
Patrick Barrett Susy Flory
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Patrick Barrett Susy Flory
Als alles verloren schien, schickte Gott mir einen Esel
Aus dem Englischen von Heide Müller
Originally published in English in the U.S.A. under the title: Sanctuary, by Patrick Barrett and Susy Flory
Copyright © 2022 by Patrick Barrett and Susy Flory
German edition © 2023 by Brunnen Verlag GmbH with permission of Tyndale Publishers. All rights reserved.
Titel der US-amerikanischen Originalausgabe: Sanctuary © 2022 Patrick Barrett und Susy Flory
Veröffentlicht mit Einverständnis von Tyndale House Publishers, Inc.
Die Bibelzitate sind folgenden Bibelübersetzungen entnommen: 1. Mose 16,12; Jakobus 2,26; Psalm 104,10; Markus 8,22-25: Neue Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen. Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft; Genesis u. Exodus © 2020 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, und Brunnen Verlag GmbH, Gießen.
Hiob 39,5: Hoffnung für alle®, Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis.
© der deutschen Ausgabe: 2023 Brunnen Verlag GmbH, Gießen
Lektorat: Konstanze von der Pahlen
Umschlagfoto: © Adrian O'Neill, staywildimages.com
Fotos im Innenteil: © Patrick Barrett privat; Foto von Patrick Barrett und Susy Flory, Foto Esel (solo) © Marci Seither
Umschlaggestaltung: Jonathan Maul, Brunnen Verlag
Satz: Brunnen Verlag
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
Gedruckt in Deutschland
ISBN Buch 978-3-7655-3640-3
ISBN E-Book 978-3-7655-7672-0 www.brunnen-verlag.de
Ich widme dieses Buch dem charakterstärksten und fürsorglichsten Menschen, den ich kenne – meiner Mutter. Ich liebe dich von ganzem Herzen.
Und meiner Seelenfreundin Eileen.
Du bist das hellste Licht in meinem Leben, für mich der Inbegriff der Liebe. Mit dir ist kein Tag langweilig. Ich liebe dich.
PATRICK BARRETT wuchs in Liscarroll auf, einem kleinen irischen Dorf in der Grafschaft Cork in Irland, wo seine Eltern The Donkey Sanctuary Ireland gründeten. Als Teenager schloss sich Patrick den irischen Streitkräften an und diente von 1998 bis 2003 im Kosovo und im Libanon. Anschließend arbeitete er fast zehn Jahre auf dem Eselhof. Während dieser Zeit veränderte sich sein Leben nachhaltig und der Hof wurde für ihn zu einem Zufluchtsort, wo er wieder zurückfand zur Natur, seinem Land, seiner Familie, zu Gott und der Weisheit der Esel. Seit 2016 arbeitet er als Psychotherapeut und nutzt das, was er bei seiner Arbeit auf dem Eselhof gelernt hat, um Menschen mit PTBS oder Suchterkrankungen zu helfen. 2015 heiratete er seine Jugendfreundin Eileen. Zusammen haben sie fünf Kinder.
SUSY FLORY ist New-York-Times Bestsellerautorin und Co-Autorin von sechzehn Büchern, darunter Held auf vier Pfoten. Susy ist Leiterin der West Coast Christian Writers, einer gemeinnützigen Organisation, die Autorenkonferenzen veranstaltet, und absolviert derzeit einen Master-Studiengang für Neues Testament am Northern Seminary. Mit ihrem Ehemann Robert hat sie zwei erwachsene Kinder und lebt in den Bergen von Kalifornien.
Kapitel fünfzehn Neue Augen und Nollaig
Kapitel sechzehn Das Mädchen am Fuße des Hügels
siebzehn Jacksies Lied
Kapitel achtzehn O komm nach Hause
Wer hat dem Wildesel die Freiheit gegeben, wer hat seine Fesseln gelöst?
Ich gab ihm die Steppe als Lebensraum, die Salzwüste als sein Gebiet.
