Für die Heilung
unserer Seele
Von René Malgo
«Im sechsten Monat aber wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt Galiläas namens Nazareth gesandt, zu einer Jungfrau, die verlobt war mit einem Mann namens Joseph, aus dem Haus Davids; und der Name der Jungfrau war Maria. Und der Engel kam zu ihr herein und sprach: Sei gegrüsst, du Begnadigte! Der Herr ist mit dir, du Gesegnete unter den Frauen!
Als sie ihn aber sah, erschrak sie über sein Wort und dachte darüber nach, was das für ein Gruss sei. Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Denn du hast Gnade bei Gott gefunden. Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären; und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Dieser wird gross sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben; und er wird regieren über das Haus Jakobs in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Maria aber sprach zu dem Engel: Wie kann das sein, da ich von keinem Mann weiss? Und der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, hat auch einen Sohn empfangen in ihrem Alter
und ist jetzt im sechsten Monat, sie, die vorher unfruchtbar genannt wurde. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort! Und der Engel schied von ihr.»
Lukas 1,26-38
Warum nur musste es Weihnachten werden?
Wenn wir uns diese Frage stellen, macht es Sinn, sich zuerst damit zu befassen, was überhaupt an Weihnachten geschah. Und wenn wir die Bibel lesen, stellen wir fest: An Weihnachten geht es um den Gott, der ein Mensch wurde wie wir!
Das allein schon ist eine unfassbare Botschaft. Warum nur musste so etwas Unglaubliches geschehen? Als die Jungfrau Maria zu diesem Wunder Gottes sagte: «Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort!» (Lk 1,38), da kam der Heilige Geist über sie, die Kraft Gottes des Vaters überschattete sie und in sie wurde der Same des Sohnes Gottes gelegt. Die göttliche Dreieinigkeit verband sich mit ihr: Durch den Heiligen Geist, in Gott dem Vater, nahm Gott der Sohn menschliche Gestalt in ihr an.
Das heisst: Von der Empfängnis an war Gott in der Jungfrau, die Ihn als Mensch gebären sollte. Von der Empfängnis an war der ganze Gott zugleich das ganze Kind, das zur Welt kommen sollte. Gott der
Sohn war neun Monate im Leib einer Jungfrau. Das klingt unerhört, wenn man darüber nachdenkt. War das wirklich nötig?
Die frohe Botschaft des christlichen Glaubens lautet: Gott wurde Mensch, um für unsere Sünden zu sterben. Selbst wenn wir keine Ahnung haben, was das bedeutet, könnten wir dazu dennoch einwenden: «Aber um zu sterben, hätte Gott nicht so weit vorne anfangen müssen. Das mit dem Mutterleib hätte Er sich auch sparen können. Warum nicht gleich einen ausgewachsenen menschlichen Körper nehmen und so erscheinen? Gott der Schöpfer könnte das. In der Bibel beginnen Adam und Eva ihr Leben auch als erwachsene Menschen. Warum hat Gott für sich selbst, wenn Er schon menschliche Gestalt annehmen will, nicht dasselbe gemacht?»
Ja, warum machte sich Gott die Mühe, eine menschliche Jungfrau auszuwählen, sich unauflöslich mit ihr als ihr Vater, als ihr Sohn und als ihr Bräutigam zu vereinen, damit der Sohn aus ihrem Fleisch heraus ein Mensch und sie zu einem in dieser Form einzigartigen Familienmitglied Gottes wird? Warum nur? Weil Er Liebe ist.
Die Geburtsberichte in der Bibel stecken voller ungewöhnlicher Details, die überflüssig wären, wenn nicht etwas Bestimmtes damit gesagt werden sollte, nämlich, dass Der, der in Maria heranwuchs, sowohl ihr Gott als auch ihr Kind war.
Ein Beispiel: So zog die schwangere Maria in das Bergland von Judäa zu ihrer ebenfalls schwangeren Verwandten Elisabeth. «Und es geschah, als Elisabeth den Gruss der Maria hörte, da hüpfte das Kind in ihrem Leib; und Elisabeth wurde mit Heiligem Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme und sprach: Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes! Und woher wird mir das zuteil, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, sowie der Klang deines Grusses in mein Ohr drang, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Und glückselig ist, die geglaubt hat; denn es wird erfüllt werden, was ihr vom Herrn gesagt worden ist!» (Lk 1,41-45).
Marias ältere Verwandte war ganz ausser sich, dass die Mutter ihres Herrn sie besuchen kam. Das war etwas so Besonderes, dass das Kind im Leib der Elisabeth vor Freude hüpfte, als Maria etwas sagte.
