Katia Aeberli
Ein ganz besonderes Schuljahr
Die Geschichten von Lea, Louis und Natascha
Die französische Originalausgabe erschien unter dem Titel „Une année d’ecole pas comme les autres“ bei ÉDITION BIBLES ET LITTÉRATURE CHRÉTIENNE, Clarens, Suisse, 2019
1. Auflage 2023
© Christliche Schriftenverbreitung Hückeswagen, 2023
übersetzt von Sigrid Minrath
Illustrationen: Irmhild Buhl
Umschlaggestaltung: Jens Vogelsang
Layout und Satz: Christliche Schriftenverbreitung
Druck: arka-Druck
ISBN: 978-3-89287-697-7
www.csv-verlag.de
Katia Aeberli
Ein ganz besonderes Schuljahr
Die Geschichten von Lea, Louis und Natascha

Christliche Schriftenverbreitung
42499 Hückeswagen
8. Was für eine Geschichte!
9. Louis macht Fortschritte
9. Geschenke
11. Der Preis
1. Frau Robert
2. Die Kriegserklärung
3. Das verlorene Schaf
6. Ein Brief an Justin
8. Mama ist wieder da
9. Es ist zu schwierig.
10. Die Feiertage

Lea
Mein Name ist Lea. Ich bin acht Jahre alt und ich spiele gerne. Das Rechnen fällt mir nicht so leicht, und wenn ich sauer bin, verziehe ich mich in eine Ecke und schmolle. Ich weiß, das ist nicht richtig, aber ich kann irgendwie nichts dagegen tun.
In diesem Jahr habe ich Natascha kennengelernt. Sie ist nicht wie die anderen Kinder. Sie hat eine Behinderung mit einer komplizierten Bezeichnung, die ich mir einfach nicht merken kann. Aber das ist auch gar nicht wichtig, denn jeder mag Natascha so, wie sie ist. Mit ihren beiden Zöpfen, die ihr auf die Schultern fallen, und ihrem freundlichen Lächeln war sie der Sonnenschein in unserer Klasse. Und wir beide wurden Freundinnen.
Nur ihr habe ich mein Geheimnis anvertraut. Als sie in unsere Schule kam, hatte ich gerade etwas auf dem Herzen, über das ich mit niemandem sprechen wollte, weil ich mich so
schämte. Jedes Mal, wenn ich nur daran dachte, hatte ich einen Kloß im Hals. Aber es Natascha zu erzählen, fiel mir leicht.
Sie hatte ein großes Herz für alle Klassenkameraden. Außerdem brachte sie mir bei, dass Kinder niemals denken dürfen, sie würden alleine gelassen. Selbst wenn ihnen große Schwierigkeiten im Leben begegnen, gibt es im Himmel Jemanden, der auf sie aufpasst. Jemanden, der jedes einzelne Kind auf der Welt liebt.
1. Die neue Schülerin
Aber ich will von Anfang an erzählen, als Natascha eines Morgens in unsere Klasse kam.
„Sieh’ mal, Lea, da ist sie! Sie steht da vorne am Eingang, Hand in Hand mit ihrer Mutter.“
Julia zupfte an meinem Ärmel, damit ich in die richtige Richtung sehen konnte. Auf dem Schulhof waren viele Kinder und auch Erwachsene, die ihre kleinen Kinder in die Vorschule brachten.
Ich drehte mich um, sah aber nur eine rosafarbene Schultasche und eine hochgewachsene Frau, die gerade die Schule betrat.
Die Glocke läutete und wir stellten uns in Reihen auf. Ich stellte mich neben Julia. Hinter mir stand Louis, der Charlotte ganz stolz sein neues Modellmotorrad zeigte.
Schon zum dritten Mal zischte sie ihm zu: „Mensch Louis, jetzt gib mir endlich deine Hand, gleich kommt doch unsere Lehrerin.“
„Aber sieh doch mal! Das ist eine Kawasaki! Hast du gesehen, wie toll die aussieht? Mein Papa hat sie mir geschenkt, weil ich in der letz-
ten Woche keine Strafarbeit aufbekommen habe.“
Louis ahmte das Geräusch des Motors nach und ließ das kleine Motorrad oben auf meiner Schultasche hin- und herfahren. Da kamen die Lehrerinnen und wir verließen den Schulhof. Meine Klasse war im Erdgeschoss. Die Lehrerin, die an der Tür stand, nahm die lächelnde Natascha an die Hand und begrüßte alle Kinder.
„Sag mal, Louis, was versteckst du da in deiner Tasche?“
Louis zeigte sein Motorrad und erklärte:
„Mein Papa hat es mir geschenkt, weil ich in der letzten Woche keine Strafarbeit aufbekommen habe. Darüber war er so froh, dass er mich auf seinem Motorrad zur Werkstatt mitgenommen hat. Bei der Gelegenheit hat er sich was zum Trinken gekauft und …“
„In Ordnung, du kannst es behalten, aber jetzt steckst du es bitte in deine Schultasche.“
„Guten Tag, Lea. Du hast aber ein hübsches neues Armband! Das hat ja alle Farben vom Regenbogen.“
„Julia hat es mir geschenkt.“
„Hallo Lea“, grüßte mich Natascha freundlich. Natascha machte einen sehr netten Eindruck. Während sie noch immer die Hand ihrer Lehrerin hielt, betrachtete sie uns. Zwei schöne braune Zöpfe fielen auf ihren rosafarbenen Pulli. Und ihr fehlte ein Zahn. Genau wie mir.

