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Abtreibung und Sterbehilfe aus christlicher Sicht

Michael Kotsch

Schutz des Lebens

Abtreibung und Sterbehilfe aus christlicher Sicht

Best.-Nr. 271 818

ISBN 978-3-86353-818-7

Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg

Es wurde folgende Bibelübersetzung verwendet:

Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.

1. Auflage

© 2022 Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg www.cv-dillenburg.de

Satz und Umschlaggestaltung:

Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg

Umschlagmotiv: © Shutterstock.com/artyway

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

VORWORT

Unsere Gesellschaft ist im Umbruch. Bisher selbstverständlich gültige Wertmaßstäbe verändern sich in atemberaubendem Tempo. Innerhalb weniger Jahre haben sich die Grundpfeiler der öffentlichen Meinung immer weiter von traditionellen christlichen Werten entfernt. Es geht um das Wertvollste, was den Menschen ausmacht: das Leben. Dieses gerät heute mehr denn je in Gefahr – fatalerweise an zwei Enden, wo man es als Betroffener selbst am wenigsten schützen kann: bei seinem Anfang (im Mutterleib) und zu seinem Ende hin (im Alter).

Wo fundamentale Dinge infrage gestellt werden, müssen neu die Fakten gecheckt werden. Das geschieht in diesem Buch, und Michael Kotsch berücksichtigt dabei in gewohnt gründlicher und tiefgehender Weise alle Gesichtspunkte, die in der heutigen Diskussion um den „Schutz des Lebens“ eine Rolle spielen.

Wo stehen Christen heute, wenn es um den Schutz des Lebens geht? Welchen Standpunkt können sie einnehmen, und was bewegt sie dazu? Die höchste Autorität, die es gibt, zu achten, nämlich Gott, wird auch heute noch allen Menschen zum Guten dienen, weshalb Christen zu diesem Thema nicht schweigen, sondern ihren Standpunkt – für das Leben – einbringen sollten. Es gilt, klare Einsichten zu bewahren, Grenzen zu ziehen und konsequent an dem festzuhalten, was dem Schutz des Lebens dient – nicht zuletzt in Verantwortung vor unserem Schöpfer, der das Leben gibt.

Der Verlag, Dillenburg im Dezember 2021

ABTREIBUNG –VOM ZU FRÜHEN ENDE

DES LEBENS

ABTREIBUNG HEUTE

Kampf für Abtreibung weltweit Abtreibung erregt die Öffentlichkeit fast nur noch dann, wenn man deren allgemeine Anerkennung und Legitimität bedroht sieht. 2020 beispielsweise gab es in deutschen Medien einen Sturm der Empörung, weil der republikanische US-Präsident Donald Trump eine konservative Richterin für das Supreme Court, das höchste amerikanische Gericht, vorgeschlagen hatte. Die erfahrene Jura-Professorin Amy Coney Barrett wird als „tief religiös und erzkonservativ“ beschrieben. Öffentlich hatte sie sich außerdem für ein christliches Familienbild und gegen Abtreibung geäußert. Außerdem hat sie sieben eigene Kinder und will ein Leben nach den Maßstäben

Gottes führen. Viele Medien kritisierten die Ernennung der Juristin scharf, vor allem aufgrund ihrer abtreibungskritischen Einstellung.1

Beständig beklagen Journalisten außerdem, dass viele Staaten noch nicht so „fortschrittlich“ sind, Abtreibung zu liberalisieren. Gerne wird dabei auf dramatische Einzelfälle vergewaltigter oder sehr junger Schwangerer verwiesen.2 Afrika und Südamerika werden heute wieder weltanschaulich kolonialisiert, nicht durch Armeen, sondern durch westliche Regierungen und humanitäre Organisationen, die sexuelle Befreiung, Geburtenkontrolle und Abtreibung propagieren. Oft gegen den Willen der lokalen Bevölkerung werden die Menschen zum Umdenken und zur Akzeptanz westeuropäischer Sexualvorstellungen gedrängt.3 Frankreich beispielsweise bekennt sich offen zu einer „feministischen Diplomatie“. Mit den finanziellen Mitteln staatlicher Entwicklungshilfe sollen Länder weltweit gedrängt

1 Vgl. z. B.: Christian Stöcker: Eingemauert in der Festung des Selbstbetrugs, in: DER SPIEGEL vom 18.10.2020, https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/usa-republi kaner-eingemauert-in-der-festung-des-selbstbetrugskolumne-a-468cdea1-d5e3-4a4e-901d-be28f56d645d.