– Das ist aussergewöhnlich. Normalerweise regt sich ein Kind im Mutterleib ja eher, wenn es die ihm bereits vertraute Stimme seiner eigenen Mutter hört.
Aber bei der Stimme der Mutter eines anderen Kindes?
Was machte dieses einfache jüdische Mädchen so einzigartig? Sogar so einzigartig, dass sie daraufhin einen Lobpreis anstimmte und unter anderem sagte:
«Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich über Gott, meinen Retter, dass er angesehen hat
die Niedrigkeit seiner Magd; denn siehe, von nun an werden mich glückselig preisen alle Geschlechter!» (Lk 1,46-48).
Wer so etwas betet, muss einen sehr guten Grund dafür haben. Gott sagte einst Israels Stammvater Abraham, dass in seinem Nachkommen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden würden. Und jetzt formuliert dieses Mädchen aus Israel ähnlich und spricht: «Von nun an werden mich glückselig preisen alle Geschlechter!»
Warum? Wegen des göttlichen Kindes, das in ihr war. Elisabeth nennt die jüngere Maria die Mutter ihres Herrn. Wenn eine fromme Jüdin so etwas sagt –und fromm war Elisabeth als Frau eines Priesters –, dann bezeichnet sie Maria damit als die Mutter ihres Gottes. Denn tiefgläubige Menschen kennen nur einen
Herrn: Gott den Allmächtigen. «Hebt eure Häupter empor, ihr Tore, und hebt euch, ihr ewigen Pforten», sagt ein Psalm, der oft in der Adventszeit zitiert wird. Weshalb? «Damit der König der Herrlichkeit einziehe! Wer ist dieser König der Herrlichkeit? Es ist der Herr, der Starke und Mächtige, der Herr, der Held im Streit! Hebt eure Häupter empor, ihr Tore, ja, hebt eure Häupter, ihr ewigen Pforten, damit der König der Herrlichkeit einziehe! Wer ist denn dieser König der Herrlichkeit? Der Herr der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit!» (Ps 24,7-10).
Gott der Sohn, der König der Herrlichkeit und der Herr der Heerscharen, zog damals durch das «Tor» der von Ihm erlösten und geheiligten Jungfrau Maria auf diese Erde ein.
Ihn, der von den Cherubim Tag und Nacht angebetet wird, hielt Maria in ihren Armen. Der grenzenlose Gott, den das All nicht fassen kann, wohnte im Leib der Jungfrau. Der König, vor dem alle unsichtbaren Mächte und Gewalten zittern, lag an der Brust Seiner Mutter, und sie umfing Ihn liebkosend als ein kleines Kind. Die Himmel sind der Thron Seiner Herrlichkeit, und Er sass auf Marias Schoss. Die Erde ist der Schemel Seiner Füsse, und Er ging auf ihr umher als ein junger Knabe (nach Ephräm dem Syrer).
Er blieb wohl, der Er ist, und wurde doch, was Er zuvor nicht war. Das ist die alle Erkenntnis übersteigende Liebe Gottes.
Die Vereinigung Gottes mit den Menschen
In der Geschichte des Christentums wurde viel über die Menschwerdung Gottes diskutiert. Der Gedanke, dass Maria wirklich Gott selbst in sich trug, war auch in alten Zeiten für manche Gläubigen zu ungeheuerlich, wenn sie darüber nachdachten.
Im 5. Jahrhundert sagte zum Beispiel ein Bischof sinngemäss, Maria sei nicht die Mutter des Herrn, sondern die Mutter von Christus. Wir dürften nicht sagen, dass sie die Mutter von Gott selbst sei.
Das klingt, menschlich gesehen, ganz vernünftig und sogar gottesfürchtig. Das Problem war aber: Er sagte damit, dass Maria bloss einen normalen Menschen zur Welt gebracht hätte, und mit diesem Menschen hätte sich Gott verbunden. Dieser Bischof hatte zwar nichts dagegen, dass die Verbindung im Mutterleib stattfand, aber ihm war es wichtig, dass Maria selbst nur die Mutter eines Menschen war.
Das jedoch bedeutet: Die Gottheit hätte sich theoretisch auch irgendwann später mit Jesus zusammentun können. Und es gab auch wirklich solche, die sagten, die Gottheit wäre erst bei Seiner Taufe zu Jesus gekommen.
