Parker und der Fall der toten Katze
SUSANNE ROLL
Parker
und der Fall der toten Katze
Es ist der Katzen Eigenart, dass sie wohl neun Leben hat …
gewidmet …
… allen Minkas, Miezis, Simbas und Kittys dieser Welt mit und ohne Glöckchen um den Hals
… und meiner Lektorin Anja, die mir als Katzen- und Hundeliebhaberin wieder mit Rat und Tat zur literarischen Seite stand! Danke!
… und vielen lieben Dank an Ilka Brüggemann von Platt op NDR 1 Niedersachsen für die wunderbaren Plattpassagen von Bauer Hinnack!

Neu-Lullingen


Lullinger Grund

Lohnunternehmer
Lullinger Grund
Der Alte Graf/ Tierarztpraxis
Mühlweg Herrenhaus
LullingerLandstraße



Biohof Witte Leckerschnuut


Alt-Lullingen

Gutshaus



Großer Forst




Bauer Hinnack

Wiesenweg
Restaurant „Zum
alten Weiher“

Alter Bruch
Wertingen

Fundorte:
Sasshausen
Kätzchen, Kätzchen, putz dich schön, kann dich durch das Fenster sehn. Hast gefressen und gesessen auf der Mauer auf der Lauer. Die Vöglein dort gehören mir, du gemeines Katzentier. Mach dich fort von diesem Ort.
Sonst werd ich dich jagen willʼs dir sagen willʼs versprechen und nicht brechen. Leben, sagt man, hast du neun, nehm sie dir weg, werdʼs nicht bereun …
KAPITEL 1
Sintflut in Alt-Lullingen
Audiodatei Dorry 10: 18. Juli
Regen, Regen und nochmals Regen. SINTFLUT! So viel hat es – ich schwöre es – noch nie geregnet. Was für öde Sommerferien. Tim nicht da, Mallorca, Luna nicht da, Teneriffa, und Willi und Kalle nicht da, Türkei. Und wir sitzen hier im verregneten Deutschland herum. Muss mit meinem lieben Bruder vorliebnehmen, dessen Laune unterirdisch ist – ist ja auch nichts los hier – (stopp) …
Wieder einmal saß ich eingehüllt in meine Regenklamotten unter einem großen bunten Schirm am Weiher und beobachtete das Muster, das die Regentropfen auf der Wasseroberfläche machten. Ich hörte sie, bevor ich sie sah: Dorry, meine kleine Schwester. Sie stapfte auf mich zu mit ihrem Handy am Mund und sprach in ihre Aufnahme-App. Eigentlich war ich hierhergekommen, um Ruhe vor ihr zu haben, um nachdenken zu können, meine kleinen grauen Zellen zu trainieren, über einen neuen Fall nachzusinnen,
den es leider noch nicht gab. Seit ich den Zigarettendieb überführt hatte, suchten sie nach neuen Gelegenheiten, sich unter Beweis zu stellen. Klein hin und grau her, die Gehirnzellen waren die Essenz meiner Intelligenz! Vielleicht würden sie ja einem Tierschmugglerring auf die Schliche kommen oder einen echten Mord aufklären. Doch davon konnte ich bis jetzt nur träumen. Nichts tat sich, die trüben Tage zogen lähmend an mir vorbei.
Sehnsüchtig dachte ich an meinen Geburtstag im Herbst. Ich würde vierzehn Jahre alt werden und freute mich jetzt schon darauf, denn ich hatte mir Equipment für mein Hobby gewünscht. Ich war wohl weit und breit der beste Hobbydetektiv, den Alt-Lullingen je gesehen hatte. Oder sehen würde, bei aller Bescheidenheit. Wenn Alt-Lullingen überhaupt mal etwas Aufregendes sah beziehungsweise hier mal etwas Aufregendes geschah. Alt-Lullingen war eigentlich gar kein richtiger Ort, sondern nur eine Ansammlung von einzelnen Höfen und Häusern – fünf an der Zahl. Zudem lag es ein wenig abseits von Neu-Lullingen, einem etwas größeren Ort mit Grundschule, Einkaufsmöglichkeiten und Sportvereinen, etwa einen Kilometer weit entfernt. Danach kam lange Zeit nichts außer Wiesen, Ackerland und nochmals Wiesen, und dann noch einmal nichts, bis etwa zehn Kilometer weiter der nächstgrößere Ort lag, in welchem meine Schwester und ich zur Schule gingen: Sasshausen, eine Kleinstadt, die alles bot und dennoch auf tote Hose machte. Vollkommen tote Hose.
Nicht gerade aufregend für einen Hobbydetektiv. Dennoch hatte ich es in den letzten zwei Jahren geschafft, einen Ladendieb zu überführen, ich hatte herausgefunden, wer
