Andrea Karimé / Anna Lisicki-Hehn Alle-Kinder-Bibel
Leseprobe
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Andrea Karimé / Anna Lisicki-Hehn Alle-Kinder-Bibel
Leseprobe
Unsere Geschichten mit Gott

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2023 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn
Alle Rechte vorbehalten
Gesamtgestaltung und DTP: Grafikbüro Sonnhüter, www.grafikbuero-sonnhueter.de, unter Verwendung der Bilder von © Anna Lisicki-Hehn
Lektorat: Viktoria Tersteegen
Verwendete Schrift: Schulbuch Bayern, Mr Dodo
Gesamtherstellung: xxxxxxxxxxx
Printed in Germany
ISBN 978-3-7615-6903-0
ISBN 978-3-7615-6904-7 (Hörbuch)
www.neukirchener-verlage.de
Erstes Testament
Wie die Welt auf die Welt kam X
Ein Schiffhaus voller Tiere X
Ein Lachzelt und ein Engel in der Wüste X
Mutige Frauen, ein kluges Mädchen und ein Schilfjunge X
Mose und das Feuerwunder X
Mose und das Meereswunder X
Mose und die Steintafeln X
Die mutige Rut X
Jeremia hat Gottes Wörter im Mund X
Nabots Weinberg X
Hallelujah yallalallalah! X
Zweites Testament
Maria singt ein Lied X
Maria muss fliehen X
Bartimäus, die Biene und das LICHT X
Jesus, der Mond, die Eidechse und die Kinder X
Das Essen im Himmel X
Zachäus im Lächelmantel X
Jesus stirbt X
Jesus verschwindet aus dem Grab X
Windsprache und Wunderregen X
Paulus schreibt einen Brief X
Anhang
Danksagung X
Nachwort X
Als meine vierjährige Tochter mir sagte, dass Gott für sie ein alter weißer Mann mit langem Bart sei und Jesus auch weiß war in ihrer Vorstellung, war ich geschockt, denn das hatten wir ihr als Eltern ganz bestimmt nicht vermittelt. Oder vielleicht doch?
Durch unsere Sprache, Gottesdienstbesuche und letztendlich auch durch Kinderbibeln.
Letzteres weckte in mir den Wunsch nach einer neuen Kinderbibel, in der Jesus nicht mehr länger der weiße Mitteleuropäer war. Ich teilte die Idee im Kollegium und stieß auf viel Begeisterung. Schnell waren wir eine engagierte Arbeitsgruppe mit Expert*innen aus Kirchen, Kitaverbänden und Universitäten. Zwei Jahre arbeiteten wir gemeinsam intensiv am Projekt „Antirassistische Kinderbibel“ und hier ist sie nun.
Mit Texten von Andrea und Illustrationen von Anna, die wir mehrfach gemeinsam angeschaut und diskutiert haben. Zusätzlich gab es Sensitivity Readings von Menschen mit Behinderung, jüdischem Hintergrund und People of Color. Es wird immer noch nicht alles perfekt sein, aber vieles berührt mich sehr. Wie schön hätte ich es gefunden, wenn ich mich als Kind of Color in einer Kinderbibel repräsentiert gewusst hätte.
Wir wollen mit dieser Kinderbibel neue Bilder in Kinderköpfen hervorrufen und damit zu einer rassismuskritischen und vielfaltssensiblen Bildung der nächsten Generation beitragen. Gott wird daher nicht nur männlich dargestellt, der jüdische Ursprung der Heiligen Schrift wird gewürdigt, Eva und Adam haben keine Modelmaße, Noah bekommt seinen ursprünglichen Namen Noach zurück, Jesus ist Person of Color und Jude. Darüber hinaus haben Frauen zentrale Rollen, Menschen mit Behinderung tauchen nicht nur im Heilungskontext auf, Kinder kommen zu Wort, Menschen of Color treten, so wie es historisch korrekt ist, mehrheitlich in Erscheinung und Mehrsprachigkeit wird durch Wort und Bild so deutlich wie es eben in einer pluralen Gesellschaft selbstverständlich sein sollte.
Vielleicht werdet ihr beim Lesen über einiges stolpern, daher gibt es digitales Begleitmaterial und ein paar weitere erklärende Worte im Anhang.
