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1. Die gemeinsame Wanderung

Ihre langen blonden Haare tanzten fröhlich im Wind. »Ich freue mich schon auf unsere gemeinsame Wanderung.«

Er setzte sich abwehrend auf die Bank. »Ich glaube nicht, dass unsere Wanderung eine gute Idee ist. Das Leben ist auch so schon schwer genug! Meine Füße tun jetzt schon weh!« Dabei sah er sie mit großen Augen traurig an.

Die Zuversicht setzte sich neben ihn. »Mein lieber Kummer, eine Wanderung würde uns beiden bestimmt guttun.« Sie sprang auf und tänzelte von einer Seite zur anderen. »Wandern ist fast so schön wie Tanzen«, rief sie in seine Richtung und hauchte ihm einen Kuss hinüber. Dann kam sie zurück und nahm seine

Hand. Er sträubte sich für einen Moment, bevor er sie ergriff und aufstand. »Wenn das nur gut geht!«

Die Zuversicht strahlte wieder. »Lass uns losgehen! Und vielleicht gönnen wir uns ab und zu ein kleines Tänzchen!«

Der Kummer verzog kurz das Gesicht, dann folgte er ihr. »Eins muss ich ihr lassen«, flüsterte er kaum hörbar, »tanzen kann sie wunderbar!« Dabei lächelte er.

Die Zuversicht tat so, als hätte sie es nicht gehört, und drehte sich mehrmals um die eigene Achse.

2. Das lebendige Glück

Was ist Glück? Für dich persönlich?« Als sie mir diese Frage stellte, musste ich kurz schlucken. Ich war darauf nicht vorbereitet. »Glück ist, äh, das ist ein großes Thema. Da muss ich erst einmal in Ruhe drüber nachdenken.«

Auf diese Weise hatte ich etwas Zeit gewonnen. Nach und nach fiel mir vieles ein. »Glück ist eine schöne Überraschung. Ein kostbares Geschenk. Ein Tag am Meer. Eine intensive Begegnung. Ein köstliches Essen, das ich mit allen Sinnen genieße. Die große Liebe.« Die Liste wurde immer länger.

Sie hakte nach. »Was ist Glück für dich? Kannst du das nicht kürzer sagen? Vielleicht in einem Satz oder sogar mit nur einem Wort?«

Damals musste ich passen. Aber die Frage setzte etwas in mir in Gang. Ich machte mir Gedanken über das Glück. Genauer gesagt: über mein Glück.

In der nächsten Zeit wurde mir deutlich, was ich nicht unter Glück verstehe: Zum Beispiel gemütlich im Sessel sitzen und Schokolade essen. Oder mit glänzenden Augen die neusten Kontoauszüge betrachten. Anderen beim Leben zuschauen. Von Abenteuern träumen, statt Abenteuer zu erleben.

Dann dauerte es nicht mehr lange, bis ich meine Antwort wusste: »Glück ist das Gefühl, lebendig zu sein.«

Lebendigkeit – dabei denke ich an den Augenblick, in dem ich vom Sessel aufstehe, eine warme Jacke anziehe und hinausstapfe in den Sturm. Ich lasse mich durchpusten, atme tief ein und aus und bin glücklich.

Mir fällt der Schmetterling ein, der mich im Sommer so faszinierte. Er war hellblau, tanzte in der Sonne – und ich vergaß alles um mich herum. Ich lief hinterher, tanzte ebenfalls und war glücklich.

Oder das Gefühl am Ende einer langen, anstrengenden Wanderung: Ich spüre, wie meine Füße und Muskeln schmerzen. Ich höre, wie mein Herz schlägt. Ich bin stolz und lebendig.

Als ich mein Glück erkannt hatte, stand der Entschluss fest: Ich werde regelmäßig das Leben feiern und mich freuen, dass ich lebendig bin.

3. Siehst du die Sterne?

Ich liebe es, zu den Sternen emporzublicken und andächtig zu bewundern, wie sie leuchten und funkeln. Das gilt für die Sterne oben am Himmel ebenso wie für die »Sterne« hier auf der Erde.

Doch nicht alle Sterne leuchten auf die gleiche Weise. Nicht alle Sterne sind gleich hell.

Ich werde immer jemanden finden, der glücklicher ist, als ich es bin. Oder der wenigstens so tut, als wäre er glücklicher.

