der biblischen Autoren zu erfassen, als Gottesmann ringt er mit dem Handeln Gottes an sich selbst, und als Prediger denkt er darüber nach, was Gott seiner Gemeinde sagen will.

Dabei ist die Anwendbarkeit, die Übertragbarkeit des Gesagten ins alltägliche Leben der Gemeindeglieder die Hauptaufgabe einer lebensnahen, bibelauslegenden Predigt. Wie ein Hirte geht der Pastor ein auf die Schmerzen, Ängste und Schreie seiner Schafe. Er studiert die Bibel und versucht was sie

sagt zu Kummer und Schuld, Zweifel und Tod. Auch Paulus erinnert Timotheus daran, dass uns die Bibel gegeben ist, damit sie »Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt« (2Tim 3,16-17).

Langweiligen Predigten fehlen meistens die kreativen Anwendungsvorschläge. Solche Predigten rufen zwei Hauptreaktionen hervor. Zum einen murmeln die Zuhörer: »Immer das Gleiche.« Das ist dann der Fall, wenn der Prediger zu jedem biblischen Abschnitt stets auch die gleichen Anwendungsvorschläge bringt oder, was noch schlimmer ist, überhaupt keine. »Möge der Heilige Geist die Wahrheit in euer Leben bringen«, hören wir so manchen Redner die Zuhörer beschwören, wenn er keine Ahnung davon -

te negative Reaktion auf eine Predigt kommt, wenn der Inhalt nicht direkt genug auf das alltägliche Leben bezogen wurde, um dort tatsächlich etwas zu bewirken. Die Zuhörer meinen dann: »Es stimmt wohl schon, was der Prediger sagt, aber was soll’s? Das hilft mir auch nicht weiter.« Wenn sich schlussendlich jemand entschließt, sich der Heiligen Schrift unterzuordnen, geschieht das dann auch meist außerhalb der Gottesdienste. Im normalen Leben verlieren Menschen ihre Jobs, sorgen sich um ihre Kinder und müssen sich mit vielen kleinen Ärgernissen herumschlagen.

Was sie von Jebusitern, Kanaanitern, Perisitern gehört haben oder was Abraham, Paulus oder Mose gesagt und getan haben, raubt ihnen nur selten den Schlaf. Sie liegen wach, weil sie sich Sorgen machen um Benzinpreise, Unglücksfälle, Liebeskummer, bösartige Krankheiten, Eheprobleme oder Mobbing und Skrupellosigkeit am Arbeitsplatz. Sie fragen sich, was eine Predigt überhaupt soll, wenn sie dazu nichts zu sagen hat.

Deshalb sollte ein Prediger nicht ins »Gestern«, sondern ins »Heute« hineinsprechen. Ein guter Prediger konfrontiert die Zuhörer samt ihren Problemen mit den Aussagen der Bibel, anstatt ihnen einen Vortrag über Geschichte und Archäologie zu halten. Die Zuhörer sind als Jury versammelt, nicht um Judas, Petrus oder Salomo zu beurteilen, sondern ihr eigenes Leben.

Der Prediger sollte seine Zuhörer genauso gut kennen wie seine Botschaft. Dazu muss er sowohl die Schrift als auch seine

Die Notwendigkeit von bibelauslegendem Predigen

Gemeindeglieder erforschen. Wenn Gott redet, spricht er Menschen da an, wo sie gerade stehen. Stellen wir uns vor, der Korintherbrief wäre durch die Post fehlgeleitet worden und in Philippi gelandet. Die Philipper hätten sich wahrscheinlich den Kopf zerbrochen über die Probleme in Korinth, von denen Paulus schrieb. Sie lebten in einer völlig anderen Situation als ihre Brüder und Schwestern in Korinth. Die Briefe des Neuen Testaments wie auch die Prophezeiungen des Alten Testaments waren jeweils an ganz bestimmte Zuhörer gerichtet, die mit ihren speziellen Problemen kämpften. Eine Predigt wird so lange unwirksam bleiben, bis der Prediger merkt, dass er ganz bestimmte Zuhörer hat, die inhaltlich etwas brauchen, das auf ihre Situation zugeschnitten ist.

