HETTY OVEREEM • Vorsicht, überquerendes Glück!
HETTY OVEREEM
Vorsicht, überquerendes Glück!
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© 2022 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn
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DTP: Burkhard Lieverkus, Wuppertal
Lektorat: Rahel Dyck, Bonn
Verwendete Schrift: Scala
Gesamtherstellung: Finidr, s.r.o.
Printed in Czech Republic
ISBN 978-3-7615-6860-6 Print
ISBN 978-3-7615-6861-3 E-Book
www.neukirchener-verlage.de
Inhalt
Vorwort 7
1. Auf frischer Tat ertappt! 10
2. Von unguter zu guter Wut 19
3. Achtung, Anklage! 26
4. Jesus und die falschen Gottesbilder 31
5. „Ich werd’s dir zeigen! 42
6. „Du wirst den Herrn, deinen Gott, lieben …“ 49
7. Von Feuereinsatz und Löscharbeiten 54
8. „In der Welt habt ihr Angst …“ 58
9. Meine, deine, unsere Wahrheit?! 67
10. Mit anderen Augen sehen 75
11. Mein Zelt steht in deinen Händen 81
12. „Ich danke dir zu jeder Zeit …“ 87
13. Die dritte Dimension: Der Geist weht, wo er will 96
14. Authentisch daneben 107
15. Wahrheit: Vorfahrt oder ewiger Kreisverkehr?! 116
16. „Sei nicht nicht-gläubig, sondern gläubig!“ 124
17. Verlasse deine Illusion – und geh in das Land, das ich dir zeigen werde! 131
18. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten … 137
19. Achtung, Kollisionsgefahr! 140
20. Zwei Kreise 142
21. Im Grauen Land 150
22. Achtung, Treibsand! 158
23. Trosties oder Trost?! 165
24. Vorsicht, überquerendes Glück! 175
25. Wo liegen meine Wurzeln? 177
26. Und ich zeige euch einen Weg, noch viel höher hinauf! 186
27. Vorsicht, Glatteis!
Die Bibel: Gottes- oder Menschenwort? 193
28. Im Bilderbuchland 200
Anhang 225
Vorwort

Kennen Sie sie auch? Menschen, die die seltsame Begabung haben, sich immer wieder zu verirren … Sie nehmen lockende Abkürzungen, die sich ausnahmslos als riesige Umwege herausstellen, sie verpassen Schilder, weil sie an etwas anderes denken, sie interpretieren ihre (Handy-)Karte falsch und kommen selten zum richtigen Zeitpunkt am erwarteten Ort an.
Zu diesen Menschen gehöre ich. Nicht nur im wörtlichen Sinn – mit dem lässt sich’s leben!
Sondern auch im übertragenen Sinn: Ich verirre mich oft auf dem Weg mit und zu Gott, nehme logisch aussehende, aber verhängnisvolle Abkürzungen oder mache unnötige Umwege, verpasse Gottes Wegweiser und Warnschilder, weil mein Kopf oder mein Herz oder beide gerade irgendwo anders beschäftigt sind. Ich interpretiere die Bibel, Gottes Wort, durch Menschen hindurch, nicht richtig, und bin oft nicht da, wo mein Gott mich erwartet.
Ich bin gar nicht stolz darauf. Im Gegenteil, es ärgert mich sehr. Aber hat es vielleicht den Vorteil, dass ich, sozusagen als Expertin auf dem Gebiet, auf bestimmte Gefahren hinweisen kann, sodass andere Menschen diese eventuell vermeiden können. Das wäre schön!
Denn es gibt spirituelle Verkehrsregeln und -schilder, die uns helfen, den Weg zu erkennen, sogar wenn es dunkel wird oder neblig. Die Hindernisse anzeigen und uns warnen, wenn es gefährlich wird; nicht, damit wir anhalten, sondern damit wir besonders aufpassen und uns nichts Schlimmes passiert.
Ich möchte gern ein paar von diesen Verkehrsschildern wieder hervorstöbern, denn oft passen wir nicht auf und tun uns weh. Dann geben wir Gott die Schuld, oder auch uns selbst. Aber wäre es nicht sinnvoller, uns mal wieder in Gottes Straßenverkehrsordnung zu vertiefen? Um wieder neu navigieren zu lernen, nach den Verkehrsregeln des Reiches Gottes? Nicht um korrekter zu sein, sondern um besser voranzukommen.
