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TOBIAS TEICHEN EM POWER

Mit Glaube und Leichtigkeit durch das Abenteuer Erziehung

SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

© 2024 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Max-Eyth-Str. 41 · 71088 Holzgerlingen Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: info@scm-brockhaus.de

Namen und Details der hier beschriebenen Geschichten wurden teilweise verändert zum Schutz der Privatsphäre der beteiligten Personen.

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen: Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen

Weiter wurden verwendet: Elberfelder Bibel 2006, © 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen Hoffnung für alle ® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis - Brunnen Basel

Co-Autorin: Claudia Elsen, München

Lektorat: Christiane Kathmann, www.lektorat-kathmann.de Gesamtgestaltung: Katie Schneider & Kristin Falk, Lagom GbR Druck und Bindung: Drukarnia Dimograf SP z.o.o. Gedruckt in Polen

ISBN: 978-3-417-01034-3

Bestell-Nr.: 227.001.034

STARTPUNKT: DER EINSTIEG INS ELTERNSEIN

1 / ziele: Wohin geht die Reise?

2 / Mittelpunkt: Du & der GÖTTLICHE FamiLIEN BAUPLAN

3 / ReisegefÄhrten: Wer erzieht noch mit?

4 / Rollen: Als Vater & Mutter unterwegs

5 / RastplÄtze: Durchatmen, Entlastung & Gebet

6 / sEI FLEXIBEL AUF DER REISE: ERZIEHUNGSETAPPEN O-12

7 / HERAUSFORDERNDE ETAPPE: GEMEINSAM DURCH DIE PUBERTÄT

8 / ANGEKOMMEN: ERZIEHUNG ABGESCHLOSSEN

ANHANG: WENN DU UNTERWEGS HILFE BRAUCHST ANMERKUNGEN

Einleitung

Startpunkt: Der Einstieg ins Elternsein

„Es ist eine Phase, das geht vorbei!“, hämmere ich mir immer wieder in den Kopf, während mein Sohn an der Supermarktkasse trotzig schreiend vor der Quengelware auf dem Boden liegt. Meine Gedanken schweifen zurück in die Zeit, als meine Frau und ich noch keine Kinder hatten. Damals habe ich die Babys von Freunden gerne auf den Arm genommen, aber genauso gerne wieder abgegeben, wenn mir ein strenger Geruch in die Nase stieg oder der kleine Mensch plötzlich schlechte Laune hatte. Doch von dem Moment an, als Frauke und ich mit unserem Sohn Benedikt aus der Geburtsklinik entlassen wurden, gab es keine Rückgabemöglichkeit mehr – jetzt waren wir in der Pflicht und hatten die komplette Verantwortung für diesen kleinen Mann.

ES IST EINE PHASE, DAS GEHT VORBEI!

Dieser Moment liegt nun mehr als ein Jahrzehnt zurück, und damals begann unsere Reise ins Abenteuer Erziehung. Ich erinnere mich an durchwachte Nächte, in denen ich mit meinem von Koliken gebeutelten Baby im Tragetuch durch die Wohnung lief, immer mit dem Gedanken im Kopf: „Das ist nur eine Phase und die geht auch wieder vorbei!“ Aber in einer solchen Nacht schoss mir noch ein anderer Gedanke durch den Kopf: „Tobi, irgendwann wirst du diese Nächte vermissen!“

Wenn du wie ich mit Jesus unterwegs bist, dann kennst du solche Blitzgedanken oder Impulse vielleicht, denn manchmal kommt Gott auf diese Weise mit uns ins Gespräch. Heute weiß ich, dass es tatsächlich ein göttlicher Gedanke war, denn ich denke oft an die Zeit zurück, als unser Sohn noch ein Baby war. Und ja, manchmal vermisse ich sie, trotz der anstrengenden Momente und schlaflosen Nächte. Ich erinnere mich an die Nähe, den süßen Babygeruch und die Kuschelstunden. Aber egal, ob als Baby oder Kleinkind, kurze Nächte gehörten in diesen Lebensabschnitten zu unserem Alltag. Und auch wenn man denkt, das hört nie auf, das tut es doch! Oder besser gesagt, es verändert sich: Damals haben wir unseren Kleinen nicht ins Bett bekommen und heute bekommen wir unseren Teenie nur mit Mühe aus dem Bett.

Umarme die Phase

Aber selbst das ist eine Verhaltensweise, die sich irgendwann „verwachsen“ wird. Und trotzdem fordert sie uns derzeit sehr oft heraus.

Folgende Szene spielt sich bei uns morgens häufiger ab: Einer von uns beiden geht ins Zimmer, schaltet das Licht an und weckt unseren Sohn. Einmal, zweimal, dreimal. Langsam bewegt er sich und noch langsamer antwortet er: „Jaaaaa, chill mal, bin wach!“ Dann gehen wir nach unten. Kein Laut von oben. „Ist er jetzt aufgestanden?“, denken wir. „Bist du aus dem Bett raus?“, ruft einer von uns nach oben und bekommt keine Antwort. Also wieder zwei Stockwerke hoch und wieder wecken und wieder und wieder ...

Als ich mich mit einem Freund, der eine zwölfjährige Tochter hat, über dieses Phänomen unterhielt, antwortete er: „Ja, das kenne ich auch und, ja, das zehrt an den Nerven, aber weißt du, was ich manchmal auch denke? Jetzt sind schon zwei Drittel der Zeit vorbei, die sie bei uns zu Hause leben wird.“ „Puh, das stimmt!“, schoss es mir durch den Kopf. Und mir wurde sofort klar: Das gilt auch für meinen Sohn! Im selben Moment erinnerte ich mich an eine Predigt, in der der Satz fiel: „Die Tage sind lang, aber die Jahre sind kurz!“ 1 Wie schnell ist die Zeit oder die Reise vergangen! Und wie schnell werden die nächsten Jahre vergehen! Werden wir unserem Sohn alles mitgeben, beibringen und erklären können, wovon wir glauben, dass es für sein Leben wichtig ist?