In diesem Fall wäre Gott selbst nicht vollständig Mensch geworden, sondern Gott hätte sich nur vollständig mit einem Menschen verbunden. Das ist ein kleiner, aber schwerwiegender Unterschied. Jesus ist Gott, und zwar Gott der Sohn. Er ist nicht ein Mensch, mit dem Gott sich vereint hat, sondern Er ist wirklich und wahrhaftig der menschgewordene Gott. Und darum nennt Elisabeth Maria die Mutter ihres Herrn.
Warum ist das so wichtig? Es kann uns doch egal sein, worüber die Herren Theologen sich streiten. Und es ist wahr, für unsere Erlösung ist es nicht notwendig, dass wir jedes Detail richtig verstehen und erklären können. Aber in der Realität ist es natürlich sehr, sehr wichtig, dass auch wirklich das geschehen
ist und Gott auch wirklich das getan hat, was uns wirklich erlöst.
Die Väter unseres Glaubens haben diese Wahrheit in einem bemerkenswerten Satz zusammengefasst. Sie sagten: «Was nicht angenommen wurde, kann auch nicht geheilt werden.» Was bedeutet das? «Was nicht angenommen wurde, kann auch nicht geheilt werden.»
Das Thema lautet ja: Warum nur musste es Weihnachten werden? Und die Antwort, die wir in diesem Kapitel in diesem Zusammenhang geben, ist: Für die Heilung unserer Seele.
Unsere Seele und unser Fleisch, unser ganzes Sein, werden von der Sünde geplagt. Wir leiden unter unserem eigenen Versagen und dem Versagen anderer uns gegenüber … und am Ende sterben wir. Das Leben ist oft ein Tränental. Wir sind zerbrechliche Gefässe. Wo wir auch gehen und stehen, schleppen wir Fehlerhaftigkeit, Vergänglichkeit und Sterblichkeit mit uns herum. Wir tragen zwar das Bild Gottes, aber es wird von der Sünde verdunkelt. Wir sind nicht göttlich, sondern menschlich. Die Distanz zwischen unserer Sterblichkeit und Gottes Unsterblichkeit ist unendlich und ewig. Sie ist unüberbrückbar.
Unüberwindbar ist der Graben zwischen unserer Niedrigkeit und Gottes Majestät, zwischen unserer Schwachheit und Seiner Stärke, zwischen unserer
Zeitlichkeit und Seiner Ewigkeit, zwischen unseren Makeln und Seiner Makellosigkeit.
Wie könnten wir jemals diese grenzenlose Distanz überwinden, wenn wir doch begrenzte Geschöpfe sind? Wie könnten wir jemals sündlos und unsterblich werden, wenn wir von Geburt an sterblich und sündig sind?
Gott muss für uns diesen unendlichen Graben überwinden, weil nur Er unendlich ist. Aber, bildlich gesprochen: Es würde nichts helfen, wenn Gott eine unendliche Brücke über den unendlichen Graben baute und dann sagte: «Kommt nur, liebe Leute, ich bin für euch da. Überquert die Brücke, ich erwarte euch mit offenen Armen.»
Wir würden es niemals über die Brücke der Unendlichkeit schaffen, weil wir endlich sind. Wir würden immer scheitern, wenn wir auf uns alleine gestellt wären. Das Sterbliche kann nicht aus sich selbst heraus unsterblich werden, das Vergängliche nicht unvergänglich, das Unvollkommene nicht vollkommen. Das ist unmöglich.
Und so trat Gott selbst über den unendlichen Graben. Er wurde von Anfang an einer von uns, um uns von innen heraus zu heilen und zu erlösen. Der Sündlose zog das Fleisch der Sünde an, ohne selbst zu sündigen (Röm 8,3), um in einem menschlichen Leib die Sünde und den Tod zu besiegen. Der Unendliche wurde endlich. Die Majestät bekleidete sich mit
Niedrigkeit, die Unsterblichkeit mit Sterblichkeit, die Stärke mit Schwachheit, die Ewigkeit mit Zeitlichkeit, um uns arme Sünder so mit der Majestät, Unsterblichkeit, Stärke und Ewigkeit zu verbinden.
Das ist die göttliche Liebe. Er wurde, was wir sind, damit wir Anteil an dem bekommen, was Er ist. Er nahm die Menschheit ganz und gar an, um sie ganz und gar zu heilen. Gott ist Liebe, und so tut Er nicht das Mindeste, sondern das Beste und das Höchste für Seine Geschöpfe.