regelmäßig den Zigarettenautomaten ausräuberte und wer die Tischdekoration aus dem Café von Marianne Hansen stahl. Ich konnte nur hoffen, dass es auch in diesem Sommer wieder etwas zu ermitteln gab und unsere Ferien nicht buchstäblich ganz ins Wasser fielen.
Manchmal saß ich auch hier, wenn es nicht gerade regnete, und warf kleine Äste in die Mitte des Weihers, denn ich mochte es gern, wenn die kleinen Ringe, die dann entstanden, über die Wasseroberfläche zogen, bis sie, immer größer werdend, irgendwann das Ufer erreichten. Seit einigen Tagen war mein Platz aber geflutet. Der Regen hatte den Wasserspiegel so weit angehoben, dass selbst die Bäume, die ein Stück weit weg vom Ufer wuchsen, handbreit unter Wasser standen. Ich hatte mich ein Stück weiter hinauf auf die Uferböschung gesetzt, hinter meine große Weide. Doch leider war dieser Rückzugsort kein Geheimplatz mehr, seit Dorry beschlossen hatte, mir nachzueifern und ebenfalls Detektiv zu werden. Dass Dorry mir nacheiferte, schmeichelte mir schon, auch wenn das hieß, dass sie mich auf Schritt und Tritt verfolgte und mich nun auch noch mit diesem Audiodatei-Gequassel nervte. Aber das hatte zu Beginn der Sommerferien keiner ahnen können.
Im Großen und Ganzen kam ich gut mit ihr aus, auch wenn sie vier Jahre jünger, ein Mädchen und meine Schwester war. Drei Umstände, die zu anderen Gelegenheiten manchmal zu Streit und Raufereien führten. Heute war so ein Tag: Dorry störte mich extrem. Sie war wie eine Klette. Eigentlich wollte sie bei Luna vorbeischauen, dann kam sie immer spät zurück, doch heute klappte selbst das nicht. Und nicht einmal das schlechte Wetter hielt
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sie davon ab, mir an meinen Lieblingsplatz zu folgen. Ich wollte in Ruhe hier im Regen sitzen, doch sie kam in ihre App plappernd durch das Unterholz gestapft und ließ sich wie selbstverständlich neben mich auf den nassen Boden plumpsen.
„Na, Bruderherz?“, fragte sie und knuffte mich am Arm. „Trübsinnige Gedanken, so trübe wie das Wetter?“ Sie lachte über ihren eigenen Scherz.
„Du hättest ruhig noch ein wenig länger bei Luna bleiben können!“, sagte ich genervt. „Oder bist du ihr auch auf die Nerven gegangen?“
Luna wohnte erst seit einigen Wochen in Alt-Lullingen und war trotzdem bereits die beste Freundin meiner Schwester. Als hätten sie sich vorher schon gekannt. Typisch Mädchen eben; bei ihnen ging das immer schnell mit bester Freundin und so. Wenn Dorry mich nicht verfolgte, dann hockte sie mit Luna zusammen und heckte so allerlei aus. Luna wohnte mit ihren beiden Vätern im oberen Teil des großen Gutshauses von Jensens. Familie Jensen betrieb einen Antikladen. Seit eh und je stand das Aufklappschild mit der Aufschrift „Antikes“ an der Straße und deutete mit einem Pfeil auf das Haus. Papa sagte manchmal insgeheim und hinter vorgehaltener Hand „Schrottplätzchen“ dazu, weil die Grenze zwischen alt und wertvoll und alt und Ramsch in seinen Augen fließend war. Mit Willi und Kalle Jensen traf ich mich zuweilen zum Parcourstraining, doch jetzt ging das nicht – auch verreist, klar.
Nun gehörten seit Neuestem also der „lange Hans“ und sein Ehemann Philipp zum Haus dazu – und Luna. Während Jensens so richtige Leute vom platten Land wa-
„Du bist ja so witzig heute“, sagte Dorry und knuffte mich erneut in den Arm. „Aber ich war ja nur kurz drüben, um Luna Tschüss zu sagen. Zehn Tage Urlaub am Atlantik! Da wäre ich jetzt auch gern!“
Ausnahmsweise gab ich Dorry recht, sagte das aber nicht laut. Musste sie ja nicht wissen, dass ich ihr zustimmte. Die Sintflut, wie Dorry das vorhin bezeichnete, ging mir gehörig auf den Wecker.
