Walter Keune
Die Kleinen der Bibel
Andachten über unscheinbare Personen der Bibel
Band 1
Die Bibelstellen sind nach der im gleichen Verlag erschienenen „Elberfelder Übersetzung“ (Edition CSV Hückeswagen) angeführt
1. Auflage 2022
© by Christliche Schriftenverbreitung, Hückeswagen, 2022
Satz und Layout: Christliche Schriftenverbreitung
Umschlag: Christliche Schriftenverbreitung
Druck: BasseDruck
ISBN: 978-3-89287-426-3
www.csv-verlag.de
Walter Keune
Die Kleinen der Bibel
Andachten über unscheinbare Personen der Bibel
Vorwort
Ich habe den Eindruck, dass Familienandachten seltener geworden sind in der heutigen Zeit. Und doch sind sie so wichtig und segensreich. Eltern fällt dabei die Aufgabe zu, sie dem Verständnis der Kinder anzupassen. Gar nicht so einfach, denn die Kinder durchlaufen ja unterschiedliche Entwicklungsstufen.
Bei diesen abendlichen Gesprächen – zugegeben: Leider fanden sie bei uns zu selten statt – war unser Augenmerk oft auf kleine, unauffällige Leute in der Bibel gerichtet. Von ihnen wollten wir etwas lernen: Gehorsam und Gottvertrauen zum Beispiel. Andere dienten uns als warnende Beispiele. Die Bibel stellt uns ja alle Arten von Menschentypen vor.
Ich war freudig überrascht, als ich erfuhr, dass man sich die Mühe gemacht hatte, meine über dreißig Jahre alten Aufzeichnungen über diese „Knechte und Mägde“ – so hatten wir sie damals genannt – wieder ans Tageslicht hervorzuholen und in Form von vier Bänden zu veröffentlichen.
Zu einigen Artikeln sind Zeichnungen hinzufügt worden. Ich liebe solche Bilder. Sie sollen helfen, den Leser in die biblischen Szenen hineinzunehmen.
Der eine Aussätzige, ein Samariter
Lukas 17,11-19
Hilflos und traurig stehen sie da, die zehn Aussätzigen. Ach, könnten sie sich doch noch einmal freuen, noch einmal mit normalen Menschen reden, noch einmal vernünftig essen, schlafen, aufstehen. Diese Krankheit hat sie völlig ruiniert. Sie sind ausgestoßen von der menschlichen Gesellschaft, verlassen, einsam. Sie fühlen das. Deshalb haben sie sich gefunden und zusammengeschlossen.
Ob sie mit Gott gehadert haben? Ob sie dem Sohn Gottes Vorwürfe gemacht haben, dass Er schon so viele Kranke geheilt hat und sie bisher hat links liegen lassen? Kann sein. Aber Gott möchte gerne auch ihr Herz erreichen. Er geht oft schwere Wege mit den Menschen, aber es sind Wege der Liebe, damit der Mensch umkehrt und sich zu Gott wendet. Das ist oft ein langer Weg, dornig und schmerzlich.
Aber die Menschen sind wie die kleine Katze, die in einen Brunnen gefallen war. Lange ist sie im Wasser herumgeschwommen und es ist ihr schließlich geglückt, sich an einem Steinvorsprung festzuhalten. Der Bauer, der das beobachtet hatte, versuchte sie nun zu retten, indem er einen Eimer zu ihr herunterließ. Der Eimer hing nun unmittelbar unter dem Kätzchen; es musste sich nur noch fallen lassen und schon war es gerettet. Aber nein, die kleine Katze klammerte sich so lange an den Steinvorsprung, bis sie endlich erschöpft von selbst in den Eimer fiel.
An dem Punkt sind auch die Aussätzigen angelangt. Sie sind völlig dem Tod ausgeliefert und wie gut, dass gerade jetzt der Herr Jesus vorbeikommt, ihren Hilferuf hört und sie beauftragt, sich dem Priester zu zeigen. Was? Haben sie richtig gehört? Natürlich
wissen sie genau, dass der Priester sie nicht heilen kann. Er kann nur beurteilen, ob jemand Aussatz hat oder nicht, und dementsprechend erklärt er die Personen für unrein oder für rein. Und sie waren doch für unrein erklärt worden …
Seht, und jetzt passiert das außerordentlich Schöne: Die zehn widersprechen dem Herrn nicht. Sie gehen. Ihr Glaube an den Herrn hat genügt und deshalb erleben sie kurz darauf das Wunder, dass sie auf dem Weg zum Priester völlig gesund werden, ohne irgendeine Maßnahme.