Er wurde Fleisch von Marias Fleisch und Gebein von Marias Gebein, damit wir Fleisch von Seinem Fleisch und Gebein von Seinem Gebein werden können. Wie? Indem wir uns auf den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist taufen lassen und uns im Glauben mit Ihm vereinen.
Jesus Christus, der menschgewordene Gott, thront jetzt in der Dimension des Himmels, und der Heilige Geist verbindet alle mit Ihm, die an Ihn glauben, auf Ihn hoffen und Ihn lieben. Und so heilt Er unsere Seele von innen heraus, indem Er sich mit ihr vereint.
Das bedeutet: Was nicht angenommen wurde, kann auch nicht geheilt werden. Gott musste uns in allem gleich werden, wenn Er uns auch in allem zum Himmel erhöhen wollte. Und das will Er, weil Er Liebe ist.
Du leidest? Er, der verraten, abgelehnt, gegeisselt, verspottet und gekreuzigt wurde, weiss genau,
was du empfindest. Er kann deine Wunden heilen.
Du wirst ungerecht behandelt, verschmäht und verleumdet? Er, der vor Pilatus stand, der von der frommen Elite Seines Landes angeklagt wurde, kennt all deine Gefühle. Er kann deine Verletzungen heilen.
Oder gehen wir weiter zurück. Du bist jung und hast Schwierigkeiten mit deinen Eltern? Er, der Gott selbst ist, war Seinen Eltern auf Erden dennoch gehorsam, und Er weiss genau, was du empfindest. Er kann jeden zwischenmenschlichen Riss heilen. Er nahm Anteil an der Menschheit, damit wir Anteil an Seiner göttlichen Natur bekommen (2Petr 1,4). Er nahm einen menschlichen Leib an, damit wir
Glieder Seines himmlischen Leibes werden. Er wurde geboren, damit wir neu geboren werden. Er kam in eine irdische Familie, damit wir zu einer göttlichen Familie kommen.
Wie weitreichend ist Seine Erlösung? Sie übersteigt unseren Verstand. Aber der Apostel Paulus schreibt, dass es Gott dem Vater gefiel, «in ihm alle Fülle wohnen zu lassen und durch ihn alles mit sich selbst zu versöhnen» – und zwar, was im Himmel und was auf der Erde ist (Kol 1,19-20). Die Vereinigung der göttlichen Natur mit der menschlichen ist zweifellos viel weitreichender, als wir denken, weil Gottes Liebe viel grösser ist, als wir jemals erkennen könnten. Sie übersteigt jede Höhe, Breite, Tiefe und Länge bei Weitem.
In dem menschgewordenen Gott, in Jesus Christus, wird die unüberbrückbare Distanz zwischen Tod und Leben, zwischen Sterblichkeit und Unsterblichkeit, zwischen Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit, zwischen Zeitlichkeit und Ewigkeit überwunden.
Was mag das für Embryos bedeuten, die im Leib ihrer Mutter nicht überleben? Für Kinder, die abgetrieben werden? Für Babys, die im Kindsbett sterben? Für Kleinkinder, die durch furchtbares Leid müssen und schliesslich vom Tod geholt werden? Es bedeutet für sie, dass dies nicht das Ende sein muss, auch wenn ihnen nie die Chance gegeben worden ist, sich bewusst Gott zuzuwenden. Der Sohn Gottes, Gott selbst, hat sich auch mit ihnen verbunden, weil Er ein Embryo war, ein Baby, ein Kleinkind. Er kann alle heilen.
Niemand fällt durchs Raster, denn die ganze Gottheit hat die ganze Menschheit in sich aufgenommen. Er wurde, was wir sind, damit wir Anteil an dem bekommen, was Er ist. Denn was nicht angenommen wurde, kann auch nicht geheilt werden.
Mit anderen Worten: Weil Gott alles vom Menschen angenommen hat, kann Er auch alles am Menschen heilen. Es gibt keine hoffnungslosen Fälle. «Gott ist Liebe» lässt dies nicht zu.
Er ist einer von uns geworden. Er hat sich eine von uns zur Mutter erwählt. Und Er macht aus einem jeden von uns, der will, ein Mitglied Seiner heiligen
Familie: durch den Heiligen Geist, vereint mit Ihm, dem Sohn, verborgen in Gott, dem Vater. Darum feiern wir Weihnachten.
Die Menschwerdung Gottes und das alltägliche Leben
Was bedeutet das für unser Leben?