Aber „Straßenverkehrsordnung“ ist kein angemessenes Wort. Das weckt zu rigide Vorstellungen bei mir. Gottes Verkehrsschilder sind doch beweglich, reisen mit uns mit, sozusagen. Einige sind sogar auf Maß geschneidert! Also lieber
vielleicht „Gottes Wegweiser“? Wie bei der von mir als Kind heißgeliebten „Schatzsuche“ sind sie überall, diese großen oder kleinen Hinweise, die helfen, den verborgenen Schatz zu fi nden. Man muss aber manchmal gut suchen. Abenteuerlich!
Und abenteuerlich ist der Weg Gottes mit uns wirklich! Ich hätte zum Beispiel nicht im Traum gedacht, ein Teil meiner Zukunft würde darin bestehen, mit Esel, Hund, Eselwagen und Tipi herumzuziehen, um Gottes frohe Botschaft den Menschen unterwegs etwas näher zu bringen … Ebenso wenig wie ich auf Gottes Idee gekommen wäre, mir als Kirche eine kleine Holzhütte mitten in einer der lebhaftesten Metrostationen von Lausanne zu schenken …1. Er wusste, was er tat. Es war nicht einfach für mich, aber … Vorsicht, überquerendes Glück!
1 Diese Erlebnisse können Sie im Buch „Die Wanderpfarrerin“, Neukirchener Aussaat 2015, nachlesen.
1. Auf frischer Tat ertappt!

Das ist ja ärgerlich! Bin ich gerade dabei, so (meinte ich doch …) schöne und wahre Sachen über „die“ Wut zu schreiben, und was passiert? Ich werde selbst von ihr überfallen. Mitgerissen, hoch- und runtergeschleudert wie ein steuerloses Boot auf den Wellen eines plötzlich stürmischen Meeres. Wie kommt’s? Ich weiß nur, dass mich eines immer wieder entflammt: aggressive Passivität. Passivität, die mich angreift,
Nein, eben, das ist ja das Problem. Du, der andere da, hast gar nichts getan, du hattest aber versprochen, das gemeinsame Material von Tipi und Metrohütte wieder zu unserer Hütte zu bringen. Und zwar alles. Ich hab’s dir also überlassen und sehe nun plötzlich, dass du gar nichts, aber auch wirklich gar nichts getan hast. Du bist der Verantwortliche auf diesem Gebiet und du hast dich zurückgelehnt, mit den Schultern gezuckt und gedacht: „Das ist mir zu lästig.“ Fertig. Und nun sitze ich da mit den Konsequenzen: ungemütliche Hütte, keine Stühle, kein Essen …
Was mache ich? Schweigen? Denken an andere gute Sachen, die du ja auch getan hast? Oh nein!
Friedlich bleiben, nüchtern sein: „Akzeptiere ihn doch so, wie er ist. So ist er nun einmal.“ Nein!
Wütend sein, eine wütende Mail schreiben? Anklagen? Ja, ja, ja! Und wie! Jetzt sollst du die Wahrheit aber mal hören. Jetzt werde ich dir meine ganze Wut an den Kopf schleudern, wie oft du mich schon hast sitzen lassen, wie oft du schon was versprochen und deine Versprechen nicht gehalten hast, und immer mit derselben Ausrede: „Ich tue doch so viel Gutes! Ich streng mich doch so an!“ Diese nette, freundliche Maske, warte nur, die werde ich dir jetzt aber mal abreißen!
