Das Ende der Eiszeit
WIE WIR DIE LIEBE
WIEDER AUFTAUEN
SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
© 2023 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Str. 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-brockhaus.de · E-Mail: info@scm-brockhaus.de
Hauptsächlich verwendete Bibelübersetzung: Hoffnung für alle ® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis – Brunnen Basel. Weiter wurden verwendet: Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LUT 2017)
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen. (ELB)
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen. (NLB)
Das Buch. Neues Testament – übersetzt von Roland Werner, © 2009 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen. (Das Buch)
Lektorat: Christiane Kathmann, www.lektorat-kathmann.de Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhueter; grafikbuero-sonnhueter.de
Titelbild: shutterstock 182554823; 1542029933
Autorenfoto: © Nico Arndt
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck Gedruckt in Deutschland
ISBN 978-3-417-00065-8
Bestell-Nr. 227.000.065
INHALT
FROZEN LOVE
Eiszeiten beginnen mit einem globalen Ereignis. Das hat zumindest mein Geografielehrer in der Schule behauptet. Er dachte da wohl an Vulkanausbrüche oder einen Meteoriteneinschlag. Im übertragenen Sinn haben wir so etwas erst kürzlich erlebt. Im Dezember 2019 entdeckte man in Wuhan, China, das neuartige Virus SARS-CoV-2. Relativ schnell wurde der Zusammenhang zu einer schwerwiegenden Lungenerkrankung erkannt, die COVID-19 (Corona Virus Disease 2019) genannt wurde. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich daraus eine weltweite Pandemie.
Zwar sind weder Coronaviren noch Pandemien etwas völlig Neues, aber anders als bei allen bisherigen pandemischen Erscheinungen erleben wir eine noch nie dagewesene, globalisierte Auswirkung und möglicherweise den Beginn einer neuen zwischenmenschlichen Eiszeit. Eingriffe in unser freiheitlich bestimmtes Alltagsleben werden zur neuen Normalität. Allgemein anerkannte Grundrechte werden auf unbestimmte Zeit zurückgestellt. Es findet ein Abwägen zwischen Freiheit und Fürsorge statt.
Doch ist das wirklich notwendig? Dürfen Eingriffe in unsere Grundrechte so tief gehen? Juristen, Politiker, Virologen und Psychologen beginnen einen Diskurs, der vielerorts fernab der Öffentlichkeit stattfindet. In den Medien bleibt die Vielfalt der Diskussion verborgen. Sichtbar sind nur wenige, immer dieselben Gesichter. Die Masse der Bevölkerung beginnt zu zweifeln. Eine zunehmende Polarisierung findet statt. Befürworter der Maßnahmen gegen Querdenker – so suggeriert es zumindest die Medienlandschaft.
Aber die Wahrheit besteht aus mehr als diesen zwei Polen. Menschen haben Fragen, viele Fragen, berechtigte Fragen. Die CoronaPandemie trifft jedoch auf eine Gesellschaft, in der es nicht mehr so einfach ist, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren und sachlich einen Konsens zu finden. Wer eindeutig eine Position bezieht, bekommt sehr schnell die harte Front der Andersdenkenden zu spüren. Der öffentliche Shitstorm wird zur Gewohnheit.
Ist dies nur eine momentane, kurzfristige Erscheinung oder wird das gesellschaftliche Klima dauerhaft rauer? Sind öffentliche Anfeindungen und Diffamierungen nur ein Phänomen der sozialen Medien oder Spiegel einer immer aggressiveren Grundstimmung? Hat uns die Pandemie so wütend aufeinander gemacht, oder steckt hinter dieser Veränderung ein größerer Wandel?
Hat die Zeit ein Ende?
Wir unterliegen in den letzten Jahren einem starken Trend zur Reduzierung unserer Sprache. Wir versuchen, mit weniger Worten mehr auszudrücken. Manchmal verwenden wir auch einfach Bilder statt Worte. Ein Emoji kann in einer Nachricht manchmal mehr sagen als ganze Sätze – aber eine klare Botschaft ergibt sich nur dann, wenn beide Seiten das Emoji gleich verstehen. Ich hatte da ein etwas peinliches Erlebnis mit den Herz-Emojis. Mir war nicht bewusst, dass die Farben der Herzen eine bestimmte Bedeutung haben – abgesehen von Rot, das war mir in einigen Fällen zu persönlich, deshalb wählte ich stattdessen Grün. Ich wollte damit Zuneigung ausdrücken, aber keine Liebeserklärung abgeben. Allerdings war ich damit ziemlich auf dem Holzweg, denn meine Kinder machten mich Monate später darauf aufmerksam, dass ein grünes Herz für Eifersucht, eine vergiftete Atmosphäre und Beziehungs-
stress steht. Ich realisierte mit Schrecken, dass da wohl ein paar sehr missverständliche Nachrichten von mir entstanden waren. Die Kids fanden das »echt cringe«.