Ich werde immer jemanden finden, der schöner ist als ich. Auch wenn wir alle wissen, dass sich Schönheitsideale verändern.

Ich werde immer jemanden finden, der klüger redet und gebildeter ist als ich. Auch wenn Klugheit und Bildung keine Garantie für ein gelingendes Leben sind.

Ich werde immer jemanden finden, der bei jeder Gelegenheit sofort im Mittelpunkt steht. Vielleicht braucht er dieses Gefühl so wie die Luft zum Atmen.

Ich werde immer jemanden finden, der mich in den Schatten stellt. Doch es liegt an mir, ob ich in seinem Schatten stehen bleibe.

Die wichtigste Aufgabe meines Lebens ist, mich selbst zu finden und daran zu glauben, dass ich ein Stern bin, der leuchtet und funkelt – auf seine eigene, einmalige, wunderbare Weise.

4. Vertraust du mir?

Hans war ein junger Tischler, der in einem kleinen Dorf nahe den Bergen lebte. Er liebte es, Holz zu bearbeiten und daraus kleine Kunstwerke zu gestalten. Er baute Fenster und Türen, Betten und Tische. Aber am liebsten baute er Spielsachen für Kinder – seine Schaukelpferde waren die schönsten weit und breit.

Hans lernte eine junge Frau aus dem Nachbardorf kennen. Sie heirateten und bekamen vier Kinder. Eigentlich konnte er sehr zufrieden mit seinem Leben sein.

Eines Tages kam ein Fremder in das Dorf. Er trug vornehme Kleidung und fuhr in einer prächtigen Kutsche vor. Er kam zu Hans und sagte: »Ein Rad meiner Kutsche ist beschädigt. So ist eine Weiterfahrt leider unmöglich. Kannst du das Rad reparieren?«

Hans freute sich über den ungewöhnlichen Auftrag. »Aber gern! Es wird jedoch mindestens zwei Tage dauern.«

So blieb der Fremde im Dorf und sah Hans aufmerksam bei der Arbeit zu. »Du bist außergewöhnlich geschickt. Schade, dass du in diesem abgelegenen Dorf lebst! Hier wirst du nie zu Ruhm und Wohlstand kommen. Willst du nicht hinausziehen und dein Glück suchen?«

In den nächsten Wochen dachte Hans oft über die Worte des geheimnisvollen Fremden nach. Er wurde immer unzufriedener. »Bestimmt ist der Fremde sehr wohlhabend. Er ist erfolgreich und angesehen. Das muss ein herrliches Leben sein.«

Eines Tages verabschiedete sich Hans von seiner Familie. »Ich will mein Glück finden. Wenn ich reich und angesehen bin, hole ich euch zu mir.« Seine Familie blieb traurig zurück.

Er machte sich zu Fuß auf den Weg. Nach einer langen, anstrengenden Wanderung kam er durch einen großen Wald. Müde setzte er sich an den Wegrand. Er fühlte sich einsam und hilflos.

Plötzlich stand eine wunderschöne Frau neben ihm. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und hatte hell leuchtende Augen. »Du willst dein Glück machen und reich werden? Ich kann dir helfen. Ich bin eine Fee. Vertraust du mir?«

Hans blickte erfreut zu der Fee und sagte sofort: »Ja!« Im selben Augenblick kam eine glänzend schwarze Kutsche mit vier schwarzen Pferden vorgefahren. Die Fee stieg ein und winkte ihm einladend zu. Er stieg ebenfalls ein und setzte sich aufgeregt neben sie. Los ging die Fahrt!

Bald war Hans tief und fest eingeschlafen. Als er schließlich wieder aufwachte, hatte er keine Vorstellung davon, wie lange die Fahrt gedauert hatte. Sie

standen vor dem Eingang zu einer dunklen Höhle. »Das ist ein Bergwerk, in dem du viel Gold finden kannst. Du musst nur fleißig danach suchen. Und alles Gold, das du findest, gehört dir so lange, wie du hierbleibst.«

Hans freute sich und baute sich am Eingang der Höhle eine einfache, kleine Hütte. Jeden Tag ging er in das Bergwerk, arbeitete stundenlang im Fels und hoffte, Gold zu finden. Eines Tages war es endlich so weit: Ein kleines Stück Gold war im Fels. Sein Jubel kannte keine Grenzen. Jetzt arbeitete er noch mehr und ging immer tiefer in die Höhle hinein. Bald fand er ein noch größeres Stück Gold und ein noch größeres. Er befand sich mitten in einem »Goldrausch«.