Wie das Verkehrsschild hier oben sagt aber etwas in mir: „Vorsichtig, Gefahrenzone!“ Für mich heißt das: „Pass auf, bring eure Freundschaft nicht in Gefahr, geh nicht zu weit, lass eine Tür offen.“ Okay. Also beende ich meine SMS mit: „Du bist und bleibst mein Freund, aber manchmal kann ich dich nicht
11 mir weh tut, mir Schaden zufügt – aber die man nicht so gut am Kragen packen und sagen kann: „Nun ist aber Schluss!“, weil der andere mit großen unschuldigen Augen sagt: „Was ist denn? Hast du mal wieder eine deiner Krisen? Ich habe ja gar nichts getan.“
mehr sehen.“ Fertig. Senden. Weg ist’s. Aber in mir brodelt und schwefelt es weiter. Vor allem, wenn da eine ebenso wütende SMS zurückkommt: „Dann sieh zu, wie du fertig wirst in der Hütte. Ich komme jetzt einfach mal gar nicht mehr.“
Der ganze Tag ist hin. Ich muss natürlich in der Metrohütte bleiben, weiter für die Leute da sein, kochen, Kaffee machen, herzlich sein, und ja, auch beten und singen. Ich sitze am Klavier, die Leute wählen Lieder, ich singe, du singst, wir singen … Und da kommt schon die Anklage und stürzt sich auf mich wie ein hungriger Wolf: „So – singen und beten, was? Aber in deinem Herzen, da tobt es und sieht’s chaotisch aus …“ Ja, stimmt, denke ich mir, ich könnte meinen Mitarbeiter an die Wand spießen. „Du weißt doch, du sollst vergeben.“ – Vergeben?! Nein! Zumindest nicht jetzt! Soll er doch genauso im Wutstrudel sitzen wie ich, soll er doch … – Ich versuche, mich zu stoppen. Gefahrzone, bremsen! Aber es klappt nicht. Und jeder Versuch, anders zu sein, anders zu fühlen, endet in einer Anklage gegen den Freund, der an all dem schuld sein soll: „Wärst du nur anders, dann wäre ich nicht so …“
Und in einer Anklage gegen mich selbst: „Wärst du nur anders … ausgeglichener, weiser, nicht so entflammbar, nicht so dieses, nicht so jenes …“
Und dann geht’s weiter, tiefer. Höre ich andere, frühere Anklagen und Vorwürfe irgendwie mit. Die aus meiner Jugendzeit: „Bist du aber hart!“ Die von vor zwei Wochen: „Bist du aber direktiv!“ Die von einer genervten Freundin: „Wenn du das sagst, ist das dumm und ich nehme dich nicht mehr ernst.“ (Seltsam, das wurmt mich mehr, als ich gedacht hatte.)
Und dann tönen andere Klänge mit: „Lass die Sonne nicht über deine Wut untergehen“. Dann hab ich aber noch ein bisschen Zeit … „Deine Freundlichkeit sei jedem bekannt.“ Uff, ich bin wohl bekannt für meine Freundlichkeit, aber auch für mei-
ne große Dosis Aufrichtigkeit, nicht immer in empathischem Ton gespendet. „Die Früchte des Geistes sind …“ Ich will aber jetzt nicht wissen, was die Früchte des Geistes sind, denn alles wird eine Anklage, ich entspreche all dem sowieso nicht und will das jetzt auch gar nicht und, und, und ...
Plötzlich, wie ein Sonnenstrahl, kommt die Erinnerung an etwas, das ich von Gott gehört habe: „Schmeiß die Anklage raus. Immer. Egal welche, wenn du spürst, sie kommt nicht von mir. Die, die dich lähmt, die dich auf dich selbst zurückwirft, die ohne Ende, die zermürbende, die hämische, die lästernde …
Du kennst sie ja. Hab genug Vertrauen zu mir, um zu wissen: So bin ich nicht. So rede ich nicht.“ Da atmet mein Herz wieder auf!
Aber die Anklage scheint im Augenblick stärker, sie kommt wieder zurück. Ich brauche all meine Kraft, um nicht ihr „Komplize“ zu werden, um nicht in ihre Falle hineinzutaumeln, denn sie scheint so richtig, so wahr, so ehrlich, so gerechtfertigt, und ich will ja ehrlich sein … „Ha!“, höhnt ihre Stimme in mir. „Toll, dein neues Herz! Weißt du noch? Darum hattest du gebetet! Ja, und wo ist es nun? Weit, weit weg …“
Und das scheint so wahr zu sein, denn ich fühle mich alles, nur nicht neu. Und so rasselt und stürmt und kocht es weiter. Am Ende des Tages bin ich erschöpft, vor allem, weil ich ganz alleine bin, um alles aufzuräumen. Erschöpft auch vom herzlichen Empfangen, wo ich doch heute öfters die Leute am liebsten wieder hinausgeschoben hätte: „Hütte ausnahmsweise geschlossen!“ Aber glücklicherweise mache ich das nicht und die Leute, ahnungslos, helfen mir, mein inneres Gleichgewicht wieder ein bisschen zurückzufi nden. Leute sind toll für sowas.
Das alles war gestern …
Glücklicherweise konnte ich schlafen, war viel zu müde, um viel herumzugrübeln. Aber heute morgen fängt der Zirkus
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wieder an. Was werde ich sagen? Was werde ich nicht sagen? Was muss ich vielleicht sagen, will ich aber nicht?