Bevor wir so richtig einsteigen, möchte ich deshalb einen Begriff erklären, den ich immer wieder verwende: Endzeit. Endzeit ist ein typisch christliches Wort. Während meines Studiums ist es mir weder in Biologie noch in Sportwissenschaft oder Germanistik begegnet, in meiner beruflichen Laufbahn im Vertrieb und Management erst recht nicht. In Filmen kommt es manchmal vor, dann wird es meistens von Personen benutzt, die wie »religiöse Spinner« wirken. Im echten Leben reden über die Endzeit entweder abgrundtief pessimistische oder religiöse Menschen.
Viele Christen glauben an ein Ende der Zeit und an einen Zeitabschnitt vor diesem Ende, den sie Endzeit nennen. Aber was meinen sie damit?
Der Begriff selbst setzt eine Glaubensannahme voraus, nämlich dass Zeit, wie wir sie kennen, endlich ist. Glaubensannahmen –jeder hat so ein Glaubenskonstrukt. Er glaubt, dass es einen Gott gibt, keinen Gott oder viele Götter. Dass dieser Gott oder die Götter sich für die Menschen interessieren und in ihr Leben eingreifen oder nur zuschauen, was sie so treiben.
Auch dieses Buch basiert auf einigen Grundannahmen, die meinem christlichen Glauben entsprechen. Es ist absolut nicht notwendig, Christ zu sein, um weiterzulesen. Aber es ist sinnvoll, gewisse Vorannahmen zu tolerieren. Wenn du davon ausgehst, dass unser Universum irgendwann einmal durch Zufall entstanden ist und nun von Mutation zu Mutation vor sich hin existiert, ohne Ursprung, ohne Plan, ohne Ziel, dann ist es vermutlich relativ langweilig, über eine »Endzeit« nachzudenken. Wenn das so wäre, gäbe es entweder gar kein Ende oder alles Existierende würde irgendwann genauso zufällig in sich zusammenbrechen, wie es entstanden
ist. Dann gäbe es zwar auch eine Zeit vor dem Weltuntergang, aber wir wüssten nicht, wie diese aussieht, und hätten keinerlei Einfluss darauf.
Ich persönlich kann mit beiden Vorstellungen wenig anfangen, denn dafür bräuchte ich mehr Glauben an Zufälle, als ich aufbringen kann. Außerdem führen sie meiner Ansicht nach sehr schnell zu einer destruktiven Lebenseinstellung. Sowohl ein ewiger »Circle of Life« als auch eine Auflösung ins große Nirwana liefern mir zu wenig Antworten in Bezug auf eine Sinnhaftigkeit des Lebens. Unser Professor in Zoologie sagte einmal: »Aus biologischer Sicht ist der einzige Sinn des Lebens das Überleben. Alles Leben strebt danach, weiterzuleben.«
Selbst wenn man nicht religiös ist, stellt sich da die Frage: Wenn alles Existierende darauf aus ist, zu überleben, warum sollte sich dann irgendwann alles im Nichts auflösen? Dieser aus dem Buddhistischen entliehene Denkansatz wird aktuell immer populärer. An eine Entstehung des Lebens per Zufall zu glauben, fällt mir schon schwer, aber dass sich alles nach Millionen oder gar Milliarden Jahren der Anstrengung und Bemühung ums Überleben einfach wieder in ein Nichts auflösen soll, erscheint mir erst recht unlogisch.
Deshalb glaube ich an ein Schöpfungsmodell. Ich glaube, dass der Gott, wie er sich uns in der Bibel vorstellt, als Schöpfer hinter allem Existierenden steht. Ich glaube, dass alles Existierende einem kreativen Plan entstammt.
Am Anfang der Bibel heißt es: »Und Gott sprach …« (1. Mose 1,3; LUT). Durch sein Wort sind die Dinge entstanden. In seinem Wort liegt schöpferische Kraft und Leben.
In meinem Glauben spielt die Bibel eine große Rolle. Dabei ist das Spannendste für mich, dass es sich nicht um ein (dem Glauben nach) mystisch vom Himmel gefallenes Buch handelt, sondern um
eine Ansammlung von Lebens- und Erfahrungsberichten. Menschen erzählen darin, wie sie Gott und sein Wirken in ihrer eigenen Wirklichkeit erfahren haben.