Nach einiger Zeit kam die Fee zu Besuch. Stolz zeigte er seine Schätze. »Oh, du hast ja schon viel Glück gehabt.«

»Und das alles gehört mir«, sagte er grinsend. Sie blickte ihn wie aus weiter Ferne an. »Das alles gehört dir. Aber nur, wenn du hier im Bergwerk bleibst. Falls du eines Tages weiterziehen willst, kannst du deine Schätze nicht mitnehmen.«

In der nächsten Zeit dachte Hans viel über sein Leben nach. »Was soll ich hierbleiben, wenn ich nur arbeite und ganz allein bin? Was nützen mir all meine

Schätze?« Seine Arbeit im Bergwerk war zwar weiterhin sehr erfolgreich. Am Eingang stapelte sich ein großer Haufen Gold. Doch es ging ihm dabei nicht gut. Immer häufiger wurde er krank. Ihm wurde deutlich, wie unglücklich er war.

So entschloss er sich weiterzuziehen. Heimlich steckte er sich einige Klumpen Gold in die Taschen, lud einiges auf seinen Rücken und wanderte los. Nach vielen Stunden kam er in einen dunklen Wald. Er war müde von der Wanderung und dem schweren Gepäck. Erschöpft schlief er ein. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war sein Gold verschwunden. In der Ferne hörte er ein wildes, unheimliches Johlen.

Hans wanderte weiter. Er war traurig und verzweifelt. Plötzlich stand eine wunderschöne Frau in einem goldenen Gewand vor ihm. »Ich bin eine Fee und will dir helfen. Wenn du auf mich hörst, wirst du angesehen und glücklich sein. Vertraust du mir?« Er überlegte. Konnte er nach dem, was er erlebt hatte, noch vertrauen? Doch die Aussicht darauf, das Glück zu finden, war größer als seine Vorbehalte. »Ja, ich vertraue dir.«

Genau in diesem Augenblick fuhr eine leuchtend goldene Kutsche mit acht weißen Pferden vor. Die Fee stieg ein. »Komm, setz dich neben mich!« Auch diesmal schlief er nach kurzer Zeit ein.

Als er wieder aufwachte, war die Kutsche am Hof eines Königs angekommen. Die Fee lächelte geheimnisvoll. »Hier wird ein tüchtiger Handwerker für die königliche Werkstatt gebraucht. Wenn du fleißig bist und am Hof bleibst, kannst du dich nach oben arbeiten und erfolgreich und angesehen sein.«

Hans stellte sich in der Werkstatt vor. »Bau einen Tisch für die Königin. Wenn es dir gelingt, darfst du im Schloss arbeiten«, sagte der königliche Handwerksmeister.

Hans machte sich gleich an die Arbeit. Es wurde ein prächtiger Tisch, der von allen gelobt wurde, sogar vom König persönlich.

Bald wurde Hans mit den schwierigsten Aufgaben betraut. Er reparierte das Dach, die Zugbrücke und vieles mehr.

»Ich bin sehr zufrieden mit dir«, sagte der König eines Tages. »Solange du auf dem Schloss bleibst und die Aufträge zu meiner Zufriedenheit erfüllst, soll es dir an nichts fehlen. Du wirst eines Tages Oberhoftischler heißen.«

Hans arbeitete fleißig, um dem König zu gefallen. Doch die Arbeit wurde immer mehr. »Ich arbeite bis spät in die Nacht. Ich kann gar nicht mehr selbst entscheiden, was ich baue. Was hilft mir der königliche Titel? Ich bin hier allein unter lauter Fremden und habe schon lange kein Schaukelpferd mehr gebaut.«

Eines Nachts verließ er heimlich das Schloss. Ver­

zweifelt und ohne Illusionen machte er sich auf den Weg, ohne zu wissen, wohin.

Nach ein paar Tagen traf er eine einfach gekleidete Frau. Sie lächelte ihn fröhlich an. »Du bist immer noch auf der Suche nach dem Glück?«

Er fragte sich irritiert, woher sie ihn kannte. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, nicht mehr. Es hat alles keinen Sinn.«

Sie lächelte noch mehr. »Du magst es immer noch gern, mit Holz zu arbeiten?«

»O ja!«, sagte er und lächelte nun ebenfalls. »Wer bist du?«, fragte er neugierig.