2 Vgl. Brasilien verschärft Gesetze für Schwangerschaftsabbrüche, in: ZEIT online vom 29.8.2020, https://www. zeit.de/politik/ausland/2020-08/vergewaltigungsopferbrasilien-abtreibungsgesetz-verschaerfung-schwangerschaftsabbruch-frauenrechte.

3 Vgl. Reinhold Scharnowski: Der Westen kolonialisiert Afrika neu, in: live.net vom 28.7.2018, https://www.livenet.ch/themen/gesellschaft/ethik/331261-der_westen_ kolonialisiert_afrika_neu.html.

werden, Abtreibung nach französischem Muster zu liberalisieren.4 Staaten, die sich weigern, werden dann auch andere Unterstützungen gestrichen.

Abtreibung als Grundrecht in Deutschland?

Kritik an Abtreibung wird zumeist vollkommen ignoriert oder als rückständig bzw. hoffnungslos engstirnig diffamiert. Eine wirkliche Diskussion über Abtreibung findet deshalb in Deutschland seit Jahren nicht mehr statt. Ganz im Gegenteil wird sogar versucht, Abtreibungskritiker mundtot zu machen. Jahrelang wurde deshalb der überkonfessionelle „Marsch für das Leben“ totgeschwiegen und in seiner Bedeutung heruntergespielt. Seit das nicht mehr möglich ist, wird mehr über die Gegendemonstranten berichtet als über den eigentlichen Anlass des Protests, ohne allerdings auf deren Gewaltdrohungen und Diffamierungen einzugehen. Auch hier sind die Sympathien von vorherein fest verteilt: Abtreibungsgegner sind demnach verbohrt und gefühllos. Abtreibungsbefürworter werden prinzipiell als fortschrittlich und als Kämpfer für weibliche Selbstbestimmung gefeiert. Das geht zwischenzeitlich so weit, dass aufgrund offener Gewaltandrohungen der Gegner des „Marsches für das Leben“ in der Schweiz

4 Vgl. Ministerium für Europa und auswärtige Angelegenheiten: Weltgesundheit – Internationaler Tag für das Recht auf Abtreibung, 28.9.2020, https://www.diplomatie.gouv.fr/ de/aussenpolitik-frankreichs/menschenrechte-undhumanitarische-hilfe/neuigkeiten/article/weltgesund heit-internationaler-tag-fur-das-recht-auf-abtreibung28-09-20.

diese ausschließlich friedliche Anti-Abtreibungs-Demonstration abgesagt werden musste. Die Polizei gab an, nicht für die Sicherheit der Demonstranten garantieren zu können.5 Europäische Länder wie Polen, die Abtreibungen einschränken wollen, sehen sich plötzlich massivem medialem und politischem Druck ausgesetzt, selbst wenn die neuen Gesetze auf demokratischem Weg verabschiedet wurden. Eine kritische Stellung zu liberalen Abtreibungsgesetzen wird auch hier als vollkommen indiskutabel betrachtet. Selbst ernsthafte Argumente sollen am Status quo der Abtreibung nichts mehr ändern.6

Seit einigen Jahren arbeiten Abtreibungsbefürworter in Deutschland an der Abschaffung der Beratungspflicht vor einer Schwangerschaftsunterbrechung. Ihrer Meinung nach diskriminiere eine obligatorische Beratung Frauen unzulässig und schränke sie in der freien Selbstbestimmung über ihren Körper ein. Nach Auffassung von Abtreibungs-Aktivisten wäre es wünschenswert, alle gesetzlichen Regeln abzuschaffen, die Schwangerschaftsabbrüche erschweren könnten. Darüber hinaus setzen sie sich für Abtreibung als gesetzlich

5 Vgl. Rolf Höneisen / Florian Wüthrich: «Marsch fürs Läbe»-Treffen kann nicht stattfinden, in: livebet.ch vom 5.9.2020, https://www.livenet.ch/news/leben/gesundheit/378991-marsch_fuers_laebetreffen_kann_nicht_ stattfinden.html.