DIE TAGE SIND LANG, ABER DIE JAHRE SIND KURZ!

Ehrlich gesagt, wahrscheinlich nicht! Denn es werden bis zum Tag seines Auszugs und auch danach immer wieder herausfordernde Phasen kommen, durch die wir gehen werden. In denen mindestens einer von uns Eltern gestresst und fehlerhaft reagiert und vielleicht manchmal einen guten Moment verpasst. Doch mittlerweile ist uns eines wichtig geworden (solltest du dieses Buch lesen, während du mitten in der Nacht mit deinem Säugling durch die Wohnung taperst, hilft der Gedanke dir vielleicht auch): Es ist nur eine Phase! Hadere

nicht mit ihr. Versuch stattdessen, sie zu umarmen. Denn auf der Reise durch die Erziehung gilt: Die Tage sind lang, aber die Jahre sind kurz!

Nutz die Zeit, die bleibt

Aber wie? Musst du perfekt sein, wie die Mumfluencer auf Instagram, die lässig fünf Kinder managen und dabei noch aussehen, als ob sie den halben Tag im Fitnessstudio verbracht hätten? Frauen, die liebe und freundliche Kinder haben, die guterzogen und artig sind und ihre Mum als ihre BFF (beste Freundin für immer)2 sehen? Nein, und ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass das alles so real ist, was man da auf Social Media zu sehen bekommt. Es fördert nur Frust und: „Social Media bringt uns dazu, unser Leben zu vergleichen, anstatt das zu schätzen, was wir haben.“3 Ich finde, das ist ein guter Perspektivenwechsel! Uns hat es oft geholfen, wenn wir uns bewusst gemacht haben, was wir alles haben. Das kann für jeden etwas anderes sein, z. B. ein kreatives Kind oder einfach Versorgung (allein in Mitteleuropa zu leben ist schon ein Geschenk). Wir dürfen uns als Eltern an dem Guten freuen und es schätzen. Diese Sichtweise kann uns durch einige Täler bringen und uns entlasten.

SOCIAL MEDIA BRINGT UNS DAZU, UNSER LEBEN ZU VERGLEICHEN, ANSTATT DAS ZU SCHÄTZEN, WAS WIR HABEN.

Sei relaxed

Das ist auch der Grund und ein wichtiges Ziel dieses Buch. Es ist dazu gedacht, dich zu entlasten und nicht zu stressen. Deshalb wirst du immer wieder lesen, wie du Entlastung in deinem Alltag als Vater oder Mutter findest, und das Buch zeigt dir viele Ideen und Wege, die du gehen kannst. Wie genau diese aussehen, ist für jeden unter-

NUR WEIL DU ELTERN

HATTEST, WEISST DU NOCH

LANGE NICHT, WIE ELTERNSEIN FUNKTIONIERT.

schiedlich. Denn anders als in Berufen, für die man ausgebildet wird, bevor man eingesetzt wird, gibt es beim Elternsein leider keine vorelterliche Lehrzeit. „Nur weil du Eltern hattest, weißt du noch lange nicht, wie Elternsein funktioniert. Nur weil du ein Kind warst, weißt du noch lange nicht, wie man eines aufzieht.“4 Aber step by step kannst du es lernen. Dieses Buch soll dir einen Überblick verschaffen, eine Vision vermitteln und praktisches Handwerkszeug für das Abenteuer Erziehung mitgeben.

Warum ich?

Erwarte bitte nicht von mir, dass ich dir jetzt das ultimative Konzept für Erziehung präsentiere. Mein Wunsch ist, dir die verschiedenen Lebens- und Erziehungsetappen vorzustellen und die Rolle, die wir als Eltern darin spielen und die sich immer wieder verändert. Damit du bei allem, was du liest, punktuell und zielgerichtet weitergraben kannst, findest du viele weiterführende Literatur- und Predigthinweise zur Vertiefung. Die Ideen und Tipps in diesem Buch dienen als Vorschläge für dich und deine Familie – manches kann dich voranbringen, anderes passt vielleicht nicht für euch.

Was zeichnet mich also dafür aus, ein solches Buch zu schreiben?

Meine Frau und ich waren in Sachen Erziehung ja auch Greenhorns, als Benedikt in unser Leben kam. Deshalb haben wir uns auf die Suche gemacht, viel gelesen und ausprobiert. Wir haben die Bibel dazu studiert und uns Know-how angeeignet, auch aus dem hebräischen Denken rund um die biblischen Überlieferungen. Wir haben nur ein Kind und sind auch keine Familientherapeuten oder Ähnliches, aber als Pastoren haben wir über die Jahre gemerkt, dass das Thema Erziehung immer wieder ein Dauerbrenner in Gesprächen ist. Mit diesem

Buch wollen wir dich einfach an dem teilhaben lassen, was wir erlebt und ausprobiert haben, an den Schätzen, die wir in den zeitlosen biblischen Prinzipien entdeckt haben, und auch etwas aus der großen Erfahrungsquelle vieler Menschen in unserer Kirche weitergeben, die dir hoffentlich hier und da Anregungen für dein Erziehungsleben geben können. Zugleich möchte ich an dieser Stelle betonen, dass dieses Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Es gibt sie – die Eltern, die die Phase schon durchlebt haben, in der du dich gerade befindest. Sie haben Fehler gemacht und Lösungen gefunden. Sie können dir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Und das haben solche Menschen auch für Frauke und mich getan. Darum schreibe ich dieses Buch auch nicht allein, sondern habe mir Unterstützung von inspirierenden Menschen geholt, die in Interviews oder kurzen Berichten von ihren Herausforderungen auf der Erziehungsreise und dem Umgang damit oder besonderen Erfahrungen erzählen.