„Hast du wenigstens herausgefunden, was ihre Väter arbeiten?“
Mama hatte es vor einigen Tagen richtig gewurmt, dass sie das immer noch nicht wusste. Sonst war sie oft die Erste, die es ihren Freundinnen unter die Nase reiben konnte, wenn es Neuigkeiten gab, denn im Restaurant verbreiteten sich Neuigkeiten schnell. Da kamen die Leute von überallher und jeder hatte etwas anderes zu berichten. Hans und Philipp aber sorgten immer noch für allerlei Spekulationen.
Zu allem Überfluss begann es nun auch noch zu hageln. Dorry rückte etwas näher heran und zog den Regenschirm tiefer, auf den inzwischen in sagenhafter Geschwindigkeit die Hagelkörner herunterprasselten.
„Bist wohl neugierig, was, Bruderherz?“
Ich hasste es, wenn Dorry mich so nannte und noch mehr, wenn sie mich mit meiner Neugier aufzog. Aber schließlich
15 ren, brachten Hans und Philipp Großstadtflair ins Dorf, so Oma Trudy, „gepflegte junge Männer, die studiert haben und Lebensart zeigten“, was immer das auch heißen mochte. „Männer, die vor dem goaten Stück Koaken ihre Finger wuschen und bei einem Besuch sogar vor der Tür den Dreck von den Schuhen abtraten.“
gehörte eine gesunde Neugier auch zu einem Meisterdetektiv dazu. Wütend darüber, dass sie mich ertappt hatte, grummelte ich: „Was willst du eigentlich hier?“
„Na, da hat dir aber irgendetwas die Laune verhagelt“, sagte sie. „Verhagelt, Bruderherz. Verstehst du?“ Wieder lachte sie.
Sie kicherte noch ein wenig weiter, bis mir der Geduldsfaden riss. „Im Ernst: Was willst du?“
Sie zog den Schirm noch etwas weiter zu sich, damit ihr Handy nicht nass wurde, und sagte: „Sorry, dass ich deine trübsinnigen Gedanken unterbrechen muss, aber Mama verlangt nach dir!“
Ich wollte meine Ruhe haben, wollte nachdenken, doch Dorry ließ mich nicht.
„Wenn es schon keinen Fall gibt, den ich lösen kann“, sagte ich trocken, „sollte ich womöglich darüber nachdenken, dich zu beseitigen. Dann hätte ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen – erstens bin ich dich los und zweitens hätte ich dann keine Langeweile mehr!“
Dorry sah mich mitleidig an, sie nahm mich einfach nicht mehr ernst. Sie war jetzt zehn und das hieß in ihren Augen fast erwachsen. „Du sollst das Wasser aus der Regentonne abschöpfen.“
„Du meinst sicher wir“, hakte ich nach, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass unsere Mutter nur mich meinte. Uns beide mit Aufgaben vollzupacken gehörte zu ihrer Ferienbeschäftigungstherapie.
„Sie läuft über“, sagte Dorry stattdessen, ohne auf meinen Einwand einzugehen. Doch sie grinste, was mir verriet, dass meine kleinen grauen Zellen auch bei Regen korrekt
Audiodatei Dorry 11: 18. Juli
Auftrag ausgeführt, Nachricht überbracht. Der große
Detektiv Piet Tibbs ist mir leider nicht auf den Leim gegangen, muss an meiner Überzeugungskraft arbeiten – (stopp) …
„Musst du immer in dieses blöde Ding sprechen?“ Ich schaute meine kleine Schwester missmutig an. Erst vor einer Woche hatte Dorry ihr erstes eigenes Handy zum 10. Geburtstag bekommen, denn ab dem neuen Schuljahr würde sie mit dem Bus fahren müssen. Da hatten unsere Eltern beschlossen, ihr ein Handy zu schenken, damit sie immer erreichbar wäre, falls mal etwas passieren sollte. Insgesamt war die Idee sicher gut, doch Dorry wischte und tackerte ständig darauf herum, und, was noch schlimmer war, sie nahm alles auf, weil sie meinte, dass ein guter Detektiv das eben genau so machte. Sie wollte unbedingt alles beobachten und exakt dokumentieren. Immer und ständig. Schmeichelhaft, dass sie mich zum Vorbild für ihre Beobachtungen und Ermittlungen nahm? Ja, aber auch überaus ner vtötend. Haben die Mädchen früher nicht Tagebuch geführt? Haben sich bei Puppenhaustee mit Gebäck getroffen, geplappert, getuschelt, gekichert? Und heute? In der guten neuen digitalen Welt? Audiodateien …! Ich verdrehte die Augen.