6 Vgl. Barbara Wesel: Europaparlament fordert Recht auf Abtreibung in Polen ein, in: Deutsche Welle vom 26.11.2020, https://www.dw.com/de/europaparlament-fordertrecht-auf-abtreibung-in-polen-ein/a-55742404.

garantiertes Grundrecht ein. Auch das gesetzliche Verbot der Werbung für Abtreibung halten sie für veraltet.7

Im November 2017 wurde die Gießener Ärztin Kristina Hänel wegen ihrer Internetwerbung für Abtreibungen zu 6000 EUR Strafe verurteilt. Nach mehrmaliger Mahnung hätte sie die Abtreibungswerbung auch einfach ohne weitere Folgen von ihrer Homepage nehmen können. Frau Hänel aber beabsichtigte mit ihrem gut beworbenen Prozess eine neue mediale Diskussion über die gesetzlichen Einschränkungen des Schwangerschaftsabbruchs. Aus diesem Grund hatte Hänel die Staranwältin Prof. Monika Frommel engagiert, und deshalb berichteten unmittelbar nach dem Prozess alle großen Medien über das Urteil. Zahlreiche Journalisten, Feministinnen und Prominente forderten eine Reform von Paragraf 218a des Strafgesetzbuches. Zeitgleich mit der Verkündung des Urteils wurden publikumswirksam auch eine Unterschriftenliste und Demonstrationen initiiert, in der Menschen ihre Solidarität mit dieser vermeintlichen „Märtyrerin“ der Frauenrechte erklären konnten. Der Prozess sollte als Aufschrei gegen die vorgeblich „unzeitgemäßen“ Abtreibungsgesetze instrumentalisiert werden, die als unerträglicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau interpretiert wurden (z. B. „Zeit online“: „Der

7 Vgl. Sonja Thomaser: Das Abtreibungsgesetz in Deutschland ist ein Manifest der Frauenfeindlichkeit, in: Frankfurter Rundschau vom 17.6.2019, https://www. fr.de/meinung/219a-abtreibungsgesetz-deutschlandmanifest-frauenfeindlichkeit-12519645.html.

Skandal ist, dass so was strafbar ist“). In einem Revisionsprozess 2019 wurde die Strafe auf 2500 EUR herabgesetzt. Die Abtreibungsbefürworterin Hänel will nun vor dem Bundesverfassungsgericht die Abtreibungsgesetzgebung zu Fall bringen.8

Die neue Bundesregierung plant für 2022 die Aufhebung des bisher geltenden Werbeverbots für Abtreibungen (§ 219a). Die vorgeburtliche Tötung von Embryonen soll als normales Mittel der Geburtenregelung etabliert werden. Gleichzeitig sollen kritische Proteste in der unmittelbaren Nähe von Abtreibungseinrichtungen künftig generell verboten sein. Auch das grundsätzliche strafrechtliche Verbot von Abtreibungen (§ 218) steht erneut zur Diskussion, wobei es faktisch schon seit Jahren immer weiter an Relevanz verloren hat.

Bluttest fördert Tötung „unerwünschter Kinder“

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hatte am 19.9.2019 einen umstrittenen Trisomie-Bluttest für Embryonen als generelle Krankenkassenleistung zugelassen. Der betreffende Test soll eine für das ungeborene Kind deutlich risikoreichere Fruchtwasseruntersuchung ersetzen. Für Mutter und Kind ist das

8 Vgl. Wiebke Ramm: „Es macht keinen Sinn“, in: SPIEGEL online vom 12.12.2019, https://www.spiegel.de/ panorama/justiz/neues-urteil-zu-abtreibungsparagraf219a-es-macht-keinen-sinn-a-1301020.html.

erst einmal durchaus ein medizinischer Fortschritt.

Über den Sinn und die möglichen unerwünschten Nebenwirkungen muss aber auf breiter gesellschaftlicher Basis offen gesprochen werden. Mit dieser Zulassung wird ein tragisches Beispiel für weitere geplante Tests der genetischen Gesundheit des Embryos gegeben, die dessen Lebenswert bestimmen sollen.

