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Team Blue – die Weltendetektive

Das Geheimnis im See

Tanja

TEAMBLUE DIE DETEKTIVEWELTEN-

Leseprobe
»Im Hafen sind Schiffe am besten aufgehoben, aber dafür hat man sie nicht gebaut.«
-unbekannt-

INHALT

1. Die grüne Insel

2. Spuren der Vergangenheit 35

3. Der Tunnel 53

4. Die schwarze Feder 69

5. Die Höhle 87

6 . Paolas Geschichte

7. Kein guter Ort

8. Das Geheimnis im See

9. Blue in Gefahr

10. Eine unerwartete Wendung

11. Vergebung

12. La Palma

TEAMBLUE DIE DETEKTIVEWELTEN-

Leseprobe

Zoe

ist die heimliche Anführerin der Freunde. Ihre Mutter lebt nicht mehr. Ihr Vater ist Archäologe und öfter auf Forschungsreisen. Deshalb lebt seine Tochter bei den Großeltern. Zoe ist mutig, sportlich und impulsiv, aber manchmal etwas zu draufgängerisch. Sie ist sehr tierlieb und nimmt ihre Siamkatze Blue mit auf Reisen.

Merle

ist tierlieb, besonnen, ruhig und ausgeglichen. Für Sport kann sie sich nicht so begeistern. Sie ist zum Leidwesen ihrer Freunde sehr vergesslich. Ungerechtigkeit bringt sie auf die Palme. Ihr großes Vorbild ist Jesus.

Ricardoist sehr wissbegierig und kann sich auch die kleinsten Dinge merken. Kyra bringt ihn so manches Mal an den Rand der Verzweiflung, und er ist froh, dass Merle mit ihrer ausgleichenden Art angespannte Situationen stets entschärfen kann. Ricardo stottert, wenn er aufgeregt ist.

Blue

ist eine sehr menschenbezogene Siamkatze, die von Zoe auf jede Reise ins Ausland mitgenommen wird. Sie hat einen super Orientierungssinn und hat die Freunde schon des Öfteren aus einer kniffligen Situation gerettet. Blue reist im Flugzeug natürlich in der Kabine und in einem speziellen Katzenrucksack.

Dr. Gregor Balter

ist der Vater von Zoe, Archäologe und alleinerziehend, deshalb lebt Zoe bei ihren Großeltern, wenn er auf Reisen ist. Gregor ist unglaublich neugierig, trägt lieber Jeans und T-Shirt als Anzug und Krawatte u nd hört unglaublich gerne laute Musik im Auto.

Kyra

ist die Cousine von Zoe. Sie ist verwöhnt, altklug und muss zu allem ungefragt ihre Meinung sagen. Zu dem Leidwesen der Freunde ist sie manchmal bei den Ausgrabungen dabei.

Die grüne Insel

»Also, die Fähre nach La Palma zu nehmen, ist ja schon eine außergewöhnliche Idee«, stellte Ricardo fest.

»Wäre dem Herrn ein Direktflug von Frankfurt lieber gewesen?«, stichelte Zoe.

Merle kicherte.

Die Freunde standen an Deck einer großen Autofähre und blickten auf die Weite des Atlantiks. Sie waren auf dem Weg auf die K anareninsel La Palma. Zugegeben, normalerweise nahm man da eher das Flugzeug, aber Tom, ein Mitarbeiter von Zoes Vater, hatte Bekannte in Deutschland besucht und die drei Freunde dann mit seinem Landrover abgeholt. Sie hatten eine lustige Autofahrt über Frankreich nach Spanien gehabt. Genauer gesagt nach Cádiz, einer der ältesten Städte in Europa. Die richtige Fähre auf die Kanarischen Inseln zu finden, war dank Tom ein Kinderspiel gewesen. Sie hatten zwei Kabinen, eine für Tom und eine für die Freunde und Zoes Katze Blue. Nun standen sie auf dem Deck am Heck der Fähre und blickten der weißen Spur im Fahrwasser hinterher. Millionen von kleinen Luftbläschen wurden durch die Schiffsschrauben g ebildet und verloren sich langsam in der Ferne, genauso wie das Festland, das nur noch verschwommen auszumachen war. Einige Möwen flogen tief über das große Schiff und ließen ihre typischen Rufe hören. Blue, die wie so oft in einem speziellen Katzenrucksack vor Zoes Bauch saß, hielt ihren kleinen Kopf in den Wind und stellte die Ohren bei den vielen unterschiedlichen Geräuschen um sie herum auf.