17 funktionierten. Typisch, wie sie sich immer aus allem herauszuwinden versuchte, was ihr nicht gefiel.
Audiodatei Dorry 12: 18. Juli
Eins der besten Erkennungsmerkmale meines ach so geliebten Bruders: pietgemäß die Augen verdrehen, piettastisch aufstöhnen, grummelpietrig meckern, miesepietrig sein … hihihi … (stopp) …
„Miesepietrig sein“, wiederholte sie und lachte laut über ihren Witz. „Miesepietrig, hörst du Piet?“ „Haha“, brummte ich, „ich hasse Leute, die nichts Besseres zu tun haben, als über ihre eigenen Witze zu lachen. Sehr komisch!“ Ich zog die Beine an und schaute weiter grummelig abwechselnd auf den Weiher und auf meine regennassen Gummistiefel, was meine Laune nicht besser machte.
„Wenn ich Glück habe, bekomme ich zu meinem Geburtstag einen Handysignal-Störsender“, meckerte ich, „dann ist Schluss mit lustig!“
Audiodatei Dorry 13: 18. Juli
Mein Bruderherz fühlt sich in seinen Nachdenkprozessen gestört, will, wie der große Detektiv Hercule Poirot, lieber in Ruhe seine kleinen grauen Zellen benutzen. Nur jammerschade, dass es nichts zu ermitteln gibt, dass AltLullingen öde und langweilig zu unseren Füßen liegt … vielleicht müsste einmal eine Tote in der Bibliothek auftauchen oder ein Mord im Pfarrhaus passieren, wie Agatha Christie in ihren Krimis schreibt, blöd nur, dass AltLullingen weder eine Bibliothek noch ein Pfarrhaus hat … (stopp) …
Zu mir gewandt sagte sie: „Ich könnte dir helfen, zu ermitteln, Bruderherz, ich könnte deine Partnerin sein! Die weibliche Watson, wie in der amerikanischen Fernsehserie! Du musst nur noch einen Fall finden!“
Man, ging mir das auf die Nerven, wenn sich meine kleine Schwester auch noch über mein Hobby lustig machte. Ich liebte die Bücher von Agatha Christie, die den belgischen Privatdetektiv Hercules Poirot und die rüstige alte Dame Miss Marple erfunden hatte, die Scotland Yard ein ums andere Mal zeigten, wie man Mordfälle löste. Aber auch Sherlock Holmes war mein Vorbild, der sich als Berater der Polizei verstand und mit seinem Partner und Freund Dr. Watson die kuriosesten Fälle löste.
„Du kannst gern mein Dr. Watson sein“, fuhr ich Dorry unwirsch an und nahm den Faden wieder auf. „Der hatte auch oft nur Stroh im Kopf, das passt dann ja!“
Beleidigt brummte Dorry: „Dann eben nicht!“
Der Hagelschauer hatte aufgehört und war nun wieder in einen gleichmäßigen Regen übergegangen. Dorry erhob sich, klopfte sich demonstrativ die nasse Jacke ab und nahm dabei wenig Rücksicht auf mich. Sie griff nach dem Schirm, drehte sich um und stapfte davon. Sie ließ mich buchstäblich im Regen sitzen, nicht ohne noch einmal in ihr Handy zu sprechen.
Audiodatei Dorry 14: 18. Juli
Füße werden nass, Po ist nass … meine Beine sind so eingeschlafen wie die Laune meines Bruders. Bruderherz brütet über nix, Regen lässt einfach nicht nach,
Schlussfolgerung: Werde nach Hause gehen … wie
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Sherlock Holmes immer sagt: „Elementar, lieber Watson, elementar!“ … (stopp) …
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Dorry verstand es immer zur rechten Zeit, mich aus meinen trübsinnigen Gedanken zu reißen. Ich musste zugeben, dass sie recht hatte. Es war sinnlos, hier weiter im Regen zu sitzen, besonders ohne Schirm. Aber diese Genugtuung, dass Dorry bemerkte, dass ich ihr recht gab, wollte ich ihr nicht gönnen, also wartete ich noch einen Augenblick länger, bis ich den bunten Schirm durch die Bäume nicht mehr sehen konnte, und erhob mich dann ebenfalls.