»Ich bin eine Fee«, antwortete sie freundlich.

Hans blickte sich um, weil er jeden Augenblick mit dem Eintreffen einer prächtigen Kutsche rechnete. Doch er sah nur die einfach gekleidete Frau.

»Willst du mich begleiten?«, fragte sie ihn. »Ich glaube, du wirst dein Glück doch noch finden. Vertraust du mir?«

Hans antwortete nicht. Aber er schloss sich der seltsamen Frau an. Was hatte er schon zu verlieren? »Ob sie wirklich eine Fee ist?«, fragte er sich still.

Bald stellte er erstaunt fest, dass sie in die Richtung gingen, in der sich sein Heimatdorf befand. Seine Augen begannen zu leuchten. Er ging schneller, und die Frau musste sich anstrengen, um ihm zu folgen.

»Was wirst du tun?«, fragte sie.

Hans strahlte sie an. »Ich werde bei meiner Familie sein und wunderbare Dinge bauen. Bestimmt auch wieder ein Schaukelpferd.«

»Vertraust du dir?«, fragte sie.

»O ja, das tue ich. Es wird alles gut werden.«

In dem Augenblick war die Fee verschwunden. Die letzten Stunden auf dem Weg nach Hause vergingen wie im Flug – auch ohne Kutsche.

5. Was für ein Spaß!

Die gesunde Entwicklung eines Kindes ist ohne Spaß unmöglich. Erinnern Sie sich noch? Damals wussten wir sehr genau, was wir gern taten. Wir gingen jeden Sommer im Badeteich schwimmen und waren schon auf dem Weg dorthin voller Vorfreude; wir liebten die alte Burg auf dem Berg; spielten stundenlang mit den Nachbarskindern im Park; machten allerlei Streiche, über die die Erwachsenen schimpften oder lächelnd den Kopf schüttelten; beschäftigten uns begeistert mit kniffligen Aufgaben, bis wir die Lösung gefunden hatten, und lasen abends im Bett heimlich mit einer Taschenlampe aufregende Abenteuerbücher. Was für ein Spaß!

Irgendwann auf unserem Lebensweg, bei einigen früher, bei anderen später, ging uns dieser Spaß verloren. Auch richtige Freude erlebten wir nur noch selten. Im Gegenteil, wir taten immer häufiger Dinge, die uns überhaupt keinen Spaß machten: Wir arbeiteten verbissen, um voranzukommen und mehr Geld zu verdienen. Wir redeten klug, um anderen zu imponieren. Wir gingen aus, um uns abzulenken. Wir setzten uns vor den Fernseher und sahen zu, wie andere uns Leben vorspielten, statt selbst kreativ und lebendig zu

sein. Und allzu häufig redeten wir vom Spaß und von der Freude am Leben, aber meinten in Wirklichkeit unsere Angst oder unsere Sorgen oder unsere Bequemlichkeit.

Vielleicht ist die Zeit gekommen, uns zu fragen: Wissen wir überhaupt noch, was uns wirklich Spaß macht? Können wir uns einer Sache begeistert hingeben? Können wir uns noch über etwas von Herzen freuen? Können wir noch völlig im Augenblick leben, ohne an morgen und übermorgen zu denken?

Erinnern Sie sich noch daran, wie Ihnen jemand das letzte Mal gesagt hat: »Deine Augen leuchten ja richtig!«, »Du kannst ja lachen!«, oder: »So begeistert habe ich dich noch nie erlebt!« War das womöglich ein Hinweis darauf, dass Ihr inneres Kind immer noch ausgelassen, fröhlich und begeistert sein kann? Darauf, dass es etwas gibt, das Ihnen einfach nur Spaß macht?

Vielleicht finden Sie heraus, wie Sie Ihren Dispositionskredit und den kaputten Geschirrspüler einfach mal vergessen können und – Spaß haben und glücklich sind! Ohne solche fröhlichen, unbeschwerten Augenblicke werden Stress und Druck alles andere in Ihrem Leben überschatten.

Zuversicht hat einige sehr lebendige, fröhliche Begleiter. Sie heißen Lachen und Humor, Spaß und Freude.