Mit wackeligen Knien drehte Ricardo sich um und ächzte: »Ich muss mal kurz ...«

»Soll ich mitkommen?«, fragte Merle.

»Ne, danke, es geht schon.«

Zoe blickte zu Merle und nickte.

»Ich komme trotzdem mit.« Merle war erstaunt, dass Ricardo ihr nicht widersprach, aber daran konnte man mal sehen, wie übel ihm war. Die Atlantikdünung hatte schon vielen Menschen den Magen umgedreht. Sicher, das Geschaukel hielt sich auf einem so großen Schiff in Grenzen, aber trotzdem war das Schwanken unter den Fußsohlen gut zu spüren. Zum Glück ließ der Wind merklich nach und der Kapitän der Fähre hatte schon über Lautsprecher mitteilen lassen, dass die Wellen weniger und vor allem sanfter werden w ürden. Für Ricardo bedeutete weniger Wellengang auch weniger Übelkeit.

Zoe blieb an Deck stehen und hing ihren Gedanken nach. Sie freute sich schon sehr auf ihren Vater. Dr. Balter leitete eine archäologische Forschungsstelle auf La Palma. Die Reise nach La Palma war relativ kurzfristig beschlossen worden, da ihr Vater diesen Auftrag erst vor Kurzem übernommen hatte. Die Kanaren waren für ihre Petroglyphen, also ihre Felszritzzeichnungen bekannt, die die Ureinwohner dort hinterlassen hatten. Diese Felsenbilder wurden zumeist nicht mit Farbe aufgemalt, sondern mit spitzen Gegenständen in den Felsen hineingeritzt. Man sollte meinen, dass im Laufe der Jahre wirklich alle Zeichnungen gefunden worden waren, aber dem war nicht so. Ein verirrter Wanderer war auf eine ganze Reihe neuer und bis dahin unbekannter Felsenbilder gestoßen. Das war eine kleine Sensation, und die Forschung wollte dem nachgehen, denn neben den bekannten Spiralen waren diesmal auch ganz neuartige Felsenbilder

darunter. Zoe schüttelte den Kopf. Sie verstand immer noch nicht, was daran so besonders sein sollte, aber ihr Vater war ganz aus dem Häuschen gewesen.

Lautes Rufen holte Zoe aus ihren Gedanken.

»Delfine«, rief ein Kind voller Freude.« Da vorne sind Delfine.«

Zoe reckte den Hals, denn das wollte sie sich nicht entgehen lassen. Sie lief an die Reling der Fähre und blickte auf das Wasser hinunter. Tatsächlich, da waren Delfine. Aber nicht nur ein oder zwei, nein eine ganze Delfinschule folgte der Fähre.

»Sieht schon ziemlich cool aus«, fand Merle, die plötzlich mit Ricardo im Schlepptau neben Zoe auftauchte.

Ricardo nickte, und Zoe bemerkte, dass seine Wangen wieder etwas Farbe bekommen hatten. Sie strahlte über das ganze Gesicht. »Leute, das werden ganz tolle Ferien.«

»Ja, und Gott wird uns auf jedem unserer Schritte begleiten, ist das nicht wunderschön?« Merle griff nach den Händen ihrer Freunde und drückte sie heftig vor Freude.

»Meint ihr«, fragte Zoe, »meint ihr, dass wir vielleicht auch wieder ein Abenteuer erleben werden?«

»Ich hätte nichts dagegen, wenn das Team Blue wieder zum Einsatz käme.« Ricardo rieb sich voller Tatendrang grinsend die Hände.

Merle war sich da nicht ganz so sicher. »Ferien ohne Abenteuer sind aber sicher auch ganz nett.«

Ricardo verdrehte die Augen, sagte aber nichts.

»Also ich hätte auch nichts gegen ein neues Abenteuer, immerhin war unser Team in Japan doch sehr erfolgreich«, war Zoes Meinung.