Es fällt mir nicht schwer, zu glauben, dass ein Gott, der das gesamte Universum durch sein Wort erschaffen hat, in der Lage ist, Menschen so zu inspirieren, dass er in ihren Worten lebendig ist. Dabei ist mir wichtig, dass es nicht die eine einzige richtige Sichtweise auf die Bibel gibt. Für mich ist sie ein Mysterium. Sie ist mehr als eine Aneinanderreihung von interessanten Gedanken und Ansichten, mehr als eine Betriebsanleitung für das Leben. Ich glaube, dass Gottes Geist diese Texte sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen lebendig gemacht hat und immer noch macht.
Falls du ein wenig den roten Faden verloren hast, wir sind immer noch dabei, uns dem Begriff Endzeit zu nähern.
Neben vielen anderen Dingen beschreibt die Bibel einen Anfang und ein Ende dessen, was wir als unseren Lebensraum erfahren. Es wird nicht eindeutig beschrieben, ob dieses Ende durch eine komplette Neuschöpfung oder durch eine Verwandlung der bestehenden Schöpfung herbeigeführt wird. Spezialisten zu diesem Thema kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen und bisher hat mich noch keiner so überzeugt, dass ich behaupten könnte, ich wüsste, wie es einmal wird.
Wesentlich klarer als das Wie erscheint mir die Aussage, dass es ein Ende dieser Welt, wie wir sie kennen, geben wird. Dieses Ende wird bestimmt durch das sogenannte zweite Kommen von Jesus. Jesus wurde vor über 2000 Jahren in Israel geboren. Mit etwa 33 Jahren wurde er hingerichtet, doch die Bibel berichtet, dass er nach drei Tagen auferstanden ist. Nach seiner Auferstehung begegnete er in einem Zeitraum von vierzig Tagen mehr als 500 Personen. Danach verließ er in Anwesenheit seiner Nachfolger, die man Jünger nennt, unsere sichtbare Wirklichkeit. Er ist zu Gott dem Vater
aufgefahren und wird ebenso wiederkommen. Mit seiner Wiederkunft werden sich viele Dinge auflösen und ein neues Zeitalter beginnen. Darüber macht die Bibel eine Menge hoffnungsvoller und starker Aussagen:
Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der vorige Himmel und die vorige Erde waren vergangen, und auch das Meer war nicht mehr da. Ich sah, wie die Heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkam: festlich geschmückt wie eine Braut für ihren Bräutigam. Eine gewaltige Stimme hörte ich vom Thron her rufen: »Hier wird Gott mitten unter den Menschen sein! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein. Ja, von nun an wird Gott selbst in ihrer Mitte leben. Er wird ihnen alle Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid, keine Klage und keine Schmerzen; denn was einmal war, ist für immer vorbei.« Der auf dem Thron saß, sagte: »Sieh doch, ich mache alles neu!«
Offenbarung 21,1-5
Den Zeitraum vor diesem Wiederkommen von Jesus nennen Christen Endzeit. Darüber, wann sie sein wird, wie sie verläuft und was uns erwartet, gibt es unzählige Spekulationen. Ein Buch würde bei Weitem nicht ausreichen, um sich all diesen Gedanken, Auslegungen und Fantasien zu widmen. Ich möchte mich daher auf wenige Aspekte konzentrieren.
Eine entscheidende Frage ist, ob es bei Endzeit um ein Ereignis geht, auf das wir unweigerlich zusteuern. Eine Zeit, die auf jeden Fall kommen wird und deren einzelne Schritte vorherbestimmt sind? Dann läge unsere Aufgabe als Spezies Mensch darin, die im Vorfeld definierten Ereignisse eines nach dem anderen zu durchleben.
Die Alternative wäre, dass Endzeit kein Ereignis, sondern ein zeitlicher Abschnitt ist, in dem es eine Rolle spielt, wie wir auf die
Ereignisse reagieren. Können wir diesen Zeitraum, den Gott uns bietet, nutzen und die Wartezeit, bis Jesus wiederkommt, mitgestalten?
Hinter diesen beiden Sichtweisen stecken zwei völlig verschiedene Gottesbilder, die Auswirkungen auf unser Handeln, ja auf unser ganzes Leben haben.