1. Der nun als Kassenleistung zugelassene Bluttest kann relativ sicher die Trisomien eines Kindes feststellen. Diese Auffälligkeiten lassen sich aber nach der Diagnose nicht medizinisch behandeln, weder während der Schwangerschaft noch nach der Geburt. Das Wissen um die Trisomie könnte den werdenden Eltern theoretisch ermöglichen, sich frühzeitig auf die Besonderheiten ihres Kindes einzustellen. Das ist erfahrungsgemäß aber fast unmöglich, weil sie das Kind bis dahin weder sehen noch anfassen können.

2. Aktuellen Studien zufolge entscheiden sich deshalb 70 % der Schwangeren für eine Abtreibung, wenn sie von der Trisomie ihres Kindes erfahren.

Ist das Kind aber erst einmal geboren, dann kommen 80 % der Eltern gut mit den entsprechenden Einschränkungen zurecht und lehnen eine mögliche Abtreibung solcher Embryonen strikt ab. Offensichtlich verändert die reale Begegnung mit dem eigenen Kind die Entscheidung der Mutter erheblich. Der jetzt zugelassene Bluttest anonymisiert die Entscheidung über Leben und Tod

3. Der Trisomie-Bluttest setzt die schwangere Frau erheblich unter Zugzwang. In zahlreichen Fällen üben Familienmitglieder, Partner und medizinisches Personal erheblichen Druck auf die Mutter aus: Sie solle sich doch besser „für ein gesundes Kind“ entscheiden und dementsprechend die bestehende Schwangerschaft abbrechen. Da zumeist weder eigene Erfahrungen vorliegen, noch eine seelsorgerliche Begleitung stattfindet, muss die Mutter unter Zeitdruck über das Leben des Kindes entscheiden, zu dem sie noch kaum eine Beziehung hat aufbauen können. Dieser durch den Bluttest hervorgerufene emotionale Stress überfordert viele Frauen und führt gewöhnlich zu erheblichen Spannungen in der Partnerschaft. Die sich für das Lebensrecht Behinderter einsetzende Lebenshilfe kommentiert: „Eine Kostenübernahme für Bluttests auf Trisomie 21 für alle Frauen führt weder zu einer verbesserten Selbstbestimmung der Frauen, noch dient sie dem Wohl ungeborener Kinder. Stattdessen sendet sie das Signal, dass Menschen mit Trisomie nicht zur Welt

9 Vgl. Experten befürchten mehr Abtreibungen bei Down-Syndrom, in: Merkur.de vom 7.11.2019, https://www.merkur. de/leben/gesundheit/experten-befuerchten-mehr-abtrei bungen-bei-down-syndrom-zr-11872555.html.

13 unzulässig und führt deshalb zu deutlich mehr Tötungen von Embryonen mit Trisomie.9

kommen sollten, und führt so zu Ausgrenzung und Diskriminierung.“10

Amerikanische Entwicklungen

Die in den USA äußerst scharf geführte Abtreibungsdebatte nimmt zuweilen fast absurde Formen an. Vor wenigen Jahren wurden Abtreibungen dort unter anderem damit gerechtfertigt, dass dadurch vermutlich die Kriminalität gesenkt werden könnte. Da viele Frauen aus schlechtem sozialem Milieu abtreiben, in dem überproportional viel Kriminalität stattfindet, verhindere Abtreibung die Geburt weiterer Verbrecher, so die Logik.11 Ethisch aber ist solch eine Argumentation natürlich problematisch. Man verurteilt Menschen schon vor ihrer Geburt, ehe sie irgendetwas getan haben, nur alleine aufgrund ihrer Herkunft. Das erinnert eher an offene Diskriminierung und starke soziale Vorurteile. Zu Recht fordern Kritiker, dass man stattdessen wohl eher daran arbeiten sollte, die betreffenden Kinder besser zu begleiten und zu fördern, als sie sozusagen prophylaktisch zu töten.

10 Vgl. Lebenshilfe: Down ist in – nicht out!, https://www. lebenshilfe.de/mitmachen/aktiv-werden/1221-trisomie-bluttest, 25.5.2021.

11 Vgl. Katja Gelinsky: Ungeborene Verbrecher, in Frankfurter Allgemeine vom 10.4.2006, https://www.faz.net/ aktuell/feuilleton/debatten/amerika-streitet-senktabtreibung-die-kriminalitaetsrate-1331714.html.