HIOB 39,5
Ich bin auf dem Rücken eines Esels aufgewachsen. Als ruheloser Tagträumer, der ich war, liebte ich es, das Land zu durchstreifen – ein Land, das ich erst im Rückblick als Paradies erkennen würde. Wirklich schätzen lernte ich Irland erst, nachdem ich es als Heimat beinahe verloren hatte.
Ich lebe in dem alten Dorf Liscarroll in der Grafschaft Cork ganz im Süden der Grünen Insel. Hier gehöre ich hin. Ich weiß, wer in welchem Haus wohnt und wer früher darin gelebt hat. So geht es allen hier. Unsere jahrtausendealte Geschichte, unsere Legenden und Lieder liegen uns im Blut. Wir sind ein Land von Träumern, die ihre Geschichten bewahren und weitererzählen.
Früher war Munster eines der Königreiche des gälischen Irlands, das von einem rí ruirech – König der Könige – regiert wurde. Mein Namensvetter, der heilige Patrick, brachte das Christentum nach Irland und wirkte mehrere Jahre auch in unserer Gegend. Später kamen erst die Wikinger, dann die Engländer. Jedes Mal wurde viel Blut für die Sache der Freiheit vergossen. Wir Iren sind bekannt für unseren erbitterten Widerstand gegen Unterdrückung jeder Art und wir sind Kämpfer, wenn wir auch nicht jeden Kampf gewonnen haben. Außerdem lieben wir unsere alten Sportarten, unseren Whiskey, unser Erbe, unsere Dörfer und unsere Familien.
Liscarroll war für mich als Kind ein magischer Ort, mit seinem heiligen Brunnen, Tobar Mhuire, der gälische Name für Marienbrunnen. Dorthin brachten die Menschen Zettel, auf die sie ihre Nöte geschrieben hatten, und hofften auf Besserung.
Tief beeindruckt war ich auch von der steinernen Kirchenruine, dem alten Friedhof, in dem unzählige Ahnen begraben liegen, und unserer großen Burg Liscarroll Castle. Sie thront mit ihren vier massiven Rundtürmen am Dorfrand.
Als Junge war die Burgruine mein Abenteuerspielplatz. Hier wurde ich zum Krieger, der siegreich gegen Schurken kämpfte. Ich weiß noch, wie ein Junge aus dem Dorf einmal auf der Burgmauer entlangrannte, hinabstürzte und sich dabei den Knöchel brach. Aber das konnte mich nicht aufhalten, dort weiter herumzutoben. Ich hatte Schlachten zu schlagen!
Zwischen den hügeligen grünen Wiesen rund um das Dorf standen seltsame Baumgruppen, die wir „Feenringe“ nannten. Eichen, Eschen, Haseln, Birken und Weiden waren exakt im Kreis angeordnet. Kein Bauer hätte es gewagt, diese Bäume zu fällen oder die geheimnisvollen Orte irgendwie anzurühren – aus Angst, dass zornige Feen Unheil über ihn bringen könnten.
Dank meiner Mutter erlebte ich eine regelrechte Bilderbuch-Kindheit. Wir lebten auf einem herrlichen Hof inmitten von grünen Hügeln. Moosbewachsene, mit Brombeeren überwucherte Steinmauern durchzogen die Felder. Unser Familienbetrieb mit dem Namen Donkey Sanctuary (Zufluchtsort für Esel) wurde im Laufe der Zeit zu einem Heim für unzählige Langohren. Wann immer mein Vater einen Esel sah, der Hilfe brauchte, brachte er ihn nach Hause zu meiner Mutter.
Ohne meine Mutter Eileen gäbe es keinen Eselhof, darin waren sich alle einig. Sie unterstützte meinen Vater dabei, seinen Traum zu verwirklichen: Eseln in Not einen Zufluchtsort zu bieten. Aber damals war sie für mich schlicht und einfach Mam, eine typisch irische Mutter, stark, unerschrocken und zweifellos das Rückgrat unseres Zuhauses. Bei ihr ging Liebe durch den Magen. Besonders deutlich
wurde mir das, wenn es für mich und meine drei älteren Schwestern Debbie, Helen und Eileen ofenfrische Scones gab.