Ich freue mich über diesen Beitrag hin zu einer Kirche, in der alle Platz haben und mitgestalten können.
Viel Freude beim Lesen und Vorlesen und Entdecken dieser bislang einzigartigen vielfaltssensiblen und antirassistischen Kinderbibel!
Sarah Vecera

Eines Abends saß Noach vor dem Zelt und beobachtete die Sterne. (Manche Leute kennen ihn auch als Noah.)
Plötzlich glitzerten sie wie winzige Sonnenstrahlen. Wie seltsam, dachte Noach. Und dann hörte er seinen Namen.
„Noach, ich habe einen Auftrag für dich!“
Das ist Gottes Stimme, dachte Noach und schaute sich um, sah aber überall nur Glitzern.
„Die Menschen sind nicht mehr gut zueinander. Sie nehmen sich Sachen weg, lügen einander an, denken nur an sich selbst und schlagen sich und ihre Kinder. Und niemand denkt an mich. Deshalb werde ich Wasser auf die Welt schicken. Viel Wasser soll die Welt überfluten. Nur du und Naamah sollen überleben. Und eure Kinder!“
„Das sind schreckliche Nachrichten!“, sagte Noach. Eine Träne lief ihm über das Gesicht.
„Ja!“, sagte Gott. „Ihr seid meine Auserwählten. Ihr denkt an mich. Ihr dankt mir. Und ihr tut Menschen und Tieren Gutes. Deshalb sollt ihr überleben. Tu nur genau was ich sage!“

Noach nickte. Und er merkte sich alles, was Gott sagte. In der Nacht, als die Kinder schliefen, berichtete er Naamah, seiner Frau davon.
„Wir sollen ein Schiff bauen, größer als der Königspalast. Gott nennt das Schiff Arche. Es soll aus frischem Holz sein und außen mit Teer eingeschmiert werden!“
„Damit kein Wasser hineinkommt?“, fragte Naamah. „Genau“, sagte Noach, „und wir brauchen eine Tür, durch die das größte Tier gehen kann. Und dann sollen wir von jeder Tierart zwei auf das Schiff bringen! Und dann wird die Flut kommen und alle in der Arche werden geschützt sein.
Auch Naamah liefen Tränen übers Gesicht.
„Mit Gottes Hilfe werden wir das alles schaffen!“, sagte sie nach einer Weile. Noach war froh über seine Frau. Und über seine Söhne und deren Frauen, die ihm am nächsten Tag halfen. Gemeinsam holten sie sehr viel Holz herbei.



Es dauerte viele Tage und Wochen, bis die Arche fertig war. Immer wieder kamen neugierige Menschen vorbei. „Was machst du da?“, fragten sie Noach. Noach erzählte allen von der Sintflut, die Gott bald schicken würde. Er wollte die anderen warnen. Aber die Menschen lachten nur.
„Schaut Euch die mal an. Mitten auf dem Land bauen sie ein Schiff!“
„Wozu braucht Noach ein so riesiges Schiff? Was für eine Verschwendung!“
„Diese Familie hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank!“
Niemand glaubte Noach und Naamah. Und dann war die Arche fertig. Ein riesiges Schiffhaus. Alle umarmten sich. Da hörten sie auf einmal Lärm. „Die Tiere kommen!“, rief Naamah.
Es pfiff und flatterte, wieherte und knatterte, muhte und miaute, schuute und radaute, trompetete und zischte, zwitscherte und wischte, quakte und keckerte,
gackerte und meckerte, bellte und ächzte, gellte und krächzte, Kreischte und brummte, brüllte und summte, knurrte und fiepte, Grunzte und piepte.
„Von jeder Art sind zwei Tiere gekommen“, lachte Naamah. „Und sie wollen in unsere Arche!“ Wie Gott gesagt hatte: Nehmt von jeder Art zwei mit.
Noach öffnete die Tür der Arche. Naamah sprang hinein.
„Kommt, wir zeigen den Tieren ihren Platz!“, sagte sie. Und so liefen, krochen, flogen, krabbelten, hüpften, stampften und schlichen die Tiere friedlich und kreuz und quer in die Arche.

„Es ist ein Wunder“,
„Es ist ein Wunder“, dachte Noach, als alle drin waren. Er faltete seine Hände. Gott hat die Tiere geschickt, dachte er.