Das haben meine Frau und ich übrigens schon gemacht, als unser Sohn noch klein war. Wir luden immer wieder Eltern ein, bei denen wir sahen, dass sie eine gute Eltern-Kind-Beziehung hatten. Uns interessierten Familien mit Kindern aller Altersstufen. Wenn ich auf Dienstreise war, hat Frauke sich auch manchmal zu diesen Familien eingeladen, um sich vor Ort von ihnen inspirieren zu lassen. Wir wollten von ihnen lernen, wissen, wie sie es geschafft haben, „ihr Kind gut und sicher vom Maxi-Cosi in der Familienkutsche auf den Fahrersitz ihres eigenen Lebensautos umzusetzen“5. Du wirst in diesem Buch authentische Geschichten lesen, bei denen dich Menschen ehrlich an ihren persönlichen Herausforderungen mit ihrem Nachwuchs teilhaben lassen. Diese Offenheit feiere ich, denn wenn man immer nur die rosaroten Seiten teilt, dann ist man ganz schnell wieder bei Social Media

Perfekt unperfekt

Die Eltern, die hier zu Wort kommen, sind nicht perfekt, denn es gibt keine Superhelden im Vater- und Mutter-Business. Wir haben alle

WIR HABEN ALLE UNSERE PRÄGUNGEN UND SIND KINDER UNPERFEKTER ELTERN.

unsere Prägungen und sind Kinder unperfekter Eltern. Vielleicht ist dir schon mal aufgefallen, dass du manchmal genauso erziehst wie deine Mutter, obwohl du das nie wolltest. Ich ertappe mich hin und wieder dabei, wie ich Sätze sage, die aus dem Mund meines Vaters kommen könnten. Wir haben alle unsere Prägungen und sind Kinder unperfekter Eltern. Das ist auch ein Grund für dieses Buch. Es soll dir nicht den perfekten Weg oder das nächste Erziehungskonzept vorstellen, davon gibt es nämlich genug! Stattdessen soll es den Druck rausnehmen und gleichzeitig Vision geben. Gott arbeitet mit uns normalen (fehlerhaften) Menschen und jeder von uns kommt aus Familien, die mal mehr, mal weniger perfekt sind.

By the way, sogar Jesus ist nicht in einer perfekten Familie aufgewachsen. Er ist bei seinem „Stiefvater Josef“, also in einer Patchworkfamilie, groß geworden und hatte zwei Väter: Josef und Gott. Sein göttlicher Vater hat das aber bewusst so geplant. Er hat auch miteinkalkuliert, dass Elternsein Herausforderungen hat, und so waren die menschlichen Eltern von Jesus auch nicht perfekt.

Denk mal an die Nummer, wo Maria und Josef gar nicht merken, dass sie ihren Sohn in Jerusalem verloren haben. Sie checken das erst, nachdem sie einen ganzen Tag gewandert sind. Also müssen sie wieder eine Tagereise zurücklaufen. In der Großstadt dauert es auch noch eine Weile, bis sie ihren Sohn finden, sodass der Pre-Teen drei Tage unbeaufsichtigt ist.6 Das wäre heutzutage ein Fall fürs Jugendamt wegen Verletzung der Aufsichtspflicht oder eine Vermisstenmeldung für die Polizei. Ja, jetzt kann man argumentieren, dass Jesus bei seinem göttlichen Vater im Tempel war und sozusagen unter seiner Obhut stand. Das stimmt! Aber das gilt auch für unsere Elternschaft. Wir dürfen mit Gott rechnen und ihn einbeziehen: „Wenn ihr, die ihr Sünder seid, wisst, wie man seinen Kindern Gutes tut, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen, die ihn darum bitten, Gutes tun“ (Matthäus 7,11).

Jesus steht jederzeit parat! Ich habe das immer wieder erlebt und nehme dich hier in der Einleitung schon mal mit rein in einen Erziehungsfail aus meinem Leben, wo ich als unperfekter Vater Hilfe vom perfekten Gott hatte:

Ein stressiger Arbeitstag liegt hinter mir und ich bin genervt auf dem Heimweg. In meinem Kopf beschäftigt mich noch ein Konflikt, den ich vorhin hatte, und viele unfertige To-dos stressen mich zusätzlich. Außerdem fehlt mir noch die zündende Idee für die Predigt am Sonntag. Mir reicht es für heute und ich freue mich auf mein Sofa und meine Fernbedienung. Als ich genervt die Wohnungstür aufschließe, fällt mir auf, dass da ja noch wer ist, der sich auf mich freut. Der auf mich gewartet hat und jetzt das Lego-Auto mit mir fertig bauen will. „Oh nee!“ Jetzt bin ich echt angefressen, denn auf diesen Fummelkram habe ich grad keine Lust. Mich stresst die Situation, aber ich zwinge mich, das Auto zu bauen. Es kommt, wie es kommen muss, mein Sohn ist enttäuscht, weil ich körperlich anwesend, aber innerlich ganz woanders bin.