Meine Beobachtung ist, dass sich der Lebensstil von Menschen sehr stark unterscheidet, je nachdem, welcher dieser beider Denkrichtungen sie angehören. Menschen, die Zeit als einen rein chronologischen, vorherbestimmten Handlungsstrang betrachten, neigen zu einer passiven Lebenseinstellung: »Ich kann ja eh nichts ändern, es kommt, wie es kommt.« Diese Menschen scheinen wenig Hoffnung für unsere Welt und unsere Zeit zu haben.
Ich persönlich verstehe die Hinweise von Jesus auf die Endzeit als eine Einladung zum Handeln, zum Mitgestalten. Ich glaube, dass er uns herausfordert, jeden Moment im Hier und Heute zu nutzen, unabhängig davon, wie lange es noch dauern wird, bis der Tag X eintrifft und er wirklich wiederkommt.
Biblisch gesehen gibt es gute Gründe, nicht darüber zu spekulieren, wann genau dieser Tag X kommen wird: »Und doch weiß niemand, wann das Ende kommen wird, auch die Engel im Himmel nicht, ja, noch nicht einmal der Sohn. Den Tag und die Stunde kennt nur der Vater« (Matthäus 24,36).
Diese klare Ansage wird von einigen Auslegern so interpretiert, dass der genaue Tag zwar nicht bekannt ist, über das Jahr, den Monat und vielleicht sogar die Woche aber spekuliert werden darf. Wir würden so gern wissen, wann es so weit ist!
Dabei fasziniert es mich, dass zwei völlig verschiedene Denkrichtungen zu einem ähnlichen Ergebnis kommen.
Aus der griechischen Philosophie hat sich die Vorstellung entwickelt, dass Zeit eine Einheit ist, die sich in eine Richtung, nämlich
vorwärtsgerichtet, entwickelt. Die griechische Gottheit Chronos versinnbildlicht den Ablauf der Zeit. Grafisch wird diese Vorstellung, der chronologische Ablauf der Zeit, mit einem Zeitstrahl dargestellt:
Dieses Modell lässt Raum für eine Zeit vor dem Anfang und eine Zeit nach dem Ende, grundsätzlich besteht aber nur die Möglichkeit, nach vorne zu gehen, eine Rückkehr ist nicht möglich. Somit gibt es eine zielgerichtete Bewegung, ein Ereignis bedingt das nächste. Daraus leitet sich der Gedanke ab, dass das eine nicht passieren wird, bevor das andere geschehen ist.
Eine andere Vorstellung von Zeit wird durch den Begriff Kairos ausgedrückt. Im Gegensatz zu Chronos beschreibt Kairos einen Zeitraum. Grafisch kann man das Modell am besten mit einem Kreis ausdrücken:
Ein Kairos befindet sich in einem Raum, innerhalb eines Zeitabschnittes. Er ist nicht vom Gesamtablauf der Zeit losgelöst, sondern er verschafft sich vielmehr eine undefinierte »Pause« innerhalb von Ereignissen. Der Mensch bekommt in einem Kairos die Möglichkeit, auf ein Geschehen zu reagieren. Man wird auf etwas aufmerksam, reflektiert, vergleicht den Ist- mit dem Sollzustand und Anfang Ende
zieht daraus Schlüsse, die das Handeln in der Zukunft beeinflussen.
Während eines Kairos kann man sich vor- und rückwärts bewegen. Kennzeichnend ist jedoch, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt und endet. Der chronologische Zeitstrang läuft danach weiter. Man kann durch einen Kairos also die Zukunft gestalten, den Moment aber auch verpassen.
Ob man einen Kairos nachholen kann, ist eine sehr spannende Frage, die ich nicht beantworten kann. Spannend finde ich sie, weil sich daran eine Menge weiterer Fragen zum Thema »Entscheidung für den Glauben« knüpfen. Gibt es diesen einen Kairos, diesen einen Moment, in dem sich ein Mensch für Jesus entscheidet, sich »bekehrt«? Gibt es davon unzählig viele oder eine bestimmte Anzahl?
In dem Zusammenhang habe ich immer wieder erlebt, dass Christen folgende Worte zitieren: »Jetzt komme ich noch einmal und dann nimmer mehr.« Damit wird in der Regel die Angst forciert, Jesus zu verpassen. Dieses Zitat stammt aber aus dem Märchen der Gebrüder Grimm »Brüderchen und Schwesterchen« und nicht aus der Bibel.
Ich persönlich glaube, dass der Ruf von Jesus, ihm nachzufolgen, unser Leben lang gilt und dass wir in diesen Kairos der Bekehrung einsteigen können, wann immer wir seinen Ruf hören.