6. Nur dieser Tag

Du denkst an die vielen Aufgaben, die gerade vor dir liegen.

Und du fragst dich:

»Woher soll ich die Kraft nehmen für die schweren Wege und all die Hindernisse, die auf mich warten?«

Du malst dir alles immer wieder aus und bist kurz davor zu resignieren.

Deine Kraft ist doch so klein.

Da kommt dir ein wunderbarer Gedanke: Die Kraft reicht für heute, genau für einen Tag, für diese besondere Aufgabe und für diesen Augenblick.

Du denkst jetzt nicht an morgen und an all die Herausforderungen, die noch vor dir liegen. Nur dieser eine Tag –und immer wieder heute!

7. Himmel und Erde

Hier lebe ich – irgendwo am Rande des Weltalls auf einem kleinen Planeten, der Erde genannt wird. Hier bin ich auf Lebenszeit zu Hause. Hier habe ich mich eingerichtet und meine Aufgaben gefunden. Hier versuche ich, meine Probleme zu lösen und Herausforderungen zu überwinden. Hier kämpfe ich um meinen Platz und manchmal auch ums Überleben.

Hier lebe ich – irgendwo am Rande des Weltalls auf einem kleinen Planeten, der Erde genannt wird. Hier schaue ich manchmal zum Himmel und spüre die Sehnsucht in meinem Herzen, Flügel zu haben und einfach loszufliegen. Ich schaue nach oben, weil ich Liebe brauche und Freude, besonders dann, wenn ich innerlich leer bin. Ich brauche Hoffnung, wenn ich keinen Ausweg sehe.

Hier lebe ich – irgendwo am Rande des Weltalls auf einem kleinen Planeten, der Erde genannt wird. Hier begegne ich dem Himmel. Ich begegne ihm, wenn ich vor lauter Glück alles andere um mich herum vergesse. Wenn ich Musik höre, den Klang des Himmels, und völlig von ihr ergriffen bin. Wenn ich staunend die Wunder und die Schönheit der Schöpfung be­

trachte. Wenn ich mir von meiner Seele wunderbare Träume schenken lasse. Wenn ich ein kurzes Gebet zum Himmel schicke, dem Ort meiner Sehnsucht. Wenn ich mich von der Poesie verzaubern lasse, als hätte ich Zugang zu einer anderen Welt. Wenn ich die befreiende Kraft der Liebe erfahre, der größten aller Himmelsgaben.

8. Mehr als Selbstvertrauen

Wenn

ich ein Musikinstrument erlernen will, Gitarre, Klavier, Cello oder Saxofon, dann brauche ich Vertrauen in meine Möglichkeiten und Fähigkeiten. Ob das reicht? Wohl kaum! Ich brauche zusätzlich viel Fleiß und ein großes Durchhaltevermögen – gerade dann, wenn ich mal keine Lust zum Üben habe, wenn ich von anderen Dingen begeistert bin oder wenn ich abwertende Kommentare über meine »Kunst« höre.

Wenn ich eine neue Sprache erlernen will, wenn ich mich für ein Handwerk oder ein Studium entschieden habe, dann brauche ich Vertrauen in meine Möglichkeiten und Fähigkeiten. Ob das reicht? Wohl kaum!

Ich brauche zusätzlich viel Fleiß und ein großes Durchhaltevermögen – gerade dann, wenn mir andere Dinge einmal wichtiger sind.

Wenn ich abnehmen, meine Fitness verbessern oder einen »traumhaften« Garten anlegen will, brauche ich Vertrauen in meine Möglichkeiten und Fähigkeiten. Ob das reicht? Wohl kaum! Ich brauche zusätzlich viel Fleiß und ein großes Durchhaltevermögen – gerade dann, wenn es so aussieht, als hätten sich alle Ver­

lockungen und Ablenkungen dieser Welt gegen mich verbündet.

Darum bitte ich euch, meine lieben Freunde, dass ihr eure guten Wünsche genau bedenkt. »Lass es dir gut gehen!«, »Lass die Seele baumeln!« oder »Viele gemütliche Stunden für dich!« – das ist nicht immer das, was ich brauche.

Es gibt Zeiten, in denen ich etwas völlig anderes benötige. Dann sehne ich mich nach »Halte durch!«, »Gib nicht auf!« oder »Du schaffst es!«.