Das ist wohl ein Klassiker in den Fehlern der Erziehung. Oft passt es uns einfach nicht rein, was das Kind will oder macht. Wir sind nicht begeistert, wenn es nach einem langen Tag noch bespaßt werden, Mathe lernen oder wichtige Fragen klären will. Selten hüpfen Eltern vor Freude in die Höhe, wenn Klein Annika die Wände mit Wachsmalstiften bemalt hat, weil das so schön aussieht und weil Papa nicht mit ihr malen wollte. Aber mal ehrlich: Mama und Papa in Ruhe lassen und Rücksicht auf ihre Befindlichkeiten nehmen und immer perfekt funktionieren, das steht auch nicht in der Jobbeschreibung eines Kindes. Natürlich muss ein Kind auch Rücksicht nehmen, keine Frage. Aber an diesem Tag, als mein Sohn sich auf mich gefreut hatte und ich mich innerlich nicht auf ihn eingestellt habe, habe ich später in der Reflexion mit Gott gemerkt, dass ich lieblos und falsch gehandelt habe.

Wie ich so überlastet und vollgepackt mit schlechten Gedanken nach Hause kam, das erinnert mich an einen Aufzug, der voller Menschen ist. Er ist an der Belastungsgrenze. Und dann geht der Alarm los, wenn das Kleinkind auch noch einsteigt.

Der beste Erziehungsexperte

In solchen Momenten ist es gut, zu wissen, dass Gott schon auf uns Eltern wartet, dass er da ist, uns ausrüstet und uns mit seinen Vorschlägen zur Seite steht. Das sind zeitlose Prinzipien, die wir uns in diesem Buch immer wieder ansehen werden.

WIE FUNKTIONIERT DAS DENN MIT GOTT?

Wie lebe ich göttliche Prinzipien? Wie geht Jüngerschaft? Wie funktioniert der Tausch am Kreuz? Wie kann ich vergeben? Dies und vieles mehr ist wichtig, um dieses Buch zu verstehen. Aber wir haben aus Platzgründen nicht die Kapazität, hier detailliert darauf einzugehen. Wenn du in manchen Punkten nicht weißt, wie du sie anwenden oder leben kannst, dann such dir am besten Menschen, die dich dabei anleiten können. Viele Antworten findest du auch in meinem Buch „Move – Entdecke das Leben“7, in dem die wichtigsten Jüngerschaftssteps erklärt werden.

Mein Learning aus dieser Erkenntnis war, dass ich in Zukunft auf dem Heimweg reflektiert habe, ob mein Aufzug an der Belastungsgrenze ist. Konkret bedeutete das, dass ich nicht bis zur letzten Sekunde noch am Handy Nachrichten checkte oder News-Apps las, sondern den Heimweg dazu benutzte, meinen Kopf freizubekommen. Ich wusste ja, dass zu Hause mein kleiner Sohn auf mich wartete. Wenn ich also innerlich überfüllt war, habe ich auf meinem Heimweg aufgeräumt und Dinge im Gebet bei Gott abgegeben. Ich habe ihn gebeten, mich mit Geduld und Liebe für Bene auszurüsten. Und

wenn ich es nicht geschafft habe und beim Heimkommen lieblos gehandelt habe, habe ich mir die Vergebung von Jesus am Kreuz abgeholt und versucht, wieder liebevoll zu sein. Danach bin ich auf meinen Sohn zugegangen und habe ihn um Verzeihung gebeten.

Mein Gebet ist und war zudem immer, dass mir Gott zeigt, wo ich lieblos bin, und mich für solche Situationen wachsamer macht. Und trotzdem werde ich immer wieder Fehler begehen und falsch reagieren, weil das einfach unsere Realität hier auf der Erde ist. Doch eines weiß ich: Meine Grenzen sind nicht Gottes Grenzen. Unser himmlischer Vater, der ja auch der Papa unserer Kinder ist, ist ein grandioser Helfer in Erziehungsfragen. In diesem Buch werden wir ihn daher einbeziehen und fragen, wie er uns in unserer menschlichen Elternschaft unterstützen will.

MEINE GRENZEN SIND NICHT GOTTES GRENZEN!

GRABE TIEFER

Gemeinsam wollen wir in diesem Buch einen Überblick und eine Orientierung zu zentralen Erziehungsthemen bieten. Viele wichtige Themen wie Medien, Familienkonstellationen, Mobbing, Sexualität, Grenzensetzen etc. werden wir ansprechen. Aber ja, man könnte zu jedem Punkt einen eigenen Ratgeber schreiben. Es wird Kapitel geben, die dich vielleicht nicht so interessieren oder die erst zu einem späteren Zeitpunkt relevant für dein Leben werden. Dann wirst du aber auch auf Stellen stoßen, die dich richtig triggern. Ich sage dazu: Wenn es dich trifft, dann betrifft es dich! Kommst du an so eine Stelle, lohnt es sich sicher, tiefer in das Thema einzutauchen. Du erhältst von uns deshalb auch viele gute Tipps zu weiterführender Literatur und Medien.

Ziele: Wohin geht die Reise?

„Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer! “8 Das hat nicht Onkel Fred über seine Nichten gesagt, nein, das hat Sokrates vor fast 2 500 Jahren festgestellt. Schon damals gab es Erziehungskonzepte und im Laufe der Jahrhunderte sind immer mehr dazugekommen. Wir stehen vor dem Dilemma, dass wir in einer Zeit leben, die auf sehr viele Erfahrungen vergangener Generationen zurückgreifen kann. Viele Pädagogen und Wissenschaftler haben dazu Bücher verfasst und Strategien und Erkenntnisse niedergeschrieben. Je mehr man sich damit beschäftigt, desto verwirrender wird es.

Vielleicht hast du dich entschieden: „Ich möchte mein Kind christlich erziehen.“ Aber dann stellst du bei der Literaturrecherche fest, dass auch in der christlichen Welt alle Ansätze von autoritär und streng bis hin zu „Bleib immer locker und lass dein Kind Kind sein“ auf dem Markt sind. Was ist nun die richtige Strategie für dich und dein Kind? Oft wollen Eltern alles richtig machen und nicht die Fehler der früheren Generationen wiederholen.