Und da merkte er einen Regentropfen, groß wie eine Olive, auf seiner Hand und noch einen. Die Hunde begannen zu bellen und die Adler zu schreien.
„Die Sintflut kommt!“, rief Noah. Gott schloss die Tür. Und schon näherten sich bedrohliche Wolken.
Eiskalter Wind.
Riesengroße Regentropfen.
Donner und Blitze ließen das Schiffhaus zittern. Und allmählich verschwand die ganze Welt unter Wassermassen.
Menschen, Häuser, Berge Bäume und Tiere.
Nur Noach, Naamah, die Kinder und die Tiere waren noch da.
Auf der im Wasser schaukelnden Arche.
Es regnete vierzig Tage und Nächte lang.
Dann wurde mit einem Mal alles ruhig.
Und hell. Der Regen hatte aufgehört. Noach schaute raus und sah überall nur Wasser. „Wir müssen leider noch auf dem Schiff bleiben!“, seufzte er und ein Papagei flatterte auf seine Schulter. „Fisch schreiben!“, krächzte er. Und alle lachten.
Also warteten sie bis Land in Sicht kam. Noach staunte jeden Tag, wie gut sich alle verstanden. Alle versorgten die Tiere. „Ihr müsst auch mit ihnen sprechen!“, sagte Naamah.
Noach war stolz auf seine Familie. Und die Tiere brachten alle zum Staunen und Lachen. Die Schwalbe erzählte dem Tiger eine Geschichte. Die Katzen kuschelten mit den Hunden.
Die Ameisen kitzelten die Elefanten und der Papagei quatschte dem Esel ins Ohr. Schlangen und Mäuse spielten Fangen. Die Kinder streichelten die Löwen.
Und dann sah er Land. „Hurra!“, schrie er. Da spürte er die Krallen des Raben auf seiner Schulter. Noach wusste, was er zu tun hatte.
„Flieg aus und bring etwas, was wächst!“, sagte er und ließ den Raben fliegen. Der Rabe kam zurück ohne etwas im Schnabel. Deshalb ließ Noach noch eine Taube fliegen. Auch sie kam ohne etwas zurück.
„Wir müssen Geduld haben!“, sagte Naamah, „Gott wird uns helfen!“
Und zwei Tage später ließ er die Taube nochmals zum Land fliegen. Als die Sonne untergegangen war kam sie zurück. Und sie hatte einen silbrigen Zweig mit grünen Blättern im Schnabel.
„Ein Olivenzweig! Hier wächst etwas. Wir sind gerettet!“
Noach und Naamah schickten Gebete zum Himmel. Und plötzlich gab es einen kräftigen Ruck und alle fielen hin.
„Kommt nun aus der Arche heraus!“ Das war Gottes Stimme. Noach öffnete die Tür des Schiffhauses.
„Wir sind auf einem Berg gestrandet!“, rief Naamah und klatschte. Alle Hände, Pfoten, Hufe, Federn, Krallen, Häute, Schnäbel, Mäuler machten mit.
Und Gott sagte: „Breitet Euch auf der Erde aus, habt viele Kinder und erzählt von mir!“
Noach schaute sich um. Er sah eine leere Welt.
„Ich bereue, alles kaputt gemacht zu haben“, sagte Gott. „Das werde ich nie wieder tun!“ Und er hängte einen Regenbogen zwischen zwei Wolken. „Das soll das Zeichen sein, dass ich mein Versprechen halte!“
Von da an sah Noach nach jedem Regen einen Regenbogen zwischen den Wolken. Wie eine bunte Schaukel hing er da.
Genesis 6-9




Einmal war Jesus zum Essen eingeladen.
Er sagte: „Wenn ihr ein Festessen macht, ladet alle ein: die Armen und die Reichen, die Kranken und Gesunden und die Großen und die Kleinen! Und schon wird dein Tisch ein Himmelreich werden!“ Da sagte eine Frau am Tisch: „Wie schön wäre es, mit Gott im Himmel zu essen!“
Jesus antwortete:
„Oh, da fällt mir eine Geschichte für dich ein:
Einmal hatten eine Frau und ein Mann ein großes Festessen bereitet. Sie hatten viele Gäste eingeladen.