Es klingt grandios: Gott wurde Mensch, um in Verwandtschaft mit uns zu treten. Der Schöpfer steigt zu Seinen Geschöpfen herab. Aber so glorreich sieht es in unserem Alltag oft nicht aus. Auch wenn wir zu Jesus gehen, bleibt vieles dunkel, unverständlich, schwierig. Wir spüren weiter unsere Schwachheit, unsere Niedrigkeit, unsere Sünde und kaum etwas bis nichts von der Vollkommenheit, der Majestät und der Stärke, die Er uns schenken will.
Das ist kein Zufall. Und es ist auch kein Betriebsunfall in Gottes Plan mit dir. Seine Liebe zu dir ist grösser als alle Umstände, als alle Sünden, als alle Mächte, die dich zu erdrücken drohen.
Das zeigt dir Seine Menschwerdung. Wie kam Gottes Sohn zur Welt? Nicht in einem Palast, sondern in Niedrigkeit. Bis zu Seinem 30. Lebensjahr führte der Sohn Gottes ein unscheinbares Leben. Es war so unscheinbar, dass Seine eigenen Verwandten ziemlich erstaunt über die Dinge waren, die Er später in Seinem öffentlichen Dienst tat und sagte. Sie glaubten zuerst nicht an Ihn. Das heisst, dreissig Jahre
lang hatte Jesus so gelebt, dass Seine Gottheit im Alltag gar nicht aufgefallen war.
Er heiligt und heilt auch dein unscheinbares Leben. Verborgen, klein und unbedeutend zu sein, ist keine Schande. Und als der menschgewordene Gott dann in die Öffentlichkeit trat, endete Sein Dienst nicht mit einem glorreichen Triumphzug, sondern mit einer scheinbaren Niederlage, in Schimpf und Schande, am Kreuz von Golgatha. Er starb einen fürchterlichen Tod. Doch gerade da besiegte Er den Tod. Er siegte durch Leiden, Dunkelheit und Ungerechtigkeit hindurch und stand am dritten Tag aus den Toten auf.
So ist es auch in unserem Leben: Wenn wir uns im Glauben, in Hoffnung und in der Liebe mit dem Gott verbinden, der einer von uns geworden ist, geht es nicht etwa über Höhenflüge zur Heilung unserer Seele und zur Herrlichkeit, sondern durch Niedrigkeit, durch Unscheinbarkeit und sehr oft auch durch Leid.
Je inniger wir mit Jesus leben und die Verbindung mit Ihm pflegen, desto wirksamer wird die Heilung im Hier und Jetzt. Er will unsere Seele reinigen, befreien, erleuchten, erfüllen. Aber das bedeutet auch, dass durch unsere Vereinigung mit dem Herrn unser Leben immer mehr so wird wie Sein Leben. Wir folgen Ihm zum Kreuz und nehmen dabei täglich unser eigenes Kreuz auf uns. Und genau dort, wo es am
unbegreiflichsten ist, heilt uns der Gott, der hier auf Erden Seine Majestät mit unserer Niedrigkeit, Seine Stärke mit unserer Schwachheit und Seine Unsterblichkeit mit unserer Sterblichkeit überkleidet hat.
Denken wir an die Jungfrau Maria, die Mutter unseres Herrn. Sie trug buchstäblich den Herrn in ihrem Leib, so wie wir Ihn jetzt durch den Heiligen Geist in uns wohnen lassen sollen. Sie war unscheinbar, und sie blieb unscheinbar. Als sie zusammen mit Joseph den Säugling Jesus im Tempel darbrachte, kündigte ihr der alte Prophet Simeon an, dass ein Schwert ihre Seele durchbohren würde. Sie würde leiden wie keine andere Mutter. Der, der Fleisch von ihrem Fleisch und Gebein von ihrem Gebein war, würde von der ganzen wütenden Macht der Hölle angegriffen werden. Wie gross und tief muss ihr Schmerz gewesen sein, als sie unter dem Kreuz stand und ihren Sohn so furchtbar leiden sah. Und als Er dann im Tod den Tod besiegte und auferstand, musste sie ihren wiedergewonnenen Sohn bald wieder freigeben und in die Dimension des Himmels ziehen lassen. Sie selbst blieb noch eine Zeit lang auf der Erde zurück. Sie lebte weiter ein unscheinbares Leben. Nach den Schilderungen von der Geburt des Herrn lesen wir in der Bibel nicht mehr viel über Maria. Sie bleibt im Hintergrund, und doch ist sie die Jungfrau, die bis heute von Geschlecht zu Geschlecht, von Generation zu Generation seliggepriesen wird.