Ich persönlich glaube nicht, dass es über Generationen eine einzige komplett deckungsgleiche Strategie gibt, die für jedes Kind und jeden Elternteil passt. Jede Erziehungsreise ist anders. Mein bester Berater ist deshalb Gott. Ich habe Jesus vor vielen Jahren mit meiner Taufe auf den Chefsessel meines Lebens gesetzt und mich entschieden, dass ich möchte, dass er mich leitet und berät. Ich glaube, dass er mir zeitlose Prinzipien beibringen kann, wenn ich auf ihn höre:

Herr, zeige mir, welchen Weg ich einschlagen soll, und lass mich erkennen, was du von mir willst! Lehre mich Schritt für Schritt, nach deiner Wahrheit zu leben. Du bist der Gott, bei dem ich Rettung finde, zu jeder Zeit setze ich meine Hoffnung auf dich.

Psalm 25,4-5 (HFA)

Deshalb frage ich ihn auch beim Thema Erziehung: „Was möchtest du, wie wir heute erziehen? Was ist dir wichtig? Was können wir von den Generationen vor uns lernen, was sind deine biblischen Ideen und welche Antworten hast du auf die Herausforderungen von heute, wie zum Beispiel den Umgang mit Medien?“

Dabei geht es nicht in erster Linie um ein bestimmtes Erziehungskonzept, dem wir folgen sollten, sondern um eine Vision, um ein Ziel, das Gott mit uns auf dieser Reise und mit unseren Kindern erreichen möchte. Aus diesen generellen Zielen ergeben sich konkrete, individuelle Ziele für unsere Kinder und ihre unterschiedlichen Persönlichkeitstypen.

In diesem Kapitel werden wir diese Ziele zwar schon ansehen und ein paar Tipps geben, wie wir sie erreichen können. Aber sie ziehen sich durch das ganze Buch, deshalb greife ich immer wieder darauf zurück und wiederhole und vertiefe auch manches.

Bevor wir konkreter werden, wagen wir einen Sprung in die Zukunft, zu deinem 75-jährigen Ich.

Fit for Life? Lebensfähigkeit

Wenn du in vielen Jahrzehnten in deinem Schaukelstuhl sitzt und an deine Kinder denkst, was könntest du dir dann wünschen? Dass sie lebensfähig sind? Damit meine ich, dass sie ihr Leben gut meistern? Vielleicht denkst du, dass du deinem Kind mehr Werte und Werkzeuge mit auf den Weg hättest geben sollen. Grundlegende Lebensregeln wie der richtige Umgang mit Ordnung, Disziplin, Finanzen, Medien, Süchten oder Softskills wie Konflikt-, Liebes- und Beziehungsfähigkeit und so weiter, damit dein Sohn oder deine Tochter für das Leben als Erwachsene gerüstet ist.

Da du wahrscheinlich noch keine 75 Jahre alt bist, wenn du dieses Buch liest, darfst du beruhigt sein: Auch wenn deine Kinder schon Teenager sind und du merkst, dass du in einigen Punkten Luft

nach oben hast, kannst du diese Dinge immer noch mit Gottes Hilfe starten: It’s never too late.

Streit? Kein Problem!

Greifen wir mal einen Bereich exemplarisch heraus: Vielleicht hast du ein schlechtes Gewissen, weil du selbst in einigen Punkten kein gutes Vorbild warst. Vielleicht hast du dich mit deinem Partner oft vor deinem Kind gestritten. Wenn das so war oder auch in deiner Ehe gerade ist, dann mach dir bitte keine Vorwürfe. Wenn du Gott miteinbeziehst und er dich verändert, dann ist das für dein Kind Ermutigung, dass es selbst auch nicht so bleiben muss, wie es ist. Als Paar könnt ihr Schuld benennen, euch gegenseitig Vergebung zusprechen und Wege gehen, damit es besser wird.

Auseinandersetzungen können sogar Gutes mit sich bringen. Stell dir vor, dein Kind wäre in einer perfekten Familie aufgewachsen. Es gab nie Streit und es lag immer Liebe in der Luft! Irgendwie sehr utopisch, oder? Meine Meinung ist: Wo man miteinander lebt, da wird gestritten, auch in Familien. Das ist ganz normal. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob man streitet (das tut man sowieso, wenn man nicht alles unterdrückt), sondern wie man streitet.

BEI TEICHENS FLIEGEN

AUCH MAL DIE FETZEN.

Ja, ich bin Pastor und Seelsorger und meine Frau auch, aber das heißt nicht, dass wir immer „holy, holy“ miteinander reden. Nee, bei Teichens fliegen auch mal die Fetzen. Das bekam und bekommt unser Sohn oft mit und das ist völlig in Ordnung! Denn nur wenn man als Kind Konflikte erlebt, lernt man auch irgendwann selbst (hoffentlich), gesund damit umzugehen. Und jetzt kommt der Knackpunkt und der Auftrag an uns Eltern: Wir sind dafür verantwortlich, wie wir Konflikte vor unseren Kindern austragen. Was für uns nicht in Ordnung wäre, ist, unser Kind allein zu lassen, während wir streiten. In meiner Kindheit habe ich das leider oft erlebt: Wenn

meine Eltern Streit hatten, waren sie manchmal so mit sich beschäftigt, dass sie keine Zeit hatten, nach mir zu schauen. Oft war ich verunsichert und ging dann in mein Zimmer. Ab und zu habe ich mich auch für den Streit verantwortlich oder allein gefühlt und habe Konflikte als etwas Bedrohliches abgespeichert. Die Folge war, dass ich als Erwachsener sehr konfliktscheu wurde und einen Weg gehen musste, um das göttliche Streiten zu lernen.9