Eigentlich waren sie damals nur für einen Urlaub nach Japan geflogen, aber kaum dort angekommen, waren sie in ein Abenteuer eingetaucht, das sie so schnell nicht vergessen würden. Immerhin hatten sie dabei geholfen, die Schätze eines Kaisers zu retten! Da

Zoes Katze Blue dabei auch einen entscheidenden Anteil gehabt hatte, hatten sie sich Team Blue genannt.

»Schauen wir mal«, sagte Zoe und stupste Merle sanft in die Seite.

Die restliche Fährfahrt verging wie im Flug, und da Ricardo bald nicht mehr übel war, konnte auch er die Fahrt genießen. Von Tom sahen sie nicht allzu viel, er verschlief den größten Teil des Tages in seiner Kabine.

»Ich schlafe schon mal vor, wenn ich erst auf La Palma bin, wird das anders werden«, war sein Kommentar.

Als über Lautsprecher durchgegeben wurde, dass sie sich La Palma näherten, liefen die Freunde an Deck. Sie hatten auf der Überfahrt bisher schon in einigen Häfen angelegt, so auch auf Teneriffa und Gran Canaria, aber was sie jetzt sahen, war ganz anders, als sie erwartet hatten.

»Wow, seht mal!« Ricardo war sichtlich beeindruckt.

Auch Zoe und Merle blickten mit erstauntem Gesichtsausdruck auf die grüne Wand, die am Horizont vor ihnen auftauchte. Erste Möwen flogen dicht über die Köpfe der Passagiere hinweg und segelten völlig schwerelos im Wind.

»Kein Wunder, dass man sie auch die ›Grüne Insel‹ nennt«, stellte Ricardo fest.

»La Isla Verde«, murmelte Zoe.

Die Insel ragte hoch auf und war von tiefen Schluchten durchzogen. So etwas hatten sie noch nie gesehen.

»Überall wuchert es«, staunte Merle. »Es grünt und blüht an allen Ecken und Enden. Unglaublich, was Gott alles erschaffen hat.«

Ricardo nickte bloß. »Guckt mal, die Stadt vor uns. Die bunten Häuser schmiegen sich richtig in den Hang.«

Die Freunde wussten nicht, wohin sie als Erstes blicken sollten.

Als Tom mit strubbeligen Haaren neben ihnen erschien und sich verschlafen die Augen rieb, sagte er: »Beautiful. Die Stadt da vorne ist Santa Cruz. Sie ist schon sehr, sehr alt und strahlt noch den Charme der guten alten Zeit aus.«

Merles Augen bekamen einen träumerischen Ausdruck. Eine alte Hafenstadt, eine tolle Insel, das würden fantastische Ferien werden, da war sie sich sicher. Blue, die wie so oft in ihrem Katzenrucksack vor Zoes Bauch saß, miaute leise.

»Sie kann es nicht erwarten, die Insel zu erobern«, kicherte Merle.

Die Stimmung war perfekt. Sie waren hier! Egal, wie lang die Anreise auch gedauert hatte, sie würden drei wundervolle Wochen ihrer Sommerferien im Camp von Zoes Vater verbringen. Sie würden arbeiten, aber auch viel Zeit für schöne Ausflüge haben. Die Fähre verlor an Geschwindigkeit, und schneller als gedacht passierte sie die schmale Hafeneinfahrt und legte neben einem großen Kreuzfahrtschiff an. Taue wurden ausgerollt und an Land aufwendig an riesigen Pollern festgemacht.

»Guckt mal, da vorne steht mein Vater.« Zoe winkte wie verrückt. Auch Dr. Balter hatte sie entdeckt und wedelte förmlich mit den Armen.

In diesem Moment verkündete eine Lautsprecherdurchsage, dass alle Passagiere mit ihrem Gepäck zu ihren Fahrzeugen in die unteren Etagen des Schiffes gehen sollten. Tom verschwand daraufhin in den Tiefen der Fähre. Er würde mit dem Auto und dem ganzen Gepäck direkt ins Camp fahren. Kurz darauf öffneten sich auch schon die riesigen Tore der Fähre und ein Auto nach dem anderen rollte an Land. Die Freunde nahmen den Fußgängerausgang. Zoe knetete vor Aufregung ihre Hände, und als sie ihren Vater sah, rannte sie ihm in die Arme. Blue, die in ihrem obligatorischen Rucksack steckte, quiekte empört.

Dr. Balter lachte. »Vorsicht, nicht, dass wir irgendwann Blues empfindliche Nase einquetschen.