Bis ich plötzlich auf etwas stoße, das alles wieder in ein klares Licht rückt. Nein, kein Bibelspruch! Das ist zwar oft der Fall. Aber heute Morgen ist es die Coop-Zeitung, die ich gerade durchblättere und die eine Aussage Mark Twains zitiert: „Spielen … das ist alles, was man tut, ohne dazu verpfl ichtet zu sein.“
Es ist wie ein Augenzwinkern Gottes, denn er war’s, der mir irgendwann während einer Jura-Radtour sagte: „Ich will nicht, dass du wie ein Roboter die ‚richtigen Bewegungen‘ machst. Ich möchte, dass du von mir ein Ballspiel lernst, ein erstaunliches, weil eben von mir erfundenes: nach meinen Spielregeln und Kriterien, und du brauchst es nicht perfekt zu spielen, du brauchst es nur lernen zu wollen. Es heißt ‚neues Leben‘. Machst du mit?“
Ja, ich machte mit. Und in diesem Ballspiel lernte ich zum ersten Mal in meinem Leben, die Beschuldigung, die alte, gehasste, aber vertraute, weder zu schlucken noch kostbare Zeit darauf zu verwenden, sie bis ins letzte Detail zu analysieren, noch mich mit ihr in einen unendlichen und fruchtlosen Dialog von Verteidigung und Rechtfertigung zu begeben, noch mich heftig gegen sie zu wehren. Sondern sie hinauszuwerfen. Im Namen Jesu. Im Namen des Gottes, als dessen Wortführerin sie sich doch gerade vorgestellt hatte!
Denn das war ihr Trick: Sie gab vor, von Gott zu stammen. Sie klagte an und behauptete, seine Stimme zu sein. Sie sah mich abgrundtief-böse an und prätendierte, Gottes Blick zu sein. Mit anderen Worten: Sie setzte sich eine Gottes-Maske auf. Und ich glaubte ihr! Ja, warum eigentlich? Ich denke, weil es irgendwie so richtig und wahr schien, weil meine Gefühle und meine Kindheitserfahrungen ihr Recht gaben. Ich habe eigentlich immer geglaubt, ich sei von Grund auf nicht-richtig,
So hatte ich mich als Jugendliche von Gott entfernt, ohne ihm und mir selbst das so richtig einzugestehen. Aus Angst. Um mich selbst vor diesem Tyrannen (denn so sah ich ihn) zu schützen. „Du willst mich fressen? Dann halte ich Distanz. Ich werde dir ein bisschen dienen, denn ich habe zu viel Angst davor, dich so richtig fallen zu lassen, das traue ich mich nicht. Aber mein Vertrauen, mein Herz, das kriegst du nicht, das behalte ich für mich, da kommst du nicht ran.“
So traurig … und diese Trauer ging und geht Hand in Hand mit einer enormen, fressenden, um sich schlagenden Wut, die ich inzwischen etwas besser verstanden habe, aber nie so richtig meistern konnte. Es werden viele bestimmt richtige Sachen über die Wut gesagt. Man solle sie ablegen. Man solle sie nicht ablegen. Man solle sie ausdrücken, man solle sie „zähmen“. Oder man solle sie bezwingen, kontrollieren oder zumindest kanalisieren …
Das Dumme ist, ich habe so ziemlich alles versucht, aber meine Wut ist immer noch da. Und ich spüre, sie ist nicht nur eine Reaktion auf etwas von früher, ein „Kindheitsproblem“, das ich lösen soll, weil es die anderen nur stört.
Sie sagt etwas, meine Wut, und sie sagt etwas Richtiges, und wenn die anderen das nicht hören wollen, soll zumindest ich selbst das hören wollen. Denn nur dann kann sie weichen: Wenn sie einer größeren Wut begegnet, die sie nicht aus-, sondern einschließt, die etwas Ähnliches sagt wie sie, aber eben besser. Nicht weniger, sondern mehr. Nicht fader, sondern
15 nicht-entsprechend, irgendwie falsch und daneben, und also dazu bestimmt, bei anderen unten durch zu sein – es sei denn, ich würde mich mit all meinen Kräften dafür einsetzen, „gut“ zu sein. Und das hieß, sich dem jeweiligen „Klima“, der jeweiligen Gruppe, der jeweilig vorherrschenden und also herrschenden Meinung anzupassen.
intensiver. Nicht lauwarmer, sondern heftiger. Dann kann sie Platz machen, sich sozusagen verneigen und dieser anderen Wut delegieren, was sie selbst nicht fertigbringt.