Meine Frau, die ganz anders geprägt ist, hat mir dabei sehr geholfen. Wenn Frauke oder ich bei unseren Streitereien gemerkt haben, dass unser Sohn Bene unruhig wurde (kleine Kinder machen dann gerne Blödsinn, bemalen die Wände oder werfen Sachen um, weil das ihre Art ist, den bedrohlichen Streit der Eltern zu beenden), dann ist einer von uns zu ihm gegangen und hat gesagt: „Bene, Mama und Papa streiten sich, aber wir haben uns lieb. Wir müssen das jetzt klären. Aber es ist wichtig, dass du weißt, dass du deswegen keine Angst haben musst, wir werden uns wieder vertragen!“ So ein Verhalten war ein reiner Willensakt, denn wir waren auch emotional geladen, aber wir wollten unserem Kind Sicherheit geben. Wir wollten, dass es erlebt, dass Konflikte dazugehören.

Wir wollten ihm zeigen, dass man Dinge klären muss, sich aber am Ende wieder vergibt und versöhnt.

Wir haben jahrelang an unserer Streitkultur gearbeitet. Wir haben Seminare und Coachings besucht und immer wieder versucht, die gelernten göttlichen Prinzipien, wie Dinge direkt zu klären oder Feedback in Liebe zu geben, in unsere Auseinandersetzungen einzubauen. Das hört sich leichter an, als es ist, vor allem, wenn die Gefühle hochkochen. Und es hat bei uns auch nicht immer funktioniert. Weil wir, wie du, unperfekte Menschen sind. Aber eine Sache war uns immer wichtig, nämlich dass unser Sohn erlebt, dass wir uns nach dem Streit wieder versöhnen. Wir gingen und gehen gemeinsam ans Kreuz und geben uns am Ende die Hand zur Versöhnung. Das zeigt unserem Sohn: Hand drauf! Der Streit ist jetzt geklärt, vergeben, bebetet und vorbei. Und das haben wir dann auch so gelebt.

Solche abschließenden Rituale helfen, Kindern die Angst vor Konflikten zu nehmen. Als Kind einer emotionalen Mutter und eines sachlichen Papas erlebt unser Sohn oft, dass es mal kracht. Aber er lernt dabei auch, wie man damit auf eine gute Weise umgeht und dass Konflikte Situationen klären und reinigen können. Das ist sehr wichtig, um später selbst konstruktiv streiten zu können.10

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Neulich sagte jemand zu mir, dass er nie erlebt hat, dass seine Eltern sich jemals gestritten haben. Entweder waren es Aliens oder sie haben alle Konflikte einfach unter den Teppich gekehrt (bis dieser immer höher wuchs). Vielleicht haben sie sich auch heimlich hinter verschlossenen Türen gefetzt. Ich glaube, alles andere, also null Streit zwischen Ehepartnern, ist unnormal.

Und ich setze provokant noch einen drauf: So ein Verhalten ist fast schon unfair seinem Kind gegenüber, wenn man ihm jede Streitigkeit erspart. Welches Bild von Ehe und Beziehung soll der Nachwuchs da entwickeln? In der Ehe gibt es keinen Streit! Na, dann gute Nacht! Da ist dann aber früher oder später die Enttäuschung beim jungen Ehepaar programmiert. Denn Streit wird kommen (es sei denn, man heiratet einen Alien), deshalb ist es gut und wichtig, wenn wir den Kindern schon in jungen Jahren eine göttliche Streitkultur vorleben.

Wie gesagt, ich musste auch Wege gehen, um richtig streiten zu lernen. Es hat mich gefordert, wenn meine Frau, die ich innerlich liebevoll „mein kleines Dynamitbündel“ nenne, alles sofort auf den Tisch brachte. Heute bin ich aber dankbar dafür, dass sie die göttliche Streitkultur, die sie in ihrer Familie gelernt hat, in unsere eingebracht hat. So lernt unser Sohn von uns, und wir lernen auch immer wieder Neues auf diesem Gebiet. Deshalb ermutige ich dich: Bleib nicht stehen, wenn du merkst, dass es auf deiner Erziehungsreise Herausforderungen gibt. Egal was es ist, sei es in

Konflikten, Umgang mit Finanzen, Pubertät oder Fragen der Betreuung: Du darfst aufstehen und die Wege mit Gottes Hilfe neu gehen, damit du am Ende deines Lebens erleben kannst, wie dein Wunsch für deine Kinder in Erfüllung geht.

GILT FÜR ALLE

Was unser Streitbeispiel auch zeigt: Dieses Buch richtet sich an alle! Alleinerziehende, Patchwork-Familien, glückliche und unglückliche Familien. Mir ist wichtig, dass du dich nicht unter Druck setzt. Gott arbeitet immer mit normalen Menschen, die alle ihre Herausforderungen haben, egal in welcher Familienkonstellation: ob Ein- oder Mehrkindfamilie, adoptierte oder leibliche Kinder. Gott hat dich geschaffen, er hat alle Menschen geschaffen und die Familie. Doch er hat nicht den perfekten Menschen geschaffen, sondern Exemplare wie uns, die Fehler machen. Aber er tat es bewusst und mit Liebe. Gott ist der perfekte Vater und steht uns immer als Sparringspartner zur Seite, auch wenn wir unsere Kinder erziehen. Wir dürfen ihn jederzeit miteinbeziehen.

Eine Herzensbeziehung

Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass wir unsere Kinder zur Lebensfähigkeit erziehen. Das bedeutet auch, Erziehung passend zum heutigen Zeitgeist mit seinen Herausforderungen wie Medien,

Pornografie, Einstellung zur Sexualität 11 oder der Art, wie man Beziehungen führt, im göttlichen Sinne zu leben. Heute gibt es einfach andere Herausforderungen für die junge Generation als vor zwanzig Jahren.