Als das Essen fertig war, schickten sie einen Diener und eine Dienerin los, den Gästen Bescheid zu sagen.
Der erste sagte:
‚Oh, ich kann leider doch nicht kommen. Ich habe ein Stück Land gekauft und muss mich um ihn kümmern.‘
Die zweite sagte:
‚Oh, ich kann leider doch nicht kommen. Meine Hündin hat Junge bekommen und ich muss bei ihnen bleiben.‘
Der dritte sagte:
‚Oh, ich kann leider doch nicht kommen. Heute ist meine Hochzeit.‘

Plötzlich hatte niemand mehr Zeit.
Als der Mann und die Frau das hörten, waren sie sehr enttäuscht. Die Schüsseln dampften auf dem turmlangen Tisch und niemand war gekommen, um etwas von den leckersten Speisen zu essen.
Traurig dachten sie nach. Und plötzlich hatten sie eine Idee: ‚Lass uns einfach andere Gäste einladen. Menschen, an die wir bislang nicht gedacht haben.‘, sagte die Frau. ‚Das machen wir!‘, sagte der Mann. Und sie gingen hinaus und luden alle ein, die sie auf der Straße trafen. Und auch den Tieren gaben sie Futter. Bald füllte sich der turmlange Tisch. Es war so viel Platz da. Alle, die wollten, fanden Platz.
Katzen und Hunde schleckten vor dem Haus Schüsseln leer. Die Menschen freuten sich so sehr über die Einladung. Und diese Freude glitzerte aus allen heraus. ‚Was für ein himmlisches Essen‘, sagte ein Kind. Bald glitzerte der ganze Raum wie ein Nachthimmel. Und auf dem Fell von Katzen und Hunden lagen Sterne. ‚Hörst du das?‘, fragte der Mann, ‚das Schnurren der Katzen ist wie ein Konzert!‘ Die Frau nickte und sagte: ‚Ich glaube, bei uns am Tisch sitzt Gott.‘“
Lukas 14, 15-21



Weil die Bibel auch von vielen Kindern gelesen wird, die mehrere Sprachen sprechen, hat die Autorin Wörter aus anderen Sprachen gesammelt, die zur Bibel passen. Folgende Sprachen außer Deutsch kannst du in Bildern entdecken: Albanisch, Arabisch, Aramäisch, Griechisch, Hebräisch, Hindi, Indonesisch, Italienisch, Kisuaheli, Kroatisch, Kurmancî, Lateinisch, Lingala, Polnisch, Romanes, Russisch, Somali, Tamil, Tashelhit, Tigrinya, Tschechisch, Türkisch und Ukrainisch.
Die Autorin bedankt sich bei den vielsprachigen Menschen, die beim Wörtersammeln behilflich waren: Karima Benbrahim, Tayo Awosusi-Onutor, Emmanuel Boango, David Thevanantan, Teamrat Ghebrejesus Kidane, Andar Parlindungan und Baraka Lwakatare.
MEHRKULTURALITÄT UND MEHRSPRACHIGKEIT ALS NORM
Rund 40% der Kinder unter sechs Jahren in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Viele sind Personen of Color1, und oft wachsen sie mit mehr als einer Sprache und mit mehr als einer kulturellen Prägung auf. Im Kindergarten und in der Grundschule treffen sie auf weiße Kinder, die zuhause oft nur eine Kultur kennengelernt haben.
Als wir unsere Kinderbibel entwickelten, hatten wir vor allem Kinder of Color im Blick. Sie sollen sich in den Geschichten und Illustrationen wiederfinden; ihre Perspektive ist bestimmend. In deutschsprachigen Kinderbüchern werden sie dagegen häufig als Fremde und Andere dargestellt und Weiß sein 2 als Norm angenommen. Unsere Kinderbibel geht stattdessen von Mehrkulturalität und Mehrsprachigkeit, von Diversität und Diskriminierungserfahrungen als Normalität aus. Kinder und andere Personen of Color sind auf den Bildern immer in der Mehrheit. Die Geschichten spielen mit Sprache; die Autorin hat zum Teil auch neue Wörter erfunden. Das ist ein Weg, um Sprache zu dekolonisieren und sich neu anzueignen.