Und so ist es auch in unserem Leben, wenn wir – ähnlich wie Maria – durch den Heiligen Geist mit unserem Herrn Jesus verbunden sind und Gott zum Vater haben: Ja, wir bleiben niedrig. Wir gehen durch Schwachheit. Und zutiefst dunkle Täler können kommen, Schwerter können unsere Seele durchbohren, aber die Seligpreisung über unserem Leben ist Realität und wird sich zeigen, wenn wir an Christus festhalten.
Er wurde, was wir sind, damit wir Anteil an dem bekommen, was Er ist. Und der Weg dorthin ist der Weg der Niedrigkeit. Der Weg unseres menschgewordenen Gottes. Der Weg vollkommener Liebe.
Die Liebe Gottes in der Praxis Warum nur musste es Weihnachten werden? Damit Gott ganz einer von uns wird, um uns ganz zu heilen und zu erlösen.
Diese heilsame Vereinigung erfahren wir, wenn wir die Verbindung mit Ihm ganz suchen. Er hat ja die unüberbrückbare Distanz zwischen unserer irdischen Vergänglichkeit und Seiner himmlischen Unvergänglichkeit aufgehoben. Er hat die Brücke von innen heraus geschlagen, nämlich als menschgewordener Gott.
Und so liegt es auf der Hand, wie wir auf dieser Brücke bleiben, wie wir in Gemeinschaft bleiben mit dem einen Mittler zwischen Gott und Menschen:
indem wir leben, wie Jesus gelebt hat. Wir gehorchen Ihm. Wir folgen Ihm, wohin Er auch gehen mag. So werden unsere Seelen geheilt.
Aber – und dieser Hinweis ist wichtig –, wir müssen schon dem richtigen Jesus nachfolgen. Wir müssen mit dem richtigen Jesus vereint sein. Viele reden zwar von Jesus, aber meinen oft unterschiedliche Dinge.
Da stellt sich die bange Frage: Was, wenn ich all diesen theologischen Diskussionen über Jesus, über Seine Gottheit und über das Evangelium gar nicht folgen kann? Bin ich verloren, wenn ich etwas Falsches über Jesus sage oder denke, weil ich gewisse Details noch nicht verstehe?
Nein, in Verbindung mit dem Herrn Jesus zu leben, ist ein Akt der Gemeinschaft. Und Gemeinschaft ist nicht von unseren intellektuellen Fähigkeiten abhängig. Gemeinschaft hat auch nichts mit unseren Einbildungen und eigenen Ideen zu tun. Gemeinschaft ist ein Akt der Liebe. Die Menschwerdung Gottes ist ein Akt vollkommener Liebe. Die Selbsterniedrigung Gottes bis zum Tod am Kreuz ist der Akt höchster Liebe. Mit diesem Jesus sollen wir verbunden sein. Diese Liebe sollen wir nachahmen. In ihr sollen wir mit Ihm Gemeinschaft pflegen.
Liebe ist das Grösste. Alles wird vergehen, aber die Liebe bleibt, weil Gott Liebe ist.
Ein weiser Bibellehrer definierte Liebe wie folgt: Liebe bedeutet, das Gute des anderen als mein Gegenüber zu wollen.
Liebe ist kein Gefühl, sondern eine Willensentscheidung. Diese Liebe sehen wir in der Menschwerdung Gottes. Der Herr des Lebens wollte unser Bestes, und darum vereinigte Er sich mit unserer Natur, um uns das Gute schlechthin zu geben: sich selbst, nämlich Anteil an Seiner göttlichen Natur, die völlige Heilung unserer Seele, die Vergebung aller Sünden, das ewige und vollkommene Leben des Himmels.
Wer in dieser Liebe lebt und bleibt, der bleibt in Gott. Solange wir uns also dazu entscheiden, das Beste für den andern zu wollen, das heisst, Gott und unseren Nächsten in der Praxis zu lieben, solange folgen wir auch dem König der Herrlichkeit nach, der für uns ein Diener der Niedrigkeit geworden ist.
Auf diese Weise erkennen wir, ob wir mit dem richtigen Jesus verbunden sind und ob unsere Seele auf dem Weg zur Heilung durch Ihn ist: Wenn wir andere lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat.
Das ist, um es einmal so zu sagen, der Geist von Weihnachten. Das ist die Botschaft von Weihnachten. Oder anders gesagt: Warum nur musste es Weihnachten werden? Damit die Liebe unsere Seele heilen kann.