Damit die Erziehung zur Lebensfähigkeit klappt, gibt es ein ganz wichtiges Erziehungsfundament, das gleichzeitig auch ein Erziehungsziel ist: nämlich unsere Kinder liebes- und beziehungsorientiert zu erziehen und eine enge vertrauensvolle Herzensbeziehung mit ihnen zu bauen:

Jesus antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken! Das ist das erste und wichtigste Gebot. Ein weiteres ist genauso wichtig: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Matthäus 22,37-39

Wenn du dich noch mal in die Zukunft versetzt: Wie sieht deine Beziehung zu deinen Kindern aus? Wünschst du dir, dass ihr euch noch gut versteht?12 Vielleicht kannst du dir das aktuell gar nicht vorstellen, denn dein Teenie hat nur eines im Sinn: so viel Zeit wie möglich außerhalb des Elternhauses zu verbringen. Oder du merkst, dass du mit deinem Grundschulkind irgendwie nur noch streitest, weil es anfängt zu rebellieren und die Hausaufgaben ständig zwischen euch stehen.

Vielleicht hast du selber auch eine angespannte Beziehung zu deinen Eltern und jedes Mal, wenn du sie besuchst, machst du drei Kreuze, wenn du wieder gehst. Wenn du dann auf den kleinen Hosenscheißer auf deinem Arm schaust, denkst du: „O weh, hoffentlich läuft das mit meinem Kind anders.“

Jetzt geht’s los!

Auch hier gilt wieder: Entspann dich, denn du hast im Hier und Jetzt immer noch Zeit, an eurer Beziehung zu arbeiten. Du kannst in jeder Lebensphase deines Kindes diese Herzensbeziehung wiederherstellen und kultivieren. Aber ich empfehle dir: Starte jetzt!

Vielleicht hast du mit deinem Nachwuchs auch ein richtig gutes Verhältnis und du kannst dir aktuell gar nicht vorstellen, dass mal herausfordernde Zeiten auf euch zukommen werden. Wenn sie dann doch kommen, denk dran: Das ist ziemlich normal.

Keiner ist fehlerfrei

Unser Sohn ist aktuell ein Teenager und die vertrauensvolle Herzensnähe mit ihm ist uns sehr wichtig. Aber wir scheitern immer wieder – auch das ist normal. Doch wenn wir erkennen, dass wir Fehler gemacht haben, können wir Veränderungsschritte gehen. Und wir können uns Hilfe holen. Meine Schwiegerfamilie ist uns dabei ein großes Vorbild.

Vielen Dank, aber bei uns lief auch einiges nicht gut. Und es gab immer wieder Punkte, an denen wir an unsere Grenzen kamen. Gegenseitiges Vertrauen und uns nicht anzulügen war ein großer Wert in unserer Familie, den wir unseren Kindern immer vermittelt haben. Ich kann mich noch an eine Gelegenheit erinnern, als eine unserer Töchter als Teenager abends auf eine Party ging. Sie rief mich von der Feier aus an, um mir zu sagen, dass ihre Mitfahrgelegenheit sie nicht nach Hause fahren könne und sie bei ihrer Freundin übernachten würde. „Geht in Ordnung“, antwortete ich ihr. An dem Abend hatte ich eine Freundin zu Besuch, der ich von dem Gespräch erzählte. Sie war entsetzt: „Das glaubst du ihr?!“, fragte sie kopfschüttelnd. Dann malte sie mir aus, was mein Kind alles an-

stellen könnte. Und ich begann, ihren Darstellungen zu glauben. Als unsere Tochter am nächsten Morgen nach Hause kam, empfing ich sie an der Tür mit den Worten: „Wo warst du heute Nacht?“

So ein Verhalten kannte sie eigentlich von mir nicht, deshalb sah sie mich erstaunt an und antwortete: „Aber, Mama, das habe ich dir doch gesagt! Bei Susanne!“ Gleich darauf fing sie an zu weinen: „Du glaubst, dass ich dich angelogen habe“, schluchzte sie. „Habe ich so etwas schon jemals getan?“ Ich spürte, wie traurig sie war, und merkte, dass ich mich falsch hatte leiten lassen. Ich hatte sie tief in ihren Grundwerten verletzt, und das tat mir unendlich leid. Ich glaubte unserer Tochter und entschuldigte mich bei ihr. Dabei stiegen auch mir die Tränen in die Augen. Wir beide nahmen uns in den Arm und unsere Beziehung wurde wiederhergestellt.

— Christiane, 72 Jahre

Die Tochter war meine Frau Frauke und natürlich haben ihre Eltern bei ihrer Erziehung Fehler gemacht, so wie Frauke und ich bei der Erziehung unseres Sohnes auch Fehler machen. Aber Beziehungen lassen sich wiederherstellen, wenn wir Eltern bereit sind, unsere Fehler zu sehen und zusammen mit Gott an uns zu arbeiten.

Doch das kann und will nicht jeder. Manchmal eskaliert die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, oft passiert das erst im Erwachsenenalter. Im schlimmsten Fall redet man dann gar nicht mehr miteinander. Das nennt man dann Funkstille. Funkstille ist ein Begriff aus der Schifffahrt, der die Einstellung des Funkverkehrs beschreibt, um den Empfang von Notsignalen sicherzustellen. 13 Ich finde interessant, dass man durch die Funkstille den Empfang von Notsignalen ermöglichen will. Denn es herrscht eine Not, wenn Menschen den Kontakt abbrechen, meistens die Kinder zu ihren Eltern. Nicht selten liegt diese Not in der Kindheit verborgen. Darum schauen wir in diesem Buch, wie du wichtige Stellschrauben drehen kannst, um eine stabile und vertrauensvolle Beziehung zu deinem Kind aufzubauen.