Die Macht des Herrn hat sie geheilt. Alle zehn. Aber wie verhalten sie sich jetzt? Was sollen sie tun? Weiter zu dem Priester gehen? Weglaufen? Umkehren? Was hättest du getan? Der Herr hat doch ausdrücklich gesagt: Geht zu den Priestern. Ich will es euch verraten, nein, der Herr selbst gibt uns die richtige Antwort. Er freut sich nämlich riesig über den einen gereinigten Mann, der zurückkehrt, Ihm herzlich dankt und dem Herrn zu Füßen fällt.
Dieser Mann stammt aus Samaria. Er ist ein Fremder und gehört nicht zum Volk der Juden. Aber der Herr rühmt ihn. Warum? Erstens, weil er einen großen Glauben an die Macht des Herrn hat, so dass der Herr ihm sagen kann: „Dein Glaube hat dich gerettet.“ Zweitens, weil er zuerst dankbar zu der wahren Hilfsquelle, dem Herrn Jesus, zurückgekehrt war und die religiösen Formen hintenan stellte.
Versteht ihr, was ich damit meine? Was wollten denn die neun anderen noch bei den Priestern? Streng genommen müsste man sagen: Die neun waren gehorsam und der eine war ungehorsam. Aber dieser eine war nicht gebunden an das jüdische Gesetz, er folgte seinem Herzen. Die Anziehungskraft des Herrn war für ihn größer. Und der Herr schenkt ihm deshalb auch die Rettung seiner Seele.
Vielleicht haben die neun später die Frage des Herrn gehört: Wo sind die neun, warum haben die sich nicht bedankt? Peinlich, sehr peinlich für sie. Was für eine Freude aber für den Herrn, dass wenigstens dieser eine Fremdling kam. Ihm ist sofort ein Licht aufgegangen, denn er hat erkannt, dass dieser Jesus, dieser Meister, Gott selbst ist. Er fällt Ihm zu Füßen, achtet nicht darauf, was Menschen denken. Er schüttet sein Herz voller Dank aus vor dem Herrn.
Ach, hätten wir nur jeden Tag so ein dankbares Herz wie dieser Samariter! Der Herr hat uns die Sünden vergeben. Wann haben wir das letzte Mal dafür gedankt? Hat der Herr uns nicht glücklich gemacht? Er hat uns die Gemeinschaft mit den Kindern Gottes geschenkt. Er hat uns inneren Frieden gegeben, eine herrliche Zukunft verheißen, seine Gegenwart hat uns in vielen Nöten ermuntert. Er schenkt uns Gesundheit, Speise, Kleidung, Urlaub, schönes Wetter usw. usw. Sollten wir wie undankbaren Kinder von ihrer Mutter zurechtgewiesen werden mit den Worten: „Wie sagt man denn?“ Oder gleichen wir diesem glücklichen und freundlichen Samariter, der ein lautes „Dankeschön“ ausrief? Das war zur Ehre Gottes. Das hat dem Herrn Jesus gefallen. Jetzt wartet Er auf unser Echo.
Die Arbeiter im Weinberg
Matthäus 20,1-16
Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg hat sicher schon manches Unverständnis ausgelöst. Wie kann der Eigentümer nur solch eine Lohnpolitik betreiben? Arbeiten doch da ein paar Leute von früh morgens um 6.00 Uhr bis abends gegen 18.00 Uhr und bekommen den gleichen Lohn wie diejenigen, die nur eine Stunde dabei gewesen sind. Und zu allem Überfluss werden die auch noch zuerst entlohnt. Was für eine Willkür!?
So habe ich früher auch gedacht. Und deshalb ist es nötig, dass wir die Absicht Gottes kennenlernen. Was will Er uns mit dieser Geschichte sagen? Dazu ein Beispiel aus jüngster Zeit (ich schreibe dies, kurz nachdem die Grenzen zur DDR gefallen sind und die Mauer in Berlin durchbrochen ist): Da steht eine Reporterin vor einem Flüchtling, der ein Jahr zuvor unter Einsatz seines Lebens und im Kugelhagel der Volkspolizisten über die Mauer geklettert ist. Sie fragt ihn, ob er nicht Gedanken der Ungerechtigkeit empfinde, ob seine Heldentat jetzt nicht schnell in Vergessenheit gerät und ob er nicht neidisch auf seine Volksgenossen sei, denen die Freiheit jetzt so in den Schoß gefallen ist? Sie kann ihm nichts Negatives entlocken. Der Mann strahlt nur so über das ganze Gesicht. Er kann jetzt alle seine Bekannten, Freunde und Nachbarn wiedersehen. Was für eine Freude beseelt diesen Mann, der nur eins bedauert: dass es so lange gedauert hat.