9. Warten auf den Frühling

In jenem Jahr dehnte sich die dunkle Jahreszeit besonders lange aus. Die Sonne war ein viel zu seltener Gast geworden, und spätestens im Februar zeigte sich deutlich, dass wir des Winters überdrüssig waren. »Jetzt ist wirklich genug!«, sagten die Menschen mürrisch, wenn sie sich trafen. »Hoffentlich kommt bald der Frühling!« Einige fragten sogar sarkastisch: »Ob der Winter überhaupt noch ein Ende nimmt?«

Die Natur hat ihren eigenen Rhythmus. Sie lässt sich Zeit für den Wechsel der Jahreszeiten, manchmal mehr, manchmal weniger. Viele von uns haben die Erfahrung gemacht, dass es guttut, diesen Rhythmus zu akzeptieren.

Das gilt auch für das eigene Leben. Im Winter ist Brachzeit, Zeit zum Ruhen, zum Luftholen, vielleicht für eine Lebensinventur, aber auch Zeit zur Vorbereitung und Planung dessen, was kommen wird.

Wie ging es weiter in diesem Jahr nach dem langen, dunklen Winter? Natürlich – irgendwann wurde es endlich ein wenig heller und wärmer. Nach der intensiven Durststrecke riefen schon die kleinsten Vorboten des Frühlings ein unbeschreibliches Glücks­

gefühl hervor: »Siehst du die Blumen dort auf dem Rasen?« Schneeglöckchen und kleine Nester von Krokussen – wir konnten uns nicht sattsehen. Sie sagten uns, dass die Zeit bald kommen wird, in der wir wieder Sonne tanken können, in der wir durch den Park laufen und im Garten Kaffee trinken werden.

10. Geschenkte Zeit

Als er aus der Reha entlassen wurde, sah eigentlich alles gut aus: Er würde wieder gesund werden, ohne dauerhafte Einschränkungen. Auch die Schmerzen waren endlich abgeklungen. Lauter gute Nachrichten!

Doch in seinen Augen stand ihm die schlimmste Zeit noch bevor: Er würde nun mehrere Wochen daheimbleiben müssen. Nicht zur Arbeit gehen, keine Ausflüge – nur zu Hause sitzen! Was für eine schreckliche Vorstellung! Dabei war sein Kopf doch völlig in Ordnung und schon wieder hellwach.

In den ersten Tagen beklagte er sein Schicksal. Er las die Zeitung von vorne bis hinten und sah zwischendurch sehnsüchtig aus dem Fenster. Der Frühling sandte bereits seine Vorboten. Die Sonne schien. Wie gern wäre er jetzt draußen unterwegs.

Am vierten Tag fiel ihm seine »Story« ein. So nannte er für sich das große Projekt, bei dem er die Geschichte seiner Familie – von den Urgroßeltern bis heute –aufschreiben wollte. »Das mache ich irgendwann, wenn ich mal Zeit habe«, so hatte er immer erzählt. Seit Jahren hatte er dafür Unterlagen und Material gesammelt.

Nun wurde ihm deutlich: Jetzt habe ich ja Zeit. Statt Wirtschaftsnachrichten und »Neues aus der Region« zu lesen und seine Situation zu beklagen, stand für ihn plötzlich fest: »Ich mache es. Wenn nicht jetzt, wann dann?«

So entstand in den nächsten Wochen nach und nach seine Familienchronik. Seine Frau und die Kinder lasen an jedem Abend die fertigen Zeilen, machten Verbesserungsvorschläge – und waren begeistert von den spannenden Geschichten.

Als er endlich wieder rausgehen durfte, war der Frühling längst eingezogen. Er freute sich über die neuen Möglichkeiten, und besonders freute er sich, als seine Ärztin zu ihm sagte: »Noch eine Woche, dann können Sie wieder zur Arbeit gehen.«

»Wie schön! Das war eine lange Zeit!«

Als er die Praxis verließ, dachte er bei sich: »Eine lange, aber auch eine geschenkte Zeit!«

11. Warte nicht zu lange!

Ichwünsche dir, dass du nicht zu lange darauf wartest, vom Sprungbrett hinein ins bunte Leben zu springen. Du weißt, dass du nicht untergehen, sondern lachend und prustend oben bleiben wirst.

Genieße heute, was du nur heute genießen kannst.

Lache und freue dich, dass du Humor hast.