Diese Art von Predigt wirft natürlich theologische und ethische Fragen auf. Es ist eine anstrengende Reise durch oft seltsame Fragestellungen, bis man von der Auslegung zur Anwendung gelangt. Ergänzend zu den direkten Textaussagen müssen auch persönliche Verhältnisse und Lebensumstände der biblischen Personen erklärt werden. Welche Beziehungen haben die Personen des Textes zueinander? Welche Beziehungen haben sie zu Gott? Welche Wertvorstellungen liegen den Entscheidungen zugrunde, die sie treffen? Was geht in denen vor, die daran beteiligt sind?

Diese Fragen beziehen sich nicht nur auf die damalige Zeit, als ob Gott nur in der Vergangenheit mit Menschen gehandelt hätte. Dieselben Fragen können wir auch heute stellen, an uns selbst und die Zuhörer. Welche Beziehungen haben wir zueinander? Was sagt Gott uns durch die Probleme der Menschen in der Bibel? Ist die Welt von heute die gleiche oder eine ganz andere als die der Bibel? Sind die Fragestellungen und Probleme von damals auch die von heute? Begegnen wir heute denselben Herausforderungen wie die Menschen von damals? Diese Überlegungen sind das

Anwendungen, die einfach an Predigten angehängt werden, um sie lebensnah zu machen, gehen an den dringenden Fragen vorbei und ebenso am Grundsatz unserer protestantischen Vorfahren: »Lehrsätze müssen lehrmäßig.«

Unpassende Anwendungen können genauso destruktiv wirken wie eine schlechte Auslegung. Als der Teufel Jesus in der Wüste versuchte, wollte er siegen, indem er einfach die Schrift falsch

anwendete. Er zitierte Psalm 91 mit bewundernswerter Präzision: »Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest« (Ps 91,11-12). Aber dann folgerte Satan: »Warum wendest du diese starke Verheißung nicht an, um dich vom Dach des Tempels zu stürzen und ein für allemal zu beweisen, dass du der Sohn Gottes bist?« Um dem Teufel zu entgegnen, diskutierte Jesus nicht über die Grammatik oder die Ausdrucksweise des hebräischen Textes. Stattdessen attackierte er die falsche Anwendung von Psalm 91 und zitierte eine andere Stelle aus der Schrift, die besser zur Situation passte: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen« (Mt 4,7).

Wir müssen in eine Welt hineinsprechen, die auch von Schriftstellern, Journalisten und Dramatikern angesprochen wird. Wenn wir das nicht beachten, werden unsere Zuhörer zwar rechtgläubig in ihrem Kopf, aber ketzerisch in ihrem Verhalten. Gewiss dürfen wir in eine weltliche Welt nicht ein weltliches Wort predigen. Aber biblische Aussagen müssen mit menschlichen Erfahrungen in Verbindung gebracht werden und Menschen müssen aufgerufen werden, sich von biblischen Wahrheiten prägen zu lassen. Die sogenannte »aktuelle die aktuellen Fragen mit dem ewigen Wort Gottes in Verbindung gebracht werden.

F. B. Meyer erklärt die Ehrfurcht, mit der viele biblisch orientierte Prediger die Themen der Zeit aufgreifen, so:

»Der Prediger, der so predigt, setzt die Reihe so bedeutsamer Ausleger wie die Reformatoren oder die Puritaner fort. Sie alle verbreiteten nicht ihre eigene Meinung, die ja eine Frage der eigenen Interpretation und abhängig von zweifelhaften Stimmungen wäre. Aber weil sie ihre Aussage aus der Heiligen Schrift nahmen, konnten sie ihre Botschaft mit so großer Wirkung und den Worten ›So spricht der Herr‹ an die Menschen bringen.«

Die Notwendigkeit von bibelauslegendem Predigen

Worum ging es im vergangenen Kapitel?

Bibelauslegendes Predigen

Eine bibelauslegende Predigt will eine biblische Botschaft vermitteln.

Die Botschaft wird durch eine historische und sprachliche Analyse sowie durch eine gründliche Auslegung des Bibeltextes erarbeitet. Durch den Heiligen Geist wirkt das Wort zunächst am Prediger selbst (in dessen Persönlichkeit und Erleben) und durch ihn schließlich auch an seinen Zuhörern.

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