Bill Gates, Microsoft-Gründer und einer der reichsten Menschen der Welt, engagiert sich seit Jahren für Abtreibung. Dazu will er auch moderne Chip-Implantate einsetzen. Gates ist davon überzeugt, dass die stark ansteigende Weltbevölkerung viel Gewalt, Hunger und ökologische Belastungen hervorruft. Deshalb setzt er sich für umfassende Maßnahmen zur Sexualaufklärung, zur Empfängnisverhütung und zur Abtreibung ein.12 Zu diesem Zweck unterstützt Gates die Verbreitung eines vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA entwickelten Mikrochips, der Frauen implantiert wird und bis zu 16 Jahren die Empfängnisverhütung steuern kann. Das Implantat setzt, wie auch die bisherige Pille, täglich eine kleine Menge des Hormons Gestagen ab. Im Vergleich zur Tablette ist der Chip aber deutlich billiger und zuverlässiger. Wenn eine Frau schwanger werden will, kann sie das Implantat jederzeit deaktivieren.

Mit neuen Verhütungsmethoden und Abtreibungen will Gates den Hunger in armen Ländern bekämpfen. Unterernährung führt dort jährlich zum Tod von 3,1 Millionen Kindern unter fünf Jahren; was 45 % aller Sterbefälle von Kindern dieses Alters entspricht. Gates spekuliert, wenn weniger Kinder geboren würden, könnte man diese auch besser 12 Vgl. Stefan Rochow: Verhütung um jeden Preis, in: Die Tagespost vom 28.12.2016, https://www.die-tagespost. de/aktuelles/forum/Verhuetung-um-jeden-Preis;art345, 174936.

ernähren, und weniger Kinder würden dann sterben.13

Mitte März 2021 hatte Asa Hutchinson, der republikanische Gouverneur von Arkansas, ein Gesetz zur Einschränkung von Abtreibungen unterzeichnet. Demnach sollen ab kommendem Sommer nur noch Schwangerschaftsabbrüche erlaubt sein, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Auch 14 andere Bundesstaaten der USA haben in den vergangenen Jahren ähnliche Gesetze zum Schutz ungeborener Kinder erlassen. In Mississippi beispielsweise sind seit Mitte 2020 Abtreibungen verboten, wenn Ärzte die Behinderung eines Kindes nur vermuten. In Tennessee beschlossen Senat und Repräsentantenhaus ein Gesetz, nach dem Kinder nur abgetrieben werden dürfen, solange ihr Herz noch nicht schlägt. Die verschärften Gesetze stellen sowohl Frauen als auch Ärzte unter Strafe, die an einer Abtreibung beteiligt sind.

Erwartungsgemäß meldeten sich sofort nach Unterzeichnung des neuen Gesetzes in Arkansas Abtreibungsbefürworter zu Wort. Holly Dickson, die Direktorin der Bürgerrechtsorganisation ACLU, bezeichnete das Abtreibungsverbot als „grausam“. Es handele sich um „allerschlimmste Politik“, gegen die man umgehend klagen werde. Die Präsidentin des Planned Parenthood Action Fund, Alexis McGill Johnson, äußerte: „Zu einer Zeit, da die Menschen

13 Vgl. Giuseppe Nardi: Bill Gates Verhütungs-Chip mit Fernbedienung, um neues Leben zu verhindern, in: Katholisches vom 14.6.2014, https://katholisches.info/2014/07/14/ bill-gates-verhuetungs-chip-mit-fernbedienung-umneues-leben-zu-verhindern/.

wirtschaftliche Erleichterung […] brauchen, ist die Aufhebung des Zugangs zu Abtreibung grausam, gefährlich und auf eklatante Weise ungerecht.“14 Solche beständig vorgebrachten Aussagen wirken für viele kritische Beobachter seltsam. Nicht etwa die Tötung eines Kindes in den ersten Lebensmonaten wird hier als „grausam“ bezeichnet, sondern die Verhinderung dieser Tötung. Auch die Rechtfertigung der Abtreibung mit „schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen“ wirkt wenig glaubwürdig, weil sie ebenso in Zeiten stark wachsenden Wohlstands in den USA angeführt wurde.