Wir setzten uns auf unsere Plätze. Aber es war ganz anders als sonst; die Lehrerin musste gar nicht mit dem Glöckchen läuten, weil es mucksmäuschenstill war.
„Hört mal her, Kinder! Wir wollen jetzt eure neue Mitschülerin kennenlernen. Wie heißt du?“
„Mein Name ist Natascha.“
„Verrätst du uns, wie alt du bist?“
„Ich bin zehn Jahre alt. Ich brauche ein bisschen länger, um etwas zu verstehen, aber ich kann lesen.“
„Also, Natascha, wir freuen uns sehr, dass wir dich hier in deiner neuen Klasse begrüßen dürfen. Zu Beginn lese ich euch ein Kapitel aus der Geschichte von „Hüte dich vor Edgar.“
Wir setzten uns alle auf den Boden. Uns gefiel diese Geschichte sehr gut. Sie handelt von einem schrecklichen Bären, der in seiner Burg Angst und Schrecken verbreitet. Er ist sehr gemein zu seinen Dienern, den kleinen Affen. Er zwingt sie dazu, die Palmen auf seiner Insel gerade zu biegen und die Wolken zu putzen, damit sie ganz weiß werden. Eines Tages be -
sucht ihn die Maus Mathilde, um ihm einen Anhänger mit einem kleinen Herzen zu schenken. Edgar, der sich sehr darüber wundert, dass er ein Geschenk bekommt, ruft: „Ist das für mich?“
Auf dem nächsten Bild sieht man den König Edgar lachend tanzen. Die kleine Maus Mathilde liegt dabei ausgestreckt auf seinem behaarten Arm.
Leider sollten wir die Fortsetzung der Geschichte erst am nächsten Tag zu hören bekommen.
Auf dem Weg zurück zu unseren Plätzen flüsterte Justin mir ins Ohr: „Und? Hast du das gesehen? Die Neue ist schon zehn, aber sie ist ja viel kleiner als ich. Ich bin sicher, dass sie ziemlich blöd ist. Außerdem ist sie hässlich.“
Ich fand Natascha eher hübsch. Mich beunruhigte nur, dass die Lehrerin sich bestimmt sehr viel Zeit für sie nehmen würde.
Ich drehte mich zu ihr um und dachte: „Och, Mann! Es wäre besser gewesen, wenn der Direktor sie in einer anderen Klasse untergebracht hätte.“