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Simone Mielke
Vom Leben reden Leseprobe

Vom Leben reden

Andachten und Gottesdienstentwürfe für die Passions- und Osterzeit

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2024 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, grafikbuero-sonnhueter.de, unter Verwendung eines Bildes von paseven (shutterstock.com)

Lektorat: Anna Böck

DTP: Burkhard Lieverkus

Verwendete Schriften: Chaparral Pro, Myriad Pro Gesamtherstellung: Dimograf Sp. z o.o., Bielsko-Biała

Printed in Poland

ISBN 978-37615-6967-2

www.neukirchener-verlage.de

Inhalt

Ein paar Hinweise zu Beginn 7

Andacht für den Gemeindebrief

Septuagesimä 15

Sexagesimä

Estomihi

Palmsonntag

Passionsandacht zu Gründonnerstag

Passionsandacht

Ein paar Hinweise zu Beginn

Zwei junge Theologinnen machen in Tübingen Examen. Sie gehen durch die üblichen Hochs und Tiefs, die so ein Examen eben mit sich bringt. Sie helfen einander, lernen gemeinsam, geben sich ehrliches Feedback. Kennen bald die Stärken und Schwächen der anderen. Beide machen Vikariat in Württemberg. Doch während Simone der Region ihres Vikariates treu bleibt und seither Gemeindepfarrerin im ländlichsten Bereich ist , den Württemberg vorzuweisen hat, geht Anna in die EKM, sucht das Abenteuer und findet im Verlag ihre derzeitige Berufung. Nun – über zehn Jahre später – haben wir wieder gemeinsam an Texten gearbeitet. Haben uns ehrliches Feedback gegeben und gerungen. Es galt, Simones Gottesdienste liturgisch auch für den Rest der EKD zu übersetzen. Dabei wollten wir aber die ursprünglichen Gottesdienste auch mit den Schätzen der württembergischen Tradition erhalten und wahrnehmen, dass spätestens seit Corona ein Bewusstsein in Gemeinden angekommen ist, dass weniger manchmal mehr ist.

Jede Pfarrperson entwickelt im Laufe ihres Dienstes ganz eigene liturgische Noten. Manchmal musste Anna sich daran erinnern, dass sie nur Lektorin ist und nicht ihre liturgischen Gewohnheiten durchsetzen muss. Manchmal musste Simone sich daran erinnern, dass nicht überall Hohenlohe ist.

Am Ende des Tages werden Sie die Gottesdienste so anpassen, wie es bei Ihnen vor Ort üblich ist. Dennoch wollen wir hier eini-

ge grundsätzliche Bemerkungen machen, warum wir welchen Teil wie liturgisch gestalten und die Veränderungen zur Agende begründen:

Das stille Gebet am Anfang des Gottesdienstes ist eine württembergische Eigenheit, die es aber auch in andere Gemeinden geschafft hat. Manchmal kommt es auch zwischen Fürbitten und Vater Unser vor. Es lebt von einer liebevollen Hinführung, die den Stille nicht gewohnten Menschen etwas an die Hand gibt, womit sie ihre Gedanken in der Stille beschäftigen können.

In manchen Regionen von Deutschland ist das Bußgebet oder Schuldbekenntnis sehr üblich, bis dahin, dass die Gemeinde es als liturgisches Stück auswendig mitsprechen kann. Andererorts hat es sich nie durchgesetzt oder wurde irgendwann abgeschafft. In Settings, wo die Gemeinde nicht tief in Tradition verwurzelt ist, eher einmal wechselt oder teilweise aus kirchenferneren Milieus besteht, ist diese liturgische Form nicht so leicht nachvollziehbar. In Württemberg kommt sie meist noch in Verbindung mit und als Vorbereitung auf das Abendmahl vor.

Wir haben auf eine dritte Lesung neben einer dem Sonntag angepassten Lesung und dem Predigttext verzichtet. Die Erfahrung zeigt, dass auch routinierte Mitfeiernde im Gottesdienst nicht konzentriert drei Bibeltexte wahrnehmen können und durch Verzicht der Fokus mehr auf die verbleibenden Texte gelenkt wird. Dadurch fällt das Halleluja weg, das in der Passionszeit sowieso meist entfällt.