Natürlich sind sich Gouverneur Asa Hutchinson und die verantwortlichen Politiker der anderen US-Bundesstaaten bewusst, dass ihre Abtreibungsgesetze sofort juristisch angegriffen und schlussendlich vor dem Supreme Court, dem höchsten amerikanischen Gericht, überprüft werden.15 Allerdings hoffen viele, die sich für den stärkeren Schutz des ungeborenen Lebens engagieren, dass die seit 1973 in den USA geltenden liberalen Abtreibungsgesetze nun endlich überarbeitet werden und zukünftig stärker das Interesse der Kinder berücksichtigen.

14 Vgl. Julica Jungehülsing: Arkansas verschärft Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen, in: Zeit online vom 10.3.2021, https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-03/usa-schwangerschaftsabbruch-arkansas-abtreibung-gesetz-hutchinson.

15 Vgl. Hubert Wetzel: Supreme Court prüft Abtreibungsverbot, in: Süddeutsche Zeitung vom 19.5.2021, https://www.sued deutsche.de/politik/usa-mississippi-abtreibungsverbotsupreme-court-1.5297779.

Polnischer Sonderweg

Welche Auswirkungen der verbesserte Lebensschutz haben kann, zeigt die entsprechende Gesetzesreform in Polen aus dem Jahr 1993. Infolgedessen sank die Zahl der Abtreibungen dort radikal. Zur Stärkung des Lebensschutzes ungeborener Kinder darf seitdem nur noch bei Vergewaltigung oder bei einer Gefährdung des Lebens der Mutter abgetrieben werden. In den Jahren vor der Gesetzesreform schwankte die Zahl der Abtreibungen zwischen 60 000 und 137 000 jährlich. Seither werden offiziell nur noch zwischen 150 und 1000 Abtreibungen vorgenommen. Die Dunkelziffer der illegalen oder im Ausland durchgeführten Abtreibungen dürfe bei 50 000 jährlich liegen. Infolge des verbesserten Lebensschutzes wurden während 27 Jahren in Polen trotzdem rund 1 Millionen Kinder weniger während der Schwangerschaft getötet.16

Schockierend hohe Zahlen

Das 20. Jahrhundert war gekennzeichnet von einer unvorstellbaren, Menschen fressenden Brutalität. In ihrem kaum überbietbaren Rassenwahn ermordeten die Nationalsozialisten 6 Millionen Juden und waren verantwortlich für insgesamt 55 Millionen Tote. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs verloren 40 Millionen Soldaten und Zivilisten ihr Leben. Stalins

16 Vgl. Stephan Raabe: Zur Korrektur eines Klischees: Abtreibung in Polen. Zahlen und Schätzungen, Konrad Adenauer Stiftung. Warschau 2007, https://www.kas.de/documents/252038/253252/7_dokument_dok_pdf_10890_1. pdf/4f270774-45bc-a804-cf3c-49183e68ca6f?version= 1.0&t=1539664538119.

kommunistische Diktatur in der Sowjetunion forderte zwischen 1929 und 1953 40 Millionen Todesopfer. Noch deutlich mehr Menschen starben in China durch den linken Terror Mao Zedongs. 80 000 Menschen starben allein aufgrund des Atombombenabwurfs auf das japanische Hiroshima. Und damit sind noch längst nicht alle Massenmorde des 20. Jahrhunderts erfasst.

Alle für diese Gräueltaten Verantwortlichen handelten angeblich mit „besten Absichten“. Sie wollten ihr Land von der Unterdrückung der Herrschenden befreien oder die Grundlage für eine bessere, gerechtere Welt schaffen. Sie meinten, der großen Bedrohung ihrer Völker oder der ganzen Menschheit nur auf diese Weise begegnen zu können. Die Millionen von Toten betrachteten sie als notwendige Opfer für Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit oder das, was sie dafür hielten. Je größer die vorgebliche Gefahr oder die beabsichtigte Verbesserung, umso eher waren die Verantwortlichen bereit, dafür viele tausend Menschen zu opfern. Das ist mehr als tragisch und sollte zur Vorsicht mahnen, wenn grausame Taten durch vorgeblich edle Motive gerechtfertigt werden sollen.