Chronos und Kairos sind zwei Zeitmodelle, mit deren Hilfe man eventuell erklären kann, warum es so unterschiedliche Reaktionen auf das Thema Endzeit gibt. In beiden Fällen gibt es einen Zeitpunkt X, der das Ende unserer Welt darstellt. Definiert wird dieser Tag X durch die Wiederkunft von Jesus. Je nachdem, mit welchem Zeitmodell man denkt, wird die Reaktion auf dieses Enddatum aber sehr unterschiedlich ausfallen. Für diejenigen, die Zeit als einen rein chronologischen Ablauf sehen, bedeutet Endzeit, dass es einen Endpunkt gibt, auf den alles unweigerlich zuläuft. Das eine kommt nach dem anderen und der Verlauf ist vordefiniert. Bezieht man dagegen die
Möglichkeit des Kairos mit ein, so kann man bestimmte »Zeichen der Zeit« erkennen und durch Reflexion darauf reagieren.
Die für mich spannendste Frage ist, ob Gott möglicherweise den Tag X noch gar nicht definiert hat, sondern auf die verschiedenen
Möglichkeiten, die wir Menschen haben, reagiert. Manuel Schmid beschäftigt sich in seinem neuesten Buch »Gott hat (k)einen Plan für dein Leben«1 in Anlehnung an den offenen Theismus2 mit dieser Frage. Dabei stellt er einige sehr befreiende Gedanken und Thesen auf. Demnach wäre Gott dabei, gemeinsam mit uns Menschen ein großartiges Abenteuer zu erleben. Er hat einen Gesamtplan und weiß, wie es am Ende ausgehen wird, aber zwischen Anfang und Ende bestimmen unsere Reaktionen, Entscheidungen und Handlungen die Geschichte mit. Dies käme der Aussage Gottes, dass er uns Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat (1. Mose 1), wesentlich näher als die Vorstellung, dass wir einfach einen vordefinierten Plan ableben.
Die Zeichen
Die Welt rückt näher zusammen und die Globalisierung der letzten einhundert Jahre hat gewaltige Auswirkungen auf unser Leben. Über einen langen Zeitraum konnte man sein Desinteresse an einer Sache in einen markigen Spruch verpacken: Das interessiert mich so sehr, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt. Dieser Spruch funktioniert jedoch nur, solange China weit weg ist und uns persönlich nicht tangiert. Anders ist das, wenn man sein Geld mit chinesischem Reis verdient oder eine Hilfsorganisation einen Film über hungrige chinesische Kinder macht und mit solch hochemotionalen Aufnahmen um Spenden bittet.
Immer häufiger treffen wir auf Probleme, Fragestellungen und Krisen, die überall auftauchen und für nahezu alle Menschen relevant sind. Eine Pandemie, die weltweit zur gleichen Zeit in diesem Ausmaß auftritt, sprengt den bisherigen Erfahrungsschatz der Menschheit. Eine Fußball-WM in Katar zeigt, dass es nicht nur die Sache eines Landes ist, wie es mit Menschenrechten umgeht. Globalisierung bringt mehr Zusammenhänge, eine größere Vernetzung und bedeutet: Die Welt wird immer komplizierter. Wir erkennen zunehmend, dass uns diese Komplexität übersteigt.
Das realisieren wir im Großen:
• Ein paar Strafzölle lösen nicht das umfangreiche Wirtschaftsproblem zwischen den Kontinenten.
• Das hochgelobte E-Auto löst nicht unsere Umweltprobleme.
• Die deutschen Themen lösen sich nicht einfach in Luft auf, wenn Angela Merkel nach 16 Jahren ihr Amt abgibt.
Es macht sich aber auch im Kleinen, Persönlichen bemerkbar:
Wir können mehr Fahrrad als Auto fahren, Fairtrade und unverpackt, saisonal und regional einkaufen – aber damit ist der Welthunger noch nicht gestillt, das Klima noch nicht gerettet, die Erde noch kein besserer Ort geworden.
Diese Erkenntnis führt bei manchen Menschen zu einer Gleichgültigkeit. Es häufen sich Aussagen wie: »Wenn man am Großen nichts ändern kann, brauche ich mich im Kleinen erst gar nicht zu bemühen.« Manche Menschen führt es in Verzweiflung und Depression, andere enden im Fanatismus.
Ist das alles so neu? Gibt es diese Erkenntnisse und die Reaktionen darauf wirklich erst seit unserer Generation oder gar erst seit Corona?