In Simones Gemeinden wird vor dem Segen als Segensbitte die vierte Strophe von EG 171 „Bewahre uns, Gott“ gesungen. Wir haben das nicht jedes Mal hingeschrieben. Auch hier gilt, was vor Ort üblich ist. Manche Gemeinden wechseln jedes Kirchenjahr zu einer neuen Liedstrophe, andere haben einen liturgischen Aufruf

Andacht für den Gemeindebrief

Es wird Frühling. Die ersten Gänseblümchen leuchten schon seit einer ganzen Weile auf den grünen Wiesen. Auch wenn ich heute meist achtlos an ihnen vorbeigehe, erinnern sie mich manchmal daran, wie wir als Kinder Kränze daraus geflochten haben oder dieses schöne Spiel gespielt haben: Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich, er liebt mich nicht … Wenn nach dem letzten „er liebt mich nicht“ kein Blütenblatt mehr übrig war, dann wurde eben schnell eine neue Blume gepflückt, bis das Ergebnis gepasst hat.

Er liebt mich, er liebt mich nicht … Lange ist es her, dass ich für dieses Spiel eine arme Blume zerrupft habe. Das Spiel aber spiele ich manchmal immer noch – mit Gott.

Ich habe einen Menschen gefunden, der zu mir passt –Gott liebt mich

Ich musste einen Menschen beerdigen, der mir sehr nahe stand –Gott liebt mich nicht

Ich habe eine wunderbare Arbeitsstelle –

Gott liebt mich

Ich wurde nicht gesund, obwohl ich lange gebetet habe –

Gott liebt mich nicht

Ich habe einen Urlaub gebucht, auf den ich mich wahnsinnig freue –

Gott liebt mich

Ich wurde im Urlaub beklaut –

Gott liebt mich nicht

Was für ein dummes Spiel! Nur: wenn wir es mit Gänseblümchen spielen, dann wissen wir, dass es ein Spiel und keineswegs die Realität ist. Bei der zweiten Variante wissen wir es nicht. Denn irgendwo in uns schlummert oft die Überzeugung: Wenn Gott mich liebt, dann muss das daran erkennbar sein, dass es mir gut geht. Und wenn es mir nicht gut geht und sich meine Wünsche nicht erfüllen, dann kann Gott mich gar nicht lieben. Ist das so?

Gott gibt uns heute eine Liebeserklärung, die dem widerspricht: Jesus Christus spricht: Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! (Joh 15,9)

Wir brauchen keine Gänseblümchen und auch kein anderes Orakel. Gottes Wort ist eindeutig: Gott liebt uns. An Jesus können wir sehen, was das heißt: dass Gottes Ja zu uns unbedingt gilt, dass er uns gedacht und gewollt hat. Das kann durchaus auch heißen, dass sich unsere Pläne und Wünsche nicht verwirklichen und dass es uns richtig elend gehen kann. In der Zeit vor Ostern werden wir uns wieder ganz bewusst an das Leid erinnern, das Jesus in Folter und Kreuzigung erlebt hat. Und doch steht gerade über diesem Leid die Gewissheit: Gott liebt seinen Sohn. Seine Liebe ist so stark, dass sie das

Leid und den Tod am Ostermorgen besiegt. Und diese Liebe gilt auch jedem von uns. Das ist gewiss.

Was ich nicht weiß, ist: ob Gott wohl ab und zu auch mit einem Gänseblümchen dasitzt und vor sich hinmurmelt: Sie liebt mich, sie liebt mich nicht …? Denn manchmal handle ich so, als würde ich ihn zurücklieben. Dann wieder, als würde er mir nichts bedeuten. Sein größter Wunsch aber ist, dass ich seine Liebe erwidere: Bleib in meiner Liebe! Sagt er. Amen.

Gründonnerstag

Glockengeläut und Musik zum Eingang

Votum

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Begrüßung

Herzlich willkommen zum Gottesdienst am Gründonnerstag! Überall auf der Welt denken Christen heute daran, wie Jesus das letzte Mal zusammen mit seinen Jüngern gegessen hat, bevor er verraten und dann hingerichtet wurde. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden erzählen uns heute davon, wie das damals gewesen sein könnte. Und wir werden gefragt, was wir damals getan hätten, wenn wir mit dabei gewesen wären. Hätten wir Jesus gegen die Soldaten verteidigt oder wären wir weggelaufen?