Die eindeutig größte Massentötung der gesamten Weltgeschichte findet aber in unseren Tagen statt. Nach Auskunft des Deutschen Ärzteblatts werden weltweit Jahr für Jahr 57 Millionen Kinder abgetrieben.17 Jährlich sterben auf diese Weise mehr Men-

17 Vgl. WHO: Jährlich 25,5 Millionen unsichere Abtreibungen weltweit, in: Ärzteblatt vom 28.9.2017, https://www. aerzteblatt.de/nachrichten/80592/WHO-Jaehrlich-25-5Millionen-unsichere-Abtreibungen-weltweit.

schen als durch den Zweiten Weltkrieg. Seit Legalisierung und Bewerbung der Abtreibung als Zeichen von Freiheit und Selbstbestimmung verloren durch Abtreibungen viele Millionen Menschen ihr Leben. Eine solch umfassende Massentötung hat es noch nie gegeben, und das in Friedenszeiten. Getötet werden Kinder, die niemanden bedroht und niemandem geschadet haben, zumeist im Auftrag ihrer eigenen Mütter, Väter und Großeltern.

Einfach weil man sich daran gewöhnt hat, wird diese fortgesetzte Menschenrechtsverletzung toleriert oder sogar als Fortschritt gefeiert. An der Tatsache, dass Abtreibung die Tötung eines Menschen ist, lässt das deutsche Recht keinen Zweifel. Deshalb gilt nach § 218 des StGB bis heute: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Dann werden allerdings Ausnahmen für eine straffreie Tötung des eigenen Kindes formuliert, mit denen alle gegenwärtig legalisierten Abtreibungen abgedeckt werden. Ganz sicher stärkt die Möglichkeit der Abtreibung die Freiheit der Mutter. Mit keiner noch so guten Begründung sollte es aber ein Anrecht geben, über das Leben eines anderen Menschen zu entscheiden. Ja, eine Schwangerschaft ist ein massiver Eingriff in das Leben der Mutter. Abtreibung ist aber ein noch weit stärkerer Eingriff in das Leben des Kindes, dem keinerlei Möglichkeit gelassen wird, über sein eigenes Leben zu entscheiden.

Nur weil die 57 Millionen Kinder keinerlei Lobby oder Anwalt haben, schweigen die meisten Menschen über diese größte Massentötung der Weltgeschichte.

Absurderweise fühlen sich viele heute lebenden Menschen früheren Generationen moralisch sogar weit überlegen. – Sollte sich das öffentliche Rechtsempfinden zukünftig wieder ändern, stünde eine ganze Generation vor der Frage, warum sie nichts gegen diese unvorstellbare Tötung unzählbar vieler Kinder unternommen hat.

ABTREIBUNG

GRUNDSÄTZLICH18

Der Mord an erwachsenen Menschen steht in Deutschland selbstverständlich unter Strafe. Ungeborene jedoch, die im Bauch der Mutter noch keine eigenen Interessen anmelden können, werden täglich weitgehend bedenkenlos getötet. Abtreibung wird das genannt oder Abortus (= Abgang); ein etwas verharmlosender Ausdruck für das Ende eines – wenn auch noch unscheinbaren – menschlichen Wesens. In dem lange verwendeten Fachausdruck der interruptio

18 Zur Einführung in die Problematik vgl. Ulrich Eibach: Gentechnik und Embryonenforschung. Leben als Schöpfung aus Menschenhand?, R.Brockhaus, Wuppertal 2002, S. 53-97 / Norman L. Geisler: Christian Ethics. Options and Issues, Baker Books, Grand Rapids 1989, p. 135-156 / Raimund Sagmeister: Art. Abtreibung, in: H. Rotter; G. Virt Hrsg.: Neues Lexikon der christlichen Moral, Tyrolia, Innsbruck, 1990, S. 13-18 / W. Neuer: Art. Abtreibung, ELThG, Bd.1, S. 14ff / Sung Hee Lee-Linke: Art. Schwangerschaftsabruch. Überblick, ELThK3, Bd. 4, Sp. 122ff. / Martin Koschorke: Art. Schwangerschaftsabruch. Rechtliche Aspekte und aktuelle ethische Diskussion, ELThK3, Bd. 4, Sp. 124f.

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