Mam und Dad hatten den Eselhof deshalb eröffnet, weil wir Iren unsere Esel nicht immer so lieben, wie wir sollten. Jahrhundertelang dienten diese originellen Vierbeiner unserem Volk gut und willig. Die Menschen wussten ihre Arbeit zu schätzen: frische Milch zum Milchhof schaffen, Algen vom Strand abtransportieren, Gemüse zum Markt bringen, Heuballen von den Feldern und Torf aus dem Moor holen, Menschen auf ihrem Rücken tragen oder ihre Wagen ziehen. So mancher Esel hatte seinen Besitzer schon sicher nach Hause gebracht, wenn der zu tief ins Glas geschaut hatte und ungeachtet der holprigen Wege seelenruhig im Wagen schlief.
Doch kaum hatte der Traktor in Irland Einzug gehalten, blieb für die Esel nicht mehr viel zu tun. Mit zunehmender Mechanisierung in der Landwirtschaft wurden Tausende von Eseln in ganz Irland nicht mehr gebraucht. Manchmal waren die Leute auch einfach zu alt, sich um sie zu kümmern, oder sie setzten ihre kranken Esel zum Sterben an der Straße aus.
Aber einige dieser Kreaturen hatten das Glück, gefunden und gerettet zu werden, wie mein erster und bester langohriger Freund Aran. Ihm und den anderen Eseln – Timmy, Jerusalem, Penelope und Peanut, Guinness, Tinsel, Nollaig und Jacksie – verdanke ich so viel. Jeder von ihnen zeigte mir etwas über mich selbst und über das Leben.
Jetzt, wo ich älter bin, habe ich erkannt, wie viel ich mit Eseln gemeinsam habe: Auch ich will nicht immer das tun, was man mir sagt. Es ist nicht leicht, einem Esel seinen Willen aufzuzwingen, was wohl der Grund ist, warum sie manchmal misshandelt werden. Sie haben ihren eigenen Kopf und ihre eigene Sicht der Dinge. Zuweilen weigern sie sich zu gehorchen.
Esel sind viel mehr als demütige Lasttiere; sie sind klüger als Pferde, willensstark und ausgesprochen intuitiv. Wenn sie gut versorgt werden, können sie fünfzig oder sechzig Jahre alt werden. Es sind kräftige, widerstandsfähige, loyale Tiere, die hart arbeiten können. Sie
leben in großen Herden, bleiben zusammen und sorgen füreinander wie große irische Familien.
Obwohl auch ich meine Herde hatte – eine Familie, die immer für mich da war, und Eltern, die bei meiner Erziehung ihr Bestes gaben –, kam eine Zeit, in der ich meine Familie, die Esel und dieses kleine Eckchen Paradies verließ und vom Weg abkam. Doch mein Herz gehörte dem Eselhof und meine Seele blieb mit dem Felsen ganz oben auf dem Hügel hinter unserem Haus verbunden. Für mich ist das der liebste Ort auf der Welt. Selbst in meinen dunkelsten Tagen trug ich ein Bild des Dorfes mit der Burg und den sanften grünen Hügeln von Liscarroll in meiner Tasche.
Auf unserem Hof fühlte ich mich als Kind zwar irgendwie immer ein wenig im Schatten der Esel; trotzdem weiß ich, dass ich ohne diese schönen, sturen Wesen heute nicht hier wäre. Die Esel waren immer für mich da, sie liebten mich, akzeptierten mich und glaubten an mich, als alle Welt mich schon fast aufgegeben hatte. Ich lernte mit ihnen zu reden und – was noch wichtiger ist – auf sie zu hören.
Ich bin in meinem Leben durch manche Prüfung gegangen. Einige davon habe ich mir ausgesucht und bestanden, andere nicht. Aber ich bin gesegnet, weil meine Mam und mein Dad verlorenen Eseln einen Zufluchtsort boten, ohne zu ahnen, dass dieser Ort auch mich eines Tages retten würde. Die Esel führten mich nach Hause, zurück zu dem zerfallenen steinernen Wachtturm oben auf dem Hügel. Und eines Nachts, als alles verloren schien, begegnete mir dort auf dem Felsen Gott.