Schlüsselwörter aus einigen Geschichten sind in unterschiedlichen Sprachen, die in Deutschland gesprochen werden, in die Illustrationen eingearbeitet. Kinder, die weiß und/oder deutschsprachig aufwachsen sind, sind eingeladen, sich auf diesen Perspektivwechsel und die Sprachspiele einzulassen. Sie können mit Hilfe migrantischer Kinder die Wörter in den Illustrationen entschlüsseln; das dreht die üblichen Verhältnisse um.
1„Personen/Persons of Color“ ist die Selbstbezeichnung von Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe Diskriminierungserfahrungen machen. 2 Wir schreiben weiß kursiv, um damit deutlich zu machen, dass nicht eine Hautfarbe gemeint ist, sondern die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlich dominanten Gruppe.
Diese Kinderbibel will rassismuskritisch und vielfaltssensibel sein und möchte wahrnehmen und herausarbeiten, was wir von dieser Haltung in der Bibel selbst finden. Grundsätzlich gilt: Bibelgeschichten sind komplexe Geschichten. Wir haben nicht versucht, sie zu vereinfachen. Denn Vereinfachung kann bedeuten, dass wir unser eigenes diskriminierendes Denken in diese Geschichten hineintragen. Was uns für diese Kinderbibel wichtig war:
1. Der christliche Glaube ist aus dem Judentum geboren. Christliche Theologie ist aber seit 2000 Jahren oft antijudaistisch geprägt; die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens wurden und werden verdrängt und verleugnet. Das Christentum wird häufig als die Überwindung des Judentums verstanden, und landläufig denken viele, dass Gottes Erwählung des Volkes Israel jetzt auf die Kirche übergegangen sei. Die Rede von „Altem“ und „Neuem Testament“ verstärkt solche Ansichten. Wir reden darum in unserer Bibel von Erstem und Zweitem Testament. Das Erste Testament der Bibel ist wesentlich umfangreicher als das Zweite. Darum liegt auch in dieser Kinderbibel Gewicht auf Geschichten aus dem Ersten Testament.
2. Wir wünschen uns, dass diese Kinderbibel Anknüpfungspunkte für den interreligiösen Dialog liefert. Sie ist geschrieben für Kinder jedweden Glaubens und will sie offen und respektvoll mit der Bibel bekanntmachen.
3. Wir haben lange darüber diskutiert, wie wir die biblischen Namen ins Deutsche übertragen, denn uns ist bewusst, dass migrantische Kinder oft darunter leiden, dass ihre Namen falsch ausgesprochen und geschrieben oder gleich durch deutsche Namen ersetzt werden. So wollten wir mit den biblischen Namen nicht umgehen. In den meisten Kinderbibeln werden die Namen der Personen aus dem Ersten Testament in Anlehnung an ihre griechische Übertragung wiedergegeben: Also Noah statt Noach, Mose
statt Mosche, Jeremia statt Jirmejahu. Denn Griechisch war in der Antike das, was heute Englisch ist: Eine globale Sprache, in der dann auch das gesamte Zweite Testament abgefasst wurde. Im Aramäischen, das Jesus und seine Jünger*innen sprachen, hieß Jesus Jehoshua oder Yeshua, „Gott rettet“. Die Paulusbriefe und die Evangelien veränderten diesen Namen in Iesous, aus dem dann das deutsche Jesus abgeleitet wurde. Wir haben uns am Ende fast überall schweren Herzens für diese bekannten Namensversionen entschieden. Wir möchten die Kinder nicht verwirren, die die Namen Mose und Jesus bereits kennen. In einigen der Geschichten weisen wir aber in einem Nebensatz auf die ursprüngliche Schreibweise der Namen hin.
4. Der rote Faden, der der Auswahl der Geschichten zugrunde liegt, ist eine Aussage über Gott: „Du siehst mich.“ Die Bibel erzählt von Anfang bis Ende viele Geschichten über Menschen, die gesellschaftlich am Rand stehen, übersehen oder diskriminiert werden. Gerade diesen Menschen wendet sich Gott mit besonderer Liebe und Aufmerksamkeit zu. Kein Gesetz wird im Ersten Testament häufiger wiederholt als das Gebot, Witwen, Waisen und Fremde nicht auszubeuten oder zu unterdrücken. Gott schützt die ausgestoßene Hagar ebenso wie Maria, die fliehen muss. Gott beruft Mose, der eine Sprachstörung hatte, als Anführer eines Volkes und das Kind Jeremia zum Propheten. Jesus erzählt vom Himmel als von einem Fest, zu dem die Leute einfach von der Straße eingeladen werden.