Ich darf lernen, in diesem neuen Ballspiel Gottes meiner Wut weder irgendwelche aus dem Kontext gerissene Bibelstellen noch irgendeine Moral noch irgendwelche guten Vorsätze vorzuhalten. Sogar nicht die Güte oder die Freundlichkeit Gottes! Sondern … seine Wut!
Ich darf lernen, meine Wut dieser größeren, aber auch besseren Wut auszusetzen, die nicht weniger weit, sondern weiter geht als meine eigene. Ich darf lernen, dass meine Wut nur ein Abdruck, eine fade Kopie ist, oder, wenn ich ehrlich bin, nur eine Karikatur von einem Original, das von Gott selbst stammt, in ihm selbst ist. Weil ich nach dem Bild Gottes gemacht bin, kann ich wütend sein, denn ER kann wütend sein! (Siehe dazu die nächsten Kapitel.)
Jetzt darf ich aber lernen, meine Karikatur diesem Original unterzuordnen. Oder besser: lernen, den Weg von meiner ineffizienten, nutzlos um sich schlagenden Wut zurückzufi nden zur Wut des Schöpfers. Damit meine Karikatur selbst zum Guten führt. Denn eben durch ihr Karikatur-Sein weist sie auf das Original hin: Eine Karikatur ist immer ein falsches Abbild von etwas Bestehendem, von einem Original. Hier ist es die Original-Wut des Schöpfers, die Wut über alles Falsche und Zerstörende in seiner Schöpfung; eine Wut, die nicht zur Vernichtung, sondern zur Heilung führt. Gott gebraucht sie, um sein Geschöpf und seine ganze Schöpfung zu restaurieren, zu erneuern, zum unglaublich schönen Original zurückzubringen.
Die Wut ist eben nicht nur mögliche Gefahrenzone, sondern kann selbst zur Warnung, zum Verkehrsschild werden: „Achtung! Hör auf deine Wut: Du begegnest hier etwas Falschem, Verstecktem, einer Manipulation, einem Versuch zu Macht-
Die gute Nachricht der Karikatur: Je hässlicher sie ist, umso größer kann eine Sehnsucht wach werden, dass Gott sie gebraucht, um uns zum Original zurückzuführen. Und dass er mit dieser Restauration nicht allzu lange wartet: „Maranatha, komm, Herr Jesus!“
Heute morgen, sehr konkret und bodenständig, schubst Gott mich freundlich, um folgende Sachen auf die Reihe zu bringen:
1. Keine Sorge, meine Wut ist größer und geht weiter als deine! Fallen dir da nicht ein paar Bibelstellen ein?
2. Ich erwarte nicht von dir, dass du deine Wut ersetzt durch etwas Nettes, Liebes, durch ein beschwichtigendes „Beruhige dich“ oder durch etwas politisch oder geistlich wässeriges Korrektes.
3. Du bist wütend, weil du dich in einem tiefen, essenziellen Teil von dir angegriffen fühlst.
4. Kannst du versuchen, den anderen, deinen „Gegner“, einen Moment auszublenden, damit wir uns auf dich konzentrieren können?
5. Bist du bereit, mit deinen wüst herumschleudernden Gedanken eben zu warten, bis wir einen Moment haben, um uns das Problem zusammen und seriös anzusehen?
6. Und schließlich: Bist du einverstanden, deine Wut durch meine hindurchgehen zu lassen, wie durch eine Art Filter, der den Dreck hinausfi ltert, damit am Ende, nein, nicht ein lieblicher Strahl Zuckerwasser herauskommt, sondern das Wasser purer Wut?
Witzig, es geht mir viel besser.
17 missbrauch! Pass auf und rutsche nicht hinein – weder in diese Gefahr noch in eine unendliche Wut, die zwar auf diese Gefahr hinweist, aber dann selbst zur Karikatur und zur Falle wird.“
Ich habe inzwischen auch beschlossen, nicht über „die“ Wut zu schreiben, sondern über meine. Nicht über Karikaturen im Allgemeinen, sondern über meine. Und die von konkreten Leuten, denen ich begegnet bin.
Und dann eben auch nicht über Originale im allgemeinen Sinne, sondern über meine. Und die von konkreten Leuten. Originale, die ich auf dem Weg gefunden habe.
Das ist zwar etwas riskant, und Sie, lieber Leser, können mir Nabelschau vorwerfen. Aber wer weiß, vielleicht können Sie meine Beispiele dazu ermutigen, Ihre eigenen „unkorrekten“ Eigenschaften etwas besser zu verstehen – und zu gebrauchen?!