Liebe und spüre dabei, wie wunderbar es ist, vom Leben geliebt zu werden.

Rede über alles, was dich bewegt.

Höre zu, wenn andere dir vertrauensvoll ihr Herz öffnen.

Schau in die Sterne und wundere dich, wie klein du bist – und wie groß!

Umarme die Menschen, die du liebst, und genieße ihre Nähe.

Breite deine Flügel weit aus und staune, wie frei und leicht du bist.

Trau dich, heute das zu tun, was du schon immer einmal tun wolltest.

Öffne deine Arme, blicke erwartungsvoll empor und lass dich vom Himmel beschenken.

12. Auf gute Nachbarschaft!

Samuel

kramte den Schlüssel aus seiner Hosentasche. Er stand vor Nummer 35, einem älteren Einfamilienhaus in einer ruhigen Seitenstraße. Feierlich schloss er die Haustür auf und ging hinein. »Das wird meine erste Nacht in unserem neuen Haus!«, murmelte er. Noch war alles leer. Die Handwerker hatten das Haus in den letzten Wochen renoviert. Bald würde der Wagen mit einem Teil der Möbel kommen. Nächste Woche sollte der Rest folgen und endlich auch seine Frau mit den Kindern. Ihr gemeinsamer Traum würde wahr werden.

Es klingelte. Samuel ging zur Tür und öffnete. Draußen stand eine ältere Frau. »Guten Tag, ich bin Frau Fischer. Ich wohne zwei Häuser weiter in Nummer 39.

Herzlich willkommen und auf gute Nachbarschaft!«

Er freute sich über den Besuch und bat sie herein. »Die Möbel sind noch nicht da, leider. Nur die Küche ist schon eingerichtet.« Frau Fischer schaute sich interessiert die Räume an. »O wie schön! Sie sind in eine angenehme Gegend gezogen. Es wird Ihnen hier gefallen. Wenn da nur nicht …«, sie machte eine Pause, die ihr wichtig zu sein schien, »… wenn da nur nicht die Probleme mit dem Nachbarn in Nummer 37 wären. Aber das wissen Sie sicher schon!«

Samuel schüttelte den Kopf.

Frau Fischer blickte ihn mitleidig an.

»Sie wissen nicht, dass es Krieg gab zwischen Nummer 35 und Nummer 37? Aber ich hoffe, Sie lassen sich nicht einschüchtern von dem Nachbarn. Er ist ein unglücklicher Junggeselle und meckert ständig.«

Samuel stand da wie ein begossener Pudel. Doch zum Glück hatte er sich schnell wieder erholt. »Ich komme mit fast jedem klar. Ich bin ein Optimist und glaube an das Gute im Menschen. Machen Sie sich keine Sorgen um uns.«

Als eine halbe Stunde später die ersten Möbel ins Haus getragen wurden, musste er immer noch an den Besuch von Frau Fischer denken. Er lächelte. »Ich lass mich doch nicht verrückt machen! Wer aufgibt, hat schon verloren. Ich freue mich auf alle Nachbarn hier.«

Zwei Stunden später fuhr der Umzugswagen wieder weg. »Geschafft!«, sagte Samuel erleichtert. »Es hat alles gut geklappt!« Er zog sich eine Jacke über, um etwas frische Luft zu schnappen. Um die Ecke in der Hauptstraße blieb er stehen: »Café« stand dort einladend auf einem Schild.

Kurz darauf saß er an einem kleinen Tisch und stellte fest, dass der Kaffee großartig schmeckte. Die junge Frau hinter dem Tresen zwinkerte ihm zu. »Das ist für viele hier in der Gegend eine Art zweites Wohnzimmer«, erzählte sie begeistert.

Er atmete tief durch. »Ich freue mich sehr, dass wir jetzt hier wohnen«, sagte er und lächelte.

Am Nachbartisch saß ein Mann, der Zeitung las. Als er mitbekam, dass Samuel frisch zugezogen war, legte er seinen Lesestoff zur Seite. »Hier kann man gut leben. Kommen Sie von weit her?«

Bald waren sie im Gespräch vertieft. Sie entdeckten viele Gemeinsamkeiten – ihre Liebe zu Frankreich, ihren Musikgeschmack und ihre Art von Humor.