Lied: 213,1-3 „Kommt her, ihr seid geladen“

Wie gut, dass Gott niemals wegläuft, sondern immer bei uns ist –egal, was wir tun. Gemeinsam beten wir mit Worten aus Psalm 139. Ps 139 – gerne in einer moderneren Variante, wie sie im württ. EG unter Nr. 770 zu finden ist.

(Kein Ehre sei dem Vater)

Gebet

Herr, unser Gott, wir danken Dir für diesen Tag. Zusammen feiern wir Abendmahl.

Wir bitten, dass Du nun bei uns bist und uns ruhig machst. Gib uns Kraft für die nächste Woche. Amen.

Lied: 408,1-4 „Meinem Gott gehört die Welt“

Einleitung

Sind Sie treu? Die meisten von uns werden ganz sicher sein, dass sie niemals einen geliebten Menschen betrügen würden. Einen Freund belügen? Eine Freundin bloßstellen? Den Ehepartner hintergehen? Das passiert jeden Tag, aber wir machen so was doch nicht! Ehrlich? Wie sicher können wir sein, dass wir tatsächlich niemals zu so einer Tat fähig sind? Wenn ganz sicher wäre, dass einer von uns in dieser Kirche morgen einen ihm nahestehenden Menschen im Stich lassen wird – wie leicht könnten Sie von sich behaupten, dass Sie es nicht sind? Wir gehen nun in eine Szene, in der Menschen ganz plötzlich mit dieser Frage konfrontiert wurden.

Schriftlesung: Mk 14,17-26

Und die Jünger dachten darüber nach, dass Jesus zu ihnen gesagt hatte: „Einer von euch wird mich verraten.“

Gedanken des Simon Petrus

„Einer von euch wird mich verraten.“, hat Jesus gesagt. Der Reihe nach hat er uns angeschaut. Am Ende fiel sein Blick auf mich, Simon Petrus. Lange. Und traurig. Und da habe ich gewusst, dass ich der eine bin. Aber warum? Warum sollte ich ihn verraten? Ich bin doch auf seiner Seite. Ich bin bereit, für ihn zu kämpfen. Ach was, ich bin sogar bereit, für ihn zu sterben! Noch bevor die anderen irgendetwas ver-

standen haben, war mir schon klar, wer Jesus ist: er ist der versprochene Retter. Er ist der Sohn Gottes. Er ist derjenige, der mir Halt und Kraft im Leben gibt. Wie könnte ich ihn jemals verraten? Wie könnte ich sein Vertrauen so enttäuschen? Gut, ich weiß, dass das in der Vergangenheit schon mal passiert ist. Aber ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Das nächste Mal versage ich nicht. Ganz bestimmt nicht! Ich werde bei ihm bleiben, bis in den Tod. Aber als ich das zu Jesus gesagt habe, hat er mich nur angeschaut. Lange. Und traurig. Und seither weiß ich, dass ich der eine bin, der ihn verraten wird.

Musik: „Dreimal“, Strophe 1 (von Albert Frey)

Gedanken des Judas Iskariot

Einer von euch wird mich verraten, hat Jesus gesagt. Und ich, Judas Iskariot, ich bin der eine. Ich werde ihn nachher mit einem Kuss verraten, so wie ich es mit den Hohepriestern ausgemacht habe. 30 Silberstücke wollen sie mir dafür geben. Ich hätte gedacht, dass Jesus ihnen mehr wert wäre. Aber das Geld ist nicht der Grund, warum ich es tue. Auch nicht Ärger oder Hass. Ich muss es einfach tun. Als ich gefragt wurde, da konnte ich nicht nein sagen. Ich verstehe selbst nicht, warum. Aber ich habe die Hoffnung, dass Jesus die Chance nutzt um endlich allen zu zeigen, wer er ist. Es könnte die Gelegenheit sein, seine Gegner endgültig zu besiegen. Jesus weiß das. Er weiß ja auch, dass ich es bin. Und er weiß, dass ich es tun muss. Er hat mich angeschaut und gleichzeitig mit mir nach dem Brot gegriffen. Und dann hat er mit mir das Brot geteilt. Er hat mir auch den Wein gereicht. Und seine Segensworte, die galten auch mir. Er hat mich nicht ausgeschlossen und er hat mich vor den anderen nicht bloßgestellt. Vielleicht, weil er weiß, dass auch sie ihn verleugnen und verlassen werden. Sie ahnen es bloß noch nicht. Ich aber weiß, dass ich es tun werde. Bald. Sehr bald. Ich bin der eine, der ihn verrät.

Musik: „Dreimal“, Strophe 2 (von Albert Frey)

Dialog zweier Jünger

Jünger 1: Wie geht es dir?

Jünger 2: Ich? Ich weiß nicht. Dir?

Jünger 1: Ich kann es nicht recht fassen. Immerzu denke ich an diesen Satz: Einer von euch wird mich verraten. Ich bin mir sicher, dass Jesus nicht mich meint. Schließlich habe ich noch nie zuvor darüber nachgedacht, mich gegen ihn zu stellen. Aber was, wenn er doch mich meint?

Jünger 2: So geht’s mir auch. Ich frage mich, ob man Jesus auch aus Versehen und völlig unabsichtlich verraten kann?

Jünger 1: Was meint er überhaupt mit Verrat? Er wird sterben, hat er gesagt. Aber denkt er wirklich, dass einer von uns daran schuld sein wird? Das traue ich keinem von uns zu.

Jünger 2: Ich hab am meisten Angst davor, dass sie ihn erwischen und uns gleich mit dazu. Dass wir ausgelacht werden, weil wir an ihn glauben, daran habe ich mich gewöhnt. Aber Folter erleiden oder sogar für ihn zu sterben – nein, das schaffe ich nicht.

Jünger 1: Du hast doch vorhin auch gerufen, dass du bereit wärst, mit Jesus in den Tod zu gehen!

Jünger 2: Ja, weil alle das gesagt haben. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, weiß ich nicht einmal, ob ich vor Gericht für Jesus aussagen könnte.

Jünger 1: Ich weiß, was du meinst. Wir hatten eine tolle Zeit mit ihm, aber manchmal frage ich mich, ob er wirklich Gottes Sohn ist. Das klingt irgendwie so unrealistisch, so lächerlich. Und sich hinzustellen und genau das laut zu behaupten, fällt mir nicht immer leicht.

Jünger 2: Jetzt haben wir unsere Antwort. So lange uns keiner danach fragt, tun wir uns leicht, Jesus zu folgen. Aber wenn’s eng wird, dann könnte ihn jeder von uns verraten. Die Frage ist nur, wer es am Ende tut. Bin es ich? Oder du?

Musik: „Dreimal“, Strophe 1 (von Albert Frey)

P redigt: Verrat und Vergebung

Seid ihr schon einmal verraten worden? Ich wünsche es euch nicht, denn es fühlt sich einfach schrecklich an. Nie werde ich vergessen, wie ich meiner damaligen besten Freundin ein Geheimnis erzählt habe. Sie hat geschworen, es niemandem weiterzuerzählen. Natürlich habe ich ihr geglaubt. Sie war ja meine beste Freundin. Aber eine Woche später wusste es ein anderes Mädchen aus unserer Klasse. Und dann noch eines. Und bald wusste es gefühlt die ganze Welt. Natürlich habe ich so getan als würde es mir nichts ausmachen. Aber ich war so fertig, dass ich eine Woche lang völlig kopflos durch die Gegend gelaufen bin. Meine Freundin hat sich entschuldigt. Aber ich habe ihr nie wieder etwas erzählt, das mir wichtig war. Ich konnte ihr nicht mehr vertrauen. Unsere Freundschaft war zerstört und sie hat sich nie wieder davon erholt.

Verrat ist furchtbar, denn er macht alles kaputt: Freundschaften, Ehen und Familien. Dabei ist er oft gar keine Absicht. Ich bin sicher, dass meine Freundin nicht eines Morgens aufgestanden ist und beschlossen hat, mein Geheimnis zu verraten. Es ist wohl eher so passiert. So, wie es leider jeden Tag passiert: Uns wurde ein Geheimnis anvertraut, aber es rutscht uns im Gespräch mit jemand anderem heraus. Über unseren Freund wird gelästert – und wir schweigen. Wir belügen die Freundin oder legen die Wahrheit sehr kreativ aus. Verrat hat viele Gesichter, aber er ist immer zerstörerisch. Sobald die Wahrheit ans Licht kommt, ist das Vertrauen kaputt und die Beziehung schwer beschädigt oder sogar irreparabel zerstört. Das tut weh – nicht nur dem, der verraten wurde. Warum tun Menschen einander das an? Mal haben sie Angst, mal wollen sie sich besser darstellen als sie sind, mal haben sie die besten Absichten und es geht furchtbar schief und mal denken sie schlicht nicht richtig nach, bevor sie etwas tun. Und die lahme Entschuldigung lautet meist: Es ist halt so passiert, ich weiß auch nicht wie, irgendwie war ich nicht ich selbst …

Auch von Judas wird erzählt, dass er nicht er selbst war, als er Jesus verraten hat. Petrus dagegen hat einfach der Mut verlassen, als er zusehen musste, wie man Jesus gefangen genommen hat. „Du gehörst doch auch zu dem Jesus?“, wurde er gefragt. Und bei der Aussicht auf Folter und Tod hat er das lieber geleugnet. Kein Wunder. Ich kann Petrus gut verstehen. Meistens ist es ja kein Problem, Christ zu sein. Aber dann gibt es Momente, wenn Leute einen mit diesem fassungslosen, abschätzigen Blick anschauen und herablassend fragen: „Was, du glaubst an Gott?“ Gar nicht so einfach, fröhlich und selbstbewusst mit „Ja“ zu antworten – und zwar auch dann nicht, wenn man Pfarrerin ist. Ich mag mir nicht ausmalen, wie schwer es ist, sich zu seinem Glauben zu bekennen, wenn man in Nordkorea oder in China, im Irak oder in Ägypten lebt. Wenn das Bekenntnis gleichzeitig ein Todesurteil sein kann. In der 7. Klasse geht es im Religionsunterricht um verfolgte Christen und von Jahr zu Jahr frage ich die Klassen, wie sie sich in so einer Situation verhalten würden. Die Antworten sind meistens gleich: Etwa 1/6 sagt, sie würden in ein sicheres Land flüchten. Die große Mehrheit, 2/3 denkt, es wäre am besten so zu tun, als wäre man kein Christ. Heimlich kann man ja immer noch glauben, was man will. Und 1/6 meint, man könnte sich anpassen. Was man glaubt, sei eh egal. Und das ist nur ein Gedankenspiel. Wer weiß, wie wir uns entscheiden würden, wenn es echt wäre. Wie stark ist dann unser Glaube? Wie wichtig ist uns dann unsere Beziehung zu Gott? „Einer von euch wird mich verraten.“, sagt Jesus. Und so, wie die Jünger ihn am Ende alle im Stich gelassen haben, kann keiner von uns garantieren, dass er es anders machen würde. Diese Einsicht ist ziemlich deprimierend.

Gibt’s denn keine Hoffnung? Doch, die gibt es. Denn wir feiern den Gründonnerstag nicht, weil wir uns erinnern wollen, wie Jesus verraten wurde. Wir erinnern uns heute an das Abendmahl. Und das ist ein starkes Zeichen gegen Verrat. Es ist ein Zeichen für Vergebung und Gemeinschaft. Obwohl Jesus wusste, was passieren würde, hat er das Brot mit seinen Jüngern geteilt – mit allen Jüngern, sogar mit Judas. Gemeinsam sitzen sie um den festlich gedeckten Tisch. Sie feiern

das Passafest und das kann man nicht alleine feiern. Wie bei jedem richtigen Fest sitzen die Jünger zusammen. Sie reden und lachen, genießen das Essen und vergessen für einen Moment alle Sorgen. Sie erzählen von dem, was sie miteinander mit Jesus erlebt haben: „Weißt du noch, damals, als Jesus diesen Mann geheilt hat? Weißt du noch, wie er es den Pharisäern gezeigt hat? Die waren vielleicht sauer, dass er sie so dumm hat dastehen lassen. Weißt du noch, wie er uns als Jünger gerufen hat? Einfach vorbeigegangen ist er und hat gesagt: ,Komm mit.‘ Und wir sind hinterhergelaufen. Mensch, wenn wir da schon geahnt hätten, wer er ist und was er alles kann!" Die Stimmung ist prächtig. Einer reicht dem anderen das Essen, einer gibt den Kelch mit Wein an den anderen weiter. Es tut gut – bei den Jüngern damals wie bei uns heute – wenn man sich an gemeinsame Erlebnisse erinnert und wenn man sich von dem erzählt, was Jesus getan hat. Es verbindet und stärkt die Gemeinschaft untereinander. Denn alle haben etwas einzubringen. Alle dürfen mitreden. Alle dürfen mitessen. Niemand wird an diesem Tisch ausgeschlossen: nicht die Jünger, die später weglaufen; nicht Petrus, der Jesus verleugnet und nicht Judas, der ihn verrät. Niemand wird beim Abendmahl ausgeschlossen: nicht diejenigen, die ihren Glauben sehr ernst nehmen und doch immer wieder scheitern; nicht diejenigen, die gar nicht sicher sind, ob sie überhaupt richtig an Jesus glauben; nicht einmal diejenigen, die ihren Glauben verraten. Wir alle haben unseren Platz am Abendmahlstisch. Wir alle teilen Brot und Wein und spüren, wie Gott uns darin nahekommt.

Das Abendmahl erinnert uns daran, dass Gott treu ist. Er hat versprochen, für immer auf unserer Seite zu stehen. Und egal, was wir tun: nichts kann ihn davon abhalten, diesem Versprechen treu zu bleiben. Seine Antwort auf Verrat ist Vergebung. Judas konnte sich selbst nicht vergeben, daran ist er zerbrochen. Petrus hatte ebenfalls schwer zu kämpfen damit, dass er Jesus verleugnet hat. Doch er darf nach Ostern vom auferstandenen Jesus hören, dass ihm vergeben ist und dass er neu anfangen kann. Egal, wem wir untreu geworden sind – ob nun Gott, anderen Menschen oder auch uns selbst: Später haben wir die Gelegenheit, Gott alles anzuvertrauen. Wir werden hö-

ren, dass er uns vergibt. Hoffentlich können wir das für uns annehmen und uns selbst vergeben. Hoffentlich gibt uns das für später den Mut , uns auch bei den Menschen zu entschuldigen, die wir verraten oder verletzt haben. Und hoffentlich gibt es uns die Kraft, denen zu vergeben, die uns verraten und verletzt haben. Verrat hat die Macht, Beziehungen zu zerstören. Aber Vergebung hat die Kraft, wieder neu anzufangen und Gemeinschaft wieder möglich zu machen. Immer und immer wieder.

Wir sind Menschen. Keiner von uns kann absolut sicher sein, niemals zu Verrat fähig zu sein. Gott aber ist treu. Und er gibt uns nicht auf. Er deckt uns den Tisch und wartet auf uns, so lange, bis wir uns einladen lassen zusammen mit all den anderen. Wir alle brauchen Vergebung und hier bekommen wir sie. Amen.

Lied: 225,1-3 „Komm, sag es allen weiter“

Abendmahl

Wir feiern nun miteinander Abendmahl. Als die Jünger damals mit Jesus feierten und sich erinnerten, haben sie vielleicht auf noch einmal die Worte wiederholt, die Jesus ihnen beigebracht hatte, wie sie beten sollten. Mit diesen Worten knüpfen wir an die Erinnerungen der Jünger an und beten gemeinsam:

Vaterunser

Einsetzungsworte

Einladung zum Abendmahl

Wie feiern Sie Abendmahl? Wandelnd oder in Runden, Einzelkelch oder Gemeinschaftskelch? Wein oder Saft?

Nun kommt, denn es ist alles bereit. Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist!

Austeilung

Dankgebet

Fürbitten

Lieber Gott, danke für das Brot und den Wein, die du uns beim Abendmahl gibst.

Schöpfer im Himmel, danke, dass du uns jeden Tag Essen und Trinken gibst.

Höre uns, wenn wir Dich nun bitten:

Bitte lass es allen Menschen gut gehen.

Bitte lass alle Essen und Trinken haben.

Bitte lass alle eine Wohnung haben.

Abkündigungen

Segensbitte

Segen

Musik zum Ausgang

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