»Ja, denn das würde sie Zoe auf ewig übelnehmen.« Ricardo grinste über beide Backen und Zoe knuffte ihn in den Arm.

Dr. Balter lachte noch lauter. Er freute sich, dass mit Zoe und ihren Freunden wieder Abwechslung in das Camp-Leben kommen würde. Er hoffte aber, dass sie ihre Nase nicht wieder in Sachen steckten, die sie nichts angingen. Auch er konnte sich nur zu gut an ihr letztes Abenteuer erinnern. »Na, hattet ihr eine gute Fahrt?«, fragte er, während er die Freunde zur Seite zog.

Auf dem Kai ging es mittlerweile recht wuselig zu. Autos, Menschen und Tiere suchten sich ihren Weg aus dem Hafen. Mit seinen kurzen blonden Haaren, die wie immer in alle Himmelsrichtungen abstanden, seinen kurzen blauen Hosen und dem rosa T-Shirt sah Dr. Balter wirklich nicht wie ein Archäologe aus, fand Ricardo. Aber auch nicht wie ein zerstreuter Professor. Er war ein ziemlich cooler Vater.

»Ja, hatten wir«, scholl es von drei Seiten.

Merle grinste und winkte plötzlich aufgeregt. »Seht mal, da vorne fährt Tom.«

Alle winkten ihm und dann verschwand er auch schon, eine Hand lässig aus dem Fenster gelehnt, hinter den vielen anderen Autos.

Dr. Balter drehte sich um und meinte: »Willkommen auf La Palma, der Isla Bonita, der schönen Insel.«

R icardo speicherte in Gedanken automatisch den neuen Beinamen für diese Insel ab, denn den hatte er bisher noch nicht gehört.

»Kommt, da vorne steht mein Wagen.«

Als ihr Vater den Zündschlüssel rumdrehte, zuckte Zoe schon im Voraus zusammen. Sie ahnte, was kommen würde. Und in der Tat, zeitgleich mit dem Motor sprang auch das Radio an. Augenblicklich hämmerte laute Musik aus den Lautsprechern.

Zoe verdrehte die Augen, während sie versuchte, mit einer Hand an den Lautstärkeregler zu gelangen. Das war mit Blue vor ihrem Bauch, aber gar nicht so leicht. Schließlich hatte ihr Vater ein Einsehen und drehte die Lautstärke auf ein erträgliches Maß zurück. R icardo grinste, während Merle sich die Nase an der Scheibe plattdrückte.

»Wie ging es eigentlich mit Blue auf der Fähre?«, fragte Dr. Balter, während er seinen Wagen gefühlvoll durch die engen Serpentinen lenkte, die sich den Hügel hochzogen.

»Das war überhaupt kein Problem.«

»Das dachte ich mir. Sie ist ein prima Kerl.«

Ricardo grinste, aber eigentlich hatte Zoes Vater ja recht. Immerhin hatte die Katze ihnen bei ihrem letzten gemeinsamen Urlaub oder besser gesagt, Abenteuer, sehr geholfen. Mit ihrem guten R iecher hatte sie die Freunde aus alten Gängen und Höhlen geleitet.

Auch wenn Ricardo immer mal wieder gerne über Blue witzelte, gehörte sie natürlich auch für ihn zu ihrem Team dazu.

»Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, wenn wir einen Umweg fahren. Ich muss noch etwas in Los Llanos, in einer Stadt auf der anderen Seite der Insel, abholen.«

Die drei hatten natürlich nichts dagegen. Die Straße zog sich immer weiter den Hang hoch, und Ricardo registrierte interessiert, dass sich die Vegetation zusehends veränderte. Immer mehr Laubbäume säumten die Straße und nach einiger Zeit tauchte der Wagen in eine Nebelbank ein. Die Äste der Bäume ragten daraus wie dunkle Schatten hervor. Ricardo nahm sich vor, im Internet noch mehr über La Palma zu lesen. Nach einer ganzen Weile bogen sie in einen langen Tunnel ein. Hatte sie auf der einen Seite dichter Nebel begleitet, w urden sie bei der Tunnelausfahrt von gleißendem Sonnenschein empfangen.

»Wow, das ist ja voll krass!«, staunte Ricardo.