Als Samuel aufstand, hatte er das Gefühl, einen ersten Freund in der neuen Stadt gefunden zu haben. »Ich heiße Samuel. Wir wohnen um die Ecke in Nummer 35.«

Der Mann am Nachbartisch winkte ihm zu, als Samuel zur Tür ging. »Auf gute Nachbarschaft, Samuel! Ich wohne gleich nebenan in Nummer 37!«

13. Warum?

Immer wieder zog es Sophie in die Straße mit den bunt bemalten Häusern und den lustigen Menschen.

»Hallo, Sophie!«, rief Nadja mit den lila Haaren und winkte ihr zu. »Warum bist du hier?«

»Warum bist du so fröhlich?«, fragte der alte, bärtige Parkwächter und lächelte sie mit seinen Stummelzähnen an.

»Warum kommst du immer wieder her?«, fragte Klara und bewegte ihre alten Beine so kunstvoll, dass ihr viel zu großes Kleid lustig herumwirbelte.

Sophie blieb kurz stehen. »Warum?«, wiederholte sie. »Euretwegen bin ich hier! Euretwegen habe ich gute Laune, und euretwegen komme ich immer wieder!«

14. Neu anfangen

Ich könnte den Kopf senken.

Doch ich blicke zum Himmel empor.

Ich könnte nach dem Fall liegen bleiben.

Doch ich stehe wieder auf.

Ich könnte mich resigniert zurückziehen.

Doch ich bin immer noch verliebt ins Leben.

Ich könnte einfach aufgeben.

Doch ich gehe mutig weiter.

Ich könnte mich mit der Dunkelheit abfinden.

Doch ich strecke mich der Sonne entgegen.

Ich könnte meine Niederlage beweinen.

Doch ich fange neu an.

Ich könnte an der Vergangenheit festhalten.

Doch ich blicke voller Hoffnung in die Zukunft.

Ich könnte dem Leben zuschauen.

Doch ich spiele lieber mit.

15.

Die geheimnisvolle Galerie

Darf ich Ihnen meine kleine Galerie vorstellen?

Dort sind meine schönsten Bilder, Fotos, Sprüche, Farben und Formen zu sehen. Ich liebe meine Galerie. Und manchmal brauche ich den Besuch dort dringend.

Es gibt einen besonderen Bereich darin für meine Freunde. Sie sind dort mit und ohne Rahmen ausgestellt. Ich lasse mir viel Zeit und betrachte jedes Bild in Ruhe. Was mir besonders gut gefällt, ist, dass ich mich so sehr auf sie verlassen kann. Ich vertraue ihnen. Ich fühle mich in ihrer Nähe wohl. Zu einem Rundgang in der Galerie gehört immer auch ein Besuch bei meinen guten Freunden.

Eine große Wand ist für all die Bilder reserviert, die mich an die vielen positiven Erfahrungen in meinem Leben erinnern. Wenn ich ängstlich und voller Zweifel an die Zukunft denke, fühle ich mich hier schnell ermutigt und bekomme wieder neue Hoffnung. Ich liebe das Foto von der Waldandacht, von dem bunten Fest auf dem Marktplatz und von dem Aussichtspunkt oben auf der Burg, von dem aus man bis in die Vogesen blicken kann. Ach ja, dann ist da noch das Bild,

das mich an die »große Katastrophe« erinnert, die dann doch noch glimpflich endete.

In einem Extraraum ist unterschiedliche Schriftkunst ausgestellt. Dabei geht es gar nicht so sehr um die Kunst, sondern um die Texte. Immer wieder betrachte ich etwa dieses Exponat: »Ich bin nicht nur Zuschauer des Lebens. Ich spiele selbst mit.«

Kürzlich blieb ich lange vor einer Neuerwerbung stehen: »Statt über eine Welt ohne Blumen zu klagen, will ich lieber selbst welche pflanzen.« Sofort fielen mir einige meiner schönsten Pflanzaktionen ein.

Leider kann ich Sie nicht mitnehmen in meine kleine Galerie. Ich allein habe den Zugangscode. Nur ich darf sie betreten. Aber Sie haben schon gemerkt: Ich erzähle gern von ihr. Ich besuche sie regelmäßig und lasse mir dort neue Lebensfreude und Zuversicht schenken.

Schön, dass Sie mir zugehört haben. Wenn wir uns einmal persönlich begegnen – vielleicht erzählen Sie mir dann von Ihrer Galerie? Den Zugangscode kennen Sie sicher …

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