Ein weiteres Beispiel: Es wird von einer Familie bei der Apfelernte erzählt. Die älteren Kinder haben sich einen Tag Urlaub dafür genommen, die mittleren helfen nach den Schularbeiten mit und die kleinsten werden ab und zu einmal hochgehoben, um einen Apfel zu pflücken. Abends gibt der Vater jedem 2,00 DM, bei den Kleinsten angefangen. Ist das nicht wieder ungerecht?
„Nein“, sagen die Älteren. „Apfelpflücken macht doch Spaß, das sind die Äpfel für den Winter, und dass der Vater den Kleinsten das Geld zuerst gegeben hat, das hat er nur getan, damit wir an ihrer Freude etwas teilhaben können, bis wir selbst dran sind.“
Seht, in unserem Gleichnis ist das ähnlich. Es ist das Problem von Gesetz und Gnade. Petrus hatte das auch noch nicht richtig verstanden. Er sagte sinngemäß zum Herrn: „Wir haben doch wirklich eine Menge aufgegeben und wir wollen auch jetzt etwas dafür haben.“ Auch die Pharisäer dachten, das gehe wie an einem Automaten: Oben wird Geld eingeworfen und unten kommen die gewünschten Sachen heraus. Sie hatten nämlich ihr ganzes Leben lang die Gebote beobachtet – wie kann der Herr dann zu den Sündern und Zöllnern gehen und sie reichlich beschenken? Das hat sie ungemein gewurmt und geärgert. Und deshalb hassten sie den Herrn. Das ist der springende Punkt: Es geht um den Herrn. Dieser Gedanke wird wie eine Überschrift über unser Gleichnis gesetzt: Wenn ihr dies und das tut ... „um meines Namens willen“ (Mt 19,29). Darum geht’s. Tun wir es aus Liebe zu dem Herrn? Oder müssen wir erst übereinkommen mit dem Hausherrn, einen Arbeitsvertrag abschließen, die Lohnhöhe festlegen? Das wäre typisch für ein Leben unter dem Gesetz Moses.
Bei den späteren Arbeitern fiel die Vereinbarung schon weg, der Hausherr versprach ihnen nur einen gerechten Lohn. Aber bei den letzten wird nichts davon erwähnt; sie konnten froh sein, wenn sie überhaupt noch etwas Geld nach Hause brachten.
Aber bei diesen Leuten stimmte die Gesinnung. Sie standen gern im Dienst dieses Herrn. Ihre Freude erstickte jedes voreilige Aufrechnen, wer wohl mehr oder wer weniger bekommen könnte. Sie fürchteten auch nicht, dass die ersten wohl absahnen würden, nein, ihr Dienst war Ehrensache für den
Hausherrn und das freute ihn, so dass er aus dem Reichtum seiner Gnade austeilte.
Mit Bedacht gab der Meister den ersten Arbeitern das Geld zuletzt, denn sonst wären sie gleich nach Hause gegangen und die Diskussion hätte nicht stattgefunden.
Der Herr Jesus ist gnädig, das sollte auch Petrus erfahren. Denn auf seine Frage, welchen Lohn er für seine Nachfolge erhält, antwortet der Herr: Ihr werdet mit mir auf zwölf Thronen der Herrlichkeit im Reich sitzen (vgl. Mt 19,28). Stellt euch das vor! Die kurze Nachfolge hinter dem Herrn her wird so belohnt: tausendjährige Herrlichkeit! Unendlich viel mehr, als was Petrus getan hat.
Wir sollten nicht gierig nach Lohn Ausschau halten, sondern unserem Herrn aus Liebe und mit frohem und glücklichem Herzen dienen. Dann werden wir ein unvermutetes Glück ernten, weit mehr, als wir uns ausrechnen können. Denn die Gnade des Herrn kennt keine Grenzen. Warten wir’s ab.