»Wieso scheint hier jetzt die Sonne?«, fragte Merle neugierig. »Nun, das ist ganz leicht erklärt.« Dr. Balter schaltete einen Gang runter, denn nach der langen Geraden im Tunnel schlängelte sich die Straße nun wieder gehörig den Hang hinunter.

»La Palma ist praktisch zweigeteilt. Die Insel wird der Länge nach von einem Hügelkamm, der Cumbre, in eine Ost- und in eine Westseite geteilt. Der Wind treibt die Wolken an die Ostflanke und die regnen sich dort in den Höhenlagen ab. Oft entsteht auch Nebel. Im Westen kommen die meisten Wolken schon gar nicht mehr an. Dort ist es viel trockener und sonniger. Die direkte Küstenregion im Osten ist ähnlich sonnig.

»Verrückte Insel«, stellte Zoe fest.

»Ja«, bestätigte ihr Vater. »Und außerdem die steilste Insel der Welt. Obwohl sie relativ klein ist, immerhin ist sie ja nur knapp 45 Kilometer lang und 27 Kilometer breit, hat sie in der Mitte einen sehr hohen Gebirgszug. Überall geht es entweder rauf oder runter. Größere ebene Flächen gibt es praktisch nicht.«

Als Zoe sich umdrehte und aus dem Heckfenster blickte, sah sie, wie sich eine riesige Wolkenmasse oberhalb des Tunnelausgangs über den Gebirgszug wälzte und sich dann relativ schnell auflöste. »Wow, guckt mal. Ein richtiger Wolkenwasserfall!«

Ihr Vater grinste sie im Rückspiegel an. »Du hast es auf den Punkt getroffen. Dieses Phänomen wird auch Cascada de nubes bezeichnet. Was übersetzt Wolkenwasserfall bedeutet.«

Auch Merle und Ricardo staunten über dieses Naturschauspiel. Dr. Balter wich einer kleinen Hühnerschar aus, die mitten auf der schmalen Fahrbahn unerschrocken auf der Suche nach Futter war und erzählte dann weiter: »La Palma hat eine sehr niedrige Kriminalitätsrate. Deshalb wundert es mich auch so, dass unsere Arbeit hier so bekämpft wird.«

»Wie meinst du das?«, fragte Zoe.

»Ich dachte, dass hätte ich dir schon erzählt.« Als Zoe den Kopf schüttelte, fuhr ihr Vater fort: »Manche Leute scheinen mit unserer Arbeit hier nicht einverstanden zu sein. Es ist jetzt schon mehrmals vorgekommen, dass Arbeitsgeräte entwendet wurden und später in der nächsten Schlucht wieder aufgetaucht sind. Verbogen und unbrauchbar.

Außerdem hat jemand die Felsen mit Farbe besprüht und uns aufgefordert, zu verschwinden, sonst hätten wir mit weiterem Ärger zu rechnen.«

»Wer macht denn sowas?«, fragte Merle.

»Ja, und warum?«, erweiterte Ricardo die Frage.

»Das fragen wir uns auch schon die ganze Zeit. Wir haben keine Erklärung dafür. Wir graben hier ja keine wertvollen Schätze aus, wie es zum Beispiel in Japan der Fall war. Vielmehr geht es um Felszeichnungen, die Petroglyphen. Die Altkanarier kannten kein Metall. Sie ritzten diese Zeichnungen mit Steinen in die Felsen.«

»Meistens sind es Spiralen, oder?« Von diesen Zeichnungen hatte Ricardo schon gehört.

»Ja, das stimmt«, fuhr Dr. Balter fort. »Die Altkanarier, die von Laien auch gerne als Guanchen bezeichnet werden, haben Sonne und Mond verehrt, aber bisher konnten die genauen Bedeutungen der Zeichnungen nicht entschlüsselt werden. Wir tappen bei vielen Dingen noch im Dunkeln.« Dr. Balter strich sich fahrig durch die Haare. Die Redepause von Zoes Vater nutzte Ricardo. »Guanchen nennt man die Altkanarier auf Teneriffa, oder?«

Dr. Balter nickte. »Ja, aber dieser Begriff wird von Vielen für die Altkanarier aller Kanarischen Inseln verwendet. Auf La Palma heißen sie korrekterweise Benahoaritas.«

Ricardo versuchte, sich auch diesen sperrigen Begriff zu merken.

»Wenn es hier nur Felsenbilder gibt, stolpern wir zumindest nicht über Mumien.« Der erleichterte Tonfall von Merle ließ alle

lächeln. Merle stand nämlich nicht besonders auf diese konservierten Toten.

Dr. Balter räusperte sich und meinte: »Da muss ich dich leider enttäuschen. Die Altkanarier haben ihre Verstorbenen sehr wohl mumifiziert. Und zwar Männer, Frauen und sogar die Kinder.« Merles Gesichtshaut wurde deutlich blasser, und Dr. Balter beeilte sich h inzuzufügen: »Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr hier über Mumien stolpert, ist aber wirklich sehr gering. Eigentlich sogar unmöglich. Sie wurden in Höhlen bestattet, und die gut zugänglichen sind bereits alle entdeckt worden. Ihr wollt hier ja keine Kletterpartien veranstalten und Höhlenforscher spielen, oder?«

Merle schüttelte heftig den Kopf. Nein, das wollte sie auf keinen Fall.

»Dann gibt es hier für uns ja gar nicht viel zu tun«, stellte Zoe erleichtert fest. Sie hatte sich schon auf das Schaufeln von Erde eingestellt und war begeistert, dass hier gar nicht gegraben wurde.

»Freu dich nicht zu früh«, meinte ihr Vater grinsend. »Wir sind nämlich auf der Suche nach der legendären Krönungspyramide.« Die Freunde blickten Dr. Balter neugierig an. »Dort wurden die Könige der Altkanarier gekrönt, und keiner weiß, wo sie sein soll. Sie wird hier in der Nähe unseres Camps vermutet. Wir erhoffen uns von den Petroglyphen Aussagen oder Hinweise zu dieser Pyramide.«

»Und wenn ihr die entdeckt, wird wieder tief gegraben?«, fragte Zoe misstrauisch.

»Du hast es erfasst.« Das Grinsen von Dr. Balter wurde noch breiter. »Aber entspann dich, das dauert noch. Vorerst könnt ihr uns bei der Dokumentation der Zeichnungen helfen. Aber zurück zu den aktuellen Vorkommnissen. Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, euren Besuch hier abzusagen, aber ich wusste, dass ihr dann sehr enttäuscht gewesen wärt.«

»Ja«, erscholl es prompt von den Freunden.

»Außerdem hat mir Mieke versichert, dass euch nichts passieren kann. Schließlich haben sich die Aggressionen immer nur gegen die Ausrüstung gewendet, aber nie gegen Personen. Also nie gegen jemandem vom Team.«

»Was?«, rief Zoe. »Mieke ist auch wieder dabei?«

»Ja, das ist sie.«

»Wow, das ist klasse«, meinte Ricardo.

»Ich freue mich auf Superwoman«, stimmte auch Merle mit ein.

Dr. Balter grinste über beide Backen. »Wusste ich es doch, dass ihr euch freut.«

Die Freunde hatten Mieke im letzten Urlaub in Japan kennengelernt. Mieke war im Camp für Reparaturen aller Art zuständig und h atte vom Team den Beinamen Superwoman bekommen. Es gab anscheinend nichts, was sie nicht reparieren oder anderweitig regeln konnte. Die Freunde mochten sie sehr, zumal sie ihnen bei ihrem Abenteuer in Japan sehr zur Seite gestanden hatte.

Los Llanos sah ganz anders aus als Santa Cruz, die Hauptstadt auf der anderen Seite der Insel. »Wow«, staunte Merle, »das sind ja riesige Gewächshäuser, die sich vor uns bis ans Meer ausbreiten.«

Dr. Balter wollte gerade etwas dazu erklären, aber Ricardo kam ihm schon zuvor: »Das sind keine Gewächshäuser, Merle. Das sind dünne Netze, die sich über Obst- und Gemüsefelder spannen. Meistens sind es Bananenplantagen.«

Merle schüttelte den Kopf. Woher wusste Ricardo das alles immer?

»Mister Oberschlau hat gesprochen«, war der kurze Kommentar von Zoe.

Ricardo ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, aber Dr. Balter erwiderte: »Das ist doch total praktisch, dass Ricardo so viel weiß.«

Zoe seufzte theatralisch. Manchmal ging ihr Ricardo mit seinem Wissen etwas auf die Nerven. Auch sie fragte sich, wie er sich nur diese vielen Dinge merken konnte.