Diese Bibel begann als ein rassismuskritisches Projekt. Das Konstrukt „Rassismus“ gibt es in der Bibel selbst nicht; es gibt aber eine Geschichte rassistischer Auslegungen bestimmter biblischer Texte. Dazu gehört auch, dass Jesus in der Mehrzahl bildlicher Darstellungen nicht nur in Deutschland weiß und nordeuropäisch aussieht, obwohl er historisch eine Person of Color war. Unsere Illustrationen spiegeln wider, dass die biblischen Geschichten im östlichen Mittelmeerraum angesiedelt sind.
Zum Rassismus gehört auch ein Eurozentrismus, der sich in den Illustrationen von Kinderbibeln widerspiegelt. So entsprechen zum Beispiel Bilder der Arche in der Regel europäischen Vorstellungen von Schiff- und Hausbau. Auf der Arche in unserer Bibel steht deshalb kein Holz-, sondern ein Lehmgebäude. In der Entwicklung dieser Bibel wurde schnell klar, dass nicht nur Rassismus, sondern auch Sexismus, Ableismus und Adultismus unser Verstehen der biblischen Geschichten beeinflussen.
Sexismus:
Im 1.Buch Mose (Genesis) stehen zwei ganz unterschiedliche und widersprüchliche Schöpfungsgeschichten. Viele Kinderbibeln kombinieren diese beiden Erzählungen zu einer; das birgt die Gefahr einer sexistischen Interpretation.
Wir erzählen stattdessen nur die erste Geschichte. Sie berichtet, dass Gott die Menschen zu seinem Bild schuf, und zwar als männlich und weiblich. Damit ist aber nicht eine festgelegte Zweigeschlechtlichkeit gemeint. Die erste Schöpfungsgeschichte arbeitet immer wieder mit Gegensätzen, um ein weites Spektrum zu beschreiben, und spricht zum Beispiel von „Morgen und Abend“, um damit den ganzen Tageslauf zu benennen. Genauso bedeuten männlich und weiblich nicht zwei festgelegte Geschlechter, sondern zwei Punkte auf einer Skala geschlechtlicher Vielfalt. In der ersten Schöpfungsgeschichte gibt es auch keinen Statusunterschied zwischen verschiedenen Menschen; alle gemeinsam sind das Ebenbild Gottes.
Uns ist außerdem wichtig, Frauenfiguren aus der Bibel, die oft vergessen und übersehen wurden, wieder sichtbar zu machen: von Puwa und Schifra, den hebräischen Hebammen aus 2.Mose (Exodus) 1 bis hin zu Maria, Maria Magdalena und Salome, den Frauen, die als erste die Auferstehung von Jesus erfahren und berichten.
Ableismus:
Mose hat einen Sprachfehler, Jeremia ist ein Kind. Keiner von beiden entspricht den Vorstellungen, die unsere Gesellschaft von einflussreichen Führungspersonen hat. Von Jesus werden viele Heilungsgeschichten berichtet. Unsere Kinderbibel erzählt die Geschichte von Bartimäus, der blind war, bewusst auf solche Weise, dass er nicht erst durch die Heilung zu einem vollwertigen Menschen wird.
Auch in den Illustrationen unserer Kinderbibel wollen wir Ableismus überwinden. Darum haben die meisten dargestellten Personen keine Modelmaße, sondern es gibt eine Vielfalt von Körperformen. Personen mit sichtbaren Behinderungen sind ganz normal Teil des Lebens in den Bildern.
Adultismus:
Mit unserer Kinderbibel richten wir uns an Kinder und Erwachsene. Viele Bücher, die für Kinder geschrieben wurden, haben eine adultistische Perspektive: die Einstellung und das Verhalten erwachsener Menschen wird zur Grundlage für die Art und Weise, wie erzählt wird. In dieser Bibel finden sich Geschichten und Bilder von Kindern, die andere Bedürfnisse haben als Erwachsene, andere Dinge wahrnehmen, selbstbestimmt und frei dargestellt werden.