Die Grundpfeiler

Er kennt das auch alles …

Es gibt jemanden, dessen Erziehungsstil uns allen ein Vorbild sein sollte. Jemand, der sein Kind immer liebt, der ihm nahe sein will, der es aber auch zu einem mündigen, lebensfähigen Menschen erziehen will. Er meint es immer gut mit seinem Kind, obwohl er auch die Phasen der Funkstille in der Vater-Kind-Beziehung kennt.

Weißt du, wen ich meine? Den himmlischen Vater! In der Bibel sagt er seinen Kindern: Und nun, Israel? Was verlangt der Herr, dein Gott, von dir? Er verlangt von dir nur, dass du ihn achtest, dass du nach seinem Willen lebst, dass du ihn liebst und ihm mit ganzem Herzen und mit aller Kraft dienst.

5. Mose 10,12 (NLB)

Anstelle von „Israel“ kannst du deinen Namen einsetzen. Gott wünscht sich unter anderem, dass du ihn mit ganzem Herzen liebst und ihm dienst. Er wünscht sich diese Herzensbeziehung mit dir. Und diese Herzensbeziehung mit Gott ist das Vorbild für die Herzensbeziehung, die wir uns mit unseren Kindern wünschen und durch die sie wiederum lernen, selbst beziehungsfähig zu werden. Wir werden uns im Laufe des Buchs noch oft ansehen, welche Erziehungsmethoden wir von Gott lernen dürfen, aber gerade im Punkt der vertrauensvollen Beziehungsfähigkeit möchte ich an dieser Stelle gerne zwei wichtige Prinzipien herausnehmen, die meiner Meinung nach matchentscheidend sind, um eine solche Herzens-Bindung über die Kinder- und Teenie-Jahre aufzubauen.

Mach den Mund auf

„Ich liebe dich, Papa!“ – „Ich liebe dich auch, mein Sohn!“ Diesen Satz hörte ein Freund von mir zum ersten Mal von seinem Vater, als dieser im Sterben lag. Die beiden hatten jahrzehntelang eine schwierige Beziehung. Der Sohn fühlte sich vom Vater oft missverstanden und hatte immer das Gefühl, dass sein Vater ihn nicht wertschätzte, seine Leistungen und seine Karriere nicht sah. Er war nicht Ingenieur geworden wie sein Vater, sondern Journalist, und er spürte immer eine gewisse Ablehnung seines Vaters ihm gegenüber.

Nachdem mein Freund einige Jahre nach dem Tod seines Vaters eine lebendige Beziehung zu Gott gefunden hatte, konnte er seinem Vater vergeben und Frieden mit ihm schließen. Aber eines machte ihn traurig. Er fragte sich: „Warum hat er es mir erst auf dem Sterbebett gesagt?“ Ich kenne viele, mich eingeschlossen, die ähnliche Geschichten mit ihren Vätern erlebt haben. Vor allem Männern fällt es schwer, ihre Liebe auszudrücken. Aber weißt du was? Liebe, die nicht spricht, kommt nicht an!14

LIEBE, DIE NICHT SPRICHT, KOMMT NICHT AN!

Sätze wie „Du träumst dich doch durch die Welt“ oder „Leiste mal was!“ oder einfach nur ein totales Desinteresse an den Hobbys meines Freundes ließen das Beziehungskonto zwischen ihm und seinem Vater in Bezug auf das Thema „sich geliebt fühlen“ von Kindesbeinen an ziemlich ins Minus fallen. Gerade aber in Krisen ist so ein leeres Konto schnell tödlich. Das beginnt, wenn die Kinder noch klein sind. Motze ich nur an meinem Kind herum, kann es mir nichts recht machen, dann werde ich wenig Herzensnähe ernten (was oft zu noch mehr Schwierigkeiten und Herausforderungen und noch mehr Motzerei und noch weniger Herzensnähe führt). Deshalb hier ein paar kleine Vorschläge für aufgewühlte Situationen.

TIPP: DIE STOPPTASTE

In schwierigen Momenten fällt es uns oft schwer, liebevoll zu sein. Außerdem ist es nicht sinnvoll, Konsequenzen anzudrohen, wenn du noch wütend bist. In dieser Gefühlslage sprechen wir leicht Strafen aus, die wir gar nicht durchziehen wollen, wie: „Wenn du jetzt nicht deine Hausaufgaben machst, kommst du nicht mit in den Urlaub.“

Ich kann dir nur empfehlen, in solchen Situationen eine kurze Pause zu machen und den Raum zu verlassen, um selbst zur Ruhe zu kommen.

Gott sagt ständig „Ich liebe dich!“

„Huhu, lieber Tobias! Ich bin es, dein himmlischer Vater! Ich finde dich super und liebe dich sehr!“ Wäre das nicht großartig, wenn Gott dir so direkt seine Liebe mitteilen würde? Die wenigsten von uns hören Gottes Stimme auf diese Art und Weise, obwohl er dir am liebsten sekündlich mitteilen möchte, wie sehr er dich liebt: „Gott spricht immer wieder, auf die eine oder andere Weise, nur wir Menschen hören nicht darauf (Hiob 33,14; HFA).

Gott spricht, aber wir hören es gar nicht! In der Bibel stehen schwarz auf weiß die poetischsten Liebeserklärungen von deinem himmlischen Vater an dich drin:

Was kosten fünf Spatzen? Vielleicht ein paar Cent? Und doch vergisst Gott nicht einen einzigen von ihnen. Und auch die Haare auf eurem Kopf sind alle gezählt. Habt deshalb

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