Meine Beine waren ganz steif vom Sitzen, meine kleinen grauen Zellen hatten eh ihren Dienst quittiert, im Regen ertränkt, könnte man sagen, also konnte ich genauso gut nach Hause stiefeln und die Regentonne ausleeren. Danach gab es sicher einen warmen Kakao, Kekse und ein spannendes Buch. Hier gab es nichts außer toter Hose weit und breit und Sintflut. War wohl besser, ins Trockene zu kommen, bevor ich selbst zum Sintflutopfer wurde und die örtliche Polizei in meinem Fall ermitteln musste.
Die Tiere sollten sterben, alle, saßen sie doch in der Falle.
Dazu der Mensch, der Schlechtes tat, doch Noah nun erhielt den Rat: Bau eine Arche groß und fein und lade alle Tiere ein, den Fuchs, das Reh, die Kuh, und mache dann die Arche zu. Ein Paar von jedem in das Boot, sonst sind sie alle baldigst tot. Und auch die Katze nahm er mit auf den wilden Wellenritt. Ach, hätte er das doch gelassen, ich kann nicht anders als sie hassen. Sie tot zu sehn gefällt mit gut, ich tränke sie wie in der Flut.
Angeblich hat sie wohl neun Leben, die Gott, der Herr, ihr hat gegeben, doch eins, doch eins, das schwör ich mir: Jedes davon nehm ich ihr …
Kater vermisst
I
ch folgte Dorry über den schmalen Pfad durch die Wiesen hinunter zu unserem Hof. Er lag unterhalb des Alten Bruches, am Wiesenweg, der die Anbindung an Wertingen darstellte. Unser Hof war gleichzeitig ein Restaurant und hieß Zum Alten Weiher. Hier lebten meine Eltern, meine Schwester und ich zusammen mit unserer Oma Gertrud, von allen Oma Trudy genannt. Natürlich durfte ich Billy, unseren Hofhund, nicht vergessen, der leider nicht verstanden hatte, dass er nicht nur Hofhund, sondern auch Wachhund sein sollte, und bei jedem noch so kleinen Geräusch, das er nicht zuordnen konnte, die Rute einzog und sich davonmachte, vorzugsweise unter den Küchentisch hinter Oma Trudys Beine, die in alten Galoschen steckten. Dann gab es ein bis acht Katzen und Kater (das hing so ein bisschen von der Jahreszeit ab), allerhand Federvieh – Hühner, Enten, Gänse – den Esel Garibaldi und die zwei Schafe Mütze und Zopf. Ich stapfte durch die Pfützen an ihrer Wiese vorbei und sah sie tropfend und nass unter dem kleinen Bretterverschlag stehen. Garibaldis Kopf lehnte träge auf Mützes Rücken. Mützes Schopf sah aus, als trage sie eine Pudelmütze,
deshalb hatten wir sie Mütze getauft, und Zopf hieß Zopf, weil ihr flauschiger Schafsschwanz so lang war, dass er hinten wie ein Zopf bis auf den Boden pendelte. Jetzt pendelte er nicht, sondern hing wie ein vollgesogener Schwamm schwer an ihrem Popo. Ich lief weiter am Gatter vorbei und umrundete die Fischteiche. Lars kam mir mit einem Korb entgegen.
Von April bis November wohnte er mit seinem Bruder Gerd zusammen bei uns, um für die Hühner, Enten und Gänse zu sorgen, abwechselnd unseren Kräutergarten zu pflegen, die Fischteiche zu überwachen, für die Restaurantbesucher alles in Schuss zu halten und abends zu kellnern.
Zur Advents- und Weihnachtszeit kamen dann noch Georg von Wittes Hof und Emma dazu, die den Service schmiss.
„Deine Mutter sucht dich“, sagte Lars und deutete mit dem Korb in Richtung Haus.
„Weiß ich schon“, erwiderte ich. „Dorry hat Bote gespielt.“
„Lass dich von ihr nicht übers Ohr hauen.“ Lars lachte.
„Ganz schön schlau, die Kleine, aber ich hab gehört, dass deine Mutter sie nicht nur zu dir geschickt, sondern ihr auch aufgetragen hat, mitzuhelfen.“
„Hab ich mir gedacht“, sagte ich, „aber danke, dass du mich warnst.“
„Wir Männer müssen zusammenhalten“, sagte Lars und zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Ich muss weiter. Mach’s mal gut!“
„Mach’s besser!“
Ich bog um die letzte Ecke, um zur Regentonne zu gelangen. Sie stand hinter dem Haus ganz hinten direkt unter
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