Vor einem Geschäft in Los Llanos angekommen, luden sie einige Gerätschaften, die schon bereitstanden, auf den großen Pick-up und fuhren weiter. Sie folgten der Straße eine steile Schlucht hinauf. Mit bangen Blicken lugte Merle nach draußen. »Da gehts aber schon ziemlich steil nach unten«, murmelte sie.

»Oh, ja«. Dr. Balter schaute in den Rückspiegel und lächelte beruhigend. »Das ist die steilste Schlucht auf der Insel, der Barranco de las Angustias.« Als er bemerkte, dass Merle grün um die Nasenspitze wurde und sich an ihren Sitz klammerte, beeilte er sich zu sagen: »Keine Angst, ich fahre ganz vorsichtig.«

Merle versuchte ein kleines Lächeln, was ihr aber nicht so recht gelang. Oben angekommen, ging es ihr aber gleich viel besser.

»Schaut mal«, rief Zoe begeistert. »Hier ist ja ein total cooles Café.« Dr. Balter lenkte den Wagen schwungvoll in eine enge Parklücke und fragte: »Na, bereit für ein Stück Kuchen und die genialste Aussicht über die Insel?«

Da sagten die Freunde natürlich nicht nein. Sie genossen auf der schönen Terrasse die wirklich fantastische Aussicht über den Westen der Insel mit seinem zentralen Teil, dem Aridanetal.

»Hey, ist das dort hinten nicht der Vulkan, der vor Kurzem hier Angst und Schrecken verbreitet hat?«, fragte Ricardo. Er zeigte dabei auf einen großen Berg in der Ferne. Eine kleine Rauchsäule schwebte über seinem zerklüfteten Kegel.

Zoes Vater nickte. »Ja, genau, das ist der Übeltäter. Er hat große Teile der Insel mit einer dicken Lavaschicht überzogen. Seht selbst.«

Die Freunde folgten seiner ausgestreckten Hand mit dem Blick. Tatsächlich, unterhalb des Vulkans zog sich die breite Front einer

dunklen Masse bis ans Meer. Auf ihrem Weg hinunter umschlang erloschene Lava noch andere, kleinere Vulkankegel.

»Häuser, Schulen, Tankstellen, einfach alles hat die Lava unter sich begraben.« Dr. Balter warf den Eidechsen, die sich auf einer kleinen Mauer unter ihnen sonnten, einige Kuchenkrümel zu. »Es wird Jahre dauern, bis die Menschen ihr gewohntes Leben wieder aufnehmen können. Viele Gebiete sind noch immer nicht frei zugänglich, weil giftige Gase aus Bodenspalten strömen.« Dr. Balter seufzte laut.

Merle murmelte: »Es muss furchtbar sein, sein ganzes Zuhause und seine gewohnte Umgebung zu verlieren.«

Alle nickten zustimmend.

Nach einer Weile der Stille, in der jeder wortlos seinen Kuchen gegessen hatte, fragte Zoe: »Ist es eigentlich noch weit, bis wir da sind?«

»Ja, es ist noch eine gute Stunde zu fahren.«

Zoe sah ihren Vater sprachlos an. »Wie kann das denn sein? Die Insel ist doch gar nicht so groß, und die Entfernungen können doch dementsprechend auch nicht so gewaltig sein.«

»Stimmt, aber dafür kommt man hier meistens auch nur sehr langsam vorwärts. Denk doch an die vielen Serpentinen, die wir bisher schon gefahren sind. Und das wird nicht besser. La Palma wird von unzähligen Schluchten, den Barrancos, durchzogen.«

Zoe brummte etwas Unverständliches. Ricardo und Merle konnten die Enttäuschung ihrer Freundin aber gut verstehen. Sie waren schon so lange mit der Fähre unterwegs gewesen und sehr neugierig auf das Camp.

Die Fahrt dauerte tatsächlich noch eine ganze Weile, aber langweilig wurde es trotzdem nicht. Es gab unterwegs viel zu sehen. Egal, ob steile Berghänge, grüne, lianenartige Kletterpflanzen, die einen dichten Vorhang auf der immer schmaler werdenden Straße